den Kellner im Café, den Kontrolleur in der U‑Bahn. Wenn einem der Ministerpräsident auf der Straße begegnet, kann man ihn duzen und mit dem Vornamen anreden. Allenfalls sehr alte Leute und der (ziemlich verlotterte) König werden noch gesiezt. Irgendwann in den Siebziger Jahren haben sich diese Umgangsformen durchgesetzt und sind heute nahezu alternativlos.
Plötzlich erscheint mir der ganze schauderhafte Duz-Faschismus, der einem etwa beim Ikea aufgenötigt wird, in einem anderen Licht. “Aber warum denn bitte, das ist doch furchtbar, wenn man von allen geduzt wird und alle duzen muß? Ich stelle mir das wie einen Alptraum vor!” – “Die Schweden sind einfach die geborenen Sozialisten. Das Gemeinschaftsgefühl ist sehr wichtig, wie in allen skandinavischen Ländern.”
Hier fiel mir der Neue-Rechte-Großvater Henning Eichberg ein, der sich einst aus seinem komplizierten und angeschlagenen Vaterland ins kuschelige Dänemark geflüchtet hat, vermutlich weil es dort einfacher schien, eine Art “Gemütsnationalismus” und eine unbelastetere “Volks-Gemeinschaft” zu leben: “Volk ist, wo jeder zum anderen Du sagt”, hat er sinngemäß einmal formuliert, wenn ich mich richtig erinnere (und wenn nicht, dann meint er es trotzdem so.)
“Außerdem hält man es für unhöflich, dem anderen Distanz zu signalisieren”, erklärte mein schwedischer Freund weiter. “Das verstehe ich nun überhaupt nicht”, antwortete ich. “Das Gegenteil ist doch der Fall! Gerade Distanz signalisiert doch Respekt und Höflichkeit, wogegen das ungefragte Du einem sofort gnadenlos auf die Pelle rückt, in den Nacken atmet, auf die Schulter klopft, ins Ohrläppchen zwickt, und schlimmstenfalls in den Schwitzkasten nimmt! Distanznahme garantiert dagegen einen Schutztraum, in dem man sich und den anderen in seiner Privatheit und seiner Besonderheit belassen kann. Wenn ich etwa auf Arbeit meinen Chef duze, und wir per Sprachregelung so tun, als ob es keine Hierarchien gäbe und als ob wir alle gleich wären, dann ist das doch nichts als Heuchelei und Verschleierung der wahren Verhältnisse! Er hat besseren Zugriff auf mich, mein Zugriff auf ihn ist aber illusorisch. Dann lieber eine klare Sprache!”
So sprach ich, und noch andere Dinge fielen mir ein: mit dieser Verwischung der Grenzen werden ja auch alle Freuden der Grenzüberschreitung, alle wohlbemessenen Steigerungen der Annäherungsintensität ihres Ausdrucks und ihrer Sprache beraubt. Was für eine Nivellierung der Zwischentöne, was für ein Verlust an kultureller Verfeinerung, an Spannungsmomenten und ‑verhältnissen, an sozialer Intelligenz und Sensibilität!
Mir persönlich wird schon in Deutschland (und erst recht in meiner Wahlheimat Kreuzberg) viel zuviel geduzt. Könnte ich es mir aussuchen, dann wäre es mir am liebsten, man würde es handhaben wie in den alten französischen Filmen, wo ein Jean-Jacques und eine Marie miteinander ins Bett gehen, und sich am nächsten Morgen immer noch siezen: “Danke für diese wundervolle Nacht. Wann kann ich Sie wiedersehen, Marie?”
Ein sechzehnjähriger Fan hat einmal an Joachim Fernau einen Brief geschrieben, mit der Bitte, ihn bei einer etwaigen Beantwortung mit “Du” anzuschreiben. Fernau schrieb ihm zurück:
Ich soll Du zu Ihnen sagen. Das möchte ich nicht, es würde Sie mir fremder machen, als Sie es mir jetzt sind. Verstehen Sie?
Ja, ich verstehe es. Wer noch?
Ich kenne Schweden in erster Linie durch die Filme von Ingmar Bergman, in denen noch viel gefürchtet, gezittert und nordisch schwermütig über Sex, Tod und vor allem Gott nachgegrübelt wurde. Worunter der Pastorensohn Bergman, Jahrgang 1918, noch tief gelitten hat, ist inzwischen offenbar durchgestanden. Der Kampf ist vorbei, der Gedanke an Gott tut niemandem mehr weh. Keiner glaubt mehr an ihn, und hält das auch nicht für ein Problem. Der Däne Kierkegaard hat das schon in den 1840er Jahren vorausgesehen.
(In Schweden gibt es übrigens, nur so als Beispiel, eine Partei, die sich allen Ernstes “Moderate Sammlungspartei” nennt, und so stark ist, daß sie den Ministerpräsidenten stellt, der mit unserem Chef-Dhimmi Wulff die markante Physiognomie eines Wollknäuels gemeinsam hat. Sie gilt als die am weitesten “rechts” stehende Partei, neben den Schwedendemokraten-Newcomern, versteht sich.)
