Frankreich (1): Gespräch mit David L’Épée

Das erfolgreichste außerparlamentarisch-populistische Phänomen Frankreichs sind die »Gelbwesten«,

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

das wich­tigs­te neu­rech­te Maga­zin Frank­reichs heißt élé­ments. Wir brin­gen bei­des zusam­men: Nach unse­rem Gespräch mit Alain de Benoist (hier) und einer Ana­ly­se aus der Feder von Mar­tin Licht­mesz (hier), ver­öf­fent­li­chen wir nach­fol­gend ein Gespräch zwi­schen dem frei­en élé­ments-Mit­ar­bei­ter und Gelb­wes­ten-Ken­ner David L’É­pée und sei­nem Chef­re­dak­teur Pas­cal Eysse­ric (La révol­te des gilets jau­nes, in: élé­ments 176, Febru­ar-März 2019, S. 38–39.) Die Über­set­zung hat Chris­ta Nit­sch für uns mit freund­li­cher Geneh­mi­gung von élé­ments ange­fer­tigt.

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Die Popu­lis­men auf dem Weg zur Verschmelzung

Mög­li­cher­wei­se sind die Fran­zo­sen gera­de dabei, auf der Stra­ße das zuwe­ge zu brin­gen, was die Ita­lie­ner neu­lich an den Wahl­ur­nen erreicht haben. In einem viral ver­brei­te­ten Video, das mehr als eine hal­be Mil­li­on mal ange­schaut und aus die­sem Grund bei der DGSI [1] erfaßt wur­de, hat unser Mit­ar­bei­ter David L’Épée die Gelb­wes­ten dazu auf­ge­ru­fen, die Regie­rung vor Weih­nach­ten zu stür­zen. Die Regie­rung wur­de nicht gestürzt, aber sie ist insta­bi­ler als je zuvor. Wir woll­ten dar­über mehr erfahren …

ÉLÉMENTS: »Die Tage, die wir gera­de erle­ben, sind Schick­sals­ta­ge. Jetzt oder nie!«, riefst Du in einem Video [“Reu­pload”] , das ein außer­or­dent­li­ches Echo erfah­ren sollte…

DAVID L’ÉPÉE: Die­ses klei­ne Video fand tat­säch­lich ein beein­dru­cken­des Echo, das weit über mein gewöhn­li­ches Publi­kum hin­aus­ging, und kei­ner staunt mehr dar­über als ich. Das nahm sol­che Aus­ma­ße an, daß selbst die DGSI dar­auf auf­merk­sam wur­de, die mich in einem Akten­ein­trag zitiert, der dann durch­si­cker­te und schließ­lich von eini­gen Medi­en wie etwa Le Point auf­ge­grif­fen wurde.

Ich weiß wirk­lich nicht, was ich davon hal­ten soll, aber mein Anwalt nimmt das sehr ernst, weil er mir rät, den fran­zö­si­schen Boden vor­erst nicht zu betre­ten. En pas­sant sei dar­an erin­nert, daß die Haus­durch­su­chun­gen bei den Gelb­wes­ten im Monat Dezem­ber zuge­nom­men haben und daß vie­le von ihnen in Poli­zei­ge­wahr­sam genom­men wur­den, ohne daß immer klar war, wel­che Gefahr von ihnen für die Sicher­heit des Staa­tes aus­ge­hen sollte.

Weih­nach­ten ist vor­über, die erhoff­te Revo­lu­ti­on hat nicht statt­ge­fun­den (zumin­dest vor­erst nicht), das aber heißt nicht, daß alles wie vor­her sei. Die Regie­rung wird nicht mehr so tun kön­nen, als wäre Ende 2018 in Frank­reich nichts passiert.

Sie wur­de nicht gestürzt, aber sie geht geschwäch­ter denn je aus die­ser Kri­se her­vor und weiß, daß die­ses Erd­be­ben nur der Anfang einer lan­gen Rei­he sozia­ler Pro­tes­te und Unru­hen ist. Saint-Just urteil­te viel­leicht etwas vor­schnell, als er sag­te, daß die, die Revo­lu­tio­nen nur halb machen, ihr eige­nes Grab gra­ben: nicht ihr eige­nes Grab haben die Gelb­wes­ten begon­nen hier aus­zu­he­ben, son­dern das des Sys­tems, das sie bekämp­fen – und dies wer­den sie, so hof­fe ich, schließ­lich auch erreichen.

ÉLÉMENTS: Als lei­den­schaft­li­cher Zeu­ge des Auf­stands der Gelb­wes­ten hast Du sicher­lich auch mit­be­kom­men, daß der Ras­sis­mus der Hyper-Klas­se wie­der fröh­li­che Urständ fei­ert. »Scheiß­ar­me« haben die Medi­en ein­stim­mig geheult. Wie läßt sich die­ser Haß­aus­bruch gegen die Arbei­ter­klas­se erklären?

DAVID L’ÉPÉE:Es ist tat­säch­lich eines der gro­ßen Ver­diens­te der Gelb­wes­ten, die­se Klas­sen­ver­ach­tung ans Tages­licht beför­dert zu haben, die sich jetzt, viel­leicht aus Angst, oder viel­mehr aus der Arro­ganz des­je­ni­gen, der um nichts auf der Welt etwas von sei­nen Pri­vi­le­gi­en abtre­ten möch­te, hem­mungs­los offenbarte.

