SEZESSION: In Ihrem kaplaken fordern Sie die Einheit Europas, die Abkehr vom klassischen Nationalstaatsdenken der politischen Rechten und einen europäischen Völkerfrühling. Drunter ging es nicht?
TILL-LUCAS WESSELS: Ich sehe da ehrlich gesagt keinen Grund zur Zurückhaltung. Der europäische Populismus stellt sich dieser Tage als eine hochvitale Strömung heraus, die geeignet erscheint, die politische Landschaft unseres Kontinents innerhalb kürzester Zeit radikal zu verändern – allerdings mit einem starken Rückgriff auf nationale Identitäten; Souveränität ist das Stichwort der Stunde.
Das ist eine begrüßenswerte Entwicklung, aber ich denke es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, daß dieser neue Souveränismus in seinem Kern nicht reaktionär wird. Man könnte auch sagen: Gerade wir, die wir uns immer die Vorwürfe der Rückwärtsgewandheit und des Chauvinismus anhören müssen, wissen es besser und haben daher eine Verantwortung dafür, daß die neue populistische Bewegung in Europa ihre Energie nicht im Korsett einer Karikatur des vergangenen Jahrhunderts einschnürt, sondern zeitgemäß bleibt und visionär wird.
SEZESSION: Was heißt das konkreter gesprochen?
WESSELS: Dazu gehört es, den Realitäten ins Auge zu sehen, und zuallererst anzuerkennen, daß die Politik den Investiturstreit gegen die Wirtschaft einstweilen verloren hat. Ganz konkret ist dieser “Verlierer” der klassische bürgerliche Nationalstaat, der als selbständige Handlungsinstanz überall auf dem Rückzug ist: Privatisierung wichtiger Schlüsselsektoren, asymmetrische Kriegsführung, aber auch der Lobby-Zentralismus der EU – in allen Bereichen befinden sich nichtstaatliche, parastaatliche oder überstaatliche Akteure auf dem Vormarsch.
SEZESSION: Das Vereinigte Europa also als Chance für jedes einzelne europäische Land, global zu bestehen? Bitte: Ist das nicht bereits das Anliegen der EU?
WESSELS: Ja. Auf dem Parkett der Weltpolitik dauerhaft wirkfähig kann nur eine institutionalisierte Gemeinschaft der europäischen Völker sein, die sich, von einer positiven Vision getragen, den Hegemonialansprüchen aus Ost und West entgegenstellt.
In diesem Zusammenhang ist die Europäische Union jedoch untragbar: Ihr bürokratischer Zentralismus würgt regionale und nationale Identitäten ab, ihre Durchdrungenheit vom westlichen Menschenrechtsimperativ lähmt sie innen- und außenpolitisch, Lobbyismus und Wirtschaftsprimat machen sie zum willfährigen Spielball internationaler Wirtschaftszusammenhänge.
SEZESSION: Nun verhält es sich aber so, daß – speziell auf dieser wirtschaftlichen Ebene – häufig von “rechts” eingewendet wird, es gebe keine Belege für das Überholtsein des Nationalstaates im ökonomisch-technischen Bereich. Man könne dafür schlichtweg kein Verständnis aufbringen. Wie würde eine europaradikale Antwort aussehen?
WESSELS: Ich möchte mich dieser Frage von zwei Seiten nähern, denn auch die Kritik am bürgerlichen Nationalstaat, wie sie etwa Alain de Benoist formuliert, ist bilateral: Der Nationalstaat ist als bürokratischer Koloss zu groß, um die Probleme der Kommunen und Regionen angemessen regeln zu können und (für sich allein gestellt) zu klein, um auf globaler Ebene souveräne Politik zu machen. Europaradikales Denken ist daher immer kontinental statt global, subsidiär statt zentristisch und sozial statt liberal.
Konkret bedeutet das eine europäische Handelszone mit einer gemeinsamen wirtschaftlichen Außenpolitik, in der außereuropäische Mächte (egal ob staatlich, paratstaatlich oder privat) möglichst wenig Investitions- und Interventionsmöglichkeiten haben. Wie lange es dauert, um ein so vereintes Europa aus den globalisierten Wirtschaftszusammenhängen gewissermaßen “abzumelden” kann ich nicht sagen – für möglich und nötig halte ich es.
SEZESSION: Wie sähe eine Handelszone europaradikalen Zuschnitts aus?
WESSELS: Nach innen hin bestünde eine solche Handelszone aus einer Vielzahl möglichst abgeschlossener regionaler Kreisläufe, in deren Funktionieren nach dem Subsidiaritätsprinzip so wenig wie möglich eingegriffen wird.
Das ist natürlich ein Punkt, der über die reine Ökonomie hinausweist – eine regional orientierte Wirtschaft bedeutet auch einen Schritt gegen die Entfremdung der Produzenten und Konsumenten vom Produkt und voneinander; als ganz konkretes Stichwort sei hier einmal das Konzept der “Solidarischen Landwirtschaft” genannt.
SEZESSION: “Idealistische Absichtserklärungen!”, könnte ein ökonomistisch argumentierender Rechter einwenden.
WESSELS: Tja. Bei einer Europakonzeption überhaupt rein vom Faktor der Wirtschaftlichkeit auszugehen, halte ich für einen Fehler. Das ist ein Grundproblem des politischen Ethos unserer Zeit, welcher nach wie vor von einem neoliberalen Wachstumsfanatismus durchwuchert ist.
Die Frage darf nicht sein: “Wie mache ich es der Wirtschaft möglichst recht?”
Die Frage muß lauten: “Welche politische Zukunft für Europa ist wünschenswert und wie stelle ich sicher, dass der Weg dahin ohne allzu viele wirtschaftliche Nachteile für die Europäer verläuft?”
