Krenn ist letzte Woche im Alter von 77 Jahren gestorben; aus der Öffentlichkeit hatte er sich krankheitsbedingt schon lange zurückgezogen. Zu seinen Glanzzeiten als Weihbischof von Wien (1987–91) wie überhaupt in den frühen Neunziger Jahren war er neben Jörg Haider eine der beliebtesten Haßfiguren der linksliberalen Presse Österreichs.
Krenn war ein außerordentlich wohlbeleibter, nahezu unbeweglich wirkender Mann, der auch in seinen theologischen Positionen kaum von der Stelle zu rücken war. Am meisten nahm man ihm seinen unerschütterlichen Dogmatismus und Konservatismus übel – er weigerte sich standhaft, den Wahrheitsanspruch der römischen Kirche in irgendeiner Weise zu relativieren, und hatte darüber hinaus auch keine Hemmungen, diesen geradeheraus und ohne Umschweife und Entschuldigungen zu verkünden. Ein Buchtitel nannte ihn“Gottes eherne Faust”, ein anderer “Die Geißel Gottes”, und ich gehe jede Wette ein, daß ihm solche Bezeichnungen auch noch gefallen haben, wenn sie nicht überhaupt auf ihn selbst zurückgehen (keine Ahnung, ich kenne die Bücher nicht).
Ich habe ihn stets respektiert, ja ich war in den Tagen seines Medienruhms beinah soetwas wie sein “Fan”, ohne damals im mindesten seine Positionen zu teilen. In meiner Gymnasialzeit hatte ich weitgehend die üblichen liberalen Glaubensartikel verinnerlicht, und dachte, daß die FeministInnen, Grünen, Sozialdemokraten, “kritischen” Christen, Kirchenkritiker und so weiter prinzipiell “die Guten” sind. Allerdings schlug damals schon ein anderes Herz in meiner Brust.
Denn gleichzeitig hatte ich schon im Alter von 14, 15 Jahren einen erheblichen ästhetischen und emotionalen Widerwillen gegen das progressive Kirchenvolk, das auch unter meinen Religionslehrern reichlich vertreten war (hier habe ich einmal ein paar Anekdoten dazu mitgeteilt). Mir erschienen die Gestalten, die sich gegen Krenn und den zugegebenermaßen in jeder Hinsicht jenseitigen, halbsenilen Erzbischof Groer ereiferten, als wichtigtuerisch, trivial, schreihälsig, selbstgerecht und vor allem: langweilig.
Die Auffassung von Religion als Sammelsurium tagesaktueller ethischer Banalitäten ödete mich zutiefst an. Umso mehr bewegte mich der heilige Wahnsinn von Carl Dreyers Jeanne d’Arc, während mich die berüchtigte Menschenopferszene aus Pasolinis “Medea” in helle Begeisterung versetzte, und mir mehr über das Wesen von Religion beibrachte, als alle ökumenischen Schulgottesdienste und sandalentragenden Müslilehrer zusammen.
Lebhaft im Gedächtnis geblieben sind mir die Fernsehdiskussionen zwischen Krenn und der feministischen Theologin Uta Ranke-Heinemann. Die beiden wurden damals häufig als Traumgespann in die Manege geworfen, denn dann flogen zuverlässig und mit Unterhaltungswertgarantie die Fetzen, als würde man zwei explosive Substanzen mischen. Auf Youtube fand ich eine ORF-Sendung aus dem Jahre 1990, an die ich mich sogar noch gut erinnern kann.
Zu Thema “Was sollen wir glauben?” diskutierten neben Krenn und Ranke-Heinemann noch der Dramatiker Friedrich Dürrenmatt und Franz Alt, ein theologisierender Journalist, auf dessen Konto Bücher mit Titeln wie “Jesus – der erste neue Mann” gingen. Diese Sendung zeigt auf lustige Weise die typische Dynamik zwischen dem “fundamentalistischen” Bischof und der abtrünnigen Professorin für katholische Theologie, der von kirchlicher Seite die Lehrbefugnis entzogen wurde.
