Wird das Babiš gerecht, ist er der Hitler von der Moldau, der Diktator-in-spe? Mitnichten. Der slowakischstämmige Milliardär und Parteichef seiner Formation ANO – einerseits tschechisch für “Ja”, andererseits die tschechische Abkürzung für die Aktion Unzufriedener Bürger – ist ein klassischer Populist, der schon einmal, von 2017 bis 2021, in Prag regierte.
Babiš gewann die Wahl nun aus der Opposition heraus klar: 34,5 Prozent der Stimmen sind ein starkes Ergebnis, zumal dann, wenn man es in Relation zum christlich-liberalen Dreierbündnis SPOLU von Petr Fiala setzt: Die Formation des amtierenden Premierministers kam lediglich auf 23,4 Prozent. In Prag siegte man, in Brünn parierte man; ansonsten blieb man chancenlos. Auf dem Land, ob in Böhmen, Mähren oder im tschechischen Teil Schlesiens, blieben die Mitte- und Linksparteien generell chancenlos, wohingegen alle Parteien rechts der Mitte zusammen in manchen Regionen auf Zwei-Drittel-Mehrheiten kommen.
Die Parteien links der Mitte leben bzw. überleben vor allem dank der urbanen Zentren Prag, Brünn, Pilsen und Mährisch-Ostrau. So reüssierten STAN (Bürgermeister und Unabhängige) und die Piratenpartei, die jeweils leicht zulegten und auf 11,2 bzw. 9 Prozent kamen. Aber die ehemaligen Arbeiterparteien der Sozialdemokratie und der Kommunisten, die diesmal als Einheitsliste Stačilo! (Genug!) antraten, packten es gar nicht: Auch in Tschechien existiert die umstrittene Fünfprozenthürde, und mit 4,3 Prozent heißt das eben, daß man leer ausgeht.
Das kann man von den Rechtsparteien nicht behaupten. Die Ein-Themen-Gruppe der Motoristé (Autofahrer), die sich hauptsächlich gegen den Green Deal der EU und für “freie Fahrt für freie Bürger” engagiert, und in launigen Momenten schon einmal die Streichung aller Radwege in Großstädten einfordert, kam aus dem Stand auf 6,8 Prozent und damit auf 13 Mandate.
Interessanter ist die Lage der Partei Freiheit und direkte Demokratie (SPD), die mit der AfD in der ESN-Fraktion und der entsprechenden Partei europaweit organisiert ist. Sie ist, für Tschechiens populistische und nationale Rechte durchaus neuartig und deshalb überaus positiv zu bewerten, explizit deutschfreundlich, historisch völlig unbelastet und – überdies – an europäischen Begegnungen und Annäherungen interessiert.
Die SPD ist zudem die einzige “wirkliche” Rechtspartei im Parlament, da Babiš sehr chamäleonhaft agiert und die Autofahrer sich vor allem fürs Autofahren interessieren. Die SPD, bei der Politiker kleinerer Rechtsparteien, darunter der nationalkonservativen Trikolora (Trikolore) und der libertären Svobodní (Freie), antraten, fiel um 4,8 Prozentpunkte auf nunmehr 7,8 Prozent. Das ergibt einen Verlust von fünf Parlamentssitzen und damit noch 15 Mandatare.
Und damit wurde es spannend: Andrej Babiš hatte die Wahl zwischen einer Regierungsbildung mit dem liberalen Bündnis SPOLU oder mit der SPD und den Autofahrern. Er entschied sich für letztere Variante – wohl auch deshalb, da die SPD angeschlagen und die Autofahrerpartei unerfahren ist. So läßt sich leichter koalieren und entscheiden.
Die Koalition entspricht dabei auch dem Mehrheitswillen der Tschechen. Gemäß einer Umfrage der Agentur NMS für das Nachrichtenportal Novinky wünschten sich knapp vor der Wahl 52 Prozent der Befragten eine solche Mitte-Rechts-Variante. Die Alternative, eine allmittige Regierung aus ANO und SPOLU, favorisierten lediglich 19 Prozent.
