Till Röcke: Radardenker. Traktat über Gottfried Benns »Phase II«

Rezension aus Sezession 58 / Februar 2014

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Der »Radarden­ker« ist eine typi­sche Figur aus dem Kabi­nett Gott­fried Ben­ns. Die­ser expres­sio­nis­ti­sche Lyri­ker und Vor­den­ker hat­te den »Neu­en Staat« bis etwa 1936 als gro­ße Chan­ce begrüßt (oder ver­kannt), über die Kunst direkt in die For­mung eines neu­en Men­schen­schlags ein­wir­ken zu kön­nen – berühm­te Essays wie Dori­sche Welt (1933) zeu­gen davon. 1936 war Schluß mit der­lei Vorstößen.

Es folg­ten die Inne­re Emi­gra­ti­on in die Wehr­macht und der Ver­such, die Ver­bin­dung zwi­schen Kunst und Leben in vier Ansät­zen aus­zu­lo­ten: Wein­haus Wolf (1936), Roman des Phä­no­typ (1943/44), Der Pto­le­mä­er (1946/47) und Der Radarden­ker (1949).

Wer die Arbeit des 1981 gebo­re­nen Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­lers Till Röcke liest, wird in die unter­schied­li­chen Grund­po­si­tio­nen der Benn’schen Welt­be­trach­tung ein­ge­führt und wei­ter­be­för­dert zu einer inten­si­ven Inter­pre­ta­ti­on der letz­ten der poe­ti­schen Trä­ger­fi­gu­ren: Der »Radarden­ker« ist einer, der mit fei­nem Sen­so­ri­um auf­taucht und Ein­drü­cke sam­melt, für die ihm die Ord­nungs­kri­te­ri­en abhan­den gekom­men sind, wäh­rend doch alles in ziem­lich nor­ma­len Bah­nen abzu­lau­fen scheint. Der Radarden­ker kann die Ein­zel­hei­ten kaum in einen Zusam­men­hang brin­gen, und das ist nun schon sehr gekonnt, wie Till Röcke die­se Figur inter­pre­tiert und ihre Rele­vanz für die Hal­tung des Künst­lers in der geron­ne­nen, tech­no­kra­ti­schen Mas­sen­ge­sell­schaft her­aus­schält. Der »Radarden­ker« ist wohl die empa­thischs­te Figur des im Kern aso­zia­len Gott­fried Benn, die Grund­fra­ge lau­tet: Kann man anknüp­fen, sich betei­li­gen? Nach allen Ver­ständ­nis­ver­su­chen muß Benn zu dem Schluß kom­men: Kann man nicht, selbst dann nicht, wenn man – wie der Radarden­ker – auto­nom ist und sein Instru­men­ta­ri­um zu bedie­nen weiß. Und so ist es wie immer bei Benn: Das »Feh­len einer ord­nen­den Klam­mer ist der Beginn der Dicht­kunst«, man legt sei­ne Köder aus, und die­je­ni­gen, die sich locken las­sen, sind die Besten.

Röcke hat bis­her zwei­mal für Sezes­si­on zur Feder gegrif­fen: 2008 und 2009 steu­er­te er über Benn und über das Futu­ris­ti­sche Mani­fest Tex­te bei, die nicht nur sei­ne inne­re Nähe zu Benn bele­gen, son­dern auch die Annä­he­rung an des­sen Sprach­stil. Die­se Metho­de ist auch im Trak­tat über den Radarden­ker das Grund­ge­rüst: Röcke leuch­tet den Erkennt­nis­pro­zeß noch ein­mal gründ­lich in jenen arti­fi­zi­el­len Räu­men aus, in denen auch Benn regel­mä­ßi­ger Besu­cher war – gemäß der lapi­da­ren Zuschrei­bung Arnold Geh­lens: »Die künst­le­ri­sche und wis­sen­schaft­li­che Kul­tur wird an den Front­stel­len Vir­tuo­sen­re­ser­vat«. Kann man, kann Röcke in der Beschrei­bung eines Vir­tuo­sen­re­ser­vats über­haupt wei­ter vorstoßen?

Wer die Fra­ge so for­mu­liert, hat die Ent­mach­tung des Künst­lers akzep­tiert, die Geh­len mit sei­nem Auf­satz über »Die See­le im tech­ni­schen Zeit­al­ter« in dem ihm eige­nen Pathos der Käl­te fest­ge­stellt hat: Bei Geh­len klingt das immer ein biß­chen schmei­chel­haft für die Vir­tuo­sen, die sich – im Neon­licht des gesell­schaft­li­chen Kom­ple­xes betrach­tet – nur noch gegen­sei­tig ihre irrele­van­te Front­stel­lung bestä­ti­gen. Dabei meint er es knall­hart: »Kul­tur ist dop­pel­sin­nig: sie kann die Ver­klä­rung der Grö­ße eines Vol­kes sein, aber auch die Lebens­form der Ent­mach­te­ten«. Die Fra­ge muß also anders gestellt wer­den: Ist der Front-Künst­ler, der Radarden­ker, über­haupt ein Reser­vat­be­woh­ner, oder ist er  – viel schlim­mer! – nicht doch mit­ten drin in der Gesell­schaft und sucht dort nach einer Front, die es natür­lich gar nicht mehr gibt? Ja, sagt Röcke, so ist es. Es ist so, der Radarden­ker ist der x‑te Ver­such, obwohl die Tel­ler längst aus­ge­löf­felt sind.

Aber Benn redet noch­mals dar­über, und für die­sen laut­star­ken, weil wort­rei­chen Sät­ti­gungs­ver­such vor lee­ren Schüs­seln for­mu­liert Röcke das schöns­te Bild sei­nes Bänd­chens: »Doch Benn kratzt noch mal die Rän­der aus.« Den Begriff »Wahr­neh­mungs­eli­te« ver­mei­det Röcke, aber nichts ande­res meint er: mehr wis­sen, kei­ne Illu­sio­nen mehr hegen, alles aus dem Ich schöp­fen und – sie­he Benn – die Vir­tuo­si­tät aus­ge­bil­det haben, dies alles zur Spra­che brin­gen zu kön­nen. Das ist natür­lich »Sezes­si­on«, ist das Kon­zept der Roman­tik, die­ser Selbst­er­re­gen­den, die der Auto­no­mie der Kunst in ihren Geist-Kom­mu­nen hul­dig­ten und nur dort (also: gesell­schafts­ab­ge­wandt) zu strah­len begannen.

Röckes Arbeit über den »Radarden­ker«: Das ist eine expres­si­ve End­sta­ti­on, eine auch in Form und Satz exklu­si­ve Arbeit, wie sie der­zeit nur in Vir­tuo­sen­re­ser­va­ten Form anneh­men kann.

Till Röcke: Radarden­ker. Trak­tat über Gott­fried Ben­ns »Pha­se II«, Treu­en­briet­zen: Teles­ma 2013. 150 S., 14.95 €

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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