Zweierlei ist an diesem Vorgang kennzeichnend für die Person Friedrichs: Unerschrockenheit und eine tiefe Abneigung gegenüber den Versuchen, das Schuldigwerden als Alleinstellungsmerkmal der Deutschen aufzufassen. Seine Konsequenz in dieser Frage hängt ohne Zweifel mit einem Lernprozeß zusammen, der bei jemandem seiner Generationenzugehörigkeit und seiner früheren politischen Orientierung überrascht. Friedrich wurde 1944 in Kitzbühel geboren, wuchs aber in Essen auf. Er geriet wie die meisten seiner Altersgenossen in den Sog der Studentenrevolte, gehörte aber nicht zu den Mitläufern oder Mitgerissenen, sondern zu den Wortführern. Er zog sich auch nicht einfach in die Normalität zurück, als der große Rausch vorbei war. Vielmehr übernahm er Anfang der siebziger Jahre die Führung der Berliner „Gruppe Internationale Marxisten” (GIM). Die GIM gehörte zu den Zerfallsprodukten der APO, unterschied sich aber von den Moskautreuen, den maoistisch oder sonst exotisch orientierten K‑Gruppen, den Revisionisten des „Sozialistischen Büros” und selbstverständlich von den Resten der Antiautoritären. Denn die Gruppe war trotzkistisch ausgerichtet und stellte die deutsche Sektion der „4. Internationale”, sie hatte einen gewissen Personalbestand aus der Nachkiegszeit übernommen, als sich die Trotzkisten auf die Einflußnahme in bestehenden Parteien und Gewerkschaften konzentrierten, vollzog aber unter dem Ein-druck des großen Linksrucks eine „revolutionäre” Kehre.
Mehr als einige hundert Mitglieder konnte die GIM aber nie gewinnen, und sie blieb wegen dauernder Spaltungen und Säuberungen sogar im Rahmen der kommunistischen Kleinparteien marginal. Immerhin war ihr intellektuelles Niveau fallweise bemerkenswert, und es bleibt einer künftigen Soziologie überlassen, die Frage zu klären, auf welchen Wegen welche ehemaligen Kader ihren Weg nicht nur in die Politik (bevorzugt SPD, Grüne und PDS), sondern auch und gerade in Schlüsselpositionen der Medien fanden. Als die GIM 1986 aufgelöst wurde, gehörte Friedrich schon lange nicht mehr dazu, und im Rückblick hat er ein hartes Urteil über sich und seine Generation gesprochen, vor allem über „den barbarischen Affekt einer Generation, die auf stabile Zustände traf. Im Unterschied zu den vorangegangenen blieb ihr erspart, ihre Ideen auszuleben. Sie hat sich angepaßt, ehe sie richtig auffällig wurde. Man hatte wahrlich mehr im Sinn als die paar Polizeischarmützel. Darum die anhaltende Faszination vor den Exzessen der Väter. Die eigenen blieben leeres Konzept. Erfreulicherweise beschränkt sich das Ergebnis auf die Absonderung von namenlosem Stuß in Wort und Schrift, wie nachzulesen. Mittlerweile will man die Demokratie der Bundesrepublik erfunden haben, die uns doch angewidert hat wie die Sünde. Auch eine Bekehrung! Wären wir zu der Herrschaft, wie wir sie wollten, hinaufgelangt, wir hätten uns dort zweifelsohne höchst blutig bewährt. Das geistige Rüstzeug war fertig. An uns hat es nicht gelegen; die Verhältnisse waren stärker.”
Friedrichs Abwendung vom Trotzkismus bedeutete noch keinen Bruch mit der Linken überhaupt. Er hatte seit Mitte der siebziger Jahre als Journalist gearbeitet und 1982 sein erstes Buch vorgelegt. Es handelte sich um den bei Rowohlt erschienenen Band Freispruch für die Nazi-Justiz, der kurz darauf um einen weiteren mit ähnlicher Tendenz – Die kalte Amnestie – ergänzt wurde. Wie die Titel zeigen, ging es um eine Auseinandersetzung mit der Art und Weise, in der die bundesdeutsche Justiz und Öffentlichkeit die NS-Zeit aufgearbeitet hatten. Was Friedrich dabei besonders in den Blick nahm, war die ungebrochene Standesorientierung von Richtern und Anwälten, die nach 1945 nicht nur zur Deckung von „Belasteten”, sondern auch dazu geführt hatte, daß Urteile fortbestanden, obwohl sie eindeutig rechtsstaatlichen Kriterien widersprachen.
