No Future?

1977 feierte Großbritannien das 25. Thronjubiläum von Queen Elizabeth II. Es war auch das große Blütejahr der Punkrockbewegung.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Die zu die­sem Zeit­punkt ton­an­ge­ben­den Sex Pis­tols brach­ten als kal­ku­lier­te Pro­vo­ka­ti­on die Sin­gle “God Save The Queen” her­aus, die trotz Boy­kott der BBC rasch die Hit­lis­ten anführ­te: “Gott schüt­ze die Köni­gin und das Faschis­ten­re­gime, das dich zum Voll­trot­tel gemacht hat…”

Der Song wur­de zur Hym­ne einer gan­zen Gene­ra­ti­on, beson­ders wegen des berühm­ten pes­si­mis­ti­schen Slo­gans, der ihn beschloß:

The­re is no future
In England’s dreaming -

No future, no future,
No future for you!
No future, no future,
No future for me!

No future, no future,
No future for you!
No future, no future
For you!

Zumin­dest was die Queen und das bri­ti­sche Königs­haus betrifft, die in ers­ter Linie mit dem “You” gemeint waren, haben sich die Sex Pis­tols offen­sicht­lich geirrt. Eliza­beth, die die Lang­le­big­keit der legen­dä­ren Queen Mum geerbt hat, geht inzwi­schen auf die Neun­zig zu und fei­er­te kürz­lich ihr dia­man­te­nes Thron­ju­bi­lä­um. Dies­mal rotz­ten kei­ne Punk­ro­cker und Avant­gar­de­fil­mer in die Sup­pe, statt­des­sen fand sich der Rock- und Popadel Groß­bri­tan­ni­ens bei­nah geschlos­sen zur unkon­tro­ver­sen Hul­di­gung ein, vor­zugs­wei­se frei­lich die “Oldies”, von Paul McCart­ney bis zum unver­meid­li­chen Elton John. Ohne Zwei­fel: die Bri­ten lie­ben mehr­heit­lich ihre Mon­ar­chie, wie auch die rege Anteil­nah­me an Prinz Wil­liams Hoch­zeit im letz­ten Jahr zeigte.

Die Bedürf­nis­se, die die mon­ar­chi­schen Fei­er­lich­kei­ten befrie­di­gen, haben aller­dings wohl eher mit Nost­al­gie und Rea­li­täts­flucht als mit Zukunfts­zu­ge­wandt­heit zu tun. Denn letz­te­re sieht für die Bri­ten momen­tan eben­so­we­nig rosig aus wie die Gegen­wart. Die Sex Pis­tols ver­höhn­ten das Königs­haus zwar schon 1977 tref­fend als Tou­ris­ten­at­trak­ti­on, den­noch erfüllt es wei­ter­hin eine gewis­se Rol­le als Reprä­sen­tant für die über­zeit­li­che Kon­ti­nui­tät und die über­ge­ord­ne­te Idee der Nati­on. Die meis­ten Bri­ten wür­den die­se Din­ge frei­lich nicht so abs­trakt for­mu­lie­ren. Sie sehen wohl in ers­ter Linie den blen­den­den Gla­mour und das Spek­ta­kel der Par­al­lel- und Gegen­welt der Rei­chen und Schö­nen, die zugleich auch für Tugend­haf­tig­keit, Vor­bild­wir­kung, Sicher­heit und Dau­er ein­ste­hen sol­len. Umso gie­ri­ger und scha­den­fro­her lau­ert man aller­dings auf ihre Las­ter, Fehl­trit­te und Allzumenschlichkeiten.

Indes­sen dient die bri­ti­sche Mon­ar­chie heu­te über wei­te Stre­cken als blo­ßes Opi­um fürs Volk, und das nicht nur auf dem Unter­hal­tungs­sek­tor der Klatsch­pres­se. Auch die natio­na­le Kon­ti­nui­tät, die sie sug­ge­riert, ist nicht viel mehr als eine opti­sche Täu­schung und Beru­hi­gungs­pil­le für die Mas­sen. Denn seit Eliza­beths Krö­nung hat sich das Land auf eine radi­ka­le Wei­se geän­dert, wie es sich in den Fünf­zi­ger Jah­ren kaum jemand vor­stel­len konn­te. Kann man ernst­haft sagen, daß dies über­wie­gend zu sei­nem Guten gesche­hen sei? Es scheint zum Bei­spiel, daß gera­de das, was die “Bri­tish­ness” des Lan­des aus­ge­macht hat, heu­te immer mehr zum fer­nen Traum von Vor­ges­tern wird.

