Er hat darin die drei Jahre später mit voller Wucht hereinbrechende Flüchtlingsflut detailliert vorgezeichnet. Älteren Semestern mag der in England lebende Ire noch aus diversen – auch deutschen – konservativen Zeitschriften bekannt sein. Wir sprachen mit Turner über sein Buch, das vor wenigen Tagen im Jungeuropa Verlag erschien, sein Leben und seine Politik; wer regelmäßige Neuigkeiten wünscht, kann sich auf seiner Netzpräsenz umsehen.
Sezession: In seinem Vorwort zur deutschen Ausgabe hat einer der Wortführer der amerikanischen AltRight, Ihr US-Verleger Richard Spencer, Sea Changes als »prophetisch« bezeichnet und darauf hingewiesen, daß das Buch »entstand, noch bevor die sogenannte ›Flüchtlingskrise‹ von 2015/16 den politischen Diskurs dramatisch veränderte, noch bevor sie zum Prüfstein für die europäische Rechte und das Phänomen Donald Trump wurde und noch bevor sie die deutsche Nation von Grund auf veränderte«.
Tatsächlich läßt Ihre sorgfältige Beschreibung der verborgenen Wege, auf denen sogenannte “Flüchtlinge” aus Afrika und Nahost nach Europa hineingeschwemmt werden, den Leser mit Erstaunen zurück. Wie haben Sie diese Routen und Abläufe seinerzeit ausforschen können, als sie noch nicht öffentlich gemacht worden waren, und was hat Sie überhaupt dazu bewogen, sich in Ihrem Debütroman ausgerechnet mit diesem pikanten Thema auseinanderzusetzen?
Turner: Für mich lag immer auf der Hand, daß die Einwanderung etwas extrem Bedeutungsvolles ist – weit mehr noch als die meisten wirtschaftlichen oder politischen Fragen! Was weniger auf der Hand liegt, ist, warum das nicht jedem klar ist! Ökonomien, Parteien und gesellschaftliche Verhältnisse kommen und gehen, aber nationale Gemeinschaften bleiben – wenn man sie läßt.
Menschliche Populationen und lokale Kulturen unterscheiden sich als Daseinsgruppen klar voneinander – und praktische Politik zielt zwangsläufig auf Daseinsgruppen. (Individuen unterscheiden sich natürlich ebenfalls voneinander, aber in anderer Weise und anderem Ausmaß.) Jedenfalls habe ich schon sehr früh begonnen, Presseartikel und Bücher zu lesen, die sich mit Einwanderung, Multikulturalismus und Rassenfragen im allgemeinen beschäftigten.
Ziemlich häufig enthielten die Artikel aufregende und pikante Details darüber, wie genau illegale Einwanderer reisen. Ich mußte diesem Hintergrundwissen also nur ein gewisses Maß an Vorstellungskraft beigeben, um die Odyssee des Ibrahim Nassouf glaubhaft darzustellen.
Während es in den Mainstreammedien eine Menge solcher Artikel gab, wurden die weiteren Auswirkungen und die Bedeutung dieser Massenbewegung für die Aufnahmeländer entweder ignoriert oder vage für gänzlich positiv erklärt. Texte darüber, wie Illegale in die lustig benamste “Festung Europa” gelangten, sympathisierten ausnahmslos mit den Neuankömmlingen.
Natürlich muß man Mitgefühl mit denjenigen haben, die vor Elend und Krieg fliehen (wie wir es auch tun würden) – aber der moralische Zeigefinger dieser Artikel war einfältig und – zumindest für mich – abstoßend süßlich.
Es wurde so gut wie kein Gedanke daran verschwendet, wie sich die Wirtsbevölkerung in alten, kleinen Ländern, die nie um Einwanderung gebeten hatte, angesichts der langfristigen Auswirkungen auf ihre mühsam erkämpften, fein austarierten lokalen Kulturen fühlen mußte.
Die Vorstellung, daß Vielfalt irgendwie das Gleiche wie Stärke sei, wurde endlos und beinahe bis zum Stumpfsinn wiederholt; sie war viel eher ein Mantra als eine überprüfbare oder gar diskutable Behauptung. Ihre Wahrhaftigkeit anzuzweifeln, bedeutete, sich moralisch verdächtig zu machen.
Der eine oder andere Prominente – Wissenschaftler, Journalisten, gewisse konservative Unterhausabgeordnete – machten schnell die Erfahrung, daß es der Karriere schadete und sie manchmal glatt beendete, Fragen nach dem Nutzen der Masseneinwanderung oder des Multikulturalismus überhaupt (abgesehen von den sprichwörtlich gewordenen »aufregenden neuen Imbißgerichten«) zu stellen.