Zum Aus­druck wur­de sie gebracht von Poli­ti­kern, natür­lich von Jour­na­lis­ten, aber vor allem von Per­so­nen aus dem Show­busi­ness, die, etwas uner­fah­ren in sol­chen Din­gen, sich der ver­hee­ren­den Wir­kung ihrer Äuße­run­gen auch weni­ger bewußt waren. Sobald die For­de­run­gen der Gelb­wes­ten an Klar­heit gewan­nen, gesell­te sich wie selbst­ver­ständ­lich zu die­sem Klas­sen­haß eine pani­sche Angst vor den Bestre­bun­gen nach direk­ter Demo­kra­tie, die in der Bewe­gung laut wurden.

Als sich die Auf­merk­sam­keit der Medi­en (end­lich!) auf einen Den­ker wie Éti­en­ne Chou­ard [2] rich­te­te, der für die Gelb­wes­ten im Begriff ist, zum »Rat­ge­ber in Fra­gen der Demo­kra­tie« zu wer­den, und der auf­grund sei­ner Über­zeu­gun­gen und sei­ner Demut nie­mals zu einem auto­ri­tä­ren Lea­der wer­den wür­de, wur­de die Eli­te erst rich­tig von Panik ergriffen.

Von der Schweiz aus betrach­tet, ist es beson­ders belei­di­gend, wenn man ver­nimmt, daß das »Refe­ren­dum durch Bür­ger­initia­ti­ve« laut den Unter­stüt­zern der Macro­nie eine Stu­fe hin zur Dik­ta­tur sei!

ÉLÉMENTS: Wel­che Fol­gen im Bereich der Poli­tik und des Wahl­ver­hal­tens kann es bei einer Bewe­gung geben, in der vie­le Slo­gans wie »Weder rechts, noch links« zur Schau tra­gen? Wur­de da gera­de ein inte­gra­ler Popu­lis­mus ins Leben gerufen?

DAVID L’ÉPÉE: Es ist mög­lich, daß die Fran­zo­sen gera­de dabei sind, auf der Stra­ße das zuwe­ge zu brin­gen, was die Ita­lie­ner neu­lich an den Wahl­ur­nen erreicht haben. Der Unter­schied zwi­schen den bei­den Län­dern liegt viel­leicht nicht so sehr in ihrer objek­ti­ven Lage, als viel­mehr in ihrem natio­na­len Temperament.

Da sie prag­ma­ti­scher sind als die Fran­zo­sen, haben es die bereits im poli­ti­schen Spek­trum ver­tre­te­nen ita­lie­ni­schen Popu­lis­ten ver­stan­den, ihre Diver­gen­zen ein­zu­klam­mern, um, ihre Volks­tüm­lich­keit addie­rend, ein Bünd­nis ein­zu­ge­hen, das sie an die Macht brachte.

Die fran­zö­si­schen Popu­lis­ten hin­ge­gen, eher an Gra­ben­kämp­fe als an tak­ti­sche Kom­pro­mis­se gewöhnt, waren zu so einer Anstren­gung nicht bereit. Und doch pro­fi­lier­te sich in den zwei fran­zö­si­schen Par­tei­en, an die wir hier alle den­ken, gera­de in den letz­ten Jah­ren eine Gene­ra­ti­on neu­er Kader, die viel­leicht imstan­de gewe­sen wären, die­sen wahr­lich revo­lu­tio­nä­ren Zusam­men­schluß zuwe­ge zu brin­gen, um im Namen eines sozia­len und sou­ve­rä­nis­ti­schen Zukunfts­bil­des – von bei­den geteilt und heu­te, beim Kampf, der ent­brann­te, ent­schei­dend – ein für alle Mal die »Sicher­heits­bar­rie­re« zwi­schen lin­kem und rech­tem Popu­lis­mus hinwegzufegen.

Aber ihre jewei­li­gen Grup­pen haben ent­schie­den, die­se Leu­te zu ver­sto­ßen: Schluß mit den Flo­ri­an Phil­ip­pots (im Ras­sem­blem­ent natio­nal) und den Djord­je Kuz­ma­no­vics (in der France inso­u­mi­se)! Die bei­den Oppo­si­ti­ons­par­tei­en, die kei­ne Spür­na­se für die sich anbah­nen­de poli­ti­sche Umge­stal­tung hat­ten, ver­paß­ten die güns­ti­ge Gele­gen­heit, und die­se Unzeit­ge­mäß­heit hat ein Phä­no­men wie das der Gelb­wes­ten erst ermöglicht.

ÉLÉMENTS: Wäh­rend der letz­ten fünf­zig Jah­re war die Abschaf­fung des Steu­er­sys­tems eine immer wie­der­keh­ren­de For­de­rung der libe­ra­len Rech­ten. Hast Du nicht den Ein­druck, daß die Gelb­wes­ten dies jetzt selbst aufgreifen?

DAVID L’ÉPÉE: Die Gelb­wes­ten­be­we­gung auf die Initi­al­zün­dung zu redu­zie­ren – die Revol­te gegen die Treib­stoff­ab­ga­ben – und aus ihr eine gegen die Steu­er­last empör­te Jac­querie [3] machen zu wol­len, wäre eine ver­kürz­te Sicht auf die Dinge.

Die libe­ra­len Beob­ach­ter irr­ten sich nicht, als sie, weit davon ent­fernt, die­sen bel­fern­den Unmut[4]zu unter­stüt­zen, ihn sofort ver­däch­tig fan­den und sich über die For­de­run­gen sozia­ler Natur ent­setz­ten, die bald laut wurden.

