Zwar kamen sie letztendlich zu dem Ergebnis, „dass alles gut so ist, wie es ist“, betont die Welt beruhigt. Dennoch scheinen selbst viele etablierte Experten mittlerweile so ihre Zweifel an der praktizierten Geldschöpfung aus dem Nichts durch die Kreditvergabe der Banken zu haben.
Nun möchte ich in diesem Beitrag gar nicht den Versuch unternehmen, alle alternativen Geldsysteme zu skizzieren und ihre Tauglichkeit zu bewerten. Wer sich für Free banking, Voll- oder Schwundgeld interessiert, wird im Internet viele Quellen dazu finden oder kann sich auf Youtube z.B. diese Podiumsdiskussion ansehen.
Da es zu einem fundamentalen Systemwechsel nur nach einem Systemzusammenbruch kommen wird, halte ich es für die Gegenwart aber für viel entscheidender, sich einmal anzuschauen, welche Ansichten die bekanntesten Geldkritiker sonst noch so vertreten. Sind das wirklich alles Verschwörungstheoretiker, die keinen Bezug zur Realität haben und sich deshalb neue Ordnungen für die Zukunft zusammenbasteln, die den Streßtest der Praxis nie und nimmer bestehen könnten?
Einer der wichtigsten Vertreter der Idee des Vollgeldes ist etwa der Ökonom Joseph Huber, der bis 2012 den Lehrstuhl für Wirtschafts- und Umweltsoziologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg innehatte. „Bei Vollgeld ist es alleine die Zentralbank, die Geld schöpft, während Banken Geld beschaffen, vermitteln und verwalten“, faßt er seine Hauptidee zusammen.
Sollte hier jemand beim Wort „Zentralbank“ in Schnappatmung verfallen, rät Huber dazu, es durch unabhängige Geldausgabestelle zu ersetzen. Kontrolliert werden soll diese durch eine „Monetative“ als vierte Gewalt, die dann anstelle der Banken für eine Begrenzung der in Umlauf gebrachten Geldmenge verantwortlich wäre.
Der berechtigte Hauptkritikpunkt an der Vollgeldidee ist damit schon klar: Dieses System wird nur funktionieren, wenn die Monetative tatsächlich unabhängig ist und dem Staat kein zusätzliches Geld aufgrund irgendwelcher Krisen zur Verfügung stellt, weil dies das Geld der Bürger entwerten würde.
Neben dieser Geldreform hat Huber jedoch auch gründlich über allerhand andere Themen nachgedacht. Ursprünglich kommt er aus der Alternativ-Szene in Berlin. Seine ersten Bücher drehten sich deshalb um Ökologie und etwas später um die Dualwirtschaft. Mit diesem Begriff ist das Ineinandergreifen von bezahlter Erwerbstätigkeit und unbezahlter Eigenarbeit gemeint.
Bei seinen weitreichenden Analysen ist es dabei stets die Stärke von Huber, daß er keiner ideologischen Doktrin folgt, sondern sich mit den Ungereimtheiten der allzu einfachen Theorien der politischen Aktivisten beschäftigt.
In seinem Buch über Die verlorene Unschuld der Ökologie (1982) sucht er so nach einem Weg zwischen technologischem Messianismus und ökologischer Apokalyptik. Reichlich provokant für sein politisches Herkunftsmilieu behauptete er:
Wenn die Ökologie eine Zukunft hat, dann nur in industrieller Form, und die Industrie kann nur eine Zukunft haben, wenn sie ökologisch wird.
Mit dieser Ansage ist den fundamentalistischen Ökos und Wachstumskritikern aller Couleur, die ein „Zurück auf die Bäume“ fordern, der Wind aus den Segeln genommen. Dies gipfelt in dem einprägsamen Satz: „Die ‚Notwendigkeit der Revolution‘ ist auch in der Ökologiebewegung eine bloß normative, keine faktische Notwendigkeit.“
Dieser Gedanke ist aus meiner Sicht von größter Wichtigkeit, um die Umbruchwahrscheinlichkeit für sich selbst richtig einzuschätzen. Trotz aller Krisen der Gegenwart (Asyl, Finanzsystem …) steckt kaum einer von uns in einer derart existentiellen Notsituation, um eine Revolution erzwingen zu müssen, und genau deshalb bleibt sie auch aus.