Vie­le Eng­län­der, die unter dem Cha­os, der Unsi­cher­heit und der Zer­split­te­rung der gegen­wär­ti­gen Gesell­schaft lei­den, den­ken an die Ver­gan­gen­heit mit einem zuneh­men­den Gefühl weh­mü­ti­ger Ver­klä­rung zurück. Der ehe­ma­li­ge Smit­hs-Sän­ger Mor­ris­sey, selbst ein Kind der Punk­rock­ge­ne­ra­ti­on, hat die­sen Ver­lust des Bri­tisch-Eige­nen des öfte­ren öffent­lich beklagt. In sei­nem Hit “Irish Blood, Eng­lish Heart” (2004) plä­dier­te er gar dafür, nicht nur die Tory- und Labour-Par­tei, son­dern gleich die gan­ze kor­rup­te “Roy­al Line” abzu­set­zen, und zwar gera­de aus Lie­be zu Eng­land. Sogar Sex Pis­tols-Kopf John­ny Rot­ten (ali­as Lydon) gab sei­ner “No Future”-Hymne spä­ter eine durch­aus patrio­ti­sche Deutung:

 Man schreibt einen Song wie ‚God Save the Queen‘ nicht, weil man die eng­li­sche Ras­se (sic!) haßt, son­dern weil man sie liebt. Und weil man die Nase voll davon hat, wie sie miß­han­delt wird…

Über den Wan­del der “Bri­tish­ness” seit Eli­sa­beths Thron­be­stei­gung schrieb FAZ-Kor­re­spon­den­tin Gina Thomas:

Eng­land sei ein Land, das sich mit wenig zufrie­den gebe, berich­te­te der 1933 aus Göt­tin­gen geflo­he­ne Kunst­his­to­ri­ker Niko­laus Pevs­ner sei­ner Frau und fluch­te über die unge­heiz­ten Häu­ser. Aus­län­der besä­ßen eine See­le, die Eng­län­der statt­des­sen Under­state­ment, wit­zel­te der unga­ri­sche Humo­rist Geor­ge Mikes. Der deutsch-jüdi­sche Bei­rat riet Emi­gran­ten aus Hit­ler-Deutsch­land zur Dis­kre­ti­on: „Der Eng­län­der legt sehr viel Wert auf Beschei­den­heit, Under­state­ment und Unauf­fäl­lig­keit in Klei­dung und Beneh­men. Er schätzt gute Manie­ren weit mehr als sicht­ba­re Bewei­se des Wohlstandes.“

Ein klas­si­sches Bei­spiel dafür lie­fert das Jah­res­heft eines der füh­ren­den Jun­gen­in­ter­na­te, das Anfang der vier­zi­ger Jah­re in der Rubrik über ehe­ma­li­ge Schü­ler zu Archi­bald Wavell, damals Ober­be­fehls­ha­ber der bri­ti­schen Armee im Nahen Osten, schrieb, er habe „sei­ne Sache in Nord­afri­ka gut gemacht“. An die­ser Grund­hal­tung hat­te sich im Krö­nungs­jahr nichts geän­dert. Sie ging mit einer heu­te kaum vor­stell­ba­ren mate­ri­el­len Beschei­den­heit ein­her: Bis 1961 lag der Höchst­lohn für Fuß­ball­spie­ler bei zwan­zig Pfund in der Woche; Geor­ge Cohen, der rech­te Außen­ver­tei­di­ger der sieg­rei­chen Natio­nal­mann­schaft bei der Welt­meis­ter­schaft von 1966, erin­ner­te sich spä­ter, wie pein­lich es ihm mit sieb­zehn gewe­sen sei, fünf­zig Pfund net­to im Monat nach Hau­se gebracht zu haben, wo der Vater für eine Vier­zig­stun­den­wo­che bloß zehn bis zwölf Pfund brut­to verdiente.

Der durch­schnitt­li­che Haus­preis betrug im Krö­nungs­jahr 2000 Pfund. Inzwi­schen ist er lan­des­weit auf mehr als 160 000 Pfund eska­liert und liegt in Lon­don mit 360 721 Pfund außer­halb aller Mög­lich­kei­ten nor­mal ver­die­nen­der Erstkäufer.

