Verdacht und Mimikry (2)

Nach Jürgen Kaube in der FAZ hat nun auch Henning Eichberg Mathias Brodkorbs Aufsatz „Vom Verstehen zum Entlarven  – über ‚neu-rechte‘ und ‚jüdische Mimikry‘...

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

unter den Bedin­gun­gen poli­ti­sier­ter Wis­sen­schaft“ bespro­chen. Dar­in kri­ti­siert Brod­korb die soge­nann­te “Herr­schaft des Ver­dachts” als Mit­tel poli­ti­scher Auseinandersetzung.

Die Bespre­chung durch Eich­berg hat eine beson­de­re Poin­te, han­delt es sich doch bei dem heu­te in Däne­mark leben­den Sozio­lo­gen um einen Groß­va­ter der soge­nann­ten “Neu­en Rech­ten”.  Die­ser ist schon seit gerau­mer Zeit nach Links über­ge­lau­fen, wo er wei­ter­hin natio­na­le  und “volk­haf­te” Posi­tio­nen ver­tre­ten hat (z.B. in der legen­dä­ren Zeit­schrift wir selbst, in der auch eini­ge Sezes­sio­nis­ten frü­he publi­zis­ti­sche Erfah­run­gen sam­mel­ten). Sein Sin­nes­wan­del wird ihm, wie man auf Wiki­pe­dia nach­le­sen kann, von so man­chem Lin­ken nicht geglaubt: die “Herr­schaft des Ver­dachts” gilt wei­ter­hin, und prompt kam es in den Kom­men­tar­spal­ten von End­sta­ti­on Rechts zu paw­low­schen Reak­tio­nen.

Lei­der ist Eich­bergs Bespre­chung voll mit ärger­li­chem Unfug, wovon ein paar Punk­te hier kurz kom­men­tiert seien.

1. Brod­korb hat den “Dis­kurs” über die “neu­rech­te Mimi­kry” mit dem anti­se­mi­ti­schen “Dis­kurs” vor 1945 der Frit­sch, Düh­ring, Rosen­berg usw. über die “jüdi­sche Mimi­kry” ver­linkt, wor­aus sich eine Poin­te ergibt, die Eich­berg so zusammenfaßt:

Bei genaue­rer Betrach­tung fällt jedoch auf, dass die­ses Ent­lar­ven selbst ein klas­sisch rech­tes, ins­be­son­de­re aber ein rechts­ra­di­ka­les Dis­kurs­mus­ter dar­stellt. Die Rech­te hat eine tief­ver­wur­zel­te Tra­di­ti­on, die „bösen Ande­ren“ zu ent­lar­ven. Den Anfang mach­te wohl die fran­zö­si­sche kon­ter­re­vo­lu­tio­nä­re Rech­te um 1800, denen die revo­lu­tio­nä­re und demo­kra­ti­sche Bewe­gung von 1789 als Mas­kie­rung von Frei­mau­rern, Juden und letzt­lich des Teu­fels selbst erschien. Heu­te setzt sich das fort bei ame­ri­ka­ni­schen Repu­bli­ka­nern, christ­li­chen Fun­da­men­ta­lis­ten, Tea-Par­ty und Sarah Palin, die in Barack Oba­ma den Kopf einer sozia­lis­ti­schen Ver­schwö­rung sehen. Von links her dro­he der Anti­christ. (Die­sem US-rechts­ra­di­ka­len Kon­spi­ra­ti­ons­den­ken steht in Deutsch­land der Ent­lar­vungs­spe­zia­list Cle­mens Heni nahe.)

Das ist eine gewag­te Behaup­tung, wenn man sich erin­nert, daß der “Entlarvungs”-Terror vor allem in sozia­lis­ti­schen Län­dern und ins­be­son­de­re der sta­li­nis­ti­schen Sowjet­uni­on zum (von Geor­ge Orwell zwie­fach ver­ar­bei­te­ten) “Klas­si­ker” wur­de, wo er Qua­li­tä­ten erreich­te, die seit­her allen­falls von Pol Pots Kam­bo­dscha getoppt wur­den. Nun zwei­felt Eich­berg dar­an, ob der Sta­li­nis­mus denn über­haupt etwas “Lin­kes” sei, und schlägt hier eine alte Stra­te­gie der Lin­ken ein, alles, was am Sozia­lis­mus miß­lun­gen ist, durch die Hin­ter­tür kom­men­den rech­ten Prin­zi­pi­en zuzuschlagen.

