daß man nicht “Experte” sein muß, um beispielsweise grundsätzlich eine Entscheidung über den ESM-Vertrag treffen zu können. Im Prinzip ist das eine gute Beschreibung des intelligenzgestützten gesunden Menschenverstands. Der Gegner versteckt sich hinter Verschachtelungen und Komplexität, dabei ist das meiste im Prinzip einfach und nur im Detail kompliziert. So weit, so gut.
Was mich allerdings wundert, ist, daß sich Menzel weigert, die Vorgänge als einen Verfassungsputsch zu begreifen und daß in solch einem Moment das letzte Restchen an Souveränität und finanzpolitischer Ordnung verteidigt werden muß. “Verfassungsputsch” ist schlicht ein griffiges Wort für die Aushebelung des staatlichen Königsrechts: der Hoheit über Steuer und Haushalt.
Wenn also bisher der deutsche Staat einen Beutewert vor allem für unsere eigenen, ziemlich verkommenen Parteipolitiker und deren Umverteilungswahn hatte, dann hat er jetzt einen Beutewert für ganz Europa. Gegen das, was nun finanziell auf uns zukommt, sind 130 Gender-Professuren ein kleiner Pausen-Snack. Martin Lichtmesz hat das neulich ausgeführt, Manfred Kleine-Hartlage hat das als Putsch beschrieben – das sind genau jene Lagefeststeller und Publizisten, auf deren Erfahrung und analytische Sicherheit wir vertrauen können.
Weiter: Sarrazin bekennt sich – hat Menzel das überlesen? – natürlich zu einer Vision des besseren Deutschlands und eines anderen Europas. Erik Lehnert und andere haben das ziemlich genau beschrieben in unserem Sarrazin-Sonderheft: Sarrazin macht weitreichende Vorschläge zu einer “formierenden Massenpolitik”, also zu einer Erziehung durch sanften und weniger sanften Zwang. Er nähert sich dabei bestimmten DDR-Konzepten an, vor allem dort, wo er den einzelnen, von der grenzenlosen Freiheit überforderten Menschen NICHT sich selbst überlassen will, sondern seine Formung, also Erziehung fordert.
Sarrazin hält mehr Souveränität für zwingend, ist – vorsichtig formuliert – ein unaufgeregter, nicht ausgrenzender, nicht aggressiver, staatsgläubiger nationaler Sozialist. Das ist dann doch eine Vision, und für Europa gibt es eine: Sarrazins neues Buch ist voll von Absteckungen, er gönnt jedem Land das Seine, will Vielfalt und Nachbarschaft, sieht historisch Europa immer dann stark, wenn jeder seine Hausaufgaben machte und sich in Konkurrenz zu den Nachbarn sah.
Sarrazin will keine Nivellierung der Charaktere, Mentalitäten, Wirtschaftsformen, Währungsvorlieben usf.. Er will keine Vereinigten Staaten von Europa, sondern Austausch, Inspiration – und einen gemeinsamen Kampf gegen die Überfremdung Europas. Vielleicht stört es Menzel, daß das alles ziemlich banal ist, nicht prickelnd. Das ist es in der Tat nicht: Es ist einfach historisch gewachsen, ist Lebensselbstverständlichkeit, ist die Normalität. – “Bloom”, der neuste Begriff des französischen Autorenkollektiv Tiggun: Was soll das sein? Ist das das neue Kunstwort, das wir zur Lagebschreibung brauchen? Das ist Soziologen-Gewäsch, mehr nicht.
Dann Mohlers Nationaljakobinismus: Das war Mohlers Kampf gegen die Altrechten, die im Schema Adel-Volk dachten. Neue Rechte halten indes sehr viel vom Volk, seinem Verstand, seinem Fleiß, seiner Geradlinigkeit, seiner Unkompliziertheit, seiner Lebenserfahrung, seiner Wertschöpfung, seiner alltäglichen Pflichterfüllung und Zuverlässigkeit. Das hindert uns aber nicht daran, die allgemeine Verrottung anzusprechen und anzuprangern.