Ist das nun das unerwartete Happy-End, das Bergman gerade noch als menschenscheuer, uralter Eremit mitbekommen hat, das Ausheilen aller metaphysischen Neurosen in der sozialdemokratischen Wohlstandswelt?
So einfach ist es nicht. Gottfried Benn schrieb einmal, die Abgründe der menschlichen Seele könne man nicht “mit Wollwesten und Streuselkuchen” auffüllen. Schweden, das mag sein ABBA’s Tralala, Ikea-Konsum-Komfort, Knäckebrot mit Preiselbeeren und Astrid-Lindgren-artige Idyllen mit Holzhütten am See. Aber hinter den roten Backen lauert immer noch der Bergman-Grübler, der Strindberg-Zerrissene, der nordische Existenzialismus, das Unbehagen in der Kultur, wie es in den absurden Meisterwerken von Roy Andersson zum Ausdruck kommt.
Als ich nun versuchte, meinem schwedischen Freund die deutschen Dispositionen und den immergrünen Hitlerfimmel zu erklären, verblüffte er mich mit der Aussage, daß die Lage in Schweden in dieser Hinsicht kaum anders sei, obwohl das Land seit Ewigkeiten keinen Krieg mehr angezettelt hat und auch keinen “Holocaust” auf dem Gewissen hat. Es herrsche ein profunder, staatlich geförderter kultureller Selbsthaß, und Hitler werde ständig beschworen, um die Agenda der Linken, Feminazis und Liberalen, die die Gesellschaft fest im Griff haben, voranzupushen und zu rechtfertigen. Mit der Folge, daß auch in Schweden die Wölfe des Orients stetig in das Land vordringen, und nur auf willensschwache, wehrlose Eingeborene stossen (in Deutschland als “Kartoffeln”, “deutsche Schlampen” und “Schweinefleischfresser” bekannt).
In dem amerikanischen “New Right” Netzmagazin Occidental Observer ist eben ein Artikel erschienen, in dem ein Schweden-Korrespondent schildert, wie die linksliberalen Intellektuellen dort das gleiche “Ich sehe etwas, was Du nicht siehst”-Spielchen treiben wie hierzulande, die gleiche dümmliche und destruktive Identitäts-Abwracker-Nummer, die auch bei uns soviel Schaden angerichtet hat:
Unsere Eliten behaupten, daß der “strukturelle Rassismus” der schwedischen Kultur ein tiefes Problem in unserer Gesellschaft ist. Gleichzeitig behaupten unsere Eliten, daß die schwedische Kultur und das schwedische Volk soziale Konstrukte seien. Ein sehr häufiges Argument ist die Behauptung “Die schwedische Kultur ist die Summe aller Kulturen”. Unsere Eliten eröffnen die Debatten über den Multikulturalismus gerne mit der rhetorischen Frage: “Wer ist denn schon ein Schwede?” Sie wollen uns weismachen, daß wir als Schweden gar nicht existieren. Wir als Schweden existieren nur, wenn wir die Einwanderer diskriminieren.
Also auch hier das im Westen so weit verbreitete “white guilt”-Syndrom, das auch Nationen plagt, die keinen Krieg verloren haben und keinen Hitler hatten. Das ist ebenso todtraurig, wie es absurd ist, denn wer die Schweden (und die Skandinavier überhaupt) kennt, weiß, daß sie seelisch und physiognomisch ein sehr ausgeprägtes und liebenswürdiges Volk sind, und das auch heute noch, wo sie nicht minder von allen Krankheiten der westlichen Welt heimgesucht werden.
Aber so volksfeindlich und “menschenverachtend”, so niederträchtig, minusbeseelt, ressentimentgeladen, so engherzig, engstirnig und neurotisch, so ohne einen Funken Liebe zu Europa und seinen wunderbaren Völkern ist eben die internationale Multikulti-Linke: sie wird nicht aufgeben, bis auch noch der letzte Schwede, Deutsche, Engländer, Italiener, Franzose usw. sich selbst zum Kotzen findet und jede Selbstachtung aufgibt.
Es gibt aber Hoffnung: die liberal-nationalen Schwedendemokraten haben trotz des massiven Gegendrucks der Medien bei der letzten Wahl enorm zugelegt; folgt man dem Bericht des Autors auf Occidental Observer, so sind ihre Anhänger durchweg gebildete Menschen mit akademischem Hintergrund und ihre Köpfe brillante und intelligente Rhetoriker, die noch in den schlimmsten Talkshow-Löwengruben ihre Gegner alt aussehen lassen. Wir wollen hoffen, daß das nicht nur in Schweden erst der Anfang ist, und daß in Deutschland auch bald Vergleichbares entsteht.