Linientreu zu seinen weltanschaulichen Grundsätzen kam der Herausgeber von eigentümlich frei beide Male mit Nachdruck auf das „privater Unternehmen“ zu sprechen, „zusammenzuarbeiten, mit wem sie wollen“, als wäre dies die primär zu verteidigende Sache in dieser „traurigen Geschichte“. „So sind sie halt, unsere Libertären“, dachte ich amüsiert.
Als schließlich auf ef der dritte Kommentar mit derselben Stoßrichtung erschien, mußte ich feststellen, daß Lichtschlag seinerseits glaubt, die Lacher auf seiner Seite zu haben, denn er meint, einen „Treppenwitz“ entdeckt zu haben:
Wenn sich nämlich jetzt die Macher und Autoren des Antaios-Verlages über ihren Rauswurf beim kapitalistischen Riesen Amazon beschweren, dann sind es mithin auch jene feisten aristokratischen Geister, die ganz wie ihre linken proletarischen Brüder seit Jahren gegen Markt, Liberalismus und Kapitalismus wettern. So sind ausgerechnet einige der Antaios-Titel, die es nun traf, von genau diesem antikapitalistischen Furor beseelt.
Die vom Ausschluss durch den Kapitalisten Betroffenen bejammern nun, wie gut und gezielt ihre Bücher einst aus reinem Marktkalkül und Eigeninteresse beim amerikanischen Megaseller beworben und verkauft wurden. Wenn das Wörtchen wenn nicht wäre, dürfte man sich vor Lachen darüber gar nicht mehr einkriegen.
Nun war ich allerdings doch etwas verblüfft über so viele Kurzschlüsse in so wenigen Sätzen, wie auch über den stichelnden Tonfall. Zunächst einmal kann man wohl nicht ernsthaft behaupten, Sezession und Antaios würden sozialistische Ideen verbreiten oder gar die Marktwirtschaft per se ablehnen. In der Tat steht unter den Autoren und der Leserschaft die Flanke zum „libertären“ Denken sperrangelweit offen (ich selbst darf mich dazuzählen), auch wenn das Wirtschaftliche nicht unser primärer Acker ist. Am weitesten „links“ in diesen Dingen steht vielleicht unser kluger advocatus diaboli der sozialen Frage, Heino Bosselmann.
Es gibt hier offenbar eine Menge an Mißverständnissen. Wenn Lichtschlag vom „Wettern“ gegen „Markt, Liberalismus und Kapitalismus“ spricht, dann klingt das in meinen Ohren wie der allseits bekannte Vorwurf, jemand hätte was Böses gegen „die Demokratie“ gesagt. Wenn nun jeder andere Vorstellungen davon hat, was „Liberalismus“, „Kapitalismus“ oder „Demokratie“ eigentlich sind, dann ist das Taubstummengespräch vorprogrammiert. Aber es handelt sich hierbei eben nicht um fixe Größen, sondern um Dinge, die einem beständigen historischen Wandel unterliegen.
Auf meine Nachfrage, wen er denn da nun im Sinne habe von wegen „feiste aristokratische Geister“ mit „antikapitalistischem Furor“ (etwas beleidigt, denn immerhin habe ich eine ganze Menge Beiträge für ef geschrieben), antwortete Lichtschlag, er habe hier vor allem an die gesperrten Titel von Armin Mohler (er meint wohl Gegen die Liberalen, ein Buch, das indessen gar nicht betroffen ist) und Manfred Kleine-Hartlage (Die liberale Gesellschaft und ihr Ende) gedacht.
Na – da muß ich bei allem Respekt sagen, daß sich Lichtschlag offenbar gar nicht die Mühe gemacht hat, diese Bücher auch zu lesen, dann hätte er bemerkt, daß etwa der „Liberalismus“ den Kleine-Hartlage aufs Korn nimmt, nicht deckungsgleich ist mit der libertären Idee, die eigentümlich frei propagiert. Sein Buch steht vielmehr in der Tradition von „paläokonservativen“ Klassikern wie James Burnhams The Managerial Revolution und vor allem Suicide of the West (dt. Begeht der Westen Selbstmord?).
