Autorenporträit Jörg Friedrich

pdf der Druckfassung aus Sezession 23/April 2008

sez_nr_23von Karlheinz Weißmann

Bei einer Rundfunkdebatte im Südwestfunk über die NS-Zeit kam es vor gut zehn Jahren zu einer denkwürdigen Szene. Einer der Beteiligten, der Historiker Hans-Ulrich Thamer, beklagte neuere Tendenzen der Geschichtsschreibung, die auf die Relativierung deutscher Schuld hinausliefen, blickte sich im Kreis der Teilnehmer beifallheischend um und mußte zu seiner Überraschung erleben, daß ihm ausgerechnet der am schärfsten widersprach, auf dessen Unterstützung er sicher gerechnet hatte. Jörg Friedrich entgegnete Thamer, daß, wer von den Deutschen als Tätern spreche, ihre Opfer nicht verschweigen dürfe. Es sei jedenfalls inakzeptabel, wenn man wie Thamer in seiner Darstellung des Zweiten Weltkriegs über die Toten der Bombardierungen oder der Vertreibung kaum ein Wort verliere oder sogar den Eindruck erwecke, als handele es sich um gerechtfertigte Vergeltung an Alten, Frauen und Kindern. Thamer lenkte sofort ein und versuchte den Eindruck, der entstanden war, zu korrigieren, aber Friedrich insistierte und zeigte jedenfalls deutlich, daß er zu einem Formelkompromiß nicht bereit war.


Zwei­er­lei ist an die­sem Vor­gang kenn­zeich­nend für die Per­son Fried­richs: Uner­schro­cken­heit und eine tie­fe Abnei­gung gegen­über den Ver­su­chen, das Schul­dig­wer­den als Allein­stel­lungs­merk­mal der Deut­schen auf­zu­fas­sen. Sei­ne Kon­se­quenz in die­ser Fra­ge hängt ohne Zwei­fel mit einem Lern­pro­zeß zusam­men, der bei jeman­dem sei­ner Gene­ra­tio­nen­zu­ge­hö­rig­keit und sei­ner frü­he­ren poli­ti­schen Ori­en­tie­rung über­rascht. Fried­rich wur­de 1944 in Kitz­bü­hel gebo­ren, wuchs aber in Essen auf. Er geriet wie die meis­ten sei­ner Alters­ge­nos­sen in den Sog der Stu­den­ten­re­vol­te, gehör­te aber nicht zu den Mit­läu­fern oder Mit­ge­ris­se­nen, son­dern zu den Wort­füh­rern. Er zog sich auch nicht ein­fach in die Nor­ma­li­tät zurück, als der gro­ße Rausch vor­bei war. Viel­mehr über­nahm er Anfang der sieb­zi­ger Jah­re die Füh­rung der Ber­li­ner „Grup­pe Inter­na­tio­na­le Mar­xis­ten” (GIM). Die GIM gehör­te zu den Zer­falls­pro­duk­ten der APO, unter­schied sich aber von den Mos­kau­treu­en, den mao­is­tisch oder sonst exo­tisch ori­en­tier­ten K‑Gruppen, den Revi­sio­nis­ten des „Sozia­lis­ti­schen Büros” und selbst­ver­ständ­lich von den Res­ten der Anti­au­to­ri­tä­ren. Denn die Grup­pe war trotz­kis­tisch aus­ge­rich­tet und stell­te die deut­sche Sek­ti­on der „4. Inter­na­tio­na­le”, sie hat­te einen gewis­sen Per­so­nal­be­stand aus der Nach­kiegs­zeit über­nom­men, als sich die Trotz­kis­ten auf die Ein­fluß­nah­me in bestehen­den Par­tei­en und Gewerk­schaf­ten kon­zen­trier­ten, voll­zog aber unter dem Ein-druck des gro­ßen Links­rucks eine „revo­lu­tio­nä­re” Kehre.