Natür­lich gab es eini­ge Oppor­tu­nis­ten, die die Bewe­gung für sich aus­nut­zen woll­ten, aber sie haben sich bei die­sem Ver­such die Zäh­ne aus­ge­bis­sen. Ich den­ke dabei an Éric Bru­net [5], der am 17. Novem­ber ent­zückt in Gelb­wes­te auf­trat, weil er Zeu­ge bei der Ent­ste­hung einer Empö­rung gegen das Steu­er­sys­tem zu sein glaubte.

Anfang Dezem­ber aber leg­te er die  Gelb­wes­te wie­der ab, »die Bewe­gung hat«, wie er schrieb, »ihre See­le ver­lo­ren«, denn er hat­te inzwi­schen auf dem Web­por­tal der Gelb­wes­ten ent­deckt, daß dort von der Erhö­hung des SMIC (Min­dest­lohn) und der Sozi­al­leis­tun­gen die Rede war …

Die Wei­ge­rung, den zu teu­er gewor­de­nen Sprit­preis zu bezah­len, hat­te eigent­lich von Anfang an nichts mit einer libe­ra­len Posi­ti­on gemein­sam, war nicht Aus­druck des Wun­sches, jeg­li­che wech­sel­sei­ti­ge finan­zi­el­le Ver­pflich­tung zwi­schen Bür­ger und Staat auf­zu­he­ben, son­dern bedeu­te­te nur, daß die gefor­der­te Sum­me als exzes­siv emp­fun­den wur­de und daß die Fran­zo­sen, in einer Armuts­spi­ra­le gefan­gen, nicht mehr die nöti­gen Mit­tel hat­ten, die­ser For­de­rung nachzukommen.

Damit ging auch das Gefühl ein­her, Opfer einer gro­ßen Unge­rech­tig­keit gewor­den zu sein: die »Klei­nen« hat­ten den unan­ge­neh­men Ein­druck, bei der finan­zi­el­len Umver­tei­lung der »öko­lo­gi­schen« Anstren­gung für die »Fet­ten« auf­kom­men zu müssen.

Dies erklärt auch die Sym­pa­thie, ja sogar die aus­drück­li­che Unter­stüt­zung, wel­che die Bewe­gung von zahl­rei­chen Grup­pen erfuhr, die aus der Wachs­tums­kri­tik her­vor­ge­gan­gen sind (die Äuße­run­gen Jean-Clau­de Miché­as sind dies­be­züg­lich erhel­lend), und die begrif­fen hat­ten, daß bei der neu­en Steu­er­erhe­bung die Beru­fung auf den Umwelt­schutz rei­ne Augen­wi­sche­rei war.

Die­ser Gesin­nung ver­dankt sich auch die For­de­rung, die unter den Demons­tran­ten des öfte­ren laut wur­de, nicht etwa die Ein­kom­men­steu­er abzu­schaf­fen, son­dern eine wirk­lich pro­gres­si­ve Ein­kom­men­steu­er ein­zu­füh­ren, das heißt sie dem Ver­dienst des ein­zel­nen bes­ser anzupassen.

Dies aber ist das glat­te Gegen­teil des libe­ra­len Ide­als (die Libe­ra­len, die man­cher­orts sogar eine degres­si­ve Steu­er durch­ge­setzt haben!). Die­ser Zorn stach in ein Wes­pen­nest, hat aber, sobald die gel­be Wel­le über das Land schwapp­te und die Leu­te began­nen, mit­ein­an­der zu reden und sich über ihre Beschwer­den aus­zu­tau­schen, auch wei­te­re Pro­ble­me ans Tages­licht befördert.

Die­ser im Netz ein­seh­ba­re Beschwer­de­ka­ta­log ist sehr klar:

  • Bei­be­hal­tung eines ver­ge­sell­schaf­te­ten (und infla­ti­ons­ab­hän­gi­gen) Rentensystems,
  • Ein­stel­lung der Zins­zah­lun­gen auf Schulden,
  • Ver­bot von Betriebs­ver­la­ge­run­gen und Ver­bot der Ver­äu­ße­rung staat­li­cher Vermögensgüter,
  • Schluß mit der Arbeitnehmerentsendung,
  • Kampf gegen die Steuerhinterzehung,
  • Fest­le­gung eines Maximallohns,
  • Begren­zung des Mietpreises,
  • Reak­ti­vie­rung benut­zer­na­her öffent­li­cher Dienst­leis­tun­gen in den ein­zel­nen Regionen,
  • Ver­staat­li­chung von Gas und Elektrizität,
  • und all­ge­mein eine ent­schie­de­ne Ableh­nung jed­we­der Spe­ku­la­ti­on in Berei­chen, die dem Markt­ein­fluß ent­zo­gen sein müßten.

ÉLÉMENTS: »Ein Hoch auf die Gelb­wes­ten! Es lebe die Revo­lu­ti­on! Es lebe Frank­reich!«, schriebst Du. Glaubst Du immer noch daran?

