Französischer Blätterwald (3) – Alain Soral und das “Imperium”

Es kommt auch in Frankreich nicht alle Tage vor, daß ein Autor, der radikaleren Geistesströmungen zugeordnet wird,...

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

mehr als 40.000 Exem­pla­re eines ein­zi­gen Buches ver­kauft. Bei Alain Soral, Wan­de­rer zwi­schen den ideo­lo­gi­schen Wel­ten, ist dies der Fall. Die­ser fran­zö­si­sche Sozio­lo­ge (Jg. 1958) leg­te bis zu sei­nem per­sön­li­chen Best­sel­ler eine Rei­se durch poli­ti­sche For­ma­tio­nen hin.

Die Kom­mu­nis­ti­sche Par­tei Frank­reichs (PCF) ver­ließ er in Rich­tung des Front Natio­nal (FN), in der Hoff­nung, dort eine zeit­ge­mä­ße Syn­the­se aus sozia­ler und natio­na­ler Fra­ge vor­an­brin­gen zu kön­nen. Nach Rän­ke­schmie­de­r­ein über die Ver­ga­be eines aus­sichts­rei­chen Lis­ten­plat­zes zu einer anste­hen­den Wahl trat er aus der Par­tei Le Pens aus. Er näher­te sich in migran­ti­schen Milieus der fran­zö­si­schen Haupt­stadt schii­ti­schen und zio­nis­mus­kri­ti­schen bis offen isra­el­feind­li­chen Grup­pen an. Dies gip­fel­te in sei­ner Kan­di­da­tur für die „Anti­zio­nis­ti­sche Lis­te“, deren Wahl­re­sul­ta­te – bis auf ein­zel­ne Ach­tungs­er­fol­ge in der Ban­lieu der Haupt­stadt – im Pro­mil­le­be­reich blieben.

Her­nach grün­de­te er die links­na­tio­nal-repu­bli­ka­ni­sche Grup­pe „Ega­li­té et Récon­ci­lia­ti­on“ („Gleich­heit und Ver­söh­nung“), an deren Spit­ze er bis heu­te aktiv ist und die außer­ge­wöhn­lich stark auf sei­ne Per­son zuge­schnit­ten ist. Außer­dem ist er ver­ant­wort­lich für „Kont­re­Kul­tu­re“, einen Ver­sand­han­del mit Ver­lags­spar­te. Com­prend­re l’Empire („Das Impe­ri­um ver­ste­hen“) erschien 2011 aber nicht dort, son­dern bei den Édi­ti­ons Blan­che. Vor weni­gen Wochen wur­de es neu auf­ge­legt. In die­sem Werk, von dem Soral selbst sagt, er hät­te es eben­so­gut „Sozio­lo­gie der Lüge“ nen­nen kön­nen, weil die Herr­schaft der Lüge gras­sie­re, klagt Soral die Herr­schaft des Wes­tens, des Gel­des und der Ban­ken – was alles mit­ein­an­der kor­re­lie­re und das Impe­ri­um ergibt – an.

Der Autor steigt mit einer umfas­sen­den Abhand­lung über die Geschich­te der Frei­mau­re­rei in Frank­reich ein, die als „Gegen­kir­che“ den Sie­ges­zug des libe­ra­len Bour­geois erst ermög­licht habe. Daß vie­le Lei­chen und poli­ti­sche Wei­chen­stel­lun­gen die­sen Weg zum heu­ti­gen Impe­ri­um pflas­tern, führt Soral in einem detail­lier­ten, all­zu detail­lier­ten his­to­ri­schen Rück­blick aus. Nach einem Drit­tel des Groß­essays stellt Soral aber klar, was sei­ner Mei­nung nach heu­te der ein­zi­ge übrig­ge­blie­be­ne und rele­van­te Fak­tor gegen die aus­ufern­de Herr­schaft des Mark­tes ist: der Islam und sei­ne Finanz­ethik. Die katho­li­sche Welt hat sich über­lebt, der Kom­mu­nis­mus ist unter­ge­gan­gen, was bleibt, sei die isla­mi­sche Finanz­po­li­tik, die sowohl den „Usu­ra“ ver­bie­te als auch die Ver­pflich­tung des Eigen­tums auf das Wohl der All­ge­mein­heit beto­ne. Hier wäre inter­es­sant gewe­sen, zu erfah­ren, ob Soral dies auch als grund­le­gen­de Alter­na­ti­ve für Euro­pa ver­steht – doch er wid­met sich sei­nem gro­ßen Geg­ner und des­sen Ideen.