In letzterem hat Burnham, wie Kleine-Hartlage ein Renegat der Linken, bereits 1964 den Komplex des „Liberalismus“ als eine Art Selbstabschaffungssyndrom beschrieben, das die innen- wie außenpolitische Abwickelung des „Westens“ als Weltmacht zur Folge hat – und, im historischen Kontext der Schrift, ein Zurückweichen gegenüber dem Weltkommunismus. Burnham sah in den amerikanischen „liberals“ dessen Kollaborateure und Appeaser; bereits zu diesem Zeitpunkt bezeichnete „liberal“ einen „Linken“ und weniger einen „Liberalen“ oder gar „Wirtschaftsliberalen“ in unserem Sinne.
Für Burnham wie für Kleine-Hartlage ist der Liberalismus „die Ideologie des westlichen Selbstmords“. Burnham hat bereits damals jene liberalen Tendenzen kritisiert, die Schuldgefühle und das schlechte Gewissen des Westens fördern, seine Selbstsicherheit unterminieren, mithin Selbsthaß und eine wachsende Unfähigkeit zur Selbstbehauptung zur Folge haben. All dies steht heute in den Ländern des Westens in voller Blüte, gedeiht insbesondere in den hegemonial herrschenden Kulten des Antirassismus, Feminismus, der Minderheitenrechte und so weiter, die, wie Kleine-Hartlage zeigt, an den Grundlagen sägen, auf denen Liberalität oder Liberalismus im klassischen Sinne überhaupt erst möglich sind. Liberale tun sich bekanntlich – siehe Böckenförde-Diktum – schwer damit, den Ast zu überblicken, auf dem sie sitzen. Und genau hier müssen die Konservativen einspringen.
„Libertäre“ haben die Neigung, dieses Krankheitssyndrom des Westens im amerikanischen Stil als „Sozialismus„ zu bezeichnen. Genauer betrachtet passen diese Kategorien der Vergangenheit aber nicht mehr so recht, um das heute den Westen beherrschende, komplexe System zu beschreiben. Wenn man polemisch von einer „EUdSSR“ spricht, sollte man wissen, daß es sich hier eben doch um etwas qualitativ und strukturell anderes handelt, als um die Sowjetrepubliken der kommunistischen Zeit. Altmeister Ernst Nolte hat den Begriff des „Liberismus“ vorgeschlagen, um eine Abgrenzung zum klassischen Liberalismus zu schaffen. Ein zugegeben nicht gerade zündendes Schlagwort, das sich wohl kaum durchsetzen wird, aber ein Versuch unter vielen, dieses System, für das die alten Begrifflichkeiten nicht mehr taugen, auf einen Nenner zu bringen.
Die „Neue Weltordnung“, von der hier die Rede ist, ist weder Kapitalismus noch Liberalismus noch Sozialismus, ist weder „links“ noch „rechts“ im althergebrachten Sinne. Vereinfacht könnte man sagen, daß im Westen wirtschaftlich der Kapitalismus und kulturell der Marxismus gesiegt hat – denn die oben erwähnten radikalegalitären Minderheitenkulte – Ersatz für die alte „revolutionäre Klasse“ des „Proletariats“, Rammböcke und Brecheisen, um ganze Schichten und Mehrheiten zu enteignen und zu entkernen – sind im Kern nichts anderes als Permutationen und Derivate, meinetwegen auch Häresien marxistischen Denkens.