(…)

Als Eli­sa­beth II. den Thron bestieg, gab es noch die Todes­stra­fe, Homo­se­xua­li­tät war ver­bo­ten, Thea­ter wur­de zen­siert, und die Luft war der­art ver­pes­tet, dass die Smog­ka­ta­stro­phe vom Dezem­ber 1952 12 000 Lon­do­ner das Leben kos­te­te. Damals kamen 4,8 Pro­zent der Kin­der unehe­lich auf die Welt, heu­te beträgt die Zahl 46,8 Pro­zent. 1952 wur­den 33 922 Ehen geschie­den, 2010 hat­te sich die­se Zahl mehr als ver­drei­facht. Frau­en­tail­len waren damals wegen der anstren­gen­de­ren Haus­ar­beit fünf­zehn Zen­ti­me­ter schma­ler, und das Pfund von 1952 wäre jetzt 24,34 Pfund wert.

Über die Todes­stra­fe läßt sich strei­ten, der Zen­sur, dem sinn­lo­sen Ver­bot der Homo­se­xua­li­tät, und der Umwelt­ver­pes­tung muß man nicht nach­trau­ern – der erschre­cken­de Zer­fall der Fami­lie und der wirt­schaft­li­chen Kauf­kraft läßt aller­dings auch für die Zukunft nichts Gutes erwarten.

Beson­ders auf­hor­chen läßt aber dies:

Mit der immer grö­ßer wer­den­den Kluft zwi­schen Arm und Reich, mit Macht und Ungleich­heit im heu­ti­gen Bri­tan­ni­en befasst sich auch Fer­di­nand Mounts Betrach­tung „The New Few or A Very Bri­tish Olig­ar­chy“, die umso mehr auf­fällt, als der Autor ein ehe­ma­li­ger Mit­ar­bei­ter Mar­ga­ret That­chers und Kon­ser­va­ti­ver ist. Er bezeich­net Bri­tan­ni­en am Anfang des ein­und­zwan­zigs­ten Jahr­hun­derts als „eine schwab­be­li­ge, kor­ro­dier­te Art von libe­ra­ler Demo­kra­tie, in der die Olig­ar­chen frei­en Lauf genießen“.

Er führt die unse­li­ge Kon­zen­trie­rung von Macht und Reich­tum in den Hän­den einer klei­nen Eli­te auf die Ent­männ­li­chung von Wäh­lern und Aktio­nä­ren zurück, auf die schwin­den­de Bedeu­tung des Par­la­ments und die Degra­die­rung der kom­mu­na­len Poli­tik, mit der Fol­ge, dass Regie­rung und Vor­stands­eta­gen in eine Art par­al­le­le Welt abge­drif­tet sei­en, wo finan­zi­el­le und poli­ti­sche Macht eins wer­den und Fir­men­chefs sich das Viel­hun­dert­fa­che des Durch­schnitts­ge­halts ihrer Ange­stell­ten gön­nen, selbst dann, wenn die Unter­neh­mens­leis­tung es nicht recht­fer­tigt. Mount zählt zwei von der All­ge­mein­heit los­ge­lös­te Grup­pen – oben die Olig­ar­chen, unten die macht­lo­se Unter­klas­se -, wodurch die Gesell­schaft gebro­chen sei wie nie zuvor.

Die­se Macht­kon­zen­trie­run­gen sind ein euro­pa­wei­ter Trend: die Par­la­men­te und demo­kra­ti­schen Kon­troll­in­stan­zen wer­den zuneh­mend ent­mach­tet, zuguns­ten olig­ar­chi­scher Eli­ten, die nur mehr sich selbst ver­pflich­tet sind. Das bri­ti­sche Königs­haus lie­fert dazu nicht mehr als eine hüb­sche, trü­ge­ri­sche Fas­sa­de. Was Tho­mas nicht erwähnt, ist der Zusam­men­hang die­ser Ent­wick­lun­gen mit der zum Teil erheb­lich fort­ge­schrit­te­nen Mul­ti­kul­tu­ra­li­sie­rung und demo­gra­phi­schen Umwand­lung des Lan­des, die unter ande­rem schwe­re Kri­mi­na­li­tät, pro­gres­si­ve Isla­mi­sie­rung und bür­ger­kriegs­schwan­ge­re Brand­her­de mit sich gebracht haben.

Die Labour­par­tei hat sich in die­sem Spiel zu einem der ärgs­ten Fein­de ihrer tra­di­tio­nel­len Wäh­ler­schicht gewan­delt, der wei­ßen eng­li­schen Arbei­ter­klas­se, deren Miß­hand­lung einst John­ny Rot­ten so empör­te und in deren Namen er gegen das Sys­tem pro­tes­tier­te. So wur­de etwa 2009 bekannt, daß Labour unter Tony Blair absicht­lich die Ein­wan­de­rung nach Eng­land for­cier­te, um den geg­ne­ri­schen Par­tei­en das Was­ser abzugraben.

