Er selbst war der Ansicht, daß sich die Rechten und Identitären in der Angelegenheit doch logischerweise auf die Seite der umstrittenen Rapper Kollegah und Farid Bang stellen müßten. Die beiden seien am Ende doch auch Rebellen gegen die “politische Korrektheit”, verkörpert durch die establishment-hörige Gouvernantentante Campino, dessen linke Moralkeule sie mit souveränem Spott gekontert hätten. Seien sie nicht die “wahren” Punks, viel mehr, als es der Tote-Hosen-Chef vielleicht jemals war?
Und wäre es für mich womöglich angesichts der bereits massiv multikulturalisierten Alterskohorten, die von Kollegah & Co angesprochen werden, nicht denkbar, daß ein größerer Teil der zugewanderten Jungmänner in manchen Fragen am Ende doch “integrierbar” oder anschlußfähig sein könnte, als Verbündete (à la Alain Soral?) einer Jugendrevolte, die leider nicht genug Jugend auf ihrer Seite hat?
Letzteres mag zumindest so aussehen, wenn man sich das Cover der jüngsten Ausgabe von eigentümlich frei ansieht. Das 1968 nach links gestossene Pendel “schwingt zurück”, heißt es da, und an die Stelle von Meinhof, Dutschke, Langhans und Teufel treten Lengsfeld, Tellkamp, Mattussek und Sellner. Der Schönheitsfehler ist allerdings offensichtlich, daß Sellner der einzige ist, der aus einer Alterskohorte stammt, die den Original-68ern vergleichbar ist. Macht sich nicht auch hier das demographische Schicksal Deutschlands bemerkbar?
Und schließlich, so immer noch jener Libertäre, sollte es uns Rechten zu denken geben, wenn nun apropos Kollegah Heiko Maas und Alice Weidel mit einer Stimme heulen. “Für solche ‘Künstler’ ist in Deutschland kein Platz”, schrieb Weidel in der Jungen Freiheit:
Während deutschlandweit Schüler vor allem jüdischen Glaubens in ihren Schulen gemobbt oder sogar körperlich attackiert werden, ehrt die Echo-Jury ausgerechnet sogenannte Künstler, die in ihren Liedtexten Antisemitismus und damit zusammenhängende Gewalttaten verherrlichen. Damit nicht genug, fand die Preisverleihung auch noch gleichzeitig mit dem jährlich in Israel stattfindenden Holocaust-Gedenktag statt.
Ihre Zielscheibe war eher Farid Bang als Kollegah:
Für Künstler, die Juden- und Frauenhaß propagieren, die Opfer und Hinterbliebene des Breitscheidplatz-Attentats verhöhnen und unsere Jugend nicht nur damit sehr negativ beeinflussen, ist in Deutschland kein Platz. Um es mit dem Titel eines Stücks von Farid Bang von dem Album „Asphalt Massaka 3“ zu sagen: Er ist nichts weiter als ein „asozialer Marokkaner“, der unsere Kultur und Werte verachtet, und der in Marokko deutlich besser aufgehoben wäre als in unserem Land.
Ich vermag ihr hier kaum zu widersprechen.
Heiko Maas äußerte sich so:
Antisemitische Provokationen haben keine Preise verdient, sie sind einfach widerwärtig. Dass am Holocaustgedenktag ein solcher Preis verliehen wird, ist beschämend. So wie Campino müssen wir uns schützend vor jüdisches Leben stellen – jeden Tag und überall.
Kollegah antwortete darauf schlau:
Inwiefern schützen Sie denn jüdisches Leben, wenn Sie eine Massenzuwanderung von aus Ihrer Sicht antisemitisch geprägten Menschen unterstützen?
Was an den Satz von Karl Lagerfeld erinnert:
Wir können nicht, selbst wenn Jahrzehnte zwischen den beiden Ereignissen liegen, Millionen Juden töten und Millionen ihrer schlimmsten Feinde ins Land holen.
Wenn Maas und Weidel, Böhmermann und Alexander Kissler scheinbar in einer Front stehen, dann liegt offenbar eine verwickelte Situation vor. Ich will versuchen, sie aufzudröseln.
Oberflächlich betrachtet hat sich hier gewiß eine Szene abgespielt, die dem Trubel um die “umstrittene” Band Frei.Wild aus Südtirol im Jahr 2013 ähnelt.
