1. Wer ist Rolf Peter Sieferle?
Rolf Peter Sieferle wurde 1949 in Stuttgart geboren. Er studierte Geschichte, Politikwissenschaft und Soziologie und promovierte 1977 über den Revolutionsbegriff bei Marx. Seine Habilitation erfolgte 1984 in Neuerer Geschichte. Ab 1991 war Sieferle außerplanmäßiger Professor an der Universität Mannheim, seit 2000 ordentlicher Professor für Geschichte an der Universität Sankt Gallen. Sein Werk Der unterirdische Wald (1982) gilt als Standardwerk über die Durchsetzung des Energieträgers Steinkohle und die Auswirkungen, die dieser Vorgang auf alle gesellschaftlichen Bereiche hatte. Seine Wendung von der »Rodung der unterirdischen Wälder« wurde zur Metapher für die Ausbeutung jedweder Ressource und für ein Leben auf Pump.
Auch die weiteren Werke Sieferles zeugen von einer stupenden Gelehrsamkeit und Durchdringungstiefe: Fortschrittsfeinde? Opposition gegen Technik und Industrie von der Romantik bis zur Gegenwart (1984); Die Krise der menschlichen Natur. Zur Geschichte eines Konzepts (1989); Epochenwechsel – Die Deutschen an der Schwelle des 21. Jahrhunderts (1994); Die konservative Revolution (1995); Rückblick auf die Natur: Eine Geschichte des Menschen und seiner Umwelt (1997); Karl Marx zur Einführung (2007); Das Migrationsproblem, 2017.
Rolf Peter Sieferle hat sich im September 2016 in Heidelberg das Leben genommen.
Mehr zur Person erfahren Leser im Eintrag, den Karlheinz Weißmann zu Sieferle für Band 3 (Vordenker) des Staatspolitischen Handbuchs verfaßt hat. Weißmann ist auch der Verfasser des Eintrags “Epochenwechsel”, der in den 2. Band (Schlüsselwerke) des Handbuchs aufgenommen wurde. Das gesamte Staatspolitische Handbuch (5 Bände) kann man hier einsehen und bestellen. Und ein Autorenporträt über Sieferle findet sich hier.
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2. Warum ist Finis Germania bei Antaios erschienen?
Die Rechte an Rolf Peter Sieferles Gesamtwerk liegen beim Verlag Manuscriptum. Darin enthalten sind auch jene drei Arbeiten, die Sieferle für eine Veröffentlichung posthum vorgesehen und vorbereitet hatte. Das Migrationsproblem ist als 1. Band in der “Werkreihe Tumult” erschienen, die wiederum bei Manuscriptum ihren Platz hat. Auf Wunsch der Witwe und eines langjährigen engen Freundes erscheint Finis Germania als Lizenzausgabe bei Antaios. Man kann das Buch hier bestellen.
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3. Warum heißt das Buch nicht “Finis Germaniae”?
Wir hatten zunächst stillschweigend den Titel “Finis Germaniae” gesetzt, weil wir von einem Schreibfehler ausgingen. Wir wurden aber von Raimund T. Kolb, der auch das Nachwort beisteuerte, eines Besseren belehrt: Sieferle wollte den grammatisch deutbaren Titel Finis Germania ausdrücklich so und nicht anders. Erklärungen von einem Lateiner aus unserem Kommentarbereich:
Für ‘Finis Germania’ gibt es nur zwei plausible Lesarten: Entweder man liest ‘finis’ als Verbform (2. Person Singular) und ‘Germania’ als Vokativ und erhält: ‘Du gehst unter (endest) Deutschland!’, oder man betrachtet ‘finis’ als Substantiv (‘Germania’ bleibt in jedem Falle Vokativ) und gelangt so zu: ‘Das/dein Ende (der/dein Untergang), Deutschland!’ (wie gesagt, im antiken Latein wurden keine Satzzeichen verwendet).
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4. Warum machen sich Rezensenten und Twitterer über dieses grammatische Rätsel lustig?
Man kann mit banalen Lateinkenntnissen Bildung heucheln. Es ist wohl so, daß jeder, der das “ae” vermißt, zugleich denkt, er sei der erste, dem das auffiele. Und daß wir zugleich infam und doof und irrelevant seien (aber sooo interessant, daß jeder über uns schreibt), ist die Leier seit Monaten.
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5. Wie kam es zum Skandal um Sieferles Buch? Gab es einen Auslöser?
