die Schüler anhand von Stichwörtern über Vorgänge in Politik und Gesellschaft informieren. Tafelanschrieb heute: links Backnang, rechts Kirchweyhe.
Auf die Frage, ob die Klasse etwas mit diesen Orten anfangen könne und ob sie dies mit aktuellen Nachrichten verknüpfen könne, kommt es zu folgendem Ergebnis: drei Viertel der Schüler haben etwas von “Backnang” mitbekommen, der Informationsgrad bewegt sich zwischen “Brandkatastrophe”, “Tod einer türkischen Großfamilie” bis hin zu der Vermutung, da sei “irgendwas mit Rechtsextremen, die türkische Häuser anzünden”.
Kurze Vertiefungsphase, den Schülern wird deutlich, daß “Backnang” eine ungeheure mediale und politische Präsenz erlebte. Und “Kirchweyhe”? Ein Schüler sagt, er hätte über einen Fernsehsender gehört, daß dort ein junger Mann bei einer Schlägerei getötet worden sei.
Ich mache einen Infoblock, die Schüler bekommen die bislang bekannten Fakten vermittelt. Anschließend vertiefe ich nochmals, warum das eine in aller Munde sei und das andere eigentlich nur in Internetportalen veröffentlich und diskutiert werde.
Nach einer Besinnungspause kommen vorsichtige Antworten der Schüler: Ja, es sei doch so, daß man eben bei Deutschen nicht darüber rede, die seien “irgendwie Opfer”. Stück für Stück löst sich eine Zurückhaltung, mehrere melden sich zu Wort, berichten plötzlich von eigenen Erlebnissen, Mädchen berichten von Anpöbeleien, einer zieht sogar den historischen Vergleich: “Warum müssen wir uns wegen damals eigentlich immer alles gefallen lassen” – in der Klasse ist etwas aufgebrochen, die Stimmung ist ganz anders, hier kann für einen flüchtigen Augenblick das gesagt werden, was sonst immer verdrängt oder unterdrückt werden muß.
Ein kurzer Moment im Unterricht, der vielleicht bald wieder unter der Flut neuer facebook und Twitter Meldungen vergeht wie eine Spur im Sand, wenn das Meer kommt.
Aber drei Dinge bleiben hängen: Die Schüler haben gelernt, daß die Medien nach eigenen Maßstäben informieren; sie haben gelernt, daß man traurige und bedrückende Ereignisse nicht verschweigen muß, und sie haben gelernt, daß sie sich auf eine Welt einstellen müssen, in der man keine Rücksicht auf sie nimmt… Schöne Worte helfen angesichts der kommenden Szenarien nicht mehr.
Kurt Schumacher
Herr Manns, ich sage Respekt! Ein Gymnasiallehrer, mit dem ich befreundet war (er ist inzwischen an Krebs gestorben), hatte einmal etwas ähnliches im Unterricht gewagt. Es ging ebenfalls um Ausländer. Seine Schüler reagierten durchaus positiv, gingen befreit aus sich heraus, genau wie bei Ihnen - bis auf einen. Der hörte genau zu, schwieg und schrieb alles mit. Anschließend denunzierte er den mutigen Lehrer beim Verfassungsschutz. Eine Disziplinarmaßnahme war die Folge. Und dann rückten die Kolleginnen und Kollegen von ihm ab. Er galt plötzlich als "Rechter", konnte damit nicht umgehen und verbitterte.
Man wundert sich. Eigentlich müßten ja die Schüler von heute viel schlauer sein! Sie haben ja das Weltnetz, aus dem sie alle nur denkbaren Informationen schöpfen könnten... Eigentlich! Aber mit dem Strom zu schwimmen, ist eben leider für die meisten bequemer.