Damals schrieb ich in der Jungen Freiheit:
Nachdem sich das Album „Feinde deiner Feinde“ mehr als 100.000mal verkauft hatte, stand automatisch eine Nominierung für den deutschen Musikpreis „Echo“ ins Haus. Damit war nun endgültig Schluß mit lustig: Eine Handvoll Platzhirsche der deutschen Musikszene blies in die Antifa-Trompete, um den Rivalen vom Feld zu pusten. Darunter befanden sich pikanterweise auch die Tralala-Popper von Mia, die im Jahr 2003 ihrerseits durch die antifaschistische Mangel gedreht wurden, weil sie sich in einem Song allzu positiv auf die Farben „Schwarz-Rot-Gold“ bezogen hatten.
Es dauerte nicht lange, bis der Veranstalter des „Echo“, die Deutsche Phono-Akademie, Frei.Wild kurzerhand von der Nominiertenliste strichen – also allein deshalb, weil die Band in den Augen bestimmter Leute die „falsche Gesinnung“ hat.
Die inkriminierten Textstellen der Band waren (jedenfalls nach normal-menschlichen, nicht-linksextremen Maßstäben) ungleich harmloser als jene von Kollegah und Bang. Gewaltverherrlichungen, obszöne Provokationen oder “Verschwörungstheorien” sucht man hier vergeblich, stattdessen schockierend kontroverse Zeilen wie diese:
Da, wo wir leben, da wo wir stehen, ist unser Erbe, liegt unser Segen, Heimat hat Volk, Tradition und Sprache.
Wo soll das hinführen, wie weit mit uns gehen? Selbst ein Baum ohne Wurzeln kann nicht bestehen! Wann hört ihr auf, eure Heimat zu hassen? Wenn ihr euch ihrer schämt, dann könnt ihr sie doch verlassen! Du kannst dich nicht drücken, auf dein Land zu schauen. Denn deine Kinder werden später drauf bauen!
Inzwischen hat sich einiges geändert. Frei.Wild haben sich – nach einigen politisch korrekten Kotaus – einigermaßen ihren Platz im Business erkämpft, und erhielten 2016 schließlich doch noch ihren “Echo”. “Umstritten” ist die Band weiterhin, gilt aber als deutlich weniger anstößig als noch vor einigen Jahren. Identitärer Patriotismus, wie ihn Frei.Wild (auf eher emotionale als politische Weise) vertreten haben, ist heute ein bißchen weniger “shocking” als damals. Vielleicht kann man dies als ein Zeichen für gewisse metapolitische Verschiebungen betrachten.
Hier springt jedenfalls als erstes das Ungleichgewicht des “Kontroversen” ins Auge. Was sich Farid Bang, Kollegah und andere Meistersänger ihrer Zunft so alles leisten, würde normalen Kartoffeldeutschen niemals nachgesehen werden (auch das linksextreme Blog “Ruhrbarone” sieht das so). Daß sich der Skandal vor allem an dem Killervorwurf des “Antisemitismus” entzündet, ist symptomatisch, denn an dieser Stelle wird momentan ein drastischer Bruch im multikulturellen Narrativ sichtbar – nicht erst seit dem viral gewordenen “Kippa”-Experiment eines jungen israelischen Arabers in Berlin. (Hier das Originalvideo, hier eine Umfrage der Bild-Zeitung vom Dezember 2017).
Die politisch-mediale Klasse scheint mit dieser Störung ihrer Meistererzählung überfordert zu sein. Ihr ideologisches System ist in Konflikt geraten, und eine erhebliche “kognitive Dissonanz” macht sich breit. Die Ideologie des Multikulturalismus und des Bevölkerungsaustausches beruht auf einer “Hierarchie der Opfer”, deren Kern eine Art zivilreligiöse Deutung des Holocaust ist.
Diese beinhaltet auch eine komplementäre “Hierarchie der Täter”, weshalb es den Vertretern besagter Klasse enorme Schwierigkeiten bereitet, Roß und Reiter zu nennen, während sie penibel darauf achten, daß stets auch der angebliche hauseigene Antisemitismus, auf den man so merkwürdig stolz zu sein scheint, deutlich genug hervorgehoben wird. Bei Anne Will wird um den heißen Brei herumgeredet, das Problem verallgemeinert, relativiert und generalisiert, während Merkel, die für diese Lage wesentlich mitverantwortlich ist, in ihrem üblichen Präzisionsdeutsch Sätze wie diese absondert:
„Wir haben auch neue Phänomene, indem wir jetzt auch Flüchtlinge haben oder Menschen arabischen Ursprungs, die wieder eine andere Form von Antisemitismus ins Land bringen“, sagte sie. Judenfeindlichkeit habe es aber „leider auch schon vorher“ in Deutschland gegeben.