Ein Wort zum “Europa der Regionen” – dieser Begriffsfalle. Benoist und Eichberg haben das irgendwie identitär verstanden. Regionen sind aber machtlos, kein Versuch, sie länderübergreifend auszustatten mit staatsähnlicher Macht, hat auch nur im Ansatz funktioniert – nicht im Elsaß, nicht in Schlesien, nicht in Pommern, nicht in Tirol. Auch dieses “Regionenkonzept” ist wieder ein Wortgeklingel für etwas, das seit jahrhunderten Selbstverständlichkeit ist: Verkehr, Austausch, kulturelle, wirtschaftliche Befruchtung, ein gewisses “Wir”-Gefühl, das aber im Moment des Konflikts sich sofort entlang der nationalen und der völkischen Linie wieder auseinandersortierte.
Menzel geht für sein Regionen-Konzept von einer Verschärfung der Lage aus:
1. Überall in (West-)Europa gibt es ähnliche ethnische Bruchlinien. Europa muß dieses Problem deshalb gemeinsam bewältigen.
2. Ein „Europa der Regionen“ ist eine denkbare Konsequenz aus der Herausbildung erster „gated communities“ und Parallelgesellschaften. Kubitschek und Paulwitz sprechen in Deutsche Opfer, Fremde Täter von einer drohenden „Brasilianisierung“. In diesem Szenario werden die Deutschen nur bestehen können, wenn sie in der Lage sind, eigene lokale Gemeinschaften zu bilden.
Das ist nicht schlecht argumentiert und vielleicht richtig prognostiziert. Aber man darf eines nicht vergessen: Macht hat derzeit immer noch und nur der Nationalstaat, nach außen gerichtete Identität gewährt nur er, alles Regionale ist nett, aber nicht mehr: Es streift die Folklore. Mich erinnern diese Identitätsbasteleien an die deutsch-französische Brigade, in der ich drei Monate diente: ein ideologisches Projekt, jeder Dienstposten doppelt besetzt, eine Befehlsstruktur, die von Idioten erfunden worden ist – keinen halben Tag hätte sie im Ernstfall gehalten.
Nun hat es Menzel also nicht dabei bewenden lassen, aus der Sarrazin-Veranstaltung zu referieren. Er hat außerdem die “drei Pflichten der Machtlosen” nachgeschoben und an Sarrazin, an der “Lage”, an der Neuen Rechten und an sich selbst abgeglichen. Die Pflichten der Machtlosen lauten:
1. die Lage analysieren;
2. Alternativen zur Alternativlosigkeit aufzeigen;
3. mit gutem Beispiel vorangehen.
Das ist jener Dreiklang, den wir seit Jahren als roten Faden durch unsere Texte weben: wahrnehmen, weiterdenken, aufbauen. Was aber ist das “Konkrete”, das jenseits der Publizistik wie ein Brachland auf Menzel wartet, woran wird er seine Lebensleistung dereinst messen? Ist er nicht vor allem Publizist, vor allem Medienwissenschaftler, verbringt die meiste Zeit als Analytiker, Lagebeschreiber, Redakteur vor dem Rechner? Hat Familie? Ist in Vereinen aktiv? Ist Sachse, sitzt also in einer Regionen, die keinen schlechten Weg geht? Was solls denn noch sein? Doch die Politik? Aktionen?
Wenn, dann richtig. Wenn, dann ist bereits der Titel des neuen Blaue-Narzisse-Formats nur halbgar: “Thesen-durch-Fakten-Anschläge”, was soll das sein? Für eine Wandzeitung ists zu verwirrend, für einen PR-Begriff zu sperrig. FAKTENANSCHLAG, DENKBOMBE, KOPFNAGEL – ansonsten ists wieder bloß Publizistik …
Marcus Junge
"Mich erinnern diese Identitätsbasteleien an die deutsch-französische Brigade, in der ich drei Monate diente: ..."
Köstlich Herr Kubitschek. Mal ganz davon abgesehen, daß die BW auf Korps-Ebene in solch multinationale Gemische gepreßt ist und allein dadurch erheblich an Einsatzwert und Führungsfähigkeit einbüßt, läßt sich Ihre Beschreibung der D-F Brigade direkt auf EU/Euro übertragen.
" ... ein ideologisches Projekt, jeder Dienstposten doppelt besetzt, eine Befehlsstruktur, die von Idioten erfunden worden ist – keinen halben Tag hätte sie im Ernstfall gehalten." Jede einzelne Aussage paßt und der Ernstfall ist gerade da.