Im Dezem­ber letz­ten Jah­res habe ich über den Fall einer offen­bar men­tal nicht ganz sta­bi­len Frau aus der Unter­schicht berich­tet, die auf­grund mit­ge­film­ter “ras­sis­ti­scher” Aus­fäl­le zunächst per Twit­ter öffent­lich gemobbt (unter akti­ver Betei­li­gung von Labour-Chef Mili­band) und schließ­lich ver­haf­tet und vor Gericht gestellt wur­de. Dabei hat­te auch sie nur in Punk­rock­ma­nier ihren per­sön­li­chen “No Future”-Frust arti­ku­liert:  “My Bri­tain is fuck-all now.”

Inzwi­schen wur­de eine wei­te­re Frau wegen eines ähn­li­chen Vor­falls zu 21 Wochen (!) Haft ver­ur­teilt. Schon klei­ne Kin­der wer­den auf der Insel von oben her unter Druck gesetzt und ein­ge­schüch­tert, wenn sie Ras­sen­un­ter­schie­de auch nur bemer­ken. Die Lis­te die­ser orwel­lia­ni­schen Maß­nah­men ist lang. Je “diver­ser” Groß­bri­tan­ni­en wird, umso mas­si­ver wer­den sie ein­ge­setzt, und umso mehr beherrscht das Phan­tom des “Ras­sis­mus” den öffent­li­chen Dis­kurs (ähn­lich wie in Oba­mas Ver­ei­nig­ten Staa­ten, die sich eher “hyper­ra­cial” als “post­ra­cial” entwickeln.)

Es gilt hier zu erken­nen, daß die “poli­ti­cal cor­rect­ness” genau dort gedeiht, wo nach Fer­di­nand Mount eine „schwab­be­li­ge, kor­ro­dier­te Art von libe­ra­ler Demo­kra­tie” herrscht, “in der die Olig­ar­chen frei­en Lauf genie­ßen“, und daß sie eben die­sem Sys­tem zum Macht­er­halt dient und dar­um von ihm geför­dert wird.

Letz­ten August schrieb Karl­heinz Weiß­mann auf die­sem Blog über die Dis­kus­sio­nen, die den Kra­wal­len in Lon­don-Tot­ten­ham und ande­ren Städ­ten folgten:

… über­ra­schen­der­wei­se geht es end­lich ein­mal nicht um Dis­kri­mi­nie­rung und Ungleich­heit, um die armen Opfer ohne Schul­ab­schluß und Plas­ma­bild­schirm, um die Not­wen­dig­keit, noch mehr Ver­ständ­nis zu haben, mehr Päd­ago­gen zu schi­cken und mehr Geld in Stadt­vier­tel zu pum­pen, die längst zu no go are­as gewor­den sind, son­dern um den Skan­dal jenes unge­heu­ren Zer­stö­rungs­pro­zes­ses, den das Estab­lish­ment zu ver­ant­wor­ten hat, das sich auf sei­ne poli­ti­sche Kor­rekt­heit so viel zu gute hält, wo letzt­lich kein Unter­schied mehr ist zwi­schen Labour und Libe­ral und Tory, und das es fer­tig gebracht hat – ganz ohne Krieg und Pesti­lenz – eine Gesell­schafts­ord­nung an den Rand der Kata­stro­phe zu führen.

Herr Dr. Weiß­mann, der im Gegen­satz zu mir ver­mut­lich kein Sex Pis­tols-Fan ist, wird mir hof­fent­lich ver­zei­hen, wenn ich ihn zum Abschluß mit John­ny Rotten/Lydon kurzschließe:

Die­se Text­zei­le ‚no future‘ ist pro­phe­tisch gemeint: Wenn du dei­ne Zukunft nicht selbst in die Hand nimmst, dann wirst du auch kei­ne haben – so ein­fach ist das.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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Kommentare (17)

Daniel

6. Juni 2012 08:15

Eine kleine Anektode darüber, wie sehr sich die Zeiten innerhalb Lissis Regentschaft geändert haben: in den frühen 1950er Jahren unternahm die Königin eine Reise durch ihr englisches Reich und befand im Anschluß daran, sie hätte den Eindruck sich nicht mehr in England zu befinden, so viele Schwarze und andere Fremdvölker aus den Kolonien hatte sie dabei angetroffen. Die damalige Regierung reagierte umgehend und startete ein Abschiebungsprogramm, das aber offenbar nur vorübergehend Ergebnisse zeigte. Ob irgendjemand zu dem aktuellen Jubiläum daran erinnert?