Konjunktur haben auch Relativierungen oder gar Teilrechtfertigungen des muslimischen Antisemitismus gemäß der “Hierarchie der Täter”, nicht selten von jüdischen Autoren oder Aktivisten selbst – Beispiele wären Ilja Sichrovksy in einer Talk-im-Hangar 7‑Runde mit Michael Ley oder der israelische Autor David Ranan:
“Ranan macht “einen definitorischen Unterschied (…) zwischen dem europäischen Antisemitismus samt seinen Phantasmen einer jüdischen Übermacht und dem ’sachlich sogar nachvollziehbaren Gefühl vieler Muslime, besonders arabischer, dass nur eine überwältigende Macht es dem kleinen Israel ermöglichen konnte, sich mit solchem Erfolg Palästina einzuverleiben’.”
Mit den Juden wird nun auch in Deutschland (in Frankreich schon viel länger, wie von Michel Houellebecq 2015 in seinem Roman “Unterwerfung” dargestellt und aktuell in einem “Manifest” prominenter Unterzeichner angeprangert; ebenso in Schweden und Großbritannien) eine Gruppe von “Alpha-Opfern” attackiert, während vergleichbare Angriffe auf deutsche “Beta-Opfer”, die sich schon seit Jahren häufen (schon 2010 brachte der Verlag Antaios ein inzwischen vergriffenes Buch zu diesem Thema heraus), bislang eher ignoriert wurden. Man wird nicht erleben, daß sich Heiko Maas, berstend vor “virtue signalling”, für offenbar weniger kostbares “deutsches Leben” aus dem Fenster hängen wird, wie er es für “jüdisches Leben” tut. Und trotz der etlichen nicht-jüdischen Todesopfer ihrer Einwanderungspolitik sah sich Merkel bisher nicht bemüßigt, ihrem Staatsvolk zu sagen: „Wir tun alles für Ihre Sicherheit!“
Übergriffe und Mobbing etwa gegen deutsche, nicht-jüdische Schüler in Berlin und anderen Städten sind allerdings nicht minder brutal und nicht minder “rassistisch” motiviert als die antisemitischen Übergriffe und Mobbings. Der Tagesspiegel druckte am 17.4. einige Berichte von Betroffenen ab:
“Unser Sohn besucht die vierte Klasse einer Schule in Mitte und wird seit dem ersten Schuljahr gemobbt. Er wurde beschimpft, geschlagen und getreten, weil er Deutscher ist. Mitschüler bezeichnen ihn als ‚Schweinedeutscher‘, ‚Schweinechrist‘ und als ‚deutsche Kartoffel‘. Auf seiner Schule sind hauptsächlich Kinder mit Migrationshintergrund. Die meisten sind Muslime.”
Ich sehe nicht ein, warum das in irgendeiner Weise weniger “schlimm” oder weniger skandalös sein soll, als die immer häufiger werdenden Übergriffe auf jüdische Schulkinder, die Michael Wolffsohn beklagt hat. Warum schweigen Maas und Merkel hierzu? (Kollegah hat dieses Problem, das sei zu seiner Ehre gesagt, schon vor Jahren angesprochen, und das mangelnde patriotische “Zusammengehörigkeitsgefühl” der Deutschen beklagt. Darum können die Immigranten mit ihnen “machen, was sie wollen”.)
Ganz einfach: Tatsächliche Opfer, egal welcher Herkunft, kümmern sie nur insofern, als sie eine entsprechende symbolische Rolle in dem ideologischen System spielen, durch das sie sich legitimieren. Wir erinnern uns an den Satz von Heiko Maas: “Ich bin wegen Auschwitz in die Politik gegangen” – den Michael Klonovsky übrigens so kommentierte:
Ohne Auschwitz wüsste keiner, wem er äußerlich ähnelt und auch habituell.
Um nun auf den Fall Kollegah zurückzukommen: Die Motivationen von Maas und Weidel sind grundverschieden. Für Maas sind gemäß der Ideologie, der er anhängt, “Auschwitz” und “Antisemitismus” Argumente, um eine anti-nationale, antideutsche, multikulturalistische Politik zu betreiben; er hat hier also ein bestimmtes Narrativ zu wahren und zu verteidigen, in dessen Zentrum der Holocaust steht.