Hier sprießen die Treppenwitze nun wie Schwammerl aus dem feuchten Waldboden. Wenn etwa die Kritik an der „Neuen Weltordnung“ und die maßlose Selbstbereicherung der Riesenkonzerne und über- und transnationalen Hochfinanz als “antikapitalistischer Furor“ schubladisierbar ist, dann sollte sich Lichtschlag (unter anderem) auch mal seinen Stammautor Axel B.C. Krauss vorknöpfen, dessen Positionen und Analysen von denen Kleine-Hartlages nicht allzu weit entfernt sind.
Das bedeutet nun nicht, daß es keine rechte oder konservative Kritik an der „libertären“ Idee gäbe, ganz im Gegenteil. Lichtschlag hat in wenigen Sätzen gezeigt, wie wenig diese dazu taugt, die Wirklichkeit zu beschreiben. Sie beherbergt auch allerlei rutschige Abhänge, die zu all dem führen, was auch in eigentümlich frei scharf und beständig kritisiert wird. Die Ayn-Rand-Brille, auch eine Variante politischer Romantik, die den Anarchokapitalismus, die Selbstherrlichkeit des Unternehmers, und den Glauben, daß „Gier gut ist“ verherrlicht, blendet ihre Vertreter, verstrickt sie in allerlei Widersprüche (in welche, nebenbei gesagt, heute freilich ausnahmslos alle verheddert sind, die sich um eine kohärente politische Erfassung der Lage bemühen) und spinnt Illusionen über sich selbst.
In seinem ersten Beitrag zur Amazon-vs.-Antaios-Kontroverse schrieb Lichtschlag:
Und doch: Solange Diskriminierung und Verleumdung von privaten Unternehmen und Einrichtungen wie Google, Wikipedia und Amazon ausgehen, soll und muss dies ihr gutes Recht bleiben. Es wird dann eben zu einer Herausforderung für alle Angegriffenen, der sie sich ohne allzu großes Wehgeschrei zu stellen haben. Ja, es ist ungerecht, wenn linke Spinner es einfacher haben. Aber die Geschichte ist keine Einbahnstraße und der Markt, wo er noch frei ist, bietet immer Lösungen.
Na! Es ist schon seltsam, zu was für einer Art von Masochismus die totale Fetischisierung und Vergötzung des „privaten“ Unternehmers in diesem Falle führt. In dem Moment habe ich mir Lichtschlag vorgestellt, wie eines Tages auch ihn die Ferse des Goliath zerquetscht, und er, voller Bewunderung für die Macht seines Gottes, noch bis in den Untergang an seinen Prinzipien festhält und ihn bis zum letzten anbetet. Mal sehen, ob er das heroisch durchhält, wenn Amazon eines Tages auch ihn absägt. (Nebenbei eine sehr deutsche, allzudeutsche Eigenschaft! Hätte ich ihm gar nicht zugetraut!)
Denn es ist keineswegs ausgeschlossen, daß sein Verlag nicht auch in Zukunft ähnliche Schwierigkeiten wie Antaios bekommen wird. Und das weiß er auch selbst. Das von ihm mitverantwortete neue Buch von Akif Pirinçci Deutschland von Sinnen, wird vom Manuskriptum-Verlag mit folgenden, auch von Lichtschlag unterschriebenen Worten beworben: „Vielleicht ist es das letzte Buch seiner Art, denn das meinungspolitische Zwangskorsett wird täglich enger.“ Quod erat demonstrandum! Pirinçci zu boykottieren ist einstweilen nur eingeschränkt möglich: wie Sarrazin kommt auch er aus dem Establishment (in diesem Fall des Literaturbetriebs), und profitiert von seiner bereits erreichten Prominenz. Damit ist er in einer besseren und geschützteren Position als etwa wir sezessionistischen Freibeuter.
Thomas Hoof, der das Geleitwort zu Pirinçcis Buch schrieb, hat übrigens letztes Jahr in der Druckausgabe des Zentralorgans der feisten Aristokraten und proletarischen Brüder einen hervorragenden und beunruhigenden Text über globale Entwicklungen geschrieben, die wohl nicht gänzlich zusammenhanglos mit der hybriden und schrankenlosen Entfesselung von „Markt, Liberalismus und Kapitalismus“ sind.