Sorry, aber die Quelle hierzu kann ich nicht mehr nennen, ich fand das vor 10 Jahren während einer Recherche zum Islam in einem Buch in der hiesigen Uni-Bibiliothek.

Sixty

6. Juni 2012 10:10

Wieder mal ein Beitrag von Martin Lichtmesz, der mir sehr gefällt.
Als jemand, der auch den klassischen Punkrock und Britpop à la Oasis oder Blur mag, kann ich seine Ausführungen nur unterstreichen.
Maggie Thatcher hat auch viel Schlimmes angerichtet (die Gewerkschaften waren sicherlich zu mächtig in GB, aber sie hat es mit dem dann folgenden Sozialabbau viel zu weit getrieben, dafür ist sie auch vollkommen zu Recht kritisiert worden). Aber verglichen mit dem, was Blair&Co. den Briten später zugemutet haben, insbesondere die Multikulti- und Political Correctness-Exzesse, die M.L. auf Seite 2 sehr treffend beschreibt, war sie noch vergleichsweise harmlos:

"Die Labourpartei hat sich in diesem Spiel zu einem der ärgsten Feinde ihrer traditionellen Wählerschicht gewandelt, der weißen englischen Arbeiterklasse, deren Mißhandlung einst Johnny Rotten so empörte und in deren Namen er gegen das System protestierte. So wurde etwa 2009 bekannt, daß Labour unter Tony Blair absichtlich die Einwanderung nach England forcierte, um den gegnerischen Parteien das Wasser abzugraben."

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Zadok Allen

6. Juni 2012 10:27

Eine kleine Sprachkritik:

Diese Dame ist nicht "die Queen" und auch nicht "Queen Elizabeth II.", sondern die Königin von England (und Schottland), und es schadet auch nichts, sie Elisabeth zu schreiben und auszusprechen. Auch klingt es mir nach der peinlichen Anglophilie der Gossenpresse, wenn das "englische" Königshaus (i.e. Sachsen-Coburg-Gotha) stets und ständig als "die Royals" bezeichnet wird.

Dabei lacht mir bei dem englischen Lexem "queen" eigentlich das Indogermanistenherz im Leibe: es handelt sich nämlich um die Kognate (das Schwesterwort) zu gotisch qino (Weib), griechisch gyné (dass.), russisch žená (dass.). Grundbedeutung: die Erzeugerin, die Hervorbringende.

Ein Fremder aus Elea

6. Juni 2012 10:31

Ich finde auch Agatha Christie's Haltung zu diesem ganzen Themenkomplex ganz interessant. Eine Weile hat sie offenbar mit einer Restauration geliebäugelt, aber schließlich aus einer Mischung aus Pietät und Vertrauen auf die Jugend heraus den Wandel akzpetiert.

Insbesondere "One, Two, Buckle My Shoe" ist vor diesem Hintergrund geschrieben worden, und zwar bereits 1940.

Toni Roidl

6. Juni 2012 11:03

Immer wieder erstaunlich, wie viele Punkrocker aus der Ära der 1980er man heute im rechtskonservativen Lager antrifft. Ich gehöre auch dazu.

M.L.: Vielleicht interessiert Sie dieser Artikel von Gavin McInnes auf Takimag: Why Punk Rockers Make Good Conservatives

Martin Lichtmesz

6. Juni 2012 11:40

Ach, die gute alte Agatha Christie.... die hat als erste mein Bild von England geprägt. Die war aber zu ihrer Zeit schon sehr nostalgisch gestimmt. Später kamen dann für mich unter anderem The Who und Monty Python's dazu. Britishness at its best sind auch die wunderbaren Filme von Michael Powell und Emeric Pressburger, A Canterbury Tale, I Know Where I'm Going, A Matter of Life and Death, Colonel Blimp,... auch die kann man sich heute kaum mehr ansehen als unter Schmerzen.

Christoph Nahr

6. Juni 2012 11:43

Agatha Christie ist ein interessanter Fall. In ihren Poirot-Geschichten aus den 1930er und 40er Jahren behandelt sie Deutschland mit einer gewissen wohlwollenden Neutralität und läßt sich durchaus nicht zu patriotischer Propaganda hinreißen.