DAVID L’ÉPÉE: Mehr denn je! Aber Revo­lu­tio­nen sind kein Glau­bens­akt, son­dern ein Wil­lens­akt. Es geht nicht dar­um, Ereig­nis­se anzu­kün­di­gen, son­dern so zu han­deln, daß die Ereig­nis­se ein­tre­ten kön­nen. Das hat Saint-Exupé­ry so gut auf den Punkt gebracht:

Es geht nicht so sehr dar­um, die Zukunft vor­aus­zu­se­hen, als sie zu ermög­li­chen. Als einer der vie­len, die die Gelb­wes­ten von Anfang an, seit letz­tem Novem­ber, unter­stützt hat, ohne es dar­um gewagt zu haben, auch nur einen Pfen­nig auf den Erfolg eines sol­chen Bür­ger­be­geh­rens zu ver­wet­ten, konn­te ich all das, was seit­her geschah, kaum im vor­aus ahnen und erleb­te es des­halb als glück­li­che Überraschung.

Da Umsturz­zei­ten Zei­ten unvor­her­ge­se­he­ner Ereig­nis­se sind, wer­de ich also kei­ne Pro­gno­sen wagen. Wis­sen Sie, was in einem Box­kampf die Zuschau­er von den Boxern unterscheidet?

Letz­te­re sind die ein­zi­gen, die kei­ne Wet­ten auf den Aus­gang des Kamp­fes abschließen…

 _____________________________

[1] DGSI: Direc­tion géné­ra­le de la sécu­ri­té inté­ri­eu­re (Gene­ral­di­rek­ti­on für inne­re Sicher­heit): der Inlands­ge­heim­dienst der fran­zö­si­schen Regierung.

[2] In den Medi­en oft als »Vater des RIC« (RIC: réfé­ren­dum d’initia­ti­ve citoy­enne)Refe­ren­dum durch Bür­ger­initia­ti­ve«, ent­spricht der Schwei­zer Volks­in­itia­ti­ve) zitiert, als Befür­wor­ter des Frexit und wei­te­rer böser Din­ge, wur­de Éti­en­ne Chou­ard, Wirt­schafts­leh­rer in einem Lyze­um von Mar­seil­le, 2005 schlag­ar­tig durch einen Arti­kel auf sei­nem Blog bekannt, in dem er sich für das »Nein« im Refe­ren­dum zur Annah­me des Ver­tra­ges über eine Ver­fas­sung von Euro­pa einsetzte.

[3] Diver­se Bau­ern­er­he­bun­gen wur­den in Frank­reich jac­querie genannt (im Hun­dert­jäh­ri­gen Krieg, wäh­rend der Huge­not­ten­krie­ge usw.); der Aus­druck lei­tet sich von dem den Bau­ern bei­geleg­ten Spott­na­men Jac­ques Bon­hom­me ab.

[4] Gro­gne: Unmut, Unzu­frie­den­heit, kommt vom Verb gro­gner: knur­ren, grun­zen, wird vor allem von den Geg­nern immer mit den Gelb­wes­ten in Ver­bin­dung gebracht, ver­weist eigent­lich auf den Schwei­ne­ko­ben – inso­fern ein wei­te­rer Beleg für die im Inter­view bereits ange­spro­che­nen »Klas­sen­ver­ach­tung«.

[5] Éric Bru­net : Radio- und Fern­seh­mo­de­ra­tor v. a. bei BFM TV.


 

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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Kommentare (14)

Laurenz

19. Februar 2019 01:16

Hm, die Franzosen leiden wohl immer noch mental an ihrem eingrenzenden geographischen Sechseck. 3 Seeseiten, 2 Gebirge und der Rhein, eine naturgegebene Introvertiertheit des Volkscharakters.

Die Ignoranz der Franzosen der Welt gegenüber erscheint erschreckend, sie übersteigt an Impertinenz noch die Moral-Oase Deutschland. Was erwarten die Franzosen, wenn sie nachwievor teure Kolonien (+ Kolonial-Euro), teure Atomwaffen, und einen nutzlosen Flugzeugträger unterhalten?

Als 2011 klar war, daß Frankreich 2014 pleite sein würde, weder die blöden Boches, noch la perfide Albion, und schon gar nicht die Kuhhirten den Geldbeutel aufmachen wollten, haute Frankreich mal, wie meinte Herr L'Épée .... "en passant" Libyen klein. Dafür waren dann alle Verbündeten zu haben, besser ein kaputtes Nordafrika als einen crashenden Euro. Präsident Hollande rettete den Allerwertesten Frankreichs, und der Euro-Zone den Euro. Die Franzosen dankten es Hollande nicht.

Historisch, nachdem die Templer gemeuchelt wurden, agierten und dachten bis heute nur wenige Franzosen in internationalen Zusammenhängen, wohl eine Folge der o.g. Geographie. 

Sinnlose & teure Aggressionen richten sich bis heute gegen den Rhein und über ihn hinweg. Der lukrative Agrarstaat Frankreich versagte zur Zeit der kleinen Eiszeit von 1500 bis 1850 desöfteren in seiner Domäne. Viele franko-britische Geleit-Schlachten wurden um Getreide-Geleitzüge aus Amerika/Afrika nach Frankreich oder Britannien ausgefochten.

Im Prinzip wurde die Kolonialpolitik Frankreichs bis zur franz. Revolution von Jesuiten geleitet, die kolonialen Bestrebungen des republikanischen säkularen Frankreich sind bis heute ein Elend. Frankreich ist nicht in der Lage ohne ausländische Unterstützung zu existieren. Seit den 50ern besteht die Transfer-Union zwischen Deutschland und Frankreich zugunsten Frankreichs, das sahen wir auch schon in der Weimarer Zeit. Im Empire nannte man es Tribut oder Kontribution.

Wenn man diesen Gelbwesten-Report hier liest, kommt aus den Zeilen kaltes Grausen. 