Um hier also die nächste Pointe aufzugreifen: die Liberalismus-Kritik etwa von Kleine-Hartlage kommt zu dem Schluß, daß es kein Zufall ist, daß „linke Spinner“, wie Lichtschlag verharmlosend, vielleicht gleich einem pfeifenden Kind im finstern Walde sagt, in diesem System soviel Macht haben (und nicht etwa Libertäre, oder erst recht Rechte). Der „Kulturmarxismus“ (oder wie auch immer man es nennen will) hat die Funktion einer Dampfwalze, um den Zugriff bestimmter, dominanter Segmente von „Markt, Liberalismus und Kapitalismus“ noch totaler, globaler, umfassender, unkontrollierbarer zu machen.
Vor allem deswegen, weil die Linke durch den Abbau solidarischer Strukturen jenseits des Marktes Widerstandskräfte aufbrechen hilft, die sich einer totalen Ökonomisierung aller Daseinsbereiche widersetzen. Eine „rechte“ Kapitalismuskritik muß sich nicht gegen Supermärkte an sich richten; sondern sie wehrt sich dagegen, die ganze Welt in einen Supermarkt und nichts als einen Supermarkt (mit „Menschenrechte“-Zuckerguß) zu verwandeln. Und sie kann es, sehr wohl mit einem altliberalen Impetus, für äußerst bedenklich erachten, wenn sich die Macht monopolartig in wenigen, noch dazu privaten und in letzter Instanz keinem Gemeinwesen verpflichteten Händen konzentriert.
Hier knödelt sich die Lichtschlag’sche Verwirrung zusammen wie in einem Wollknäuel, und er versucht, die eigenen Aporien mit einem Witz auf Kosten der Betreiber von Antaios zu lösen: die Tatsache, daß ein Konzern wie Amazon eine solche Vormachtstellung erringt, daß es ihm möglich ist, den freien Zugang einzelner Händler zum Markt willkürlich zu verhindern und sie in ihrer Existenz zu gefährden, ist ja wohl eher ein Punkt FÜR die Kritik, wie sie von uns „feisten aristokratischen Geistern“ und garstigen Liberalismuskritikern geleistet wird, die wir etwa auf die Gefahr solcher Monopolisierungen hinweisen. Zumal, wie der Fall zeigt, eine kleine Hebelbewegung genügt, um aus einem solchen scheinbar a‑politischen Apparat ein Instrument politischer Kontrolle zu machen.
Daß es nun ausgerechnet ein paar liberalismuskritische Bücher erwischt hat, ist auch weit weniger ein „Treppenwitz“, als Lichtschlag annimmt. Man mag es ironisch sehen, daß dieser Akt des Boykotts die in diesen Büchern enthaltene Kritik bestätigt – aber auch hier ist der, wenn auch bittere, Lacher eher auf der Seite ihrer Autoren. Daß besagte Bücher gewiß nicht wegen eines „antikapitalistischen“ und gegen „den Markt“ gerichteten Inhalts verbannt wurden, zeigt sich schon darin, daß über Amazon linke, linksradikale, antikapitalistische, antiliberale, kommunistische Literatur (bis zu den Werken von Stalin oder Lenin) en masse und ohne Probleme erhältlich ist. Und ich kann jetzt schon prophezeien, daß wir es nicht erleben werden, daß ein linker Verlag, egal wie scharf ausgerichtet er sein mag, einer solchen Maßnahme zum Opfer fallen wird.
Es ist auch in keiner Weise ein Widerspruch oder unzulässig, wenn ein Verleger, der ums Überleben kämpft, und der will, daß seine Ideen verbreitet werden, versucht, Instrumente wie eben Google, Amazon und Facebook zu seinen Gunsten zu nutzen – erst recht, wenn er kaum mehr Ausweichmöglichkeiten hat und sich der Spielraum für ihn immer weiter verengt, zu welchem Zweck diese Instrumente ja auch fleißig von der gegnerischen Übermacht benutzt werden. Diese Erfahrung hat auch eigentümlich frei mit Wikipedia gemacht.