Das ist jedoch in der britischen TV-Verfilmung mit David Suchet ab 1989 komplett umgedreht. Nun springen böse deutsche Nazis aus jeder Versenkung, aus englischen Bomberplänen werden Pläne für einen Abfangjäger gegen deutsche Bomber (!), und die von Christie oft mit witzigen Sticheleien geschilderten Ausländer oder Juden sind entweder komplett entfernt oder in Sympathieträger umgeschrieben, die unter ungerechten Vorurteilen leiden. Außer natürlich Deutsche, die sind jetzt immer alle extraböse Unsympathen.

Diese schreiende Propaganda-Umdichtung hat mir die Lust an der Serie recht schnell vergällt, trotz Suchets hervorragendem Poirot. Glücklicherweise leidet die TV-Serie "Sherlock Holmes" mit Jeremy Brett nicht unter solchen Verfälschungen.

Johannes P.

6. Juni 2012 12:11

Verboten war natürlich nicht die Homosexualität (was ist das überhaupt?), sondern die Sodomie. Es bleibt mir schleierhaft, wie man im selben Atemzug ein solches Verbot als sinnlos bezeichnen und die "Entmännlichung" der Gesellschaft und den Verfall von Ehe und Familie beklagen kann. Der rechtsphilosophische und pädagogische Nutzen, der von diesen Verboten ausging, scheint mir unbestreitbar. Wo sie fallen, ziehen Verwirrung und Zügellosigkeit ein, und die grundlegendsten Fakten der menschlichen Natur werden verspottet.

Toni Roidl

6. Juni 2012 12:28

»M.L.: Vielleicht interessiert Sie dieser Artikel von Gavin McInnes auf Takimag: Why Punk Rockers Make Good Conservatives«

Großartiger Text! Herzlichen Dank!

Marcus Junge

6. Juni 2012 12:55

Also ich kann dem ganzen Rummel um die englische Monarchie nichts abgewinnen. Was interessiert uns ein fremdes Königshaus? Noch dazu eines, welches nach Edward VIII. sich immer antideutsch aufführte und dessen Königin (Queen Mum), bis zum Lebensende nur von den Hunnen gesprochen haben soll?
Noch befremdlicher wird es, wenn solch Interesse (bis Anhimmelung) von Leuten kommt, die mit aller Macht gegen einen deutschen König oder Kaiser argumentieren würden und selbst die vermurksten Neubauten in Potsdam / Berlin (Stadtschlösser) bekämpfen (aber nicht wegen dem Vermurksten).

Also sollen die Engländer doch feiern, aber dann ohne Echtzeitübertragungen bei X deutschen Sendern. Hier hätte Understatement eine Wohltat sein können.

Es ist eh fraglich, wie lange es diese Linie noch gibt. Wenn die islamische Eroberung der Insel erst beendet ist, dann gibt es auch keine Monarchie mehr. Daher wirkte die Veranstaltung wie eine verfrühte Feier zu Ehren des demnächst vergangenen Adelshauses, weil es hinterher sicherlich keine Feier geben wird.

Gottfried

6. Juni 2012 14:27

@ Johannes P.

"Wo sie fallen, ziehen Verwirrung und Zügellosigkeit ein, und die grundlegendsten Fakten der menschlichen Natur werden verspottet."

Nun überschreiten wir die Kultur aber. Nicht mehr fortpflanzungsfähige Frauen, die Kinder zumal schon flügge, werden bei uns z.B. nicht verbrannt. Der Rückschluß von dem Detail Fortpflanzung auf das Ganze scheint mir außeracht zu lassen, daß wir über die Gesamtbedeutung der Geschlechtlichkeit doch keine harten Fakten besitzen, sondern letztlich nur Theorien, Spökenkiekereien.
Geschlechtlichkeit im weitesten Sinne bedeutet Erotik, was führt dazu, daß Einzelne sich zueinander hingezogen fühlen - oder sich meiden?
Man denke nur an die Homoerotik im Fußballstadion - die in der Regel tabuisiert wird und nur als Scherzeinlage angesprochen werden darf.
Es fällt schon auf, daß sehr viele Große, vom Mazedonier Alexander bis Tschaikovsky, Thomas Mann mutmaßlich homosexuell gewesen sind.

