In der Folge gab es zahlreiche Interviews und Rezensionen, in denen er sein Buch als unterschwelliges, gelegentlich auch als ziemlich offenes “Lehrstück” für die Neue Rechte hinstellte. Da lese ich von unserem “Ursprungsdenken”, unserem “Dezisionismus”, unserem “Exklusionsfuror”, und frage mich: was will mein Mann mir mitteilen? Warum keine direkte Auseinandersetzung? Warum diese Strohmänner? Warum bleibt das unwidersprochen? Im Deutschlandfunk äußerte er sich in bekannter Gleichsetzungslust zu unserem und der Nazis “Volksgemeinschafts”-Ideal:
Und das scheint mir gegenüber dem Ursprungsdenken der neuen Rechten ein ganz, ganz wichtiger Punkt zu sein, das Ritual der Exklusionsmechanismen, wie das sich weiterdreht, bis sich eigentlich gar nichts mehr außer einer kleinen Elite herausfiltert.
Im ARD-Format „Titel, Thesen, Temperamente“ hörte sich das so an:
Carl Schmitts Feindbegriff sei “ein Begriff für die Verdichtung der Misstrauenssphäre”, so Lethen, und er „verlangt nach Exklusion“. Hier sieht er die direkte Linie zum Denken der neuen Rechten, die nach Identität sucht und Ausgrenzung fordert.
Wer Identität sagt bei der neuen Rechten, meint Exklusion. Da haben wir schon ein Vorbild für Identität, deutsche Identität in den dreißiger Jahren.
Da ist H also mit einer recht ansehnlichen Wiedergängerin glücklich verheiratet. Der NS ist die moralische und argumentative Grundlage seines Geschichtsverständnisses. Doch die Wiedergängerin hat die Möglichkeit, ihn immer wieder zu packen und in seinem Denken herumzustöbern. Wer Identität sage, so hielt ich ihm entgegen, meine allein begrifflich schon „Exklusion“, denn „Identität“ ist ein Differenzbegriff, trennt ein Eingeschlossenes von einem Ausgeschlossenen. Was sonst?
H hielt dies für dialektische Spitzfindigkeiten, die ihn an den alten Carl Schmitt der 70er Jahre erinnern, der seine tödlichen Begriffe aus den 30er Jahren nachträglich totjongliert. Ich merkte an, Schmitts Freund-Feind-Unterscheidung sei doch ein heuristischer Beobachtungsbegriff. In ihm steckt, wie bei allen solchen großen Differenzen, keine eingebaute Abwertung des Negativpols (hier: Feind).
Der faz sagte H im Interview, daß
jeder Machthaber in Schmitts Matrix von Freund und Feind die Mitbürger eintragen kann, die getötet werden dürfen.
Freund/Feind ist eine Realdifferenz, eine banalité supérieure, und weder etwas, das ich kriegslüstern herbeiwünschte („Du willst doch Feinde, gib’s zu!“), noch dialektisches Begriffsgeklingel, mit dem man beliebige Morde rechtfertigen könne, noch das Böse in meiner eigenen Gestalt. In der Welt kommen Feinde und Freunde vor, genauso wie Arme und Reiche, sagte ich. Ich rechtfertige schließlich auch nicht den Reichtum auf Kosten der Armen, wenn ich diese ökonomische Differenz als Beobachtungsraster auf die Welt lege und sehe, daß es arm und reich gibt. Systemtheorie ließe sich auch amoralisch mißbrauchen, entgegnete H.
Schmitt habe zustimmend den Satz zitiert, so H weiter in besagtem faz-Interview, im Deutschlandfunk, und dann noch einmal zu mir:
Das Leben speist sich aus dem Born des Bösen, die Moral aber führt in den Tod.
Daraus schlußfolgert er, „daß die Mutigen auf Seiten der Moral gestanden haben“.
Wenn Carl Schmitt einer hypertrophen Menschheitsmoral Tödlichkeit attestiert, weil sie die „Feinde der Menschheit“ hors la loi setzt, hat dies nichts, aber auch gar nichts, damit zu tun, daß die Widerstandskämpfer im Dritten Reich ihrem Gewissen verpflichtet handelten und manche deshalb umkamen.
Das faz-Interview endet ungeschickt abrupt mit der Frage der Journalistin Julia Encke: „In Ihrer Danksagung steht auch noch: ‘Auseinandersetzungen mit Caroline Sommerfeld setzten das Buch unter Strom.’ Das ist Ihre Frau.“, auf die H antwortet:
Ja, sie wünscht die Rückgewinnung der Identität des Volkes durch Abwehr des Fremden.