Dage­gen ist die kon­ser­va­ti­ve Posi­ti­on, daß die Urmut­ter die­ses “Dis­kur­ses” im Jakobiner-“Terreur” von 1792ff zu suchen ist. Die­se hat frei­lich ihre Vor­läu­fer in den Prak­ti­ken der Inqui­si­ti­on und Hexenverfolgung.

Was die USA betrifft, so ist die ame­ri­ka­ni­sche Lin­ke rand­voll mit Ver­dachts­rhe­to­rik, die sich bei ihr stets um einen wirk­li­chen oder einen ange­nom­me­nen “Ras­sis­mus” dreht. Das ist die haupt­säch­li­che Keu­le, mit der in den USA jeder poli­ti­sche Oppo­nent platt­ge­macht wird, ins­be­son­de­re wenn Oba­ma im Spiel ist.  Ame­ri­ka­ni­sche “libe­rals” (in unse­rem Sprach­ge­brauch: Lin­ke) ten­die­ren dazu, hin­ter jedem for­sche­ren Repu­bli­ka­ner und der Tea-Par­ty ins­ge­samt den Ku-Klux-Klan tra­ben zu sehen. Als unlängst eine demo­kra­ti­sche Kon­greß­ab­ge­ord­ne­te von einem Geis­tes­kran­ken nie­der­ge­schos­sen wur­de, hat­te die lin­ke Pres­se ziem­lich schnell Sarah Palin und die Rech­te über­haupt als “indi­rek­te” Schul­di­ge aus­ge­macht, weil sie ein “Kli­ma des Has­ses” erzeu­gen wür­den. Auch sonst sind ihr Ängs­te vor wei­ßen, kapi­ta­lis­ti­schen Dun­kel­män­nern nicht fremd. Und zu Bush-Zei­ten waren es die Lin­ken, die einen neu­en tota­li­tä­ren  Faschis­mus in Gestalt der “New World Order” kom­men sahen, ganz so wie sich die Gegen­sei­te jetzt vor dem “Sozia­lis­mus” Oba­mas fürchtet.
Test

2. ist Eich­berg der Ansicht,

… die Rech­te – und zwar die Rech­te ins­ge­samt, nicht nur die Rechts­ra­di­ka­len – (nei­ge) dazu, Ver­schwö­run­gen anzu­neh­men und also zu „ent­lar­ven“. Die bür­ger­li­che Extre­mis­mus­for­schung steht als Ent­lar­vungs­wis­sen­schaft der epis­te­mo­lo­gi­schen Para­noia nahe.

Die Lin­ke hat im Kon­trast dazu eher eine habi­tu­el­le Nähe zur Kri­tik. Statt zu ent­lar­ven, übt sie Kri­tik an Ver­hält­nis­sen und Strukturen.

Ich habe kei­ne Ahnung, wie das in Däne­mark ist: aber in Deutsch­land sind heu­te ein­deu­tig die Lin­ken die “Ent­lar­ver”, und die Rech­ten die­je­ni­gen, fast die ein­zi­gen, die eine ech­te “Kri­tik an Ver­hält­nis­sen und Struk­tu­ren üben”. Wie auch anders, wenn die “herr­schen­den Dis­kur­se” immer noch über­wie­gend von Links und nach lin­ken Spiel- und Sprach­re­geln geführt wer­den, auch wenn sich das seit Sar­ra­zin lang­sam ändert.

Man könn­te viel­leicht sagen: wer das Bestehen­de ver­tei­digt, neigt zum “ent­lar­ven”, wer es atta­ckiert, neigt zum “kri­ti­sie­ren”.