1.Beibehaltung eines vergesellschafteten (und inflationsabhängigen) Rentensystems,

Wer bezahlt das? Luxemburg?

2. Einstellung der Zinszahlungen auf Schulden,

Wer gibt Frankreich danach noch einen Cent Kredit? Die EZB? Das bedeutet den sofortigen Zusammenbruch des Euros. 

3. Verbot von Betriebsverlagerungen und Verbot der Veräußerung staatlicher Vermögensgüter,

Frankreich hat eine Staatsquote von über 56%. Es geht hier ja nicht nur um die Wasserwerke (Vittel-Debatte). Sozialismus pur, heißt absehbare Pleite.

4. Schluß mit der Arbeitnehmerentsendung,

Dann muß Frankreich die Freizügigkeit des Personenverkehrs, also den modernen Sklavenhandel aufkündigen, das kracht in Brüssel.

5. Kampf gegen die Steuerhinterzehung,

Der Begriff ist arg allgemein gefaßt. Sind nach Frankreich griechische Finanzbeamte entsendet worden? 

6. Festlegung eines Maximallohns,

Das ist durchsetzbar, außer bei Geschäftsinhabern, die als ihre eigenen Geschäftsführer arbeiten.

7. Begrenzung des Mietpreises,

Funktioniert nicht, dann sieht Frankreich in 5 Jahren aus, wie der frühere Ostblock. Möglich ist die massive Besteuerung von Immobilienbesitz über erweiterten Eigenbedarf hinaus.

8. Reaktivierung benutzernaher öffentlicher Dienstleistungen in den einzelnen Regionen,

Kann man das bitte etwas näher ausführen? In Frankreich gehen eben die Investitionen in den Zentralismus und die Peripherie leidet. 

9. Verstaatlichung von Gas und Elektrizität,

die EdF ist quasi staatseigen. Wo ist das Problem? Das ist der übliche sozialistische Moloch und soll noch schlimmer werden?

10. und allgemein eine entschiedene Ablehnung jedweder Spekulation in Bereichen, die dem Markteinfluß entzogen sein müßten.

nachvollziehbar, aber wer will schon Krieg mit Amerika? Die Franzosen sind arg vergeßlich. Im 2. Weltkrieg starben 3x so viele französische Zivilisten in amerikanischen Feuer als in deutschem -.

Von Wirtschaft haben die Gelbwesten keine Ahnung, aber was soll's, linker Sozialismus halt oder noch ärger. Um uns zu schützen, sollten wir unseren Erb-Freund Frankreich mit Rußland austauschen, das wird billiger.

eike

19. Februar 2019 01:50

Ich weiß nicht so recht - und Herr Kaiser läßt sich darüber auch nicht aus - ob die französischen Gelbwesten überhaupt etwas mit unserer Bewegung gemeinsam haben.

Wenn ich mir ihren "sehr klaren" Beschwerdekatalog ansehe, kann ich keinen einzigen Punkt entdecken, der "diesseits des großen Grabens" relevant wäre. Den Cocktail von Lohnfestlegungen, Mietpreisbegrenzungen, Verstaatlichungen, Verkaufsverboten, Spekulationsablehnungen, Zinserlassen, usw. wird jeder Frankreichkenner als das ewige Gebetbuch der kommunistischen CGT erkennen, das bei jedem Streik heruntergeleiert wird.

Man muß schon eine sehr abgehobene Phantasie haben, um darin auch nur einen Hauch von Identitärem, Ablehnung von Überfremdung, banlieues, Kriminalität oder Flüchtlingskrise zu sehen. Nicht einmal eine Verteidigung des Nationalstaats gegen Brüssel kommt zur Sprache, obwohl in Frankreich der Chauvinismus mit der Muttermilch eingesogen wird.

Diese selbsternannte "Revolution" ist ein Witz, daran ändern weder die feuchten Träume des unvermeidbaren Benoist noch der Degen des Herrn L'Épée etwas.

Ein gebuertiger Hesse

19. Februar 2019 12:19

@ Laurenz und Elke
Wir sollten etwas nachsichtig sein ob der irrlichternden Begeisterung über die Gelbwesten, die auch in unserem Lager zu finden ist. Das Moment des freilich heterogenen, aber doch kollektiven - wenn auch nicht autochtonen - Protests, der auf die Straße und bis kurz vor den Elysée-Palast drängt, hat von Deutschland aus gesehen eine solche Anziehung, daß unsereins schonmal Fünfe gerade sein läßt. Und warum auch nicht? Würden wir, liefen die Gelbwesten Unter den Linden herum, uns ihnen nicht anschließen, zumindest hin und wieder?

RMH

19. Februar 2019 12:23

"Man muß schon eine sehr abgehobene Phantasie haben, um darin auch nur einen Hauch von Identitärem, Ablehnung von Überfremdung, banlieues, Kriminalität oder Flüchtlingskrise zu sehen. Nicht einmal eine Verteidigung des Nationalstaats gegen Brüssel kommt zur Sprache, obwohl in Frankreich der Chauvinismus mit der Muttermilch eingesogen wird."

@eike
Die Gelbwesten tun auch gut daran, derartiges erst einmal komplett auszublenden. Sobald der Protest als primär weiß, identitär und gegen die arabisch-maghrebinisch-afrikanische und auch islamische Überfremdung gerichtet identifiziert werden würde, wäre es für das Regime ein leichtes, die entsprechenden nicht europäisch stammenden Bewohner Frankreichs dagegen aufzuhetzen und die gelben Westen würden entweder sofort einknicken oder es käme zu einem Bürgerkrieg. Angesichts der extremen Bevölkerungsverhältnisse in Frankreich ist das offene "identitäre" Auftreten daher auszuschließen, will man nicht sofort vom Platz gefegt werden.