Kann man im Falschen richtig leben, kann man den Tiger reiten? Es ist völlig legitim, jede Eisscholle, die sich anbietet, zu nutzen, zumal, wenn man vom Gegner kein Fairplay erwarten kann. Das gebietet die Gegenwehr. Wenn Amazon nun nichts weiter wäre als ein Marktplatz und nur ein Marktplatz, ideologisch neutral, dann stünde auch auf dem Rittergut nichts dagegen, seine Vorteile wertzuschätzen. Wenn nun Lichtschlag, vielleicht ein wenig naiv, aufruft:
Mit anderen Worten: Wo die Welt schlecht ist, lasst uns eine Bessere bauen.
Dann keine Sorge: das Rittergut arbeitet bereits fleißig daran, und das beleibe nicht erst seit gestern.
Völlig absurd ist es indessen, monopolistisch wuchernde Kraken (wie eben Amazon, Google, Facebook („Sheriffs, die Welt zensieren“ und „dem Internet ihre Gesetze aufzwingen“) und so weiter) unter der „privater“ Unternehmen zu betrachten, ganz so als hätten die schiere Dimensionen ihres Machtzuwachses nicht eine immense politische Komponente, die sie zu global players macht und zu effektiven Bündnispartnern für Staaten, Geheimdienste, NGOs und andere Clans der globalen Cosa Nostra.
Man kann Amazon nicht in den gleichen Kategorien fassen, wie etwa den Fall eines christlichen Zuckerbäckers in den USA, der sich weigerte, einem schwulen Paar eine Hochzeitstorte zu backen, und der darauf hin die Peitsche der Antidiskriminierungsgesetze zu schmecken bekam. Man muß hier auch die Machtverhältnisse ins Auge fassen, und damit das Ausmaß der Freiheitserweiterungen von einigen wenigen auf Kosten vieler anderer.
Lichtschlag, auf den Knien vor der Gottgleichheit des „privaten Unternehmers“, ist also sogar imstande, auch noch für die Diskriminierungskampagnen auf Wikipedia rechtfertigende Worte zu finden. Freilich, logisch ist es ja: wenn jeder alles dürfen soll, dann „darf“ mich also auch jedermann „verleumden“ und „diskriminieren“. Wie gesagt, so eine konsequente Prinzipientreue hat auch etwas Rührendes. Ich finde sie vor allem unsinnig.
Und auf der anderen Seite mußte auch Lichtschlag um Hilfe rufen, Alarm schlagen, einen „Skandal“ melden, sich an die Öffentlichkeit wenden, um gegen die Meinungsmafia von Wikipedia anzutreten. Aber nun: Mit welchem moralischen Recht denn? „Skandal“, das ist eine moralische Kategorie, die nichts mit absolutem laissez-faire zu tun hat. Wie geht das zusammen? An wen appelliert er hier? Wer soll ihn hören?Wer soll einschreiten? Hier muß es etwas geben, daß über dem bloßen Markt steht, und sei es nur als ethisches Prinzip.
Wie gesagt: es gibt heute keinen rein „privaten“ (Groß-)Unternehmer mehr, und das gilt erst recht, wenn er eine solch ungeheure Machtfülle erlangt hat. Ich kann genauso gut sagen: die Federal Reserve Bank „kann und soll machen, was sie will“, sie ist ja auch mehr oder weniger ein privat geführtes Unternehmen, aber mit welchem Recht beschwere ich mich dann, daß sie einen „Krieg gegen die Menschheit“ führt? Wen interessiert das denn, wenn die Selbstherrlichkeit des privaten Unternehmers oberster Gott ist?