Ich will nicht allzusehr auf den Inhalt dieser amüsanten und immer noch sehenswerten Sendung eingehen. Das Entscheidende und Überzeugende war für mich damals wie heute vor allem der Habitus der Kombattanten. Ich kann mich an die einzelnen Streitpunkte dieser Diskussionen viel weniger erinnern, als an bestimmte Gesten und Tonlagen.
Ungefähr um dieselbe Zeit sah ich auch zum ersten Mal die von Ellen Kositza und mir so hochgeschätzte Camille Paglia im Fernsehen. Auch sie war in diesen Jahren auf der Höhe ihres Ruhms, und hatte sich eben das gesamte feministische Establishment der USA zum Feind gemacht. Eines Tages wurde sie im Rahmen einer Europa-Tournee als Stargast in die legendäre ORF-Schwafelrunde “Club 2” geladen, wo sie mit einer Handvoll österreichischer Provinzemanzen konfrontiert wurde, die keinen blassen Schimmer davon hatten, was da auf sie zukam.
Nach etwa der dritten Wortmeldung riß sich Paglia zornentbrannt die Simultanübersetzungs-Ohrstöpsel herunter und verabschiedete sich Knall auf Fall von der Runde: ein solch niedriges und lächerliches Niveau habe sie nicht nötig, donnerwetterte sie, wobei die Tische und Stühle wackelten. Fortan war ich von dieser Frau schlichtweg begeistert.
Während mich Paglia als erfrischend arrogante Cholerikerin überzeugte, wirkte Krenn eher durch seinen Phlegmatismus, der ihn allerdings nicht daran hinderte, zugleich wach und scharfsinnig zu bleiben. Diese Eigenschaft kam vor allem im Kontrast zu seiner Nemesis Ranke-Heinemann zur komischen Geltung. Diese wirkte fanatisch, überspannt, fast schon hysterisch. Ihr Niveau ging kaum über das der bemühten Damen hinaus, die Camille Paglia so erbost hatten.
Aus dem kleinsten Anlaß ging sie in die Luft, während Krenn behäbig und gelassen in seinem Stuhl saß und in aller Ruhe einen roten Knopf nach dem anderen drückte, was mit burlesker Zuverlässigkeit niemals seine Wirkung verfehlte. Man hatte mitunter das Gefühl, daß es ihm auch noch einen unchristlichen Heidenspaß machte, seine Kontrahentin zu derart ärgern. Er war intelligent, überlegt, selbstsicher und formulierte präzise. Was immer man auch gegen ihn sagen wollte: er war weder ungebildet noch humorlos.
Herrlich etwa der Moment, wenn Krenn Franz Alt souverän mit seinen eigenen Waffen schlägt, indem er den von Alt gerne bemühten C.G. Jung (das klingt wie ein Witz: Herr Alt, Sie schätzen doch denn Herrn Jung) als Kronzeugen für die Bedeutung von rational unauflösbaren Paradoxien in der Religion ins Felde führt. Dagegen mußte ich schallend auflachen, als ich Alts Deutung des Dogmas von der Jungfrauengeburt hörte. Er verstehe sie (im Anschluß an Drewermann) als “Symbol”, das “die Teilnahme des Mannes so zurücknimmt an diesem Akt, daß die Frau eine ganz andere Bedeutung hat”, und daß diese “Zurücknahme des Mannes” die “zentrale Bedeutung der Frau” unterstreiche und die “biologistische Betrachtungsweise” ausschalte, was natürlich hochaktuell in einem Zeitalter wäre, in dem die jahrtausendealte patriarchalische Ordnung endlich abtritt.
Das bringt etwas ein die Diskussion, wo beide Seiten sagen können: Da finden wir uns.