Aus deutscher und insbesondere aus rechts-alternativer Sicht, hatte man bislang den Eindruck, dass die gelben Westen hauptsächlich von europäischen Franzosen der unteren bis mittleren Klassen getragen wird und deswegen wurden diese Proteste auch mit Sympathie begleitet - ist dem immer noch so? Welche Rolle spielen die Franzosen nicht europäischer Abstammung bei der Bewegung?

Das die Franzosen - auch die europäischen - im Herzen Sozialisten sind, die allenfalls auch ins Sozialistisch-Faschistische abdriften können, dürfte seit 1789 halbwegs klar sein (auch die Nouvelle Droite um Benoist & Co. hat etwas typische linkes bzw. ist, zugespitzt formuliert, dem Grunde nach links). Deshalb verwundert der "Forderungskatalog" auch wenig. Wenn der gelbe Westen Widerstand immer noch im Kern von europäischen Franzosen getragen wird, dann ist er, auch ohne dass das offiziell auf die Banner geschrieben wird, dem Grunde nach "identitär" (was bestimmt noch seine Konsequenzen haben würde).

In jedem Fall sind Deutschland und Frankreich rein faktisch dermaßen mit einander verbunden, dass die französischen Ereignisse direkte Auswirkungen auf Deutschland haben werden und auf die EU auch. Zerfällt Frankreich im Chaos, werden wird das auch hier zu spüren bekommen. Die große Frage ist, wie stellt man sich hier und insbesondere in der deutschen Opposition darauf ein?

Niekisch

19. Februar 2019 12:23

"Diese selbsternannte "Revolution" ist ein Witz"

@elke 19.2. 1:50: Ist es nicht ein noch größerer, aber nicht witziger Witz, daß wir hier in Deutschland noch nicht einmal den Versuch machen, soziale Ungerechtigkeit aufzugreifen und mit der Forderung auf Souveränität und Identität zu verbinden?

Beispiel: 6-7oooooo Rentner müssen neben ihren Sozialversicherungsbeiträgen auf Direktversicherungen zur Altersvorsorge zusätzlich den vollen Beitrag (mit Arbeitgeberanteil) trotz Einzahlung aus bereits verbeitragtem Einkommen sowie zusätzlich noch den Zusatzbeitrag. Verfassungswidrig rechnet selbst das Bundesverfassungsgericht diese Altersversorgungen dem betrieblichen Bereich zu, obwohl es Versicherungen sind und die Arbeitgeber bei Vertragsschluß zumeist zugesichert hatten, daß das Kapital nach Auszahlung beitragsfrei bleibt. Bei diesem größten Betrug aller Zeiten kommt es dazu, daß Ehegatten in Rente bis zu 6x Sozialversicherungsbeiträge entrichten müssen, manche bis ins 75. Lebensjahr.

Da wären Gelbwesten genau das Richtige. Ohne Verschmelzen von "rechten" und "linken" Forderungen geht hier garnichts.

Wahrheitssucher

19. Februar 2019 15:03

@ Laurenz

„Um uns zu schützen, sollten wir unseren Erb-Freund Frankreich mit Rußland austauschen, das wird billiger.“

Ja, wer das Unmögliche nicht denkt, verkürzt seine Perspektive!

Und auf die lange Sicht: Berlin + Moskau + Paris ! ?

Laurenz

19. Februar 2019 18:09

@Ein gebuertiger Hesse  ..... Gelbwesten-Demos sind im Vergleich zu uns wohl identisch mit G20 Protesten, nur dort in Frankreich beteiligen sich auch mehr ältere Mitbürger. Frankreich ist römisch zentralistisch organisiert, daher fährt eben jeder nach Paris, oder hat schon wer Aufnahmen von Demos aus Marseille oder Lyon gesehen? Wenn man an der Loire den Präfekten verprügelt, interessiert das kein Schwein. Deswegen ist seit der franz. Revolution eine entsprechende Demonstrations-Kultur vorhanden. Bei uns im Föderalismus läuft das nur so, wenn wir am verhungern sind, und nicht mal derart, wenn wir Weltmeister im Fußball werden. Angeblich waren das ursprünglich Landbewohner und Großstrecken-Pendler, die anfingen, wegen der Spritpreiserhöhung Macrons zu protestieren, weil sie eben betroffen waren. Auf den Video-Aufnahmen des Artikels sind auch nicht-indigene Gallo-Römer zu sehen, aber nicht wirklich viele. Würden die genannten Forderungen des Artikels durchgehen, braucht aber keine mehr arbeiten gehen. Das Video-Team von Herrn Sellner war da in Paris, die produzieren ziemlich gute Video-Qualität. Aber da auch ich Deutscher bin, hätte ich keine Lust mich mit den Flicks zu prügeln, außer es wäre tatsächlich Bürgerkrieg, aber den haben wir nicht. Und deutsche Polizei ist doch harmlos. Und selbst in London demonstriert keiner von 7 Mio. Einwohnern, obwohl er im Regionalzug lebt. 