Die beiden Bücher Friedrichs waren Teil jener forcierten „zweiten Vergangenheitsbewältigung” (Jürgen Busche), die in Folge von ’68 das politische Klima der späten Bundesrepublik prägte. Erkennbar ging es darum, den „Alten” am Zeuge zu flicken und die Geschichte der Nachkriegszeit „einzubräunen”. Insofern lag die Erwartung nahe, daß auch der zehn Jahre später von Friedrich publizierte Band Das Gesetz des Krieges dieser Perspektive folgen würde. Das mehr als siebenhundert Seiten starke Buch war das Ergebnis eines Projekts, das die Stadt Nürnberg zur Erschließung der Akten der Kriegsverbrecherprozesse finanziert hatte, und konzentrierte sich auf das Verfahren gegen das Oberkommando der Wehrmacht. Das Ergebnis entsprach den Erwartungen aber nur auf den ersten Blick. Denn das, was Friedrich hier vorlegte, war eine sehr in die Breite gehende Untersuchung zu Krieg, Kriegsrecht, Kriegsbrauch und Kriegsverbrechen, die immer wieder Parallelen zog und zu Schlußfolgerungen führte, die sicher nicht dem Konsens der Tonangebenden entsprachen.
Von zentraler Bedeutung waren die Ausführungen zur Vorgeschichte des Totalen Krieges, die für Friedrich eben nicht mit den Erwägungen Ludendorffs begann, sondern mit den Maßnahmen der Nordstaaten im Sezessionskrieg gegen den unterlegenen Süden. Die Aufhebung jeder Unterscheidung von Kombattanten und Nichtkombattanten, die bewußte Einschüchterung und Vernichtung von Zivilbevölkerung mit dem Ziel, die Widerstandskraft im Volkskrieg zu brechen, das alles waren keine Erscheinungen des 20., sondern schon des 19. Jahrhundert. Die Bereitschaft entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, war außerdem unabhängig vom Grad der „Westlichkeit”: Sie wurden zuerst von der demokratischen Musternation praktiziert.
Friedrichs Darstellung kannte allerdings keine Häme, es ging ihm zuerst um die Feststellung, daß Kriegsverbrechen – oder doch Maßnahmen, die dem europäischen Kriegsbrauch radikal widersprachen – regelmäßig auftraten, wenn der Täter die Möglichkeit sah, sie straflos zu begehen, und wenn eine hinreichend große Bedrängnis die Anwendung von Repressalien und Schreckensherrschaft erfolgversprechend erscheinen ließ. Friedrich hat diese Überlegung auch in bezug auf die Wehrmacht während des Zweiten Weltkriegs angewandt und deshalb darauf hingewiesen, daß sich unter den Einheiten, die im Osten an Kriegsverbrechen beteiligt waren, auch solche befanden, die während des Frankreichfeldzugs einen tadellosen Ruf genossen.
Die Kritik hat sich deshalb nicht nur an der eigentümlichen Darstellungsweise Friedrichs gestört – dem Überbordenden, der Detailversessenheit, der Dauertendenz zum Exkurs – sondern vor allem an dieser komparativen Neigung. So wies Friedrich auch darauf hin, daß die vom Nürnberger Tribunal angeführten Verweise auf die eigene vergleichsweise unblutige Okkupationspraxis der Alliierten kaum verfingen. Die Drohungen bei Besetzung des Reichsgebietes waren drastisch gewesen: Die Rote Armee hatte in Berlin die Erschießung von fünfzig Geiseln bei einem getöteten Sowjetsoldaten für angemessen erklärt, die Franzosen in Stuttgart fünfundzwanzig, die Amerikaner im Harz gingen sogar von zweihundert Zivilisten als Repressalie aus. Daß es zu entsprechenden Maßnahmen nicht kam, war nicht das Verdienst der Besatzer, sondern Folge des Wohlverhaltens der Besetzten: Die Westmächte hatten die „Härte, Zivilisten zu vernichten, … im Krieg genug bewiesen. Als Landeseroberer reichte ihnen das Verwarnen aus … Das war der Erfolg der anglo-amerikanischen Luftkriegsstrategie. Dem okkupierenden Heer soll der Verschleiß in langwieriger Gegenwehr regulärer und irregulärer Kampfverbände erspart bleiben. Die Bomberflotten bereiten dem Einmarsch den Boden. Weil Briten und Amerikaner die längste Zeit des Krieges nicht über ein Landheer geboten, der Wehrmacht den Kontinent streitig zu machen, griffen sie keineswegs mutwillig, sondern aus militärischer Notwendigkeit zum Bombenterror.”