Mehr als eini­ge hun­dert Mit­glie­der konn­te die GIM aber nie gewin­nen, und sie blieb wegen dau­ern­der Spal­tun­gen und Säu­be­run­gen sogar im Rah­men der kom­mu­nis­ti­schen Klein­par­tei­en mar­gi­nal. Immer­hin war ihr intel­lek­tu­el­les Niveau fall­wei­se bemer­kens­wert, und es bleibt einer künf­ti­gen Sozio­lo­gie über­las­sen, die Fra­ge zu klä­ren, auf wel­chen Wegen wel­che ehe­ma­li­gen Kader ihren Weg nicht nur in die Poli­tik (bevor­zugt SPD, Grü­ne und PDS), son­dern auch und gera­de in Schlüs­sel­po­si­tio­nen der Medi­en fan­den. Als die GIM 1986 auf­ge­löst wur­de, gehör­te Fried­rich schon lan­ge nicht mehr dazu, und im Rück­blick hat er ein har­tes Urteil über sich und sei­ne Gene­ra­ti­on gespro­chen, vor allem über „den bar­ba­ri­schen Affekt einer Gene­ra­ti­on, die auf sta­bi­le Zustän­de traf. Im Unter­schied zu den vor­an­ge­gan­ge­nen blieb ihr erspart, ihre Ideen aus­zu­le­ben. Sie hat sich ange­paßt, ehe sie rich­tig auf­fäl­lig wur­de. Man hat­te wahr­lich mehr im Sinn als die paar Poli­zei­schar­müt­zel. Dar­um die anhal­ten­de Fas­zi­na­ti­on vor den Exzes­sen der Väter. Die eige­nen blie­ben lee­res Kon­zept. Erfreu­li­cher­wei­se beschränkt sich das Ergeb­nis auf die Abson­de­rung von namen­lo­sem Stuß in Wort und Schrift, wie nach­zu­le­sen. Mitt­ler­wei­le will man die Demo­kra­tie der Bun­des­re­pu­blik erfun­den haben, die uns doch ange­wi­dert hat wie die Sün­de. Auch eine Bekeh­rung! Wären wir zu der Herr­schaft, wie wir sie woll­ten, hin­auf­ge­langt, wir hät­ten uns dort zwei­fels­oh­ne höchst blu­tig bewährt. Das geis­ti­ge Rüst­zeug war fer­tig. An uns hat es nicht gele­gen; die Ver­hält­nis­se waren stärker.”
Fried­richs Abwen­dung vom Trotz­kis­mus bedeu­te­te noch kei­nen Bruch mit der Lin­ken über­haupt. Er hat­te seit Mit­te der sieb­zi­ger Jah­re als Jour­na­list gear­bei­tet und 1982 sein ers­tes Buch vor­ge­legt. Es han­del­te sich um den bei Rowohlt erschie­ne­nen Band Frei­spruch für die Nazi-Jus­tiz, der kurz dar­auf um einen wei­te­ren mit ähn­li­cher Ten­denz – Die kal­te Amnes­tie – ergänzt wur­de. Wie die Titel zei­gen, ging es um eine Aus­ein­an­der­set­zung mit der Art und Wei­se, in der die bun­des­deut­sche Jus­tiz und Öffent­lich­keit die NS-Zeit auf­ge­ar­bei­tet hat­ten. Was Fried­rich dabei beson­ders in den Blick nahm, war die unge­bro­che­ne Stan­des­ori­en­tie­rung von Rich­tern und Anwäl­ten, die nach 1945 nicht nur zur Deckung von „Belas­te­ten”, son­dern auch dazu geführt hat­te, daß Urtei­le fort­be­stan­den, obwohl sie ein­deu­tig rechts­staat­li­chen Kri­te­ri­en widersprachen.
Die bei­den Bücher Fried­richs waren Teil jener for­cier­ten „zwei­ten Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung” (Jür­gen Busche), die in Fol­ge von ’68 das poli­ti­sche Kli­ma der spä­ten Bun­des­re­pu­blik präg­te. Erkenn­bar ging es dar­um, den „Alten” am Zeu­ge zu fli­cken und die Geschich­te der Nach­kriegs­zeit „ein­zu­bräu­nen”. Inso­fern lag die Erwar­tung nahe, daß auch der zehn Jah­re spä­ter von Fried­rich publi­zier­te Band Das Gesetz des Krie­ges die­ser Per­spek­ti­ve fol­gen wür­de. Das mehr als sie­ben­hun­dert Sei­ten star­ke Buch war das Ergeb­nis eines Pro­jekts, das die Stadt Nürn­berg zur Erschlie­ßung der Akten der Kriegs­ver­bre­cher­pro­zes­se finan­ziert hat­te, und kon­zen­trier­te sich auf das Ver­fah­ren gegen das Ober­kom­man­do der Wehr­macht. Das Ergeb­nis ent­sprach den Erwar­tun­gen aber nur auf den ers­ten Blick. Denn das, was Fried­rich hier vor­leg­te, war eine sehr in die Brei­te gehen­de Unter­su­chung zu Krieg, Kriegs­recht, Kriegs­brauch und Kriegs­ver­bre­chen, die immer wie­der Par­al­le­len zog und zu Schluß­fol­ge­run­gen führ­te, die sicher nicht dem Kon­sens der Ton­an­ge­ben­den entsprachen.