(Ich sage: einen Dreck „kann und soll sie machen, was sie will“, und mit ihr zusammen all die anderen Kraken von dem gleichen Kaliber, die keine Ruhe geben, ehe sie den ganzen Erdball beherrschen und aufgefressen haben. Derselbe Blitz des Herrn soll sie treffen und strafen, wie jener, der den Turm von Babel zum Einsturz gebracht hat. Wenn dieser Wunsch nun einen feist-aristokratisch-proletarischen Radaubruder aus mir macht, sei’s drum!)
Die heutige Welt ist kein Kampfplatz zwischen dem „Staat“ und den „Privaten“, zwischen guten „Kapitalisten“ und bösen „Sozialisten“. Soviel sollte klar sein. Das Bild ist viel komplexer, viel verwobener. Was macht es für einen Unterschied, ob das Individuum oder das Interesse einer schwächeren Gruppe von der Ferse eines mächtigen „Privatunternehmers“ oder eines mächtigen Staatsapparats zerquetscht wird? Das eine geht heute fließend in das andere über, Staaten sind von Lobbies und Banken gekapert und quasi zum Privatbesitz geworden, während Unternehmer und Konzerne Staaten im Staat bilden und als autonome politische Akteure agieren. Jedermann weiß es heute: „Governments don’t rule the world. Goldmans-Sachs rules the world!“ Und wie Stanley Kubrick einmal sagte:
The great nations have always acted like gangsters, and the small nations like prostitutes.
(Nebenbei: daß es soweit gekommen ist, ist historisch gesehen auch eine – wiewohl ungewollte – Folge des Siegeszuges des Liberalismus und der Ökonomisierung aller Lebensbereiche. Ob Lichtschlag den von ihm so glühend verehrten „feisten aristokratischen Geist“ Jean Raspail, und dessen Roman Sire mit seiner Darstellung der sakral gebundenen Macht auch verstanden hat, und mit allen Implikationen für ein Weltbild, das den Markt zum obersten Gott macht?)
Wir haben es hier offensichtlich mit einer Schieflage in der libertären Vorstellungswelt zu tun. In einer wackeren und unentbehrlichen Weise kämpft eigentümlich frei heute tagtäglich im Spektrum derer, die sich gegen politische Korrektheit, „Tugendterror“, Diskussionsverbote, Meinungsmaulkörbe, egalitäre Lügen und so weiter auflehnen. Und auch auf diesem Gebiet ist es ja auch zu ausgesprochenen, von interessierter Seite mitfinanzierten Monopolbildungen und Medienkonzentrationen gekommen, die immer weniger und weniger Platz für Dissens lassen.
Nun scheint es mir so zu sein, daß man nicht gleichzeitig für einen absoluten „Might is Right“-Anarchokapitalismus eintreten kann, und eine absolute Meinungsfreiheit einfordern. Geld, Macht, Meinungen, Wirtschaft, Politik, das hängt alles aufs Engste zusammen. Edward Bernays hat dies 1928 in seinem Buch Propaganda, das bis heute nichts an Gültigkeit eingebüßt hat, mit lapidarer Klarheit beschrieben.
Und wenn man nun Bücher, also Meinungen, Gedanken und Ideen verkauft, dann ist das etwas anderes, als wenn man mit Margarine, Autos oder Fotoapparaten auf den Markt geht. Bücher sind keine Waren wie alle anderen; die Qualität eines Buches bemißt sich auch nicht quantitativ – etwa daran, wieviele Tröpfe und Analphabeten es gekauft haben und in ihren Ikearegalen vermodern lassen. Bücher sind lebendige Wesen; Bücher sind Waffen; Bücher sind Saatgut; Bücher sind eine Gefahr für die Mächtigen. Ray Bradbury hat es ebenso gewußt wie Orwell oder Huxley.