Was Huber allerdings unterschätzt, ist das, was ich anhand der Ehrlich-Gleichung schon einmal erklärt habe. Das angestrebte „grüne Wachstum“ kann selbst bei Subventionierung durch den Staat, wie die dilettantisch durchgeführte Energiewende zeigt, gar nicht so schnell vonstatten gehen, um die negativen Umweltauswirkungen durch die weltweite Bevölkerungszunahme und den sich ausbreitenden westlichen Konsum auch nur auszugleichen.
Dennoch ist Huber natürlich zuzustimmen, wenn er die industrielle Entwicklung und Verbreitung ressourcenschonender Technologien als wünschenswert herausstellt. Dies darf nur nicht dazu führen, Maschinen als Allheilmittel anzupreisen. Huber schloß sich deshalb der Forderung des SPD-Arbeitsministers Herbert Ehrenberg an, eine „Maschinensteuer“ einzuführen, statt die Arbeitsleistung des einzelnen exorbitant zu besteuern, wie das heute der Fall ist.
Die Zukunft des Sozialstaats verlangt deshalb nach einer Steuerreform, die den Schwerpunkt verschiebt von den Personal- zu den Kapitalsteuern. Wenn Automaten für zehn Leute produzieren, ist es nur logisch, die Automaten zehnmal mehr zu besteuern.
In Zeiten der Robotisierung wird man an diesem Ansatz nicht vorbeikommen. Es handelt sich dabei um ein Anliegen, das sich wie so viele andere Fragen der heutigen Zeit dem klassischen Links-rechts-Schema entzieht. Unterschiedliche politische Lager könnten hierüber zusammenfinden, mutmaßte auch schon Huber vor über 35 Jahren. Ihm zufolge gibt es seit den 1970er Jahren jeweils einen Techno- und Ökoflügel in jedem politischen Lager, wobei ich dies bei der liberalen, auf die Erhaltung des Status quo gerichteten Mitte anzweifeln möchte.
Diese angeblich pluralistische Mitte ist es doch gerade, die alle wirklichen Alternativen von links und rechts als verschwörungstheoretisch, extremistisch oder utopisch diffamiert. Betroffen davon ist die Kritik an allen Erscheinungsformen des Globalismus, obwohl sie vielfach dem gesunden Menschenverstand folgt.
Welche Möglichkeiten es gibt, die menschliche Arbeit umzustrukturieren, und wie die globale Wirtschaft unsere Erwerbstätigkeit und Eigenarbeit in der „Freizeit“ strukturiert, fällt ebenfalls in diese Kategorie. Huber hat sich damit in seinem Buch Die zwei Gesichter der Arbeit. Ungenutzte Möglichkeiten der Dualwirtschaft (1984) beschäftigt. Er widerlegt darin zunächst die eindeutig falsche Annahme, durch die Automatisierung würden Arbeitsplätze verlorengehen.
Aber warum ist das so? Nicht etwa, weil durch neue Technologien so viele zusätzliche Erwerbsmöglichkeiten entstünden, sondern weil die Arbeitsgesellschaft immer totaler werde und vorher unbezahlte Eigenarbeit kommerzialisiere. Beispiele dafür sind die Fitneß‑, Gesundheits- und Unterhaltungsbranche.
Indem der Kreislauf zwischen Arbeit und Konsum durch immer neue Dienstleistungen perfektioniert wird, entstehen heutzutage die meisten Arbeitsplätze. Es ist vermutlich ein naiver Trugschluß, daß wir hier schon am Ende dieses Prozesses angelangt sind. Zu befürchten ist vielmehr, daß er durch die Digitalisierung und neuen Möglichkeiten der individualisierten Bedürfnisbefriedigung erst so richtig losgetreten wird.
Rosa Luxemburg hat damit absolut ins Schwarze getroffen, als sie in ihrer Schrift über Die Akkumulation des Kapitals betonte:
Wenn der Kapitalismus also von nichtkapitalistischen Formationen lebt, so lebt er, genauer gesprochen, von dem Ruin dieser Formationen, und wenn er des nichtkapitalistischen Milieus zur Akkumulation unbedingt bedarf, so braucht er es als Nährboden, auf dessen Kosten, durch dessen Aufsaugung die Akkumulation sich vollzieht.