@RMH .... Frau von Storch sprach sich auf Phoenix/Unter den Linden in der der Debatte mit dem Grün-Faschisten Klocke nicht gegen die Gelbwesten, aber trotzdem äußerst vorsichtig und gegen Gewalt aus. Auch in dieser TV-Diskussion kam die Frage hoch, ob Gelbwesten links oder rechts seien. Frau von Storch wich aus, sie hätte in dieser Bewegung keinen Einblick. Der Grün-Faschist instrumentalisierte die Gelbwesten, in dem er der franz. Rechten vorwarf, die Gelbwesten zu instrumentalisieren. Insofern hätten Sie Recht. Aber wer sich nur etwas in der gallo-romanischen Seele auskennt, weiß, daß die Frogs das mit rechts/links nicht so eng sehen, wie wir. Wenn wir bei Ihrer historischen Argumentation bleiben wollen, hatten die französischen Kommunisten kein Problem bis Barbarossa mit den Nationalsozialisten der Besatzungsmacht zu kollaborieren. Aber man braucht sich über unsere Nachbarn nichts vor zu machen. Um am Sonntag Ente in Rotwein kochen zu können, würde der Franzose uns Boches verhungern lassen. Oder haben Sie jemals einen Franzosen gehört/gelesen, der die nächsten 50 Jahre Netto-Einzahler in die EU werden möchte? Auch die Force de Frappe bald 30 Jahre nach dem Zusammenbruch des Warschauer Vertrags auf uns zu richten, ist für den gemeinen -, wie für den elitären Franzosen pas de probleme.

@Niekisch .... Ihre Beschwerde über soziale Ungerechtigkeiten ist müßig. Solange die Rentenauszahlung in Deutschmark lief, war es dem deutschen Renter-Michel egal, aus welchem Fenster der asozial-demokratische - oder antichrist-demokratische Politiker das Geld der Sozialkassen hinaus feuerte. Jetzt, da aufgrund extremer Euro-Inflation das Geld nichts mehr wert ist, kommen Sie als einer von wenigen, aber auch mit der falschen Analyse. Wirtschaftlich bestehen zwischen Versicherungen und Sparverträgen keine Unterschiede, außer daß Versicherungen den Sparer mehr betrügen dürfen als Banken, deswegen bieten letztere ja auch Versicherungen an. Das deutsche Finanzamt ging geschickt vor, und kassierte nach der neo-Schröder'schen Rentenregelung einen Rentner nach dem anderen ab, die sind bis heute noch nicht durch. Aber dadurch entstand keine relevante soziale Sprengkraft. Und auch der Nicht-Rentner wählte die aSozialdemokraten in alle Regierungen Merkels bis auf eine , wobwohl er weiß, da die seine Rente streichen werden. Daß Aktionäre sich nicht wehrten, ist klar, die machten durch Schröder locker 700 Milliarden Euro steuerfreien Reibach. Und Beamte, wie Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes ist es bis heute egal. Deren Rente wurde nicht gekürzt, außer 1x für U-Boote. Von daher wird es eher so laufen, daß die Sie als Boche, mehr Steuern werden zahlen müssen, damit die Macrons dieser Welt die Forderungen der Gelbwesten Frankreichs finanzieren können.

@Wahrheitssucher .... das ist Utopie, genau, wie die deutsch-französische Freundschaft eine eine Krankheit in der Wahrnehmung vieler deutscher Staatsbürger/Propaganda-Opfer ist. Diese Freundschaft basiert auf einer nuklearen Bedrohung durch Frankreich gegen uns und auf unseren Transferleistungen. Aber fragen Sie doch mal deutsche Rentner, ob sie weiterhin die Charles de Gaulle, die Force de Frappe und den Unterhalt des Elysee finanzieren wollen? Sie haben es doch gesehen. Macron wollte durch seinen exkrementalen Europa-Vortrag an der Sorbonne uns zu seinen Gunsten weiter schwächen. Und da wir da nicht mitgemacht hatten, tritt er uns bei North-Stream II in den Allerwertesten. Es hat sich seit Clodwig I nichts geändert. Wie ging der (wahre) Wahlspruch der deutschen Linken in den 90ern? F... Chirac.

Der Grund für den aktuellen geo-strategischen Zinnober ist doch, daß zumindest theoretisch eine deutsch-russische Achse endlich möglich ist. Das fürchten sogar die Chinesen.

JohanNilsenNagel

19. Februar 2019 19:28

Ich bitte um Nachsicht für meinen Kommentar, der nichts mit Herrn Kaisers Artikel zu tun hat: Morgen liest Hans Bergel zum ersten Mal öffentlich ein Kapitel aus dem dritten Teil der Trilogie "Finale". Mich hat das so gefreut - und geärgert, weil ich zu weit weg wohne! -, daß ich mögliche Enthusiasten informieren wollte. Quelle: https://www.siebenbuerger.de/zeitung/termine/19247-lesung-hans-bergel-in-muenchen.html Habe vollstes Verständnis, wenn dieser Kommentar nicht veröffentlicht wird!

LotNemez

19. Februar 2019 20:01

@Wahrheitssucher
Schade, dass es immer erst schlimmer werden muss, bevor es besser wird, aber zum Notnagel Russland wird man erst greifen, wenn
a) der chinesische Schuh wirklich drückt
b) die USA nicht mehr als Schutzmacht Europas auftreten, auch nicht Osteuropas
c) Europa durch Rezession, Zersiedelung / Überfremdung so geschwächt ist, dass es nicht mehr auf eigenen Beinen stehen kann

Ob Russland uns dann noch will?