Es gäbe zu diesem Thema noch eine Menge sagen, aber ich will für dieses Mal zum Schluß kommen. Mich erinnert der gute, tapfere und schätzenswerte Lichtschlag, zumindest mit Kommentaren wie den hier behandelten, ein bißchen an die Tea-Party-Demonstranten, die mit Ayn-Rand-Slogans in die Schlacht ziehen, um gegen den „Sozialismus“ der Obama-Administration zu demonstrieren. Diese werden von den Medien der amerikanischen „liberals“ behandelt, als wären sie die Nachfolger des Ku-Klux-Klans, bigotte Verfechter „weißen Privilegs“, Kryptopsychopathen und überhaupt die willigen Handlanger und Sturmtruppen der „One Percent“, die auf Kosten der breiten Mehrheit immer reicher und reicher werden.
In erster Linie wird man in den Reihen der Tea Party aber vor allem eher machtlose Mittelständler und Kleinbürger finden, die sich gegen ein diffuses, schlecht ausformuliertes, aber im letzten Grund berechtigtes Gefühl der Enteignung ihrer Klasse (und übrigens auch ethnischen Schicht) wehren. Ayn Rand, die vor dem Kommunismus geflohene, wohl auch überkompensierende Emigratin in den „American Dream“, hat in ihren Büchern ruchlose, egomane, aber schöpferische Herrenmenschen und Hyper-Individualisten geschaffen, die sich mit einer Art von amerikanisiertem Nietzsche- oder Stirnertum über die lästigen, gleichmacherischen Erdenflöhe und Liliputaner hinwegsetzen, die sich aus kleinkarierten Motiven ihrer Selbstverwirklichung und Selbstbereicherung in den Weg stellen.
Ich habe eine eingefleischte Schwäche für die alte Ayn Rand, allerdings vorwiegend aus literarischen und cineastischen Gründen. Als Philosophin taugt sie nichts, und wahrscheinlich noch weniger als Wirtschaftstheoretikerin. Aber sie verstand es, moderne Mythen des 20. Jahrhunderts zu schaffen, denen man eine gewisse Attraktivität, ja eine poetische Wahrheit nicht absprechen kann. Sie wird allerdings bei ihren Schöpfungen weniger an die mitunter naiv wirkenden „Salz-der-Erde“-Typen und Kleinbürger gedacht haben, die in der Tea Party so häufig sind, und die wenig Ähnlichkeit mit einem John Galt oder Howard Roark haben.
Das trifft wohl eher noch auf die „Wölfe der Wall Street“ und die „One Percent“ zu, die heute die Geschicke der Welt steuern, und die ja keine linke Erfindung sind. Sie sind auch alles andere als Atlanten, die sich irgendeine Verantwortung auf ihre Schultern lasten lassen, im Gegenteil, sie spielen mit der Welt Fußball, reiten sie zuschanden, stürzen Millionen Menschen ins Unglück und Armut.
Sie erinnern daran, daß das Wort „privat“ aus dem Lateinischen stammt: „privare“ = „rauben“. Wir wollen all das im Auge behalten, ehe wir uns für das „Recht“ dieser „privaten“ Monstren, tun und lassen zu können, was sie wollen, ins Zeug legen. Was ohnehin überflüssig ist: unsere Zustimmung oder Ablehnung kann ihnen so egal sein wie die Meinung von Ameisen. Jedenfalls verbessern wir unsere Lage nicht, wenn wir auch noch artig ihr Recht anerkennen, uns zu zerquetschen, womöglich gar in der Hoffnung, selber verschont zu werden. Ich kann die Libertären nur aufrufen, ihre Götzen zu überprüfen und notfalls zu stürzen, zumindest aber den berühmten, alten, erzliberalen Grundsatz des Lord Acton nicht zu vergessen:
Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut.
Spielhahn
Kurz gesagt: Ein absolut herrschendes Unternehmen ist kein Deut besser als ein absolut herrschender Staat. Ein Liberaler oder Libertärer, der das nicht erkennt ist entweder dumm oder verbohrt.