Der Spiegel-Redakteur Johannes Saltzwedel plazierte Finis Germania auf der Sachbücher-Empfehlungsliste “Juni”, die parallel von der Süddeutschen Zeitung und vom NDR veröffentlicht wird. Er kumulierte dabei seine Punkte. Dieser Vorgang ist ausdrücklich dafür vorgesehen, auch sogenannte “Exoten” einmal mit einem Platz in der Liste zu würdigen. In den vergangenen Jahren geschah derlei sicher dutzende Male. Finis Germania erreichte Platz 9.
Dies allein hätte noch kein Erdbeben ausgelöst, denn die Liste ist nicht populär. Uns persönlich bekannte Autoren, die sich dort wiederfanden, berichteten von winzigen Verkaufswölbungen, die eine Plazierung nach sich zog.
Also mußte ein uns nahestehendes PR-Genie die “Plazierung” mit einer Reihe Wörter von der Sorte skandalisieren, die im deutschen Feuilleton die Sirene in Gang setzen. Seither rutscht ein Feuerwehrmann nach dem anderen die Stange hinunter, um auszurücken und – Fahrenheit 451 gilt als Blaupause – Bücher zu verbrennen.
Wir nennen diesen Trick, mit dem PR-Mann Andreas Speit durch Alarm auf etwas hinwies, das ohne ihn kein Schwein interessiert hätte, den Streisand-Effekt, hoffen aber, daß sich zumindest auf dem Gebiet des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation in den Ausmaßen von 1250 der Begriff “Speit-Effekt” durchsetzen wird.
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6. Sind seit Speit weitere Artikel erschienen?
Ja, von Karlheinz Weißmann (hier), Felix Krautkrämer (hier), Martin Lichtmesz (hier), Jan-Andres Schulze (hier) und Michael Klonovsky (hier, unter dem Datum vom 12. und 13. Juni).
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7. Der Literaturkritiker der Süddeutschen Zeitung, Gustav Seibt, hat sich gleich drei Mal über Sieferle geäußert, ebenfalls nur positiv. Wie kommt das?
Seibt hat im Oktober und im Dezember vergangenen Jahres einen Nachruf auf Sieferle und eine Spekulation um dessen geistige Quintessenz verfaßt, hier und hier nachzulesen. Wir lesen im Dezembertext folgende Schlußsätze:
Wenn die Menschheit weiterleben will, muss sie zu einem neuen Normalzustand zurückfinden – das wurde zum beherrschenden Lebensmotiv Sieferles. Der Eindruck, den die letzten Notate erwecken können, es sei ihm vor allem um Deutschland oder die westliche Industriegesellschaft gegangen, dürfte einseitig sein. Die treuen Leser dieses großen Autors warten nun auf sein letztes Werk.
Das ist das Pathos des Überblicksmenschen und des treuen Lesers, und Seibt ist in der Selbstwahrnehmung beides zugleich. Vorgestern meldete er sich im Deutschlandfunk-Interview dann erneut zu Wort (sinnentstellende Kürzungen durch uns):
Also ich hab nichts gegen provokante Formulierungen und gegen auch konsensstörende Äußerungen, (…) Und das ist dann (…) einfach eine Provokation, das ist dann, würde ich sagen, eine Störung des öffentlichen Gesprächs, (…) weil das natürlich in die Hände von Leuten fällt, die (…) theoriebildend zu denken imstande sind. Das kann dann sehr schnell zu Schlagworten werden.
Das ist genial formuliert, denn es macht aus Sieferle einen verunsichernden, aufstörenden, theoriebildenden Autor. Brutale Lektüre – nichts verkauft sich besser!
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8. Wie verkauft sich Finis Germania?
Wir erhalten derzeit rund 250 Bestellungen pro Stunde. Man kann die Zahl hier auf 251 erhöhen.
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9. Bezahlen Sie Seibt und Speit?
Nein. Solche Kapazitäten arbeiten pour le roi de Prusse, um es auf gut Latein zu sagen. Wir lassen ihnen dafür alle Freiheiten, auch wenn wir die Pirouetten nicht immer gleich verstehen. Seibt sagte im Deutschlandfunk:
Der Verleger dieses Buches ist ja der Antaios-Verlag, und das ist nun diese Gruppe um Götz Kubitschek in Schnellroda. Das sind Leute, die also wirklich Feinde unserer Verfassung und unserer Demokratie sind, die einfach auf der Suche nach kulturellem Kapital sind. Deren Programm ist eigentlich, sie wollen provozieren, um dadurch den Diskurs zu verändern, also das nennen die Metapolitik.
Seibt zeigt mit solchen Äußerungen, auf welch hohem Niveau er arbeitet: Nur mit solchen Nebelkerzen bleibt er auf Tuchfühlung mit dem Mainstream, diesem breiten Fluß aus trübem Wasser, seichten Stellen und im Wind flatternden Fähnchen.