Weidel dagegen kritisiert den muslimischen Antisemitismus in Gestalt von Kollegah und Farid Bang aus genau dem entgegengesetzten Grund: Um nationale Politik zu betreiben, um das Eigene zu verteidigen, um Argumente gegen die Islamisierung ins Feld zu führen, und dabei die antideutschen Eliten, zu denen Maas zählt, an ihren eigenen Maßstäben zu messen.
Ähnlich argumentierte Alexander Kissler im Cicero, der in der migrantisch dominierten Rap-Szene eine ethnokulturelle Front ausmachte:
Daraus lernen wir: Eine muslimisch geprägte Jugendkultur kann muslimischen Judenhass, muslimische Frauen- und Schwulenverachtung, muslimische Gewaltverherrlichung verbreiten und in Millionen Hirne hinein hämmern, Silbe um Silbe, Ton für Ton.
Wenn man sich nun Videos wie dieses des Palästinensers “Massiv” ansieht, dann sind ethnische Absonderung und Aggression wie auch eine gehörige Portion Rassen- und Klassenhaß nicht mehr zu übersehen. Deutlicher kann man es den Gutmenschendeutschen und Integrationsgläubigen nicht sagen: “Wir sind nicht wie du.”
Auch Kissler betont, daß die besagte Mischpoke eine Narrenfreiheit genieße, die biodeutschen (so direkt spricht er es nicht aus) Pendants nicht gewährt würde:
Der Einwand liegt parat und lautet, es handele sich beim Gangsterrap um Rollenlyrik, um Pose, nicht Bekenntnis. Rap sei generell ein Machophänomen und beruhe auf „verbalen Provokationen“ und scharfen Abgrenzungen, also müssten diese Muster bedient werden: der starke Junge in einer Welt von Feinden, die er gemeinsam mit seinen Freunden vernichte. Das stimmt – und kann doch hasserfüllte Entgleisungen nicht legitimieren, die bei anderen Protagonisten längst zur gesellschaftlichen Ächtung, zur Indizierung, wenn nicht zum Strafverfahren geführt hätten.
Weidel und Kissler verweisen also mit völligem Recht auf einen deutlichen Widerspruch im ideologischen Überbau der politisch-medialen Klasse: Einerseits soll der Islam “zu Deutschland gehören”, andererseits der Anti-Antisemitismus eherne Staatsräson bleiben. Daß nun antijüdische und anti-israelische Affekte und Meinungen in unterschiedlichen Intensitätsgraden unter arabischen und anderen Muslimen weit verbreitet, ja die Norm sind, wissen PI-Leser und “Islamkritiker” schon seit langem. Wenn nun führende Meinungsmacher wie Ulf Poschardt erschrocken (wie sie behaupten) auf diesen Trichter kommen, müssen sie sich den Vorwurf gefallen lassen, daß die AfD & Co mit dieser Erkenntnis viel früher an der Reihe waren.
Was nun die Vorwürfe gegen Kollegah und Farid Bang betrifft, so scheint mir ihre Basis ziemlich dünn zu sein. Sie stützt sich auf ein, zwei (gezielt) geschmacklose Textzeilen (“… mein Körper definierter als von Auschwitz-Insassen”) und angebliche “antisemitische Codes” (ein äußerst vager Begriff, der mit unbeweisbaren Verdachtsmomenten und Unterstellungen operiert), konkret einen Hexagramm-Ring (“Davidstern”) in dem 13-minütigen Video “Apokalypse”. Ganz an den Haaren herbeigezogen ist dies wohl nicht. Offensichtlich ist Kollegah ein glühender Unterstützer der Palästinenser und ein scharfer Kritiker Israels, wie viele Rapper mit muslimischem Hintergrund.