Die Lehre des Multikulturalismus anzuzweifeln, wurde zu einer ebenso heiklen Angelegenheit, wie im Europa der Gegenreformation die Lehre der Transsubstantiation anzuzweifeln. Und natürlich behaupteten die fanatischsten Apologeten und brutalsten Vollstrecker dieses neuen Glaubensbekenntnisses von sich selbst, liberal und vernünftig zu sein …
Meine ganze Jugend hindurch und bis in meine frühen Erwachsenenjahre gab die radikale Linke in Rassenfragen den kulturellen und moralischen Ton an, selbst als ihr ökonomisches Gedankengut bereits verrufen und verworfen war.
Jahrzehntelang war der einzige Ort, an dem über diese Probleme sinnvoll nachgedacht wurde, der “rechte Rand” – dort aber geriet dieses Denken unglücklicherweise in ein Durcheinander aus Schwulst, Verschrobenheit, Nebensächlichkeiten, Paranoia, Reaktion und ein wenig sozialer Gestörtheit.
Heute ist die Einwanderungsthematik jeden Tag in den Nachrichten “angesehener” Medien, und zwar in einer Art und Weise, die erst kürzlich noch als “rechtsextrem” oder “Hate speech” abgelehnt worden wäre – denn, so sehr es gewisse Leute auch versuchen mögen, diese Fragen lassen sich nicht länger ausblenden oder mit ein paar leeren Floskeln beiseitewischen.
Das Ganze schien ein naheliegendes Thema für einen Roman zu sein, insbesondere angesichts der sehr überschaubaren Konkurrenz! Wenn Romanautoren über die Einwanderung geschrieben hatten, verfolgten sie damit oft emotional eigennützige Ziele, indem sie sie als moralisch gut oder notwendig rechtfertigten oder gar heiligsprachen.
Die krasse Ausnahme war Das Heerlager der Heiligen, das ich mit Anfang Zwanzig las. Ich fand das Buch außergewöhnlich wirkmächtig, voller gallischer Farbe und Energie – auch wenn mir Raspails Logik oft gnadenlos vorkam und ich mir wünschte, daß er seinen Figuren mehr charakterliche Tiefe gegönnt hätte. Aber andererseits hat er ja auch viel eher ein Epos als einen Roman geschrieben.
Sezession: Sie sind mehr als zwei Jahrzehnte lang vor allem als politischer Essayist tätig gewesen und haben zeitweilig die rechtsintellektuellen britischen Zeitschriften Right Now! und Quarterly Review herausgegeben. Wie sind Sie in diese “Szene”, die sich um kontroverse Charaktere wie Jonathan Bowden gebildet hat, hineingelangt, und was haben Sie dort erlebt? Weshalb entschlossen Sie sich schließlich, die Politkommentare zugunsten der Belletristik zurückzuschrauben?
Turner: Ideen interessierten mich sehr, und es machte mir Freude, zu edieren und selbst zu schreiben. Ich hatte großen Respekt vor vielen Tories vergangener Zeiten – insbesondere Samuel Johnson, der geschichtlichen Persönlichkeit, der ich am liebsten persönlich begegnet wäre – und hielt die Konservative Partei für das in einem Zweiparteiensystem einzig mögliche Vehikel für politische Positionen, die Anstand mit gesundem Menschenverstand verbanden.
Konservative neigen jedoch per se dazu, sich nicht für Ideen zu interessieren: Ein grundlegender Unterschied zwischen Rechts und Links ist, daß die Linke über Vorstellungsvermögen, aber keinerlei Realismus verfügt, während es bei der Rechten genau umgekehrt ist.
Die Partei war trotz der offensichtlichen Unzulänglichkeiten des Neoliberalismus von der Ökonomie der freien Märkte besessen und damit zufrieden, sich “pragmatisch” zu verhalten – was letztlich bedeutete, daß sie immer nur auf Ereignisse reagierte, anstatt sie selbst anzustoßen. Sie war, wie Norman Lamont einmal treffend sagte, meist »an der Arbeit, aber nicht an der Macht«.
So kam ich zusammen mit einigen anderen auf den Gedanken, daß es hilfreich sein könnte, die Tory-Rechten systematisch mit neuem Gedankengut zu versorgen. Und nicht nur mit neuem Gedankengut – auch mit altem, das lange vernachlässigt worden war.