Zur allgemeinen Verwunderung über den blinden Fleck der Gelbwesten: Ich bin kein großer Frankreichkenner wie Ulrich Wickert, darf aber meine Sicht kurz skizzieren. Ich habe gute Bekannte - Linke - in Südfrankreich. Ihre Sichtweise gleicht der des Elementsinterviews. Von Migration, Kultur, Identität ist keine Rede. Die Gewöhnung daran, als Biofranzose eine Minderheit in vielen Teilen des Landes zu sein bzw. bald zu werden ist in bürgerlichen Kreisen abgeschlossen! Der kulturelle Rollback ist überhaupt kein Thema, es fehlt nicht nur schlichtweg die Fantasie, wie das mit legalen und humanen Mitteln vonstatten gehen sollte. Man denkt gar nicht darüber nach, dass all die Zugezogenen der letzten Jahre, dass der Islam irgendwie nicht Teil der Republik sein könnte.

Das ist insofern nochmal anders als hier, als man mit Linken dort durchaus identitär argumentieren kann und doch legitimer Gesprächspartner bleibt. Man bekommt sogar recht. Aber dann kommt doch immer wieder der revolutionäre Gedanke durch. Umverteilung als Allheilmittel. Wenn alle genug zum Leben haben, gibt es keinen Grund zu streiten.

Identität gilt durchaus noch als etwas gutes, bedeutet aber nicht Kultur- oder Biofranzose, sondern legitimer Bürger der Republik zu sein. Immerhin war Algerien, war halb Afrika mal Teil der Republik und wird irgendwie immer noch als inoffizieller Distrikt angesehen. Ein bisschen wie unsere Ostgebiete. Das fällt ja auch manchen schwer sich davon zu verabschieden.

Und Frankreich hat da nochmal eine viel längere Tradition, die tiefe Wurzeln geschlagen hat und das Land jetzt an Ort und Stelle festhält. Also konzentriert man sich eben auf das, was man glaubt, ändern zu können und das Werkzeug dazu war schon immer die Revolution.

Natürlich soll, wer kämpfen will, Unterstützung erhalten. Ich kann jedoch nur davon abraten, sein Herz allzu sehr an Frankreich zu hängen. Auf die Straße bringen den Michel keine 10 Pferde, aber in der Diskussion sind wir meiner Meinung nach deutlich weiter als Frankreich. Da sehe ich eher ein Szenario, wie wir das aus Houellebecqs "Unterwerfung" kennen. Und wie im Buch ist es ein selbst gewähltes Schicksal.

Niekisch

19. Februar 2019 20:09

"als einer von wenigen, aber auch mit der falschen Analyse. Wirtschaftlich bestehen zwischen Versicherungen und Sparverträgen keine Unterschiede, außer daß Versicherungen den Sparer mehr betrügen dürfen als Banken, deswegen bieten letztere ja auch Versicherungen an"

@Laurenz 19.2. 18:09: Schreiben Sie bitte besser nicht zu Themen, von denen Sie nicht die geringste Ahnung haben. Wenn Sie hier mit reden wollen, dann beschäftigen Sie sich bitte erst einmal mit dem SGB V und dem Problem der "Bestimmtheit" von Gesetzen. Es geht darum, ob mit dem Arbeitgeber vereinbarte Direktversicherungen Betriebsrenten hinsichtlich der Verbeitragung gleichzustellen sind. Ich habe selber einen Prozeß bis zum BVerfG geführt, dürfte mich also ein wenig auskennen.

Gelddrucker

19. Februar 2019 22:42

@LotNemez: Das sagen die Linken, und was sagen die Rechten?

Wie man so hört, liegt aktuell Le Pen in den Umfragen vorne.

Ich war auch neulich bei einem Gelbwestenprotest in Paris und habe mal testweise mit einigen gesprochen und immer wieder das Thema Remigration angesprochen. Einige stimmten zu, einige nicht. Ich sehe da aber keine kollektive Unterwerfung.

Und übrigens zu besagtem Roman, war meines Wissen eins der meistverkauften Bücher in Frankreich der letzten Jahre. Das sagt auch schon einiges...

Gelddrucker

19. Februar 2019 22:46

Darüber hinaus möchte ich noch anmerken, dass bei der Jugend Le Pen mit bis zu 40% "gehandelt" wird. Kann der Prüfer hier eventuell diesen Kommentar in meinen vorigen mit einflechten?

LotNemez

20. Februar 2019 12:50

@Gelddrucker
Vielen Dank für die wichtige Perspektive.

Atz

23. Februar 2019 01:13

Das Lustigste am französischen Sozialismus war schon immer die Pariser Kommune. Forderungen, die niemand erfüllen brauchte. Bedingt durch preussische Kanonen.

Die Gelbwesten sind ja ungefähr das Äquivalent einer ungeführten ADAC Partei. Man sperre mal bei uns 50 Bauarbeiter, Schlosser usw. in einen Raum und schreibe mit was die so politisch wollen, dann hole man sich smarte Texter und Juristen und mache daraus die neue Volksbewegung. Alle denen die Politik schnurz ist, wollen gewiss die Bahnverspätung reduzieren und den Lieferdienst der Post verbessern, Diäten kürzen und mit kriminellen Fremdarbeitern weiss man auch, was man will, und Kinderschänder sind wegzusperren. Die Parteien hören der Arbeiterschaft zwar nicht mehr zu, aber diese Verachtung ist auch ihre Schwäche.