“Wirtschaftliche Nachteile” klingt Ihnen zu pessimistisch? Ich glaube, daß sogar der letzte national-freiheitliche CDUler mir zustimmen wird, daß wir da in der nächsten Zeit nicht drum herumkommen.
SEZESSION: Nun dürften entsprechende Standpunkte innerhalb des eigenen Milieus auf Widerspruch stoßen, vor allem in jenem Bereich, der mit DEXIT-Phantasien und grundsätzlicher Europaskepsis operiert, etwa im Europawahlkampf bis Mai.
Wer ist also die Zielgruppe europaradikalen Denkens, die Zielgruppe Ihres zur Diskussion anregenden kaplaken-Bandes: Das gesamte eigene Lager? Neurechte Zirkel? Bis dato nur anpolitisierte Erasmus-Studenten aus den Uni-Städten? Arbeiterjugend aus Kattowitz, Hospitalet de Llobregat, Chemnitz und Rotterdam?
WESSELS: Sollte sich ein spanisch-katalanischer Kleinstverlag meines Bändchens erbarmen und eine Übersetzung veröffentlichen, wird natürlich die Arbeiterjugend von Hospitalet de Llobregat zum heißen Kandidaten!
SEZESSION: Europäischer Austausch auch im publizistischen Sinne, eine Venner-Forderung. Aber dieser Austausch bleibt, so kritisch muß man sein, selbst heute noch oft bei Wunschdenken stehen.
WESSELS: Ja, Spaß beiseite. Selbstverständlich freue ich mich über jeden Leser, der sich konstruktiv mit meinen Vorschlägen auseinandersetzt, insofern möchte ich außer der bis dato anpolitisierten Erasmus-Studenten (die können ruhig in Neuseeland oder Australien vergammeln) eigentlich keine der genannten Gruppen ausschließen.
SEZESSION: Immerhin. Und positiv gesprochen?
WESSELS: Geschrieben habe ich den Text insbesondere für die junge, hungrige Neue Rechte, die im Moment zwischen Identitärer Bewegung, Jungeuropa Verlag und Junger Alternative ihre Begeisterung für die Möglichkeit einer europäischen konkreten Utopie entdeckt.
In diesem Sinne ist europaradikal gedacht als eine kurze, intensive Einführung in den rechten Europadiskurs, die Ausgangspunkt sein soll für vertiefende Lektüre, welche sich aber auch selbstbewußt genug positioniert, um als persönlicher Beitrag in dieser Diskussion aufgefaßt werden zu können.
Wer sich dafür interessiert, aber das Büchlein noch nicht direkt erwerben will (Schade!) wird schon bald die Gelegenheit haben, meine Ansätze in einem Vortrag präsentiert zu bekommen – die Diskussion wird dann im Anschluß geführt. Dafür muß man am 16. März lediglich nach Halle kommen!
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Till-Lucas Wessels: europaradikal. Konzepte einer europäischen Zukunft– hier bestellen! Im Dreierpack (mit Alain de Benoist und Peter J. Preusse!) wird’s noch günstiger – hier entlang.
Der_Juergen
Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, das Buch gleich zu bestellen. Wessels ist ein kluger Kopf; davon zeugen seine allwöchentlichen Beiträge.
Zum Thema: Schon seit vielen Jahren bin ich der Ansicht, dass die Staaten Europas sich auf eine gemeinsame Aussen- und Verteidigungspolitik einigen müssen. Dies bedeutet wohlverstanden nicht, dass ich gegen den Nationalstaat wäre; dieser ist auch in Zukunft unverzichtbar. Mir schwebt ein europäischer Staatenbund vor, der von Portugal bis an die Grenzen der ehemaligen UdSSR reicht (wo seine östlichen Grenzen genau verlaufen würden und welche Staaten dazu gehören würden, lässt sich im Moment nicht sagen. Dieser Staatenbund muss nach dem Motto "Kein Feind im Osten" handeln und engstens mit Russland zusammenarbeiten.)
Seine Innenpolitik könnte jeder Mitgliedstaat dieser Union selber bestimmen. Ob er autoritär oder demokratisch regiert wird, darüber hat nur dieser Staat selbst zu befinden. Aber angesichts der immer stärkeren Bedrohung durch raumfremde Kräfte und die afro-islamische Invasion müssen alle europäischen Nationen zusammenspannen und mit einer Stimme sprechen. Zentrales Prinzip eines solchen Staatenbundes wird sein, dass er ein Interventionsverbot für raumfremde Mächte verhängen wird (worunter natürlich vor allem die USA zu verstehen sind).
Ich sähe Grossbritannien nur allzu gerne als Bestandteil eines solchen Staatenbundes, aber realistischerweise ist davon auszugehen, dass die Briten mit ihren Vettern jenseits des Atlantik zusammenspannen werden.
Dies bedingt selbstverständlich, dass in den betreffenden Staaten nationale Kräfte am Ruder sind, für die die Bewahrung der europäischen Menschheit und ihrer Kultur oberste Priorität hat. Ein deutscher und ein französischer Nationalist sind heute keine Gegner mehr, sondern Partner. Dies bedeutet, dass wir einen Schlussstrich unter die Konflikte der Vergangenheit ziehen müssen. Diese dürfen und sollen historisch so objektiv erforscht werden, wie es möglich ist, dürfen aber nicht wie ein Bleigewicht auf unseren Völkern lasten. Deutsche und Polen, Serben und Kroaten, Ungarn und Rumänen sitzen im gleichen Boot, und wenn sich die Ruderer gegenseitig an die Gurgel fahren, wird der Kahn kentern.
Nun freue ich mich auf die Lektüre von Wessels' Buch.