Von zen­tra­ler Bedeu­tung waren die Aus­füh­run­gen zur Vor­ge­schich­te des Tota­len Krie­ges, die für Fried­rich eben nicht mit den Erwä­gun­gen Luden­dorffs begann, son­dern mit den Maß­nah­men der Nord­staa­ten im Sezes­si­ons­krieg gegen den unter­le­ge­nen Süden. Die Auf­he­bung jeder Unter­schei­dung von Kom­bat­tan­ten und Nicht­kom­bat­tan­ten, die bewuß­te Ein­schüch­te­rung und Ver­nich­tung von Zivil­be­völ­ke­rung mit dem Ziel, die Wider­stands­kraft im Volks­krieg zu bre­chen, das alles waren kei­ne Erschei­nun­gen des 20., son­dern schon des 19. Jahr­hun­dert. Die Bereit­schaft ent­spre­chen­de Maß­nah­men zu ergrei­fen, war außer­dem unab­hän­gig vom Grad der „West­lich­keit”: Sie wur­den zuerst von der demo­kra­ti­schen Mus­ter­na­ti­on praktiziert.
Fried­richs Dar­stel­lung kann­te aller­dings kei­ne Häme, es ging ihm zuerst um die Fest­stel­lung, daß Kriegs­ver­bre­chen – oder doch Maß­nah­men, die dem euro­päi­schen Kriegs­brauch radi­kal wider­spra­chen – regel­mä­ßig auf­tra­ten, wenn der Täter die Mög­lich­keit sah, sie straf­los zu bege­hen, und wenn eine hin­rei­chend gro­ße Bedräng­nis die Anwen­dung von Repres­sa­li­en und Schre­ckens­herr­schaft erfolg­ver­spre­chend erschei­nen ließ. Fried­rich hat die­se Über­le­gung auch in bezug auf die Wehr­macht wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs ange­wandt und des­halb dar­auf hin­ge­wie­sen, daß sich unter den Ein­hei­ten, die im Osten an Kriegs­ver­bre­chen betei­ligt waren, auch sol­che befan­den, die wäh­rend des Frank­reich­feld­zugs einen tadel­lo­sen Ruf genossen.
Die Kri­tik hat sich des­halb nicht nur an der eigen­tüm­li­chen Dar­stel­lungs­wei­se Fried­richs gestört – dem Über­bor­den­den, der Detail­ver­ses­sen­heit, der Dau­er­ten­denz zum Exkurs – son­dern vor allem an die­ser kom­pa­ra­ti­ven Nei­gung. So wies Fried­rich auch dar­auf hin, daß die vom Nürn­ber­ger Tri­bu­nal ange­führ­ten Ver­wei­se auf die eige­ne ver­gleichs­wei­se unblu­ti­ge Okku­pa­ti­ons­pra­xis der Alli­ier­ten kaum ver­fin­gen. Die Dro­hun­gen bei Beset­zung des Reichs­ge­bie­tes waren dras­tisch gewe­sen: Die Rote Armee hat­te in Ber­lin die Erschie­ßung von fünf­zig Gei­seln bei einem getö­te­ten Sowjet­sol­da­ten für ange­mes­sen erklärt, die Fran­zo­sen in Stutt­gart fünf­und­zwan­zig, die Ame­ri­ka­ner im Harz gin­gen sogar von zwei­hun­dert Zivi­lis­ten als Repres­sa­lie aus. Daß es zu ent­spre­chen­den Maß­nah­men nicht kam, war nicht das Ver­dienst der Besat­zer, son­dern Fol­ge des Wohl­ver­hal­tens der Besetz­ten: Die West­mäch­te hat­ten die „Här­te, Zivi­lis­ten zu ver­nich­ten, … im Krieg genug bewie­sen. Als Lan­deser­obe­rer reich­te ihnen das Ver­war­nen aus … Das war der Erfolg der ang­lo-ame­ri­ka­ni­schen Luft­kriegs­stra­te­gie. Dem okku­pie­ren­den Heer soll der Ver­schleiß in lang­wie­ri­ger Gegen­wehr regu­lä­rer und irre­gu­lä­rer Kampf­ver­bän­de erspart blei­ben. Die Bom­ber­flot­ten berei­ten dem Ein­marsch den Boden. Weil Bri­ten und Ame­ri­ka­ner die längs­te Zeit des Krie­ges nicht über ein Land­heer gebo­ten, der Wehr­macht den Kon­ti­nent strei­tig zu machen, grif­fen sie kei­nes­wegs mut­wil­lig, son­dern aus mili­tä­ri­scher Not­wen­dig­keit zum Bombenterror.”