Traditionelle Lobbygruppen wie der Monday Club hatten sich insgesamt als untauglich erwiesen. Viele Gruppen und Veröffentlichungen waren in einem Anfall von Enthusiasmus aus der Taufe gehoben worden, nur um sich nach einem oder zwei Jahren wieder im Sande zu verlaufen. Von der UKIP hielt ich damals (und auch heute noch) nichts, weil mir ihre Botschaft zu einfach und spießig war; einige UKIP-Mitglieder vertraten ausgesprochen idiotische Ansichten bis hin zum Franzosen- und Deutschenhaß. (2016 stimmte ich nur sehr zögerlich für den Brexit.)
So entstand also die Right Now! als das Ergebnis zahlreicher Treffen im berühmten George Inn in Southwark Mitte der 1990er Jahre, an denen eine große Spannbreite von Menschen teilnahm, darunter auch Jonathan Bowden. Natürlich beherrschte Bowden diese Treffen oft durch seine schiere rednerische Brillanz – aber er war kein Herausgebertyp.
Zehn von uns warfen jeweils 100 Pfund als Startkapital in den Topf, und die Zeitschrift startete mit dem ehemaligen Tory-Aktivisten Ralph Harrison als Herausgeber. Nach sieben Ausgaben hatte der die Schnauze voll, und die Aufgabe ging auf mich über, weil ich der einzige war, der zu jener Zeit willens und in der Lage dazu war.
Wir konnten einige Erfolge verbuchen: Interviews mit so unterschiedlichen Berühmtheiten wie Norman Tebbit, Hans Janitschek von der Sozialistischen Internationale oder Roger Scruton; bedeutsame Artikel und Besprechungen; große Veranstaltungen in Unter- und Oberhaus, auf denen Persönlichkeiten von John Redwood bis hin zu Arthur Jensen sprachen; bestens besuchte Treffen am Rande der jährlichen Konferenz der Konservativen Partei sowie zwei ausgezeichnete eigene Konferenzen. Taki schrieb eine regelmäßig erscheinende Kolumne für uns.
Ich lernte ein paar großartige Menschen kennen, von denen einige noch immer zu meinen engsten Freunden zählen. Wir schlossen unzählige Bekanntschaften, und das Format der Zeitschrift wurde weithin imitiert. Ich bekam oft Aufträge, für andere Zeitschriften zu schreiben; meine und andere Artikel aus der Right Now! wurden in mehrere Sprachen übersetzt. Zu unseren zahlenden Inserenten zählten u.a. das klassisch liberale Adam Smith Institute und das parteiübergreifende EU-kritische Democracy Movement.
Darüber hinaus verfügten wir über einen ungewöhnlich hohen Anteil junger Leser. Noch heute begegnen mir hin und wieder Menschen, die durch Artikel und Rezensionen in der Right Now! erstmals mit diesem oder jenem Denker in Berührung kamen. Von links bezeichnete man uns als “gefährlich” – eine schöne Anerkennung, die uns Schmähungen seitens einiger altgedienter Konservativer aussetzte, deren höchste politische Maxime es offenbar war, um jeden Preis nicht aufzufallen.
Letzten Endes jedoch war die Zeitschrift – wie so viele andere kleine Publikationen, die auf Abonnements angewiesen waren – allmählich nicht mehr lebensfähig. Oft waren diejenigen, die uns leidenschaftlich dazu drängten, mehr zu veröffentlichen, nicht einmal dazu bereit, ein Abo zu zeichnen! Jedenfalls wußte ich nach der Herausgabe von 53 der insgesamt 60 Ausgaben, daß ich genug hatte – meine Leitartikel begannen, sich zu wiederholen.
Das Format schien mir zu begrenzt für das, was ich vorhatte. Außerdem hatte ich die ein wenig eitle Vision, etwas Dauerhafteres zu schaffen und dem glanzvollen kulturellen Erbe Europas ein paar Kleinigkeiten hinzuzufügen. Das versuche ich immer noch!
Sezession: Eine der gewiß am treffendsten benamsten Figuren in Ihrem Roman voller vielsagender Namen ist der zwanghaft fortschrittliche und gutmenschliche Journalist John Leyden, der seinen Namen offensichtlich vom Führer der Münsteraner Wiedertäufer hat, Jan van Leiden, genannt Bockelson.