War die Stüt­ze des Anci­en régime das Duo Adel–Klerus, so kon­trol­lie­re heu­te ein neu­es Tan­dem die öffent­li­che Mei­nung: das Zwei­ge­spann aus Poli­ti­ker und Intel­lek­tu­el­lem. Indem gemein­schaft­lich an der Abschaf­fung tra­dier­ter Bin­dun­gen und real­exis­tie­ren­der Demo­kra­tie als Volks­herr­schaft gear­bei­tet wer­de, ent­frem­de sich die­se Klas­se von den Men­schen; sie die­ne nun­mehr pflicht­be­wußt – unter­stützt durch mas­sen­me­dia­le Pro­pa­gan­da – der Errich­tung einer „Neu­en Welt­ord­nung“ (NWO). Die­se baut, so Soral, auf den moder­nen Demo­kra­tien auf, deren kon­sti­tu­ie­ren­de Wesens­merk­ma­le wie­der­um volks­fer­ner Par­la­men­ta­ris­mus und Markt­hö­rig­keit seien.

Gegen die­ses „pro­fa­ne Impe­ri­um“ bringt Soral ihm impo­nie­ren­de Geis­tes­grö­ßen in Stel­lung: die Tra­di­tio­na­lis­ten Juli­us Evo­la und René Gué­non, den Früh­so­zia­lis­ten Pierre-Joseph Proudhon, den revo­lu­tio­nä­ren Syn­di­ka­lis­ten Geor­ges Sor­el. Allein, die­se sind tot. Was tun, heu­te, in Frank­reich, in Europa?

Dazu holt Soral wie­der weit aus, skiz­ziert die destruk­ti­ve Wir­kung der „Nou­veaux phi­lo­so­phes“ um Ber­nard-Hen­ri Lévy, schil­dert die ver­häng­nis­vol­le Rol­le jener Neu­en Lin­ken, die ihren Frie­den mit einer trans­at­lan­ti­schen Hege­mo­nie gemacht habe und ein „glo­ba­lis­ti­sches“ Pro­gramm ver­fech­te. Soral beschreibt aber auch die ideo­lo­gi­sche „Schi­zo­phre­nie des lin­ken Anti­ras­sis­mus“, der sich – trotz­kis­tisch in sei­nen Kin­der­schu­hen, nun kos­mo­po­li­tisch und lai­zis­tisch – zuvor­derst gegen jed­we­de Ver­wur­ze­lung und Glau­ben rich­te. Und dann nähert sich Soral doch wie­der sei­nem „Auf­hal­ter“ gegen die NWO: dem Islam.

Er unter­schei­det innen wie außen zwi­schen zwei gro­ben Typen des Islam.

1. Welt­po­li­tisch betrach­tet trennt Soral die schii­ti­sche, bünd­nis­fä­hi­ge Ach­se (His­bol­lah, Iran, fälsch­lich Hamas) vom „Kol­la­bo­ra­ti­ons-Islam“ des sun­ni­ti­schen Waha­bis­mus, der sich von Sau­di-Ara­bi­en aus weit­hin ver­brei­tet (und mit den koope­rie­ren­den west­li­chen Kräf­ten im Zuge einer „per­ver­sen Part­ner­schaft“ das Feind­bild Shia teilt).