Trotz gewis­ser Ein­wen­dun­gen ging die Kri­tik am Gesetz des Krie­ges noch nicht über einen Anfangs­ver­dacht hin­aus. Das änder­te sich im Zusam­men­hang mit Fried­richs Stel­lung­nah­men zur Wehr­machts­aus­stel­lung. Fried­rich ver­wies nicht nur auf die Män­gel im Detail, son­dern auf die frag­wür­di­ge Gene­ral­li­nie, die es erlaub­te, von einem „Ver­nich­tungs­krieg” der deut­schen Sei­te zu spre­chen, ohne daß man erkenn­bar mach­te, unter wel­chen Bedin­gun­gen die­se han­del­te und vor allem, nach wel­chen Grund­sät­zen die Gegen­sei­te verfuhr.
Im Kern han­del­te es sich um den Vor­wurf der unge­schicht­li­chen Betrach­tungs­wei­se, wes­halb es über­rascht, daß Fried­rich sei­ner­seits „Ent­his­to­ri­sie­rung” und „Anthro­po­lo­gi­sie­rung” (Dan Diner) in der Dar­stel­lung ange­krei­det wur­den. Damit bezo­gen sich sei­ne Geg­ner vor allem auf das Buch Der Brand, das – anders als Das Gesetz des Krie­ges – eine aus­ge­spro­che­ne Brei­ten­wir­kung erziel­te. Die­ses Buch erschien 2002 und lös­te sofort hef­ti­ge Dis­kus­sio­nen aus. Auch hier ging es weni­ger um die Fak­ten des Bom­ben­kriegs selbst, die behan­delt wur­den, als um die dem Autor unter­stell­te Absicht. Es ist des­halb wich­tig, zu beto­nen, daß Fried­rich zwar uner­bitt­lich in bezug auf die Schil­de­rung der Fak­ten und die Beto­nung der Dimen­sio­nen ist, aber etwa die Kenn­zeich­nung der Bom­bar­de­ments als „Kriegs­ver­bre­chen” ablehnt, da es wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs noch kei­ne ent­spre­chen­den Rechts­vor­schrif­ten gege­ben habe. Daß er ande­rer­seits nicht geneigt ist, mit einer mora­li­schen Beur­tei­lung zurück­zu­hal­ten, wur­de an der Wort­wahl erkenn­bar: Fried­rich sprach in dem Zusam­men­hang aus­drück­lich von „Ter­ror”, von den Opfern als „Aus­ge­rot­te­ten” und nann­te die Kel­ler, in die sich die Men­schen ver­geb­lich flüch­te­ten, „Kre­ma­to­ri­en”.
Das war eine Wei­se, von „zwei­er­lei Unter­gang” (Andre­as Hill­gru­ber) zu han­deln, die prompt hef­ti­ge Atta­cken der Lin­ken aus­lös­te – Lesun­gen Fried­richs wur­den ver­schie­dent­lich gestört oder gesprengt -, aber die schie­re Men­ge des von ihm zusam­men­ge­tra­ge­nen Mate­ri­als und die Evi­denz sei­ner Argu­men­ta­ti­on blie­ben nicht ohne Wir­kung. Das muß­ten auch eng­li­sche Kri­ti­ker, die natur­ge­mäß beson­ders emp­find­lich reagier­ten, zuge­ste­hen. Hier hat vor allem der Ver­weis auf die Ein­zel­schick­sa­le gewirkt, wenn­gleich Fried­rich natür­lich eine dar­über hin­aus­ge­hen­de Erkennt­nis för­dern woll­te: näm­lich daß die Bom­bar­de­ments ent­ge­gen einer gera­de in Deutsch­land übli­chen Erklä­rung kei­ne – viel­leicht sogar: mora­lisch gerecht­fer­tig­te – Straf­ak­ti­on der Alli­ier­ten waren, son­dern eine zuerst an Kolo­ni­al­völ­kern erprob­te, tech­nisch mach­ba­re Form der Krieg­füh­rung, die „auf die vor­sätz­li­che Tötung von einer hal­ben Mil­li­on Zivi­lis­ten” hinauslief.