Wei­ters wäre zu prä­zi­sie­ren, daß die Lin­ke eine “habi­tu­el­le Nähe” eher zum “Habi­tus des Kri­ti­schen” hat, was eben auch ihr hart­nä­cki­ges Selbst­bild kon­sti­tu­iert, das sich auch noch im Zustand des abso­lu­ten Kon­for­mis­mus hält.  So sehen sich Lin­ke auch dann noch als Wider­ständ­ler und Rebel­len, wenn sie längst schon an der Spit­ze des Estab­lish­ments sit­zen und Anders­den­ken­de ver­fol­gen. “Kri­tik” als prin­zi­pi­el­le Hal­tung kann dann auch zum Selbst­zweck wer­den, beson­ders wenn sie aus einer abs­trak­ten Ort­lo­sig­keit schöpft. Die­ser “Habi­tus des Kri­ti­schen” läßt sich indes­sen vor­züg­lich mit der “Entlarver”-Pose verbinden.

3. The­se:

Kri­ti­sche Dis­kurs­ana­ly­se ist also etwas ande­res als jene klas­si­sche „Ideo­lo­gie­kri­tik“, die inzwi­schen selbst unter Ideo­lo­gie­ver­dacht gera­ten ist, und dies zu Recht. Dis­kurs­ana­ly­se ist eine Kri­tik­me­tho­de, der es vor allem um drei­er­lei geht: um begriffs­ge­schicht­li­che Her­lei­tung, um den Ver­gleich von Dis­kur­sen und um das Fin­den von Mustern.

Aber: bloß, weil man meint, einen “Dis­kurs” oder ein “Mus­ter” auf­ge­spürt zu haben, hat man noch kei­ne Aus­sa­ge über sei­ne Legi­ti­mi­tät und sei­ne Ent­spre­chun­gen in der Wirk­lich­keit getä­tigt. Das scheint mir in der Bespre­chung nicht so recht her­aus­zu­kom­men. Irgend­wann sieht man vor lau­ter “Diskurs”-Bäumen den Wald nicht mehr. Es gibt auch einen berech­tig­ten “Ver­dacht”, weil es auch Ver­schwö­run­gen, Ver­rat, bewuß­te Mimi­kry, Infil­trie­rung, Spio­na­ge, Unter­wan­de­rung und so wei­ter tat­säch­lich gibt. Das wäre von para­noi­schen Über­wu­che­run­gen und Ver­all­ge­mei­ne­run­gen zu trennen.

Ansons­ten kann man leicht der Vor­stel­lung ver­fal­len, eine blo­ße Ana­lo­gie wäre schon aus­rei­chend, um eine Sache durch eine ande­re zu erle­di­gen. Damit wäre man schnell bei jenem sche­ma­ti­schen Wenn-Dann-Den­ken ange­langt, das auch Mathi­as Brod­korb so ger­ne pflegt (und das ist durch­aus “habi­tu­ell links”).  So kann man z.B. anneh­men: weil der neue “Dis­kurs” über die Mos­lems die­se und jene Ähn­lich­keit mit dem alten “Dis­kurs” über die Juden hat, muß für die­sen auch zutref­fen, was man heu­te all­ge­mein über jenen denkt. Das war im Grun­de Kern der Debat­te zwi­schen Cle­mens Heni und Wolf­gang Benz.

Eich­berg nennt noch ein Bei­spiel: Wenn die Anti­se­mi­ten alter Schu­le den Juden “Unpro­duk­ti­vi­tät” und “Para­si­ten­tum” vor­war­fen, dann ähn­le das Thi­lo Sar­ra­zins Behaup­tung “deut­sche Unter­schich­ten, uner­wünsch­te Ein­wan­de­rer und ins­be­son­de­re Mos­lems sei­en unpro­duk­tiv und müss­ten durch die Pro­duk­ti­vi­tät der wei­ßen Mit­tel­klas­se-Nor­mal­deut­schen durch­ge­füt­tert wer­den.”  Und schwupp, wie mit dem Zau­ber­stab ange­rührt, ist Sar­ra­zins Argu­ment dis­kre­di­tiert, weil als “Dis­kurs­mus­ter” – entlarvt.
Test

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)

Für diesen Beitrag ist die Diskussion geschlossen.