Das ist natürlich klassischer Achtziger-Jahre-Feminismus-Quatsch, der inzwischen etwas betulich und komisch wirkt. Nun ist Alt keineswegs ein Idiot, und ich würde ihm in vielem ja sogar recht geben, wenn in seiner Art, über Religion zu reden nicht dieser schale Beigeschmack von verwässertem Wein, von Ausflucht, Ausrede und Entschuldigung wäre, wenn da nicht so ein lähmend lauwarmes Lüftchengemisch aus Ersatzideologie, Sentimentalität, Rationalisiererei und Religionssubstitut wehen würde.
Was etwa diese enthusiastische Exaltierung von “symbolischen” Deutungen betrifft, als hätte man damit das ultimative Ei des Kolumbus gefunden, so muß ich an eine Szene denken, die von der katholischen Schriftstellerin Flannery O’Connor, einer äußerst rauhen Henne aus den amerikanischen Südstaaten, überliefert wird. Als ihre glaubensabtrünnige Kollegin Mary McCarthy in einer kleinen Runde äußerte, sie könne mit der Eucharistie “als Symbol” durchaus noch etwas anfangen, sagte O’Connor:
Well, if it’s a symbol, then to hell with it!
Wie auch immer: All mein Respekt war seit dieser Sendung bei Krenn, ganz im Gegensatz zur zeternden Uta, obwohl ich immer noch der Meinung war, daß sie gegen Krenn und die böse frauenfeindliche Kirche durchaus recht hatte. Ähnlich ging es mir auch bei der späteren Auseinandersetzung zwischen Krenn und dem linksprogressiven Pater Udo Fischer, in deren Verlauf sich die ganze “Wir sind Kirche”-Bagage mal wieder in ihrer nervtötendsten Form in Szene setzte.
Jahre später stolperte Krenn über eine sehr häßliche Geschichte, die sich im Priesterseminar seiner Diözese ereignete. Das war wohl ein später Triumph und ein Wasserschwall auf die Mühlen von Uta Ranke-Heinemann. Ich will nicht bestreiten, daß ihre Attacken teilweise berechtigt waren, und daß es in der Kirche tatsächlich erhebliche Mißstände gibt, vor allem was die Qualität ihres Personals betrifft.
Was auch immer sonst noch an Kritischem zu Krenn zu sagen ist, lasse ich außen vor. So eingehend wie heute habe ich mich mit seit mindestens fünfzehn Jahren nicht mehr mit ihm beschäftigt, und ich habe nicht vor, mich weiter in das Thema zu vertiefen. Soweit es mich betrifft, hat Krenn insgesamt einen guten Eindruck hinterlassen, allein dadurch, daß er meistens die richtigen Leute geärgert hat. Kirchenmänner wie er sind jedenfalls weitaus erträglicher und respektabler als das gummiartige, opportunistische, dauerlavierende, tachelesmeidende, dahinseicherlnde Gesocks von Erzpudding Schönborn abwärts, das heute den katholischen Klerus nicht nur in Österreich beherrscht.
Hoch anzurechnen ist Krenn außerdem, daß er sich deutlich gegen die Gefahr der Ausbreitung des Islams ausgesprochen hat. Auch dieser Mut fehlt den meisten seiner harmonie- und gefallsüchtigen Kollegen. Im Gegensatz zu ihnen war er aus dem Holz geschnitzt, das auch von Gegnern Respekt abverlangt: hier sei zum Abschluß also noch an eine glühende Hommage an Krenn von einer Atheisten-Seite verwiesen.
Requiescat in pace!
Inselbauer
Danke für den Nachruf! Er war eine tolle Gestalt, ein Kerl, der lachen und mit seinen Gegnern literweise Weißwein trinken konnte. Ohne sich selbst zu ernst zu nehmen, hat er auf seine Weise gegen die Zerstörung der Kirche gekämpft. Wie andere "radikalkonservative" österreichische Bischöfe war er ein unfähiger Verwaltungsmensch und trotz seiner hohen Stellung ein ganz einfacher Seelsorger, der sich persönlich um die Unglücklichen gekümmert hat. Schlaf gut, kann ich ihm als Atheist sagen.