Den Ver­dacht, er wol­le „auf­rech­nen”, weist Fried­rich immer und immer mit Nach­druck zurück. Tat­säch­lich muß jede Lek­tü­re sei­nes Buches, die nicht von vorn­her­ein bös­wil­lig ist, zu dem Ergeb­nis kom­men, daß hier nur ver­sucht wird, das Gan­ze des his­to­ri­schen Vor­gangs dar­zu­stel­len. Und zu die­sem Gan­zen gehört eben auch die Ver­nich­tung der deut­schen Städ­te, die Tötung der Wehr­lo­sen durch Brand- und Spreng­bom­ben und die kal­ku­lier­te Anwen­dung einer Tötungs­ma­schi­ne­rie durch Bri­ten und Ame­ri­ka­ner, die sich dadurch in ihrem mora­li­schen Über­le­gen­heits­ge­fühl kei­nes­wegs gestört fühlten.
Letzt­lich war der Effekt von Der Brand nicht ganz der, den Fried­rich sich vor­ge­stellt hat­te. Jeden­falls gelang es kaum, den Deut­schen das Unge­heu­er­li­che der Zer­stö­rung ihres Lan­des kla­rer zu machen und damit eine grund­sätz­li­che Ver­schie­bung der übli­chen Betrach­tungs­wei­se des 20. Jahr­hun­derts zu bewir­ken. Inso­fern muß man Fried­richs jüngs­tes Buch Yalu auch als Ver­such eines Neu­an­sat­zes betrach­ten. Der Yalu ist jener Grenz­fluß, der Nord­ko­rea und Chi­na von­ein­an­der trennt. Wäh­rend des Korea-Krie­ges bil­de­te er die Linie, die von den USA bei ihren Angrif­fen auf kom­mu­nis­ti­sche Zie­le nicht ver­letzt wer­den durf­te, woll­ten sie das Risi­ko einer direk­ten Kon­fron­ta­ti­on mit Chi­na und dann der Sowjet­uni­on ver­mei­den. Fried­rich schil­dert in aller Brei­te die Vor­aus­set­zun­gen die­ses Kon­flikts, den Ver­lauf und den Abschluß. Er ach­tet pein­lich dar­auf, den Ereig­nis­sen nicht im nach­hin­ein eine Strin­genz unter­zu­schie­ben, die sie nicht gehabt haben. Man wird des­halb mit einem fast unent­wirr­ba­ren Durch­ein­an­der von poli­ti­schen, mili­tä­ri­schen, wirt­schaft­li­chen und ideo­lo­gi­schen Inter­es­sen, per­sön­li­chen Eitel­kei­ten, Inkom­pe­ten­zen und Schick­sals­schlä­gen kon­fron­tiert und mit jenen Fak­ten, die unbe­dingt geschichts­mäch­tig waren: die Erfin­dung und Zün­dung der Was­ser­stoff­bom­be durch die Ver­ei­nig­ten Staa­ten, die erfolg­rei­che ato­ma­re Nach­rüs­tung der Sowjet­uni­on und schließ­lich die Gefahr einer wech­sel­sei­ti­gen Aus­lö­schung der Super­mäch­te. Fried­rich geht es aber nicht nur um den „Tota­li­ta­ris­mus” der Bom­be, um die ver­blüf­fen­de Skru­pel­lo­sig­keit, mit der Poli­ti­ker und Mili­tärs trotz der Erfah­run­gen des Zwei­ten Welt­kriegs Mas­sen­tö­tun­gen ins Kal­kül zogen, son­dern auch um die Haupt­ten­denz der his­to­ri­schen Ent­wick­lung in der Nach­kriegs­zeit: die Errich­tung eines „Kon­do­mi­ni­ums” (Ray­mond Aron) von Washing­ton und Mos­kau, die in Korea, fern des eige­nen Gebie­tes, an frem­der Bevöl­ke­rung erprobt hat­ten, wie weit sie gehen konn­ten, wobei die eine Sei­te direk­ter, die ande­re indi­rek­ter betei­ligt war, die USA zum äußers­ten bereit schie­nen, aber den letz­ten Schritt nicht wag­ten, dafür bil­li­gend in Kauf nah­men, daß jede Rück­sicht bei der „Ver­schrot­tung” der nord­ko­rea­ni­schen Zivil­be­völ­ke­rung fiel, die UdSSR stär­ker fin­as­sier­te, dabei in Chi­na einen Part­ner hat­te, der sei­ne eige­nen Absich­ten ver­folg­te und eine selbst für sowje­ti­sche Ver­hält­nis­se unvor­stell­ba­re Bru­ta­li­tät beim Ein­satz von Men­schen­le­ben an den Tag legte.