Trotz gewisser Einwendungen ging die Kritik am Gesetz des Krieges noch nicht über einen Anfangsverdacht hinaus. Das änderte sich im Zusammenhang mit Friedrichs Stellungnahmen zur Wehrmachtsausstellung. Friedrich verwies nicht nur auf die Mängel im Detail, sondern auf die fragwürdige Generallinie, die es erlaubte, von einem „Vernichtungskrieg” der deutschen Seite zu sprechen, ohne daß man erkennbar machte, unter welchen Bedingungen diese handelte und vor allem, nach welchen Grundsätzen die Gegenseite verfuhr.
Im Kern handelte es sich um den Vorwurf der ungeschichtlichen Betrachtungsweise, weshalb es überrascht, daß Friedrich seinerseits „Enthistorisierung” und „Anthropologisierung” (Dan Diner) in der Darstellung angekreidet wurden. Damit bezogen sich seine Gegner vor allem auf das Buch Der Brand, das – anders als Das Gesetz des Krieges – eine ausgesprochene Breitenwirkung erzielte. Dieses Buch erschien 2002 und löste sofort heftige Diskussionen aus. Auch hier ging es weniger um die Fakten des Bombenkriegs selbst, die behandelt wurden, als um die dem Autor unterstellte Absicht. Es ist deshalb wichtig, zu betonen, daß Friedrich zwar unerbittlich in bezug auf die Schilderung der Fakten und die Betonung der Dimensionen ist, aber etwa die Kennzeichnung der Bombardements als „Kriegsverbrechen” ablehnt, da es während des Zweiten Weltkriegs noch keine entsprechenden Rechtsvorschriften gegeben habe. Daß er andererseits nicht geneigt ist, mit einer moralischen Beurteilung zurückzuhalten, wurde an der Wortwahl erkennbar: Friedrich sprach in dem Zusammenhang ausdrücklich von „Terror”, von den Opfern als „Ausgerotteten” und nannte die Keller, in die sich die Menschen vergeblich flüchteten, „Krematorien”.
Das war eine Weise, von „zweierlei Untergang” (Andreas Hillgruber) zu handeln, die prompt heftige Attacken der Linken auslöste – Lesungen Friedrichs wurden verschiedentlich gestört oder gesprengt -, aber die schiere Menge des von ihm zusammengetragenen Materials und die Evidenz seiner Argumentation blieben nicht ohne Wirkung. Das mußten auch englische Kritiker, die naturgemäß besonders empfindlich reagierten, zugestehen. Hier hat vor allem der Verweis auf die Einzelschicksale gewirkt, wenngleich Friedrich natürlich eine darüber hinausgehende Erkenntnis fördern wollte: nämlich daß die Bombardements entgegen einer gerade in Deutschland üblichen Erklärung keine – vielleicht sogar: moralisch gerechtfertigte – Strafaktion der Alliierten waren, sondern eine zuerst an Kolonialvölkern erprobte, technisch machbare Form der Kriegführung, die „auf die vorsätzliche Tötung von einer halben Million Zivilisten” hinauslief.
Den Verdacht, er wolle „aufrechnen”, weist Friedrich immer und immer mit Nachdruck zurück. Tatsächlich muß jede Lektüre seines Buches, die nicht von vornherein böswillig ist, zu dem Ergebnis kommen, daß hier nur versucht wird, das Ganze des historischen Vorgangs darzustellen. Und zu diesem Ganzen gehört eben auch die Vernichtung der deutschen Städte, die Tötung der Wehrlosen durch Brand- und Sprengbomben und die kalkulierte Anwendung einer Tötungsmaschinerie durch Briten und Amerikaner, die sich dadurch in ihrem moralischen Überlegenheitsgefühl keineswegs gestört fühlten.