Sehen Sie im heutigen Mainstreamjournalismus tatsächlich eine religiös-fanatische Qualität? Wie sieht es damit in der englischsprachigen Welt aus, und wie reagieren die normalen Menschen – die in Sea Changes durch den vom Schicksal und der “Vierten Gewalt” übel gestraften Bauern Dan Gowt repräsentiert werden – auf solche Gängelung?
Turner: Ein Teil des Aktivismus und Journalismus von links weist zweifellos einen quasireligiösen Beigeschmack auf. Ich erinnere mich daran, das ganz deutlich gespürt zu haben, als ich die Aufnahmen der Entlassung Nelson Mandelas aus dem Gefängnis sah und die überwältigten, schwärmerischen, bebenden, ein wenig übelkeiterregenden Kommentare von Journalisten hörte, die sich selbst wahrscheinlich für Realisten und Skeptiker halten. Ich schämte mich für sie! Für sie war dieses Ereignis wie der Einzug eines Heiligen in die Stadt.
Dieselben Persönlichkeiten, die in anderen Zeitaltern Hohepriester, Säulenheilige, Flagellanten oder puritanische Extremisten gewesen wären, findet man heute über Meinungsartikel für die säkularen, humanistischen Medien gebeugt. Manche Menschen fühlen sich durch ihre Veranlagungen zu metaphysischen “Erklärungen” und den leichter erregbaren Formen der Religion hingezogen, und heute, wo es so schwer ist, an Gott zu glauben, leiten sie ihre intellektuellen Energien stattdessen oftmals in politische Utopien.
Das Christentum weist alle möglichen edlen und inspirierenden Qualitäten auf – Vorantreiben der Bildung, Wohltätigkeit, intellektuellen Auftrieb, Sanftmut, soziale Verantwortung –, und seine Kultur ist in jedem Fall untrennbar mit der europäischen Identität verbunden. Unglücklicherweise neigt es aber auch zu Apokalyptik, Schwarz-Weiß-Denken, Heroenkult, Masochismus, Gefühlsduselei und zum Universalismus.
Natürlich sind all diese Aspekte nicht genuin christlich, aber sie stellen wichtige Elemente insbesondere der Weltanschauung evangelikaler Christen dar und lassen sich leicht in die politische Sphäre übertragen.
Die politische Korrektheit ist so etwas wie ein führerloser, diesseitiger Kult und enthält viele dieser Charakterzüge. In England gibt es ein bekanntes Sprichwort, wonach die Linke dem Methodismus mehr verdankt als dem Marxismus, und darin steckt viel Wahrheit.
Übrigens zeitigten diese althergebrachten protestantischen bzw. linken Impulse oftmals positive Auswirkungen; die christliche Soziallehre stand hinter vielen entscheidenden Reformen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, etwa der Verbesserung der Lebensbedingungen für die Arbeiterschaft oder der Einführung des Frauenwahlrechts.
Das Problem ist, daß die gleiche intellektuelle Rastlosigkeit nun gegen die Zivilisation in Stellung gebracht wird, die ihr ihren schlüssigsten Charakter und Ausdruck verliehen hat. Viele christliche Führer – Katholiken und Protestanten gleichermaßen – haben die Masseneinwanderung durch mangelnde Sachlichkeit, den irrationalen Glauben an das Gute im Menschen und einen prätentiösen Unwillen, ihr eigenes Glaubenssystem und die dazugehörige Kultur anderen vorzuziehen, mit begünstigt.
Glauben diese christlichen Führer wirklich noch an die Besonderheit ihres eigenen Glaubensbekenntnisses? Es sieht nicht danach aus.
Sezession: In den frühen 1990er Jahren haben Sie einige Artikel in der Zeitschrift Criticón veröffentlicht, auch einmal in der Grazer Neuen Ordnung, und ab 2000 eine mehrjährige Reihe von Einblicken in das Geschehen auf den britischen Inseln in der Jungen Freiheit. Wie kam es zu diesen Zusammenarbeiten quer über den Kanal, und wie haben Sie die konservative Publizistik hier in Deutschland wahrgenommen?
Turner: Meine Kenntnis der politischen Szene in Deutschland ist leider eher begrenzt – neben meinem naturgegebenen Dilettantismus stehen dem zusätzlich mäßige Sprachkenntnisse im Weg. Ich folge den dortigen Entwicklungen jedoch so gut, wie es mir sprachliche und zeitliche Schranken erlauben, und es freut mich, daß dieses großartige Land trotz Jahrzehnten miserabler “Führung”, auf die Spitze getrieben unter der öden und dummen Ägide Frau Merkels, noch immer Lebenszeichen aufweist – qualitativ hochwertige Periodika, Thilo Sarrazin, die AfD und so weiter.