Fried­rich läßt sei­ne Dar­stel­lung in eine knap­pe Skiz­ze der Ver­hand­lun­gen auf der Gen­fer Abrüs­tungs­kon­fe­renz mün­den, die zwar kei­ne end­gül­ti­gen Ent­schei­dun­gen brach­te, aber immer­hin zur wech­sel­sei­ti­gen Erkennt­nis der Super­mäch­te führ­te, daß sie sich nicht besie­gen konn­ten, jede Sei­te bes­ten­falls den Sta­tus quo wah­ren und klei­ne­re Ver­bes­se­run­gen durch den Ein­satz von „Stell­ver­tre­tern” errin­gen konn­te, und daß es alle­mal im Inter­es­se der „part­ner­schaft­li­chen Fein­de” lag, die durch ihren Kon­flikt geteil­ten Län­der – Korea, Deutsch­land, Viet­nam, Chi­na – geteilt zu lassen.
Fried­rich hat sei­ne beson­de­re Dar­stel­lungs­wei­se in Yalu zum äußers­ten getrie­ben. Eine Ver­schrän­kung von Ereig­nis­ge­schich­te und bio­gra­phi­schen Remi­nis­zen­zen, anek­do­ti­schen Bemer­kun­gen und Schil­de­run­gen der Atmo­sphä­re, Aus­füh­run­gen zur Tech­nik und eher phi­lo­so­phi­schen Bemer­kun­gen. Der Stil ist alles ande­re als klas­sisch, viel­mehr an jour­na­lis­ti­schen Arbeits­wei­sen ori­en­tiert; das merkt man nicht zuletzt an der far­bi­gen – manch­mal all­zu far­bi­gen – Aus­drucks­wei­se. Aber auch wenn das man­che for­ma­len Ein­wän­de gerecht­fer­tigt erschei­nen läßt, bleibt doch vor allem die Wahr­neh­mung des Ein­dring­li­chen zurück.
Ein­dring­lich­keit kenn­zeich­net auch Fried­richs Vor­trags­wei­se, sein lei­ses Spre­chen, das aber immer insis­tiert, des­sen Sanft­heit jeden­falls eher geeig­net ist, den Geg­ner in Sicher­heit zu wie­gen, als Nach­gie­big­keit oder Zurück­hal­tung aus­zu­drü­cken. Als Kon­tra­hen­ten soll­te man Fried­rich nie unter­schät­zen. Er geht dem Streit nicht aus dem Weg. Das hat auch mit dem Erbe von ’68 zu tun, einer pole­mi­schen Grund­ten­denz wie man sie ähn­lich bei einem ande­ren pro­mi­nen­ten, aber am Rand der Zunft ste­hen­den His­to­ri­ker sei­ner Gene­ra­ti­on fin­det: Götz Aly. Der hat aller­dings mit den alten Ideen nie gebro­chen, jede sei­ner Ver­öf­fent­li­chun­gen über die NS-Zeit dient nur der Bestä­ti­gung der einen The­se von der Kol­lek­tiv­schuld der Deut­schen, wäh­rend Fried­rich längst ver­stan­den hat, daß man die­sem Volk, das immer wie­der mit „Ergrif­fen­heit, … Feig­heit und Ein­falt” auf die For­de­run­gen der Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung reagiert und „sei­ne Erin­ne­rungs­kul­tur wie eine Mons­tranz vor sich her trägt” end­lich eine ange­mes­se­ne Vor­stel­lung von der Bar­ba­rei des 20. Jahr­hun­derts geben muß, die nicht mit den deut­schen Schand­ta­ten begann, – und nicht mit ihnen endete.

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