Die Gegengeschlechtlichkeit ist offenkundig für unsere Zukunft da.
Vielleicht ist Gleichgeschlechtlichkeit ja die rätselhafte geheime Bindekraft, die für den Zusammenhalt im Hier und Jetzt sorgt. Alle Gesellschaften waren bis zur Großen Kulturrevolution ab Ende der 60er immer homosozial organisiert.
Und danach haben wir uns in der nun heterosozialen Gesellschaft kaum noch vermehrt.
Weiterhin kann es den eigentlich Mächtigen doch nur recht sein, wenn eine Spaltung zwischen "neocons" und "liberals" noch angeheizt wird.
Wohlgemerkt, ich meine nur, Gleichgeschlechtlichkeit kommt in der Natur halt nachweislich vor, ich will sie gar nicht bewerten. Die ganze Gleichschaltungsdiktatur, also die Entwertung der Ehe und der Familie sollte man freilich mit allen Mitteln bekämpfen. Die Subventionierung privater geschlechtlicher Stilbildungen ist einfach nur pervers.
Was ansonsten die urprivaten Ideen meiner Nächsten anbelangt, ziehe ich es grundsätzlich vor, diese nicht zu kommentieren.

M.L.: Von all diesen Theorien einmal abgesehen, hat es einfach keinen Sinn, erwachsene Leute dafür zu verfolgen und zu bestrafen, was sie privat in ihrem Schlafzimmer machen. Dieser Meinung war nebenbei auch ein Hans-Joachim Schoeps. Und mir ist "schleierhaft", wie man auf die Idee kommt, deswegen wären nun ernsthaft Ehe und Familie bedroht, da gab es schon weitaus gewichtigere Dinge, die hier geschadet haben. Siehe auch hier. Ansonsten bitte ich, diese off-topic-Diskussion nicht mehr weiterzuführen.

Schon länger besorgt

6. Juni 2012 15:37

Der Text über den kleinen englischen Buben ist ja von geradezu himmelschreiendem Inhalt. Daß der Junge aus kindlichem Interesse heraus gesprochen haben könnte, scheint den in ihrer Toleranz-Ideologie völlig Verbohrten nicht einmal in den Sinn zu kommen. Ich selbst pflege übrigens bis heute dieses "kindliche" Interesse und frage Leute, die mir interessant erscheinen und mit denen ich ins Gespräch gekommen bin, wenn es sich ergibt, gerne mal, woher sie denn kommen. Die meisten - sofern es sich nicht um die dauerbeleidigten Wortführer mancher Interessengruppen handelt - antworten auch ganz gerne, seien es Niederländer, Iren, Ägypter, Saarländer oder Spanier.
Das Schlimme ist, wie M. L. auch schreibt, daß die Kinder nicht mehr benennen sollen, was sie sehen und was Faktum ist. Ein kleiner Junge könnte auch erstaunt feststellen - sofern er keine Schwester hat -, daß die Mädchen ja ganz anders aussehen. Womöglich würde dann auch die Mutter in die Schule zitiert.

Horst

6. Juni 2012 16:38

Über die Todesstrafe läßt sich streiten, der Zensur, dem sinnlosen Verbot der Homosexualität, und der Umweltverpestung muß man nicht nachtrauern – der erschreckende Zerfall der Familie und der wirtschaftlichen Kaufkraft läßt allerdings auch für die Zukunft nichts Gutes erwarten.

Hat das eine nicht mit dem anderen zu tun? Die Idylle gedeiht in den Zwischenräumen eisernen Zwanges.

Wir trauern dem paradiesischen Augenblick nach, als der der alten Ordnung die Zähne gezogen waren, aber die Gewohnheit fürs erste noch vor den Folgen schützte.

Sixty

6. Juni 2012 19:38

"Immer wieder erstaunlich, wie viele Punkrocker aus der Ära der 1980er man heute im rechtskonservativen Lager antrifft. Ich gehöre auch dazu." (Zitat Toni Roidl)

Tut mir leid, aber bei "rechtskonservativ" muß ich an Personen wie Alfred Dregger, Karl Carstens oder Gerhard Löwenthal denken ... ich glaube doch eher nicht, daß man das mit "Punkrock" assoziieren kann ;-)
Ich ("linksnational") würde mich auch durchaus irgendwo (z.B. im kulturellen Sinne) als "konservativ" bezeichnen, aber nicht als "rechtskonservativ" im politischen Sinne.

"M.L.: Vielleicht interessiert Sie dieser Artikel von Gavin McInnes auf Takimag: Why Punk Rockers Make Good Conservatives"

Dieser Artikel ist durchaus interessant, aber er enthält auch Aussagen, die ich nicht nachvollziehen kann, wie etwa:

" IF YOU’RE NOT AN ANARCHIST WHEN YOU’RE YOUNG, YOU HAVE NO HEART; IF YOU’RE NOT A LIBERTARIAN WHEN YOU’RE OLD, YOU HAVE NO BRAIN"

Das finde ich furchtbar platt und klischeehaft.