Madame wünschen Tee oder Kaffee? „Identität des Volkes“ bitte, mit ethnischen Säuberungen. Heute in der Früh zum Tee entspann sich eine Diskussion über dieses aparte Thema. H war sich felsenfest sicher, daß wir Rechten „in Wirklichkeit“ ethnische Säuberungen durchziehen wollten, wenn wir von „Remigration“ sprächen. Er fragte mich, warum ich mich eigentlich immer empörte, wenn er mir dies unterstellte, so als läge uns das vollkommen fern.
Spontan wollte ich seine Zumutung abweisen, kein Wort mehr davon. Es verhält sich doch haargenau andersherum: durch Hineinlassen d e r (nicht “des” Fremden, in Mit Linken leben gibt es ein Kapitel: “Haß auf alles Fremde”) Fremden entsteht doch überhaupt eine Identitätskrise. Die Verursacher der Misere stellen sich hin und bürden uns unter drohendem Nazikehrbesenschwingen die prompte Lösung der Misere auf. Doch Rechte sind nun einmal, entlang der einen Bruchlinie, die wir in Mit Linken leben ziehen, Realisten. Realisten können sich Realproblemen nicht entziehen, auch wenn die Utopisten sie geschaffen haben.
Ist es das Äußerste, die Außerlandesschaffung abgelehnter und krimineller Asylbewerber zu wollen? Sozusagen bloß die FPÖ- und AfD-Mindestforderung? Wäre dann der status quo ante wiederhergestellt und wir zufrieden?
Das Verhängnis habe, so sagte ich zu H, mit den Gastarbeitern seinen Anfang genommen, dabei problematisch: die Türken weil Moslems. Müssen wir uns bescheiden und sie als Schicksal akzeptieren, inklusive Fortpflanzungs- und sonstigem Dschihadverhalten? Können wir sie wieder loswerden? Die Massenimmigration von Arabern und Afrikanern mindestens der letzten drei Jahre hat das Überdruckventil dann endgültig hochgehen lassen. Wenn wir j e t z t die Schotten dichtmachen würden, wäre uns noch nicht geholfen, Merkels “Nun sind sie halt da” bleibt massiv unbefriedigend. Denn darüber zu räsonnieren, daß wir Deutschen ja nicht gefragt worden sind, wie es Rüdiger Safranski schon 2015 und noch einmal kürzlich tat, ist wohlfeil. Auch der Hinweis, das Asylsystem sei ja ursprünglich ganz anders gedacht gewesen (nämlich für einzelne politisch verfolgte Deutsche hauptsächlich aus dem Ostblock), ist heute nur mehr als hate fact interessant.
Sie sind halt da, und das Gesellschaftsspiel „Integration“ ist schon rein quantitativ ausgespielt. Wir müssen sie wieder loswerden, insistierte ich. „Willst du die gut Integrierten der zweiten Generation mit Gewalt alle abschieben? Sie sind doch Deutsche geworden“, insistierte H seinerseits. Also doch nichts als Gewaltphantasien über “ethnische Säuberungen”?
Der Begriff ethnic cleansing ist von der UN-Expertenkommission zum Jugoslawienkrieg 1994 definiert worden als
rendering an area ethnically homogenous by using force or intimidation to remove from a given area persons from another ethnic or religious group.
Wie kommt H auf „deutsche Identität in den dreißiger Jahren“?
Es ist in hohem Grade unverantwortlich und in hohem Grade anmaßend, kurzum: unpolitisch gedacht, die Wirklichkeit permanent mithilfe der „fixen Idee, sich ständig in derselben historischen Zeitschleife zu befinden“ zu denken. Wer die Freund-Feind-Dichotomie aufgrund einer moralischen Präferenz für den „Freund“, und der damit verbundenen Angst, bei Aktualisierung des „Feind“-Pols die schiefe Bahn hinunter in NS-Hölle zu rutschen, perhorresziert, richtet Schlimmeres an als das, wozu wir Rechten imstande wären.
Müssen wir denn, sprach ich zu H, der dummen Stammtischfangfrage der Linken, uns auf Deubel komm raus darauf festnageln zu wollen “wie das denn bitte gehen soll”, eilfertig entsprechen und Reparaturanleitungen parat haben? Argumentativ wäre das ein klarer Fall von Beweislastverschiebung. Jedoch – als ich ein wenig darüber nachdachte während ich den Tisch abräumte und Tee verschüttete, stellte ich fest: ich kann mich nicht darauf herausreden, hier nicht zuständig zu sein. Mich als Philosophin nicht mit Realpolitik anzupatzen, sondern lieber ein paar Fehlschlüsse zu widerlegen. Denn dann bliebe ich im Rechte-spielen-nur-Sprachspiele-Frame, dieser hübschen Projektionsnummer linker Sprachspieler.
