vor als einen Weltenfriedensbringer, als einen Moralapostel von weltumfassendem Format. Die beste Tarnung für den Wolf scheint der Schafspelz zu sein. Gibt es Mittel dagegen? Wie wird man die vergiftete Moral los, den Moralismus, der sich einem jeden Tag ärger an den Hals wirft? Der unsere Widerstandskraft im Kern lähmt …
Viele, die spüren, dass da was faul ist, verfallen auf das falscheste Mittel. “Dann muss ich eben noch moralischer sein!” denken sie. So rutscht man in den Hypermoralismus. So verlief die traurige Geschichte etwa der Grünen. Nein, Trunkenheit lässt sich nicht wegsaufen. Das Problem ist nicht neu, und die Grossen haben schon vor Jahrtausenden Hilfestellungen gegeben. Zwei Beispiele:
Der Grund- und Eckstein des Christentums hielt nichts vom Moralisch-sein-wollen. Auf ihn geht die Parabel vom Moralphilosophen und vom Kollaborateur zurück. Jeder von den beiden ging an den Ort, wo sie den Quellen des Guten nahetreten wollten, in den Tempel. Der Moralphilosoph, ein Mann der pharisäischen Schule, fühlt sich dem Guten gegenüber dankbar für seinen Ist-Zustand (“Ich danke dir dafür, dass ich nicht so bin wie die anderen!”). Er schätzt am Guten, was es für ihn geleistet hat und leistet. Es schenkt ihm seine soziale Stellung und sein erfreuliches Selbstverständnis. Sein erhöhtes Selbsterleben, für das er dem Guten dankt, entzündet sich allerdings an seinen eigenen Denkleistungen, Festlegungen und Definitionen und denen seiner Kollegen, in die sie meinen das Gute einschliessen zu können, an ihren Moralkonstruktionen und Gesetzen.
Ganz anders der Kollaborateur, der im Dienste der Besatzungstruppen aus der Bevölkerung Tributsteuern herauspresst. Von sich selber hält er aus guten Gründen nicht viel. Seine Aufmerksamkeit sucht nach dem Guten als einer ihm mangelnden, schaffenden Macht, einer Macht, die auf den ungenügenden, den minderwertigen Kerl in seinem Ist-Zustand verwandelnd, ‘gnadevoll’ einwirken soll (“Sei mir Unzulänglichem gnädig!”). Der Kollaborateur steht sich selber nicht im Weg. Ihn behindert auch nicht, was er sich über das Gute ausdenkt und in Regeln, Gesetze und Auslegungen fasst. Der Moralismus kann ihn nicht packen. Er öffnet sich für die ‘göttliche’ Unmittelbarkeit des Guten, für die Stärkung und Gesundung (‘Gnade’), die von ihm ausgeht. Er denkt nicht über das Gute generell (Moralismus) nach, er sucht das Konkrete, Jetzige, Unmittelbare, ohne Vorschriften zu machen. –
In einem anderen Kulturkreis findet man ähnliche Hilfen gegen den Moralismus: “Der Ordinäre fordert die edle Handlung von anderen; der sich Veredelnde nur von sich.” heisst es etwa bei Konfuze. Das moralische Fordern (der Moralismus) steigert den Hochmut, und je mehr, um so weniger man selber leistet. Das “Allein-sich-selber-in-Dienst-nehmen” macht ganz natürlich um so bescheidener, je mehr man es betreibt. Man lernt dabei sich und den eigenen Kollaborateurscharakter und die Welt immer besser verstehen. Das macht bescheiden. Moralismus stört da nur.
Das sind zwei der vielen Könner, die lange vor Nietzsche und trittsicherer als er die Wege aus dem Moralismus gebahnt haben. Selbst Erich Kästner hat es verstanden: Das Gute ist immer nur das Konkrete, das man selber tut. Das, was man von anderen fordert, ist nie das Gute. Das ist nur Moralismus. Fort mit ihm!
Fazit: Moralphilosophie, mittels derer man das Gute aus allgemeinen Gedanken meint ableiten zu können, führt nicht zum Guten. Man muss das Gute als eine Macht aufsuchen, als einen Gott, nicht als einen Gedanken. Und dann finde man es hoffentlich und bleibe ihm nahe. Leben in der Gegenwart Gottes nennt es ein anderer Klassiker, Frère Laurent. Man kann auch im Krieg und in ähnlichen Verantwortungslagen handelnd und kämpfend mit der schaffenden Güte verbunden sein. Auch und gerade im Kampf. So spricht Krischna zum König Arjuna mitten auf dem Schlachtfeld, als dieser einen massiven Anfall von Pazifismus bekommt: “Tu deine Pflicht! Das ‘Ich bin’ hat deine Feinde (deine Verwandten) schon erschlagen. Nimm den ‘Ich bin’ in deinen Willen auf und schlage den Feind!”. So zog Jeanne d’Arc in die Schlachten, im Bewusstsein, dass sie das Werk Michaels, des himmlischen Heerführers tat. In dieser Haltung sangen die Soldaten und Ritter des alten europäischen Kaiserreiches das Michaelslied, wenn sie in den Kampf zogen. Führen wir den Gedanken von Thomas Wawerka weiter: Das Christentum soll uns nicht nur vor rechts- oder linksgekämmten politischen Vereinnahmungen befreien. Wir brauchen jetzt ein Christentum, das uns von der moralischen Vereinnahmung befreit.
Franz Bettinger
Es gilt: Eine guter Mensch tut Gutes. Ein Gutmensch lässt Gutes (von anderen) tun.