"I consider myself just as liberal as I’ve always been. I’m still an anti-racist, pro-gay feminist who cares about the environment and hates big government."

Und das wiederum klingt nicht "konservativ", sondern eher "liberal" und auch ziemlich "politisch korrekt".

Gottfried

6. Juni 2012 20:08

@ Horst

"... die Gewohnheit fürs erste noch vor den Folgen schützte..."

So sieht es wohl aus!
Der Reiz des flüchtigen Übergangs von der Zucht zum fortschreitenden Verfall. Die kurzlebige Phase der beginnenden Dekadenz, die man wohl attraktiver finden mag als alles andere.

Citizen Kane

6. Juni 2012 20:39

@ Marcus Junge

Lieber ML, es geht in Ihrem fabelhaften Beitrag um etwas Anders als mein oberflächlicher Bezug.
Um meine Gedanken dazu darzulegen, brauchte ich Stunden.
Am Ende landete ich doch bei Emma West (sie lässt mich auch nicht los)
und bei Orwell.
Mich wundert, dass in dem Zusammenhang immer nur Orwell angeführt wird und nicht auch Huxley's "Brave New World" - passt mindestens genauso gut!

Also
@ Marcus Junge

Also ich kann dem ganzen Rummel um die englische Monarchie nichts abgewinnen. Was interessiert uns ein fremdes Königshaus?
Noch dazu eines, welches nach Edward VIII. sich immer antideutsch aufführte und dessen Königin (Queen Mum), bis zum Lebensende nur von den Hunnen gesprochen haben soll?

Sachsen-Coburg-Gotha
Windsor
Battenberg
Mountbattan
Har! Har!

Die Angelsachsen haben schon ein Riesenproblem damit,
-dass sie unsere nächsten Verwandten sind (ausgenommen die Österreicher, lieber ML)
Britannien: Har!Har!, die Kelten wollten nie was mit denen zu tun haben
Sie wollen raus aus Groß Britannien, was bleibt dann von Britannien
Har!Har!

-dass sie uns nur mit den verhassten Frogs über Jahrhunderte klein halten konnten am Ende nur mit Hilfe ihrer größten Kolonie, deren Einwohner zu allem Überdruss auch noch mehrheitlich von den Hunnen abstammen.
-dass sie die Vormacht des Empire nur dadurch erhalten konnten, in dem sie dem beneideten Bruder einen zweiten 30 jährigen Krieg aufzwangen dessen Ursache sie bis heute mit einer Lüge verschleiern müssen -und am Ende doch beides verloren haben.
-dass die Eingeborenen von Trizonesien trotzdem am Ende die Besseren in allem sind (nicht nur, aber gerade eben auch, beim Fußball!)

Bis heute erniedrigen sie sich selbst, in dem Sie ihren Minderwertigkeitskomplex mit den Hasstiraden in der "Sun" und ihren Nazisoaps vor aller Welt zur Schau tragen.
Ich mag sie trotzdem, eben wegen der in ML's Beitrag genannten Literaten, und Künstler.
Agatha Christie, Conan Doyle und Monty Python - hervorgehoben.

Und dann noch im Königshaus alles Spätaussiedler!!
Der Mum blieb doch nicht anders übrig , was hätten Sie unter den Umständen getan?

Alles deutsche Migranten, sie hassen uns , wie wir uns selbst, aber sie fürchten und beneiden uns wenigstens.
Gönnen wir ihnen den Selbstbetrug, sie haben einen guten Kern! :-)

Doch, ich kann dem englischen Königshaus was abgewinnen:
Es verkörpert für mich unsere europäische Zivilisation, die wir im Begriff sind aufzugeben.

Christoph Nahr

7. Juni 2012 12:23

Hat das eine nicht mit dem anderen zu tun? Die Idylle gedeiht in den Zwischenräumen eisernen Zwanges.

Wir trauern dem paradiesischen Augenblick nach, als der der alten Ordnung die Zähne gezogen waren, aber die Gewohnheit fürs erste noch vor den Folgen schützte.

Wunderbar formuliert. Das ist der Kern der Ausweglosigkeit jeder gesellschaftlichen Endzeit: niemand will wirklich die alten Zwänge zurück. Die Gentlemen sind erst dann liebenswerte Vorbilder, wenn sie ihre feudale Machtstellung verloren haben. Dann sind sie aber auch schon ein wehrloses Relikt, das in Kürze verschwinden wird.

M.L.: Am liebsten wäre man halt selber der Gentleman in der feudalen Machtstellung gewesen.

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