Wer will, kann sich die ARD-Doku “Die dunkle Seite des Rap” ansehen, um sich selbst ein Bild zu machen. Sie ist eine Spur weniger tendenziös als vergleichbare Sendungen über “rechts”. Als Erklärbären wurden “Experten” befragt, wie man sie aus den Filmen über “Rechtsextremismus” zur Genüge kennt. Als linke Szenesäubermänner und “helle Seite des Rap” wird eine deutsche, nicht-migrantische Kapelle namens Antilopen Gang präsentiert, die Textzeilen wie diese im Repertoire hat (und auf dem hauseigenen Label der Toten Hosen, JKP, veröffentlicht, also von Campino produziert):
Ihr seid 80 Millionen, die man abschlachten muss
(…)
Ein halbes Jahrhundert, bevor wir auf die Welt kamen
Da lebten in Deutschland die Eltern unserer Eltern
Menschen zu verfolgen und zu töten hat sie geil gemacht
Später haben sie dann gesagt, dass Hitler es alleine war
Oma und Opa tobten sich aus
Und sprengten die Zivilisationsfesseln auf
Ein rauschendes Fest, bis die Alliierten kamen
Und ihnen gegen ihren Willen die Demokratie aufzwangenAtombombe auf Deutschland, dann ist Ruhe im Karton
Komm wir bomben einen Krater und dann fluten wir das Loch
Atombombe auf Deutschland, dann ist Ruhe im Karton
Atombombe auf Deutschland, alles Gute kommt von oben
Man kann sich auch Kollegahs eigene Statements anhören, die meiner Ansicht nach doch einen etwas anderen und differenzierteren Eindruck ergeben, als den von Bild & Co gezeichneten. Den Vorwurf des “Antisemitismus” weist er scharf zurück: Hier und hier.
Und als ein Beispiel dafür, wie mäandernd heute manche Fronten verlaufen, kann man sich dieses Plädoyer ansehen, das der Bild-Zeitung nicht nur “Hetze” gegen Kollegah, sondern auch “gegen Flüchtlinge” vorwirft, gegen den Paragraphen § 130 StGB wie auch gegen Alice Weidel polemisiert, und auch den Problembären selbst vor Kritik nicht verschont (seine Pro-Palästina-Propaganda sei zu “einseitig” usw.)
Mit seiner Generalattacke auf die Medien (die mich lustigerweise stark an das Kuscheltier Xavier Naidoo erinnert, der noch einiges andere mit Kollegah gemeinsam hat) erfüllt Kollegah übrigens das Kriterium der “zweiten Bruchlinie” der Polarisierung, die Sommerfeld und ich in unserem Buch “Mit Linken leben” genannt haben.
Diese Bruchlinien wären: 1. Utopismus vs. Realismus, 2. Vertrauen vs. Mißtrauen in Medien und Regierung (nun wissenschaftlich als politische Bruchlinie bestätigt), 3. Globalismus/Universalismus vs. Nationalismus, Partikularismus, “Identität” usw. Wer in allen drei Punkten die letzteren Optionen wählt, gilt heute als “rechts” oder “Rechtspopulist”.
Als jemand, der selbst stark von einer kontroversen und von der Provokation lebenden Subkultur geprägt wurde (Neofolk/Industrial/Gothic), weiß ich aus eigener Erfahrung, daß Fremd- und Selbstwahrnehmung innerhalb von Musikszenen oft stark auseinanderklaffen. Sobald sich antifantische oder auch konservative Hexenjäger und Sittenwächter von außen auf einzelne Textzeilen, Songtitel, Plattencover usw. stürzen, sei es im Rap, Neofolk, Industrial oder Metal, um schreckliche Gefahren für die Gesellschaft an die Wand zu malen, rückt die angegriffene Fangemeinde einerseits empört über die in ihren Augen kraß ungerechten Angriffe zusammen, und ist andererseits belustigt über die phantasievollen Deutungen, Mißverständnisse und hysterischen Reaktionen. Nicht selten legt sie dann noch gerne eins drauf, um das Feuer der Empörung zu schüren und die Angreifer nach Kräften zu trollen.
Es ist und bleibt eben doch so, daß der Großteil “kontroverser” oder sehr aggressiver Musik “Rollenlyrik”, “Kunst”, emotionaler Ausdruck und Ventil ist, und vom Großteil der Hörer auch so wahrgenommen wird – egal, ob es nun Metal‑, Rap- oder Neofolk-Fans sind. Hier wird selten so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Freilich bleibt an dieser Stelle auch der konservative Einwand legitim, die Frage, inwiefern populäre Musik einen erheblich negativen Einfluß auf die Gesellschaft ausüben kann, indem sie Vulgarität und Amoralität fördert und folgenreiche Rollenbilder propagiert, etwa was die Verherrlichung von Kriminalität (im Rap), Drogenmißbrauch oder promiskuitiver Sexualität angeht (ich denke hier an Miley Cyrus, Lady Gaga, Nicki Minaj und so weiter).