Letztlich war der Effekt von Der Brand nicht ganz der, den Friedrich sich vorgestellt hatte. Jedenfalls gelang es kaum, den Deutschen das Ungeheuerliche der Zerstörung ihres Landes klarer zu machen und damit eine grundsätzliche Verschiebung der üblichen Betrachtungsweise des 20. Jahrhunderts zu bewirken. Insofern muß man Friedrichs jüngstes Buch Yalu auch als Versuch eines Neuansatzes betrachten. Der Yalu ist jener Grenzfluß, der Nordkorea und China voneinander trennt. Während des Korea-Krieges bildete er die Linie, die von den USA bei ihren Angriffen auf kommunistische Ziele nicht verletzt werden durfte, wollten sie das Risiko einer direkten Konfrontation mit China und dann der Sowjetunion vermeiden. Friedrich schildert in aller Breite die Voraussetzungen dieses Konflikts, den Verlauf und den Abschluß. Er achtet peinlich darauf, den Ereignissen nicht im nachhinein eine Stringenz unterzuschieben, die sie nicht gehabt haben. Man wird deshalb mit einem fast unentwirrbaren Durcheinander von politischen, militärischen, wirtschaftlichen und ideologischen Interessen, persönlichen Eitelkeiten, Inkompetenzen und Schicksalsschlägen konfrontiert und mit jenen Fakten, die unbedingt geschichtsmächtig waren: die Erfindung und Zündung der Wasserstoffbombe durch die Vereinigten Staaten, die erfolgreiche atomare Nachrüstung der Sowjetunion und schließlich die Gefahr einer wechselseitigen Auslöschung der Supermächte. Friedrich geht es aber nicht nur um den „Totalitarismus” der Bombe, um die verblüffende Skrupellosigkeit, mit der Politiker und Militärs trotz der Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs Massentötungen ins Kalkül zogen, sondern auch um die Haupttendenz der historischen Entwicklung in der Nachkriegszeit: die Errichtung eines „Kondominiums” (Raymond Aron) von Washington und Moskau, die in Korea, fern des eigenen Gebietes, an fremder Bevölkerung erprobt hatten, wie weit sie gehen konnten, wobei die eine Seite direkter, die andere indirekter beteiligt war, die USA zum äußersten bereit schienen, aber den letzten Schritt nicht wagten, dafür billigend in Kauf nahmen, daß jede Rücksicht bei der „Verschrottung” der nordkoreanischen Zivilbevölkerung fiel, die UdSSR stärker finassierte, dabei in China einen Partner hatte, der seine eigenen Absichten verfolgte und eine selbst für sowjetische Verhältnisse unvorstellbare Brutalität beim Einsatz von Menschenleben an den Tag legte.
Friedrich läßt seine Darstellung in eine knappe Skizze der Verhandlungen auf der Genfer Abrüstungskonferenz münden, die zwar keine endgültigen Entscheidungen brachte, aber immerhin zur wechselseitigen Erkenntnis der Supermächte führte, daß sie sich nicht besiegen konnten, jede Seite bestenfalls den Status quo wahren und kleinere Verbesserungen durch den Einsatz von „Stellvertretern” erringen konnte, und daß es allemal im Interesse der „partnerschaftlichen Feinde” lag, die durch ihren Konflikt geteilten Länder – Korea, Deutschland, Vietnam, China – geteilt zu lassen.
Friedrich hat seine besondere Darstellungsweise in Yalu zum äußersten getrieben. Eine Verschränkung von Ereignisgeschichte und biographischen Reminiszenzen, anekdotischen Bemerkungen und Schilderungen der Atmosphäre, Ausführungen zur Technik und eher philosophischen Bemerkungen. Der Stil ist alles andere als klassisch, vielmehr an journalistischen Arbeitsweisen orientiert; das merkt man nicht zuletzt an der farbigen – manchmal allzu farbigen – Ausdrucksweise. Aber auch wenn das manche formalen Einwände gerechtfertigt erscheinen läßt, bleibt doch vor allem die Wahrnehmung des Eindringlichen zurück.
Eindringlichkeit kennzeichnet auch Friedrichs Vortragsweise, sein leises Sprechen, das aber immer insistiert, dessen Sanftheit jedenfalls eher geeignet ist, den Gegner in Sicherheit zu wiegen, als Nachgiebigkeit oder Zurückhaltung auszudrücken. Als Kontrahenten sollte man Friedrich nie unterschätzen. Er geht dem Streit nicht aus dem Weg. Das hat auch mit dem Erbe von ’68 zu tun, einer polemischen Grundtendenz wie man sie ähnlich bei einem anderen prominenten, aber am Rand der Zunft stehenden Historiker seiner Generation findet: Götz Aly. Der hat allerdings mit den alten Ideen nie gebrochen, jede seiner Veröffentlichungen über die NS-Zeit dient nur der Bestätigung der einen These von der Kollektivschuld der Deutschen, während Friedrich längst verstanden hat, daß man diesem Volk, das immer wieder mit „Ergriffenheit, … Feigheit und Einfalt” auf die Forderungen der Vergangenheitsbewältigung reagiert und „seine Erinnerungskultur wie eine Monstranz vor sich her trägt” endlich eine angemessene Vorstellung von der Barbarei des 20. Jahrhunderts geben muß, die nicht mit den deutschen Schandtaten begann, – und nicht mit ihnen endete.