Die “häßlichen Bilder” (Sebastian Kurz) werden immer konkreter, und es ist eine Form der politisch korrekten Faselei, wenn man (auch wir Identitären) immer nur von “Remigration” als womöglich auch noch bezahltes freiwilliges Angebot, gekoppelt an “Hilfe vor Ort” und “Bekämpfung der Fluchtursachen”, spricht, alles ganz humanitär und im Sinne der Anspruchsrechte aller Weltbürger.
Selbst wenn wir die Infiltranten der letzten drei Jahre und auch die schon länger hier lebende Bevölkerungsgruppe der Scharia-Anhänger allesamt wieder in ihre Heimatländer expedierten, wäre Deutschland noch lange nicht ethnisch homogen, und dies wäre auch nicht sinnvoll anzustreben. Historisch gewachsene Einwanderung ist so banal wie normal und wirft keine Identitätskrise auf. Forcierte replacement migration erfordert ebenso forcierte Schubumkehr – diese wäre von der Legislative durch Rückabwicklung der Asylrechtsänderung, von der Judikative durch Rechtsprechung in kollektivem Maße statt nur kasuistisch in hunderttausenden von subjektivierten Einzelfällen, und von der Exekutive durch schlichte Mann- und Technikstärke durchsetzbar. Und mit Geld.
Unerträglich wäre mir, den hochkonkreten Gedanken, daß das Migrationsproblem jetzt gelöst werden muß, nicht gedacht haben zu dürfen, weil mir die Verursacher moralische Verworfenheit, geplante „ethnische Säuberungen“, und falsche Schmittphantasien über „Mitbürger, die getötet werden dürfen“ vorwerfen.
Und es ist auch nicht der “letzte Atemzug der heroischen Moderne”, wie H sagte, wenn wir denken: auf uns kommt es an. Denn wenn wir nicht erkennen dürfen, daß es auf uns ankommt, weil dies ja im Archiv der Literatur der Moderne schon unter dem Stichwort D wie “Dezisionismus” aufbewahrt wird, und “zu Grabe getragen werden” muß, dann verfluche ich diese postmoderne Abgeklärtheit und stelle mich vor H hin und entscheide: auf uns kommt es an!
Ich phantasiere nicht, sondern starre mit weitgeöffneten Augen auf die Wirklichkeit, ohne moralisches Apriori.
Ist das noch die Welt, vor der man getrost die Augen verschließen konnte?
fragt Botho Strauß in seinem neuen Aphorismenband “Der Fortführer“. Offenbar gehören wir Rechten zu denen, „denen für ewig das Auge aufgesperrt bleibt“.
RMH
Vorab:
Ich habe das Buch von H.L. nicht gelesen.
Zum Begriff Freund/ Feind:
Ich meine mich recht gut daran erinnern zu können (die Lektüre der Werke Schmitts liegt schon eine Weile zurück), dass Schmitt selber - noch ganz in der Tradition der typisch deutschen Antikenrezeption des 18. und 19 Jhdts. stehend - die Begriffe Freund und Feind als in der deutschen Sprache für zu indifferent gehalten hat und er daher klar zwischen den lateinischen Begriffen für Feind "inimicus" und "hostis" unterschieden hat, wobei der inimicus als Spiegelbild zum amicus der persönliche Feind sei und der Begriff "hostis" den Staatsfeind beschreibe, also den öffentlichen und damit politischen Bereich. Nur mit dieser von Schmitt selber klar herausgestellten Unterscheidung lässt sich die Freund-Feind Theorie Schmitts überhaupt begreifen und sie auch nicht zu einem uferlosen Gebilde werden, denn Schmitt meinte mit "Feind" nicht inimicus, sondern eben hostis. Die biblische Feindesliebe betrifft nach Schmitt´scher Denkart daher immer nur den persönlichen Feind, den inimicus, aber nicht den hostis.
Wenn man aber die Begriffe immer schön durcheinanderwirft, wie die deutsche Politik und das deutsche Feuilleton, dann kommt natürlich am Ende dabei heraus, dass "Rechte" und Schmittianer, ganz konkret den netten Onkel von der Dönerbude nebenan oder die benachbarte türkische Familie als persönlichen Feind bzw. persönliche Feinde sehen müssen. Dieser Fehlschluss lässt sich mit Schmitt nicht nachvollziehen. Schmitt unterschied klar zwischen Staat und Individuum. Die Gesinnungsterroristen von der kulturmarxistischen Front sehen ja bekanntermaßen alles politisch - Schmitt gönnte dem einzelnen hingegen durchaus auch unpolitische, private Räume. Leider gibt es aber auch bei Rechten (zu?) viele Gesinnungspolitiker und damit nach meiner Auffassung genuin Linke ...