Ich begegnete Caspar von Schrenck-Notzing und seiner Frau Regina bei einem ihrer Besuche in London, und ich habe sie immer sehr gemocht und verehrt. Ehe ich ihn traf, hatte ich von Baltasar Gracián nicht einmal gehört – allein schon dafür werde ich ihm ewig dankbar sein!
Caspar war ein prächtiger Repräsentant jener alten, reichhaltigen und umfangreichen europäischen Kultur, die nun aus so vielen verschiedenen Richtungen bedroht ist. Es tut mir leid, sagen zu müssen, daß mir erst nach seinem Tod wirklich klargeworden ist, was für ein bemerkenswerter Mann er gewesen war.
Doch schon zu seinen Lebzeiten wußte ich genug über ihn, um mich geehrt zu fühlen, es auf die Seiten von Criticón zu schaffen. Sein Vermächtnis wird so lange fortdauern, wie es die deutsche Idee tut – und wenn die weiterbesteht, dann wird es zum Teil ihm zu danken sein. Es scheint mir, als würde die Junge Freiheit seine Traditionslinie des unerschrockenen und klugen Schreibens auf der Grundlage eingehender Bildung fortführen.
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Derek Turner: Sea Changes, Dresden 2018. 464 Seiten, 24 Euro – hier einsehen und bestellen!
Alveradis
"Turner: Ein Teil des Aktivismus und Journalismus von links weist zweifellos einen quasireligiösen Beigeschmack auf. Ich erinnere mich daran, das ganz deutlich gespürt zu haben, als ich die Aufnahmen der Entlassung Nelson Mandelas aus dem Gefängnis sah und die überwältigten, schwärmerischen, bebenden, ein wenig übelkeiterregenden Kommentare von Journalisten hörte, die sich selbst wahrscheinlich für Realisten und Skeptiker halten. "
Diese religiöse Überhöhung kreiert das Tabu die zur Ikone empor gehobene Figur zu kritisieren oder überhaupt historisch realistisch einzuordnen. Vom kommunistischen Terroristen zum Heiligen. Um so einen Wahrnehmungssprung massenwirksam zu ermöglichen muss dick aufgetragen werden. Es geht nur wenn Emotionen mobilisiert, hochgekocht und anschließend das Bild des installierten neuen Heiligen eingefroren wird.
Die "Linke" machte zwar das Tamtam aber es waren Reagan und Thatcher, die das weiße Süd Afrika vernichtet haben. Es war wichtig die konservative Anhängerschaft durch einen koordinierten Medien Blitzkrieg davon abzuhalten zu denken.
Auch wenn ich nicht ausschließe, dass Journalisten am äußeren Rand der Narrativproduzenten sich schlicht mitreißen lassen, denke ich nicht, dass derlei groß angelegte Aktionen ohne Koordinierung im Vorfeld ablaufen.
Man muss sich vorstellen, dass die natürliche Solidarität Weißer zu anderen Weißen bei der Operation abgetrennt und auf die Schwarzen umgelenkt werden musste. Dafür wurde auch die Musik- und Unterhaltungsindustrie bis zum Anschlag eingesetzt.
Die Kreation der emotional hoch aufgeladenen Scheinrealität funktionierte so gut, dass weißen Süd Afrikanern, die nach Britannien geflüchtet sind nicht geglaubt wurde, wenn sie über ihre Erfahrungen sprachen, denn gleichzeitig mit der Errichtung der unantastbaren Ikone Mandela war auch das Bild des teuflischen Süd Afrikaners installiert worden. Da absolut Gute und das absolut Böse.
Wahrnehmungsveränderungen können nur massenwirksam installiert werden, wenn die Gehirne massiv von allen Seiten mit Gefühlen geflutet werden.
Genau das haben wir ja auch 2015 erlebt. So ein Gefühlshype verschärft die Trennung zu den Zögerlichen oder Kritischen bis hin zur Unmöglichkeit einer Kommunikation über die Lager hinweg.
Für den Mandela Kult, den auch Trump weiter führt, war es notwendig, die Realisten unter den eigenen Wählern auszuschalten.
Die Konditionierung ist so tief eingedrungen, dass keine auch noch so grauenhafte Meldung aus Süd Afrika die Herzen der Konditionierten erreicht.
Im Kern der Kampagnen mag tatsächlich Religion eine Rolle spielen und die Dynamik beeinflussen. Da müsste man sich die journalistischen Akteure näher ansehen.