Das ist ein schwer zu lösendes Dilemma der Massenkultur, deren Trendsetter trotz all ihrer Permissivität ihrerseits hysterisch reagieren, wenn sie auch nur harmlose Verstöße gegen die politische Korrektheit entdeckt haben oder haben wollen (es genügt schon, wenn Kanye West eine konservative Autorin lobt, eine kanadische Sängerin sich für Trump ausspricht oder daß Taylor Swift “zu weiß” ist.)
Ich selbst habe Null Ahnung von der Rap-Szene und finde die Musik grauenhaft, aber Argumente wie diese von Fler kommen mir aus anderen Zusammenhängen bekannt vor:
Ich meine diese Schubladen: Antisemit, Rassist, Frauenhasser. Wer so redet, versteht Hip-Hop nicht. Das ist die Strasse. Wenn wir unsere Mütter, unsere Frauen und unsere Herkunft beleidigen, kann man sagen: ‘Oh Gott, wie geschmacklos.’ Manchmal geht es wirklich zu weit. Man braucht aber nicht die Moralkeule auspacken und jammern, dass wir uns nicht so benehmen wie an der Uni.
Und auch das hier leuchtet mir ein:
Weil der über etwas redet, von dem er keine Ahnung hat. Hip-Hop ist nicht lieb, das ist die Musik der Unterschicht. So redet man auf der Strasse. Bei uns gibt’s keine Political Correctness. Wer aus der Scheisse kommt, der muss hart sein. Campino und diese ganzen pseudolinken Gutmenschen haben das nie kapiert.
Ähnlich hat Colin Robertson alias “Millennial Woes” den schottischen Youtube-Komiker “Count Dankula” verteidigt, dem bis vor kurzem noch eine Gefängnisstrafe gedroht hat, weil er seinem Mops beigebracht hat, auf das Kommando “Gas the Jews” die Pfote zum Nazigruß zu strecken (er ist nun mit einer Geldstrafe davongekommen).
Robertson betonte, daß Mark Meechan alias “Count Dankula”, der selbst kein “Rechter” und eher unpolitisch ist, aus der schottischen Arbeiterklasse stamme, wo man gegenüber politisch unkorrekten und geschmacklosen Witzen deutlich unempfindlicher sei, ja diese als Ventil gebrauche:
Ihr Leben ist hart, und alles andere als großartig. Krasser Humor ist zum Teil ihre Art, damit umzugehen. Ich habe viele von Count Dankulas Videos gesehen, und man kann erkennen, daß er kein einfaches Leben hatte. Er kann einstecken, aber auch zurückschlagen.
Zum Vergleich nochmal Fler:
Das Problem ist doch nicht, dass Jugendliche ‘ficken’ und ‘Scheisse’ sagen. Das Problem ist, dass sie in Städten wie Berlin Scheisse erleben. Zu Hause. In der Schule, die kaputt ist und zu wenige Lehrer hat. In einem System, das ihnen sagt: Ihr seid nichts, euch braucht keiner. Bloss weil ich einer von Hunderttausenden bin, der es geschafft hat, kann ich mich doch nicht hinstellen und darüber rappen, dass alles gut wird. Das heißt aber nicht, dass wir keine Werte vermitteln.
Was das “Werte vermitteln” betrifft, so klingt das angesichts der ganzen Titten-Gangster-Drogen-Gewalt-Zuhälter-Vergewaltigungs-Schußwaffen-Tiraden des Genres natürlich lustig heuchlerisch, aber dennoch steckt hier ein Körnchen Wahrheit drinnen, und das kann man gerade an Kollegah recht gut beobachten.
Mark Meechan alias “Count Dankula” zeigt seine bösen Tatoos.
Der hauptsächliche “Wert” scheint mir hier die – häufig karikaturhafte – Propagierung einer maskulin-thymotischen Ehrenkultur zu sein, deren Schwund wohl eines der gravierendsten Probleme der westlichen Welt ist, und sie reif zur Übernahme gemacht hat – Jack Donovan hat dieses Problem in seinen Büchern “Der Weg der Männer” und “Nur Barbaren können sich verteidigen” scharfsinnig und mitreißend dargestellt.
In der Terminologie Donovans: Das Image, das die Rapper pflegen, ist das “böser” Männer, Männer, die zwar keine “guten” Männer sind, die aber Wert darauf legen, “gut im Männlichsein” zu sein. Bei Kollegah kommt hier noch ein gerüttelt Maß an spiritueller Affirmation und Sinnsuche hinzu, eine Mischung aus gefühlsislamischen (denn weiter scheint mir das nicht zu gehen) und wild