Babiš tat also, wie ihm befohlen, und berief SPD und AUTO zu Gesprächen ein, die in dieser Woche positiv beendet wurden: jedenfalls für ANO und die Autofahrer, die acht bzw. vier Ministerien erhalten. Die SPD unter Tomio Okamura, angeschlagen durch die Wahlverluste und von der Medienlandschaft pauschal bekämpft, erhält trotz ihres besseren Ergebnisses als die Autofahrer nur drei Ressorts, und nicht einmal jene, die man sich wünschte. Man besetzt Landwirtschaft, Verkehr und Verteidigung, geht aber beim Innen‑, Außen- und Wirtschaftsministerium vollkommen leer aus.
Erschwerend kommt hinzu, daß man sich von Babiš aufdrängen ließ, daß man nicht sein eigenes Spitzenpersonal in die Ministerposten hievt – sondern “unabhängige Experten”. Die SPD-Führung, beteiligt an der Regierung – ein zahnloser Tiger, der für Regierungsposten alles tut und auf vieles verzichtet, oder als optimistischer Spieler ein cleverer Taktierer, der zunächst Kreide frißt, um später sukzessive den organisierten Rechtsruck von neu eroberten Schlüsselstellen aus zu forcieren?
Argumente gibt es für beide Lesarten der jüngsten SPD-Entwicklungen. Für die Negativlesart spräche indes, daß man sich die entscheidenden eigenen “roten Linien” bereits in kürzester Zeit abringen ließ. Der tschechische Präsident Petr Pavel, der jeden Minister einzeln akzeptieren und vereidigen muß, hatte nämlich bereits angekündigt, einige der grundsätzlichen SPD-Positionen nicht zu dulden.
In der Zeit heißt es entsprechend im Artikel von Martin Nejezchleba:
Der ehemalige Nato-General macht keinen Hehl aus seinen roten Linien: Tschechiens konstruktive Rolle im Militärbündnis und in der EU – und als verlässlicher Partner der Ukraine.
Die SPD reagierte, indem sie den Verzicht auf das stets geforderte EU-Austritts-Referendum erklärte. Auch im Ukraine-Krieg will man zwar für Neutralität werben, der tschechischen Rüstung aber nicht mehr, wie bisher programmatisch vertreten, Exporte gen Kiew erschweren. Auch die NATO-Mitgliedschaft, traditionell von der SPD kritisch beäugt, wird nicht mehr thematisiert.
Es scheint, daß die SPD sehr hoch pokert: Ihr Spitzenpersonal ist angeschlagen, wird juristisch befehdet und hat medial keine eigenen Projekte jenseits der sozialen Medien. Daraus folgt: Man ist Getriebener des Polit‑, Wirtschafts- und Medienprofis Andrej Babiš und der aufstrebenden Konkurrenz der Autofahrer, die allerdings nun selbst medial in den Fokus geraten – man wittert alte Hitlervorlieben bei einem der designierten Minister.
Ob die SPD den derzeitigen Abwärtstrend ausgerechnet stoppen kann, indem sie ihre weltanschaulichen Schwerpunkte schleift und sympathisierende Unabhängige mit Ministerposten belohnt, wohlgemerkt auf Druck anderer, und eben anstelle eigener verdienter Kader, bleibt abzuwarten. Vielleicht zeigt die Schwesterpartei der AfD auch auf, wie man sich selbst – unnötig, voreilig, umfassend? – verzwergt und damit den Status als widerständige Protestpartei beim eigenen Stammpublikum voreilig verspielt. Und das für geringstmögliche Gegenleistungen.
Es bleibt zu hoffen, daß es nicht so kommt, wie es zu kommen droht.
Le Chasseur
Neues aus Polen: Ein polnischer Richter hat erklärt, die Sprengung von Nord Stream 2 sei kein Verbrechen. Die Auslieferung eines dringend tatverdächtigen Ukrainers an Deutschland wies er daher ab.