Seibt, der mit seinen beiden Sieferle-Artikeln sozusagen im Kahn den stillen Wassern nachruderte, tut nun so, als sähe er plötzlich einen Strudel. Mit mächtigen Kraulbewegungen geht es zurück zum Ufer, Gustavs Arme arbeiten, er war nie in diesem Kahn, er steht mit beiden Beinen auf der festen Erde des Grundgesetzes. Der Kahn: Das sind immer die andern.
Genial.
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10. Wie erlebt Sieferles Witwe die Unterstellungen?
Sie ist empört über die geistige Enge des Feuilletons, und sie hat zu den offensichtlichen Falschaussagen Jan Grossarths in der FAZ einen Leserbrief geschrieben, der heute erschien und den wir hier dokumentieren:
Ein wenig mehr Rücksicht
Zum Artikel „Am Ende rechts“ (F.A.Z. vom 12. Mai): Ich bin empört und entsetzt über das Bild, das Jan Grossarth von meinem verstorbenen Mann Rolf Peter Sieferle zeichnet. Mit sachlichen Unrichtigkeiten, Unterstellungen und Übertreibungen wird das Bild eines Mannes gezeichnet, der aufgrund von multiplen „Krebserkrankungen“ und einer drohenden Erblindung gegen Ende seines Lebens verbittert in die rechte Ecke abdriftet und „giftige, rechtsradikale Bücher“ schreibt. Bereits in dem Buch „Epochenwechsel“
in den neunziger Jahren hat mein Mann eine nationalkonservative Position bezogen und warnend auf die Unvereinbarkeit von Massenimmigration und Sozialstaat hingewiesen. Stattdessen konstruiert Grossarth eine für seine „Freunde“ unverständliche politischeWandlung und führt diese küchenpsychologisch und übergriffig auf vermeintliche Kindheitstraumata zurück. Das Bild eines „Molotow-Cocktail werfenden“, „narzisstisch gekränkten“ Autors könnte falscher nicht sein. Mein Mann war ein äußerst liebenswerter, uneitler und bescheidener Mensch. Einen Bruch in der Vita meines Mannes kann nur erkennen, wer hier aus denunziatorischer Absicht schreibt und/oder erheblich von seinem Sujet überfordert ist. Ein wenig mehr Redlichkeit im Umgang
auch mit dem politischen Gegner sollte man erwarten dürfen.
REGINA SIEFERLE, HEIDELBERG
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11. Gibt es den vom Feuilleton kolportierten Bruch im Werk Sieferles? War er altersradikal?
Nein, Rolf Peter Sieferle war nicht altersradikal oder verbittert, Frau Sieferle deutet das in ihrem Leserbrief bereits an. Um ihn zu ergänzen, dokumentiere ich, was sie mir zur Entstehungsgeschichte der 30 Texte, die Finis Germania bilden, schrieb:
Finis Germania ist kein “Alterswerk, sondern in der St. Gallener Zeit in den 90iger Jahren parallel zu der Überarbeitung von “Epochenwechsel” geschrieben worden. Peter hatte ja damals nicht viel Zeit für ein größeres Werk, aber er mußte schreiben, so wie andere atmen. Natürlich war er sich der Brisanz seiner Gedanken bewußt. Je öfter ich in dem Büchlein lese, desto mehr spürt man die Kraft und Wahrheit der Analyse.
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12. Kann man die Aufregung des Feuilletons erklären?
Die Art der Reaktion zeugt von Unsicherheit, mangelnder Souveränität und dem Verlust von Maßstäben. Wer souverän ist, stört sich nicht an einem Exoten von rechts, der neben 500 anderen Sachbüchern aus den letzten Jahren seine Platzierung erhielt. Wer indes Angst vor geistiger Impfung oder wahlweise Ansteckung hat, packt die Hygienebürste aus.
Freunde: Es werden noch sehr viele, sehr verruchte, sehr unhygienische Bücher erscheinen in den kommenden Jahren. Ihr werdet aus dem Feudeln nicht mehr herauskommen.
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13. Manche Leute sagen, der Verlag Antaios sei ein blöder Verlag.
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14. Gibt es bereits filmische Adaptionen?
Ja, eine im Kanal Schnellroda und eine von der Computerzeitschrift Chip. Beide sind grossarthig.
Hartwig aus LG8
FAQ : Ok, kann man machen.
Hauptsache ich lese hier nicht irgendwann: "Was wir über ... wissen, und was wir nicht wissen." Wäre der nächste, oder zumindest übernächste Schritt. ;-)
Und vielleicht war ich ja der Zweihunderteinundfünfzigste. Ich wollt' zwar nicht, aber bei dem Hype ... und @Monika L., die der Erstausgabe des Büchleins schon bibliophiles Potential zugesteht ...