Etwas zeitgemäßer ließe sich heute von der Ökonomisierung aller Lebensbereiche sprechen, die Familien und andere gewachsene Gemeinschaften (Vereine, Dörfer, …) zerstört. Hier setzt eine kluge, gleichermaßen technologie- und ökologiefreundliche Wachstumskritik an, die es ablehnt, daß die Arbeit durch die Schaffung immer neuer Bedürfnisse ständig zunimmt, obwohl sie doch dank der technischen Errungenschaft weniger und angenehmer werden müßte.
Was Huber in diesem Zusammenhang als tendenziell Linker in den 1980er Jahren auch schon kritisierte, ist das „Ausländerproblem“. Seiner Ansicht nach wurden die Gastarbeiter nach Deutschland gelockt, um „aus dem normalen Wachstum einen überschäumenden Wachstums-Schub und aus der Vollbeschäftigung eine Übervollbeschäftigung“ zu machen.
Genau mit diesem Argument des angeblichen Fachkräftemangels versuchen die Bertelsmann-Stiftung und andere Lobbyisten selbst heute noch nach den ernüchternden Erfahrungen der letzten zwei Jahre die Stimmung dahingehend zu drehen, daß Deutschland aus Selbsterhaltungsgründen (!) Masseneinwanderung zulassen müsse.
Angesichts dieses Irrsinns muß die Frage gestattet sein, wer denn hier die Spinner sind. Die Ewigmorgigen mit ihren abgefahrenen Gesellschaftsexperimenten oder die Kritiker dieser unverantwortlichen Politik, die ihrerseits Alternativen auf den Tisch legen, die natürlich erst noch behutsam erprobt werden müssen?
Im Hinblick auf Ausgewogenheit und Vielschichtigkeit ist so auch das Buch von Huber zum Vollgeld (1998) den allermeisten volkswirtschaftlichen Ansätzen von heute weit überlegen. Er sieht den „industrietraditionalen Sozialstaat“ und die „staatszentrierte Demokratie“ am Ende. Deshalb bemüht er sich um passende Rahmenbedingungen „für eine neue Mittelstandspolitik“ sowie eine „Rückübertragung von Kompetenzen und Finanzmitteln vom Staat zur Bürgerschaft“.
Die „egozentrische Entgeltmaximierung“, an der heute Bürger, Gewerkschaften, Parteien und diverse Lobbys zum Schaden des Gemeinwesens arbeiten, könne erst überwunden werden, wenn das „virulente Impulszentrum der Gesellschaft“, der Mittelstand und damit die „kleinen Leute“, die in der Wissensgesellschaft gar nicht mehr so klein seien, die nötigen Freiheiten, Rechte und Finanzmittel erhalten, um sich eine unabhängige Existenz aufbauen zu können.
Damit die Staatsquote gesenkt werden kann, will Huber ein Grundeinkommen einführen, das entgegen der geläufigen Konzepte gerade nicht „bedingungslos“ sein soll, sondern eher eine Zusammenlegung aller bisherigen Sozialleistungen (Hartz IV, Elterngeld, Kindergeld, Rente …).
Ob dieser Maßnahmenmix ausreicht, um „freiheitliche und solidaristische Traditionen in einer Wertsynthese aufzuheben“, sei einmal dahingestellt. Huber ist Pessimist genug, um für den Prozeß der Transformation des Kapitalismus ein bis zwei Jahrhunderte einzuplanen.
Warum so lang, will man da fragen? Die korrekte Antwort darauf lautet vermutlich, daß Oppositionelle und Denker mit alternativen Ideen das Beharrungsvermögen eines ausgereiften, aber dennoch kranken Systems sehr häufig unterschätzen. Zu hoffen bleibt natürlich trotzdem, daß sich Huber hier um einige Jahrzehnte verschätzt hat.
Der_Jürgen
Ein wichtiger und facettenreicher Beitrag. Er wird vielleicht auch jenen hier zu denken geben, die jede Kritik am herrschenden Geldsystem als "wirtschaftsfeindlich" missverstehen.