2. Innen­po­li­tisch sieht Soral eine bünd­nis­fä­hi­ge, neue isla­mi­sche Gene­ra­ti­on von in Frank­reich ver­wur­zel­ten Mus­li­men, denen gegen­über die „islamo­ra­cail­les“ stün­den, apo­li­ti­sche Ban­den­mit­glie­der, ent­frem­det ihrem Glau­ben, ent­frem­det Frank­reich, im All­tag bru­tal. Zuwe­nig Islam, nicht zuviel? Bei­läu­fig fügt Soral übri­gens hin­zu, daß das fran­zö­si­sche Pen­dant zu die­sem stump­fen Boden­satz der Ban­lieu die „Iden­ti­tä­ren“ seien.

Sorals Schluß­plä­doy­er umfaßt die Auf­for­de­rung, zu erken­nen, daß in der Gran­de Nati­on – und ähn­lich wohl auch andern­orts – die Gren­ze nicht zwi­schen Ein­hei­mi­schen und Ein­wan­de­rern, Mus­li­men und Nicht­mus­li­men ver­lau­fe, son­dern zwi­schen Befür­wor­tern einer uni­ver­sa­lis­tisch-kapi­ta­lis­ti­schen Welt­ord­nung und ihren Geg­nern, gleich wel­cher Ursprungs­her­kunft. Mit­hin: Aus­beu­ter ver­sus Aus­ge­beu­te­te. Der Liba­non, in dem christ­li­che Grup­pen mit schii­ti­schen koope­rie­ren, sei das Vor­bild, nicht die Par­tei­gän­ger einer anti­is­la­mi­schen Recon­quis­ta, deren Rol­le – bewußt oder unbe­wußt – doch dar­in bestün­de, den glo­ba­len Stra­te­gen der NWO nütz­li­che Diens­te zu leisten.

Der Grund für den beacht­li­chen Erfolg des Soral’schen Wer­kes ist viel­leicht die unkon­ven­tio­nel­le Her­an­ge­hens­wei­se an die Her­aus­for­de­run­gen des 21. Jahr­hun­derts für euro­päi­sche Ein­wan­de­rungs­ge­sell­schaf­ten und das damit ver­bun­de­ne (sowie sicher­lich bewußt for­cier­te) Allein­stel­lungs­merk­mal. Soral strebt danach, die mehr­heit­lich mus­li­mi­schen Ein­wan­de­rer mit Frank­reich zu ver­söh­nen (et vice ver­sa). Gemäß dem Ide­al „gau­che du tra­vail“, aber „droi­te des valeurs“ möch­te Soral Kräf­te bün­deln zwi­schen lin­ken Anti­ka­pi­ta­lis­ten, kon­ser­va­ti­ven Mus­li­men und rech­ten Anti­im­pe­ria­lis­ten, fern völ­ki­scher Rabu­lis­tik der alten Rech­ten, fern von Femi­nis­mus- und Gen­der-Ideo­lo­gie der Lin­ken, fern des anti-wei­ßen Ras­sis­mus gewis­ser Ein­wan­de­rer­gangs (for­mal) mus­li­mi­scher Herkunft.

Wür­de sein Com­prend­re l’Empire nicht die osten­ta­ti­ve Fixie­rung auf Frei­mau­rer­ver­schwö­run­gen und Zio­nis­mus auf­wei­sen, die bis­wei­len ermü­dend für den Leser ist, wäre hier eine eigen­wil­li­ge wie ein­falls­rei­che Ver­knüp­fung von Alain de Benoists Am Ran­de des Abgrun­des, Man­fred Klei­ne-Hart­la­ges „Neue Welt­ord­nung?“  und dem Empire Anto­nio Negris und Micha­el Hardts geglückt – so aber ist Sorals Kampf­an­sa­ge an Glo­ba­li­sie­rung, Uni­po­la­ri­tät und Welt­ver­ein­heit­li­chung letz­ten Endes nicht nur stel­len­wei­se zur Dis­kus­si­on anre­gend, son­dern pha­sen­wei­se auch anstrengend.

Alain Soral: Com­prend­re l’Empire. Demain la gou­ver­nan­ce glo­ba­le ou la révol­te des Nati­ons ?, Paris: Édi­ti­ons Blan­che 2013. 237 S., 15.50 €. Bestel­lung bei Kon­tra­Kul­tu­re oder bei Amazon.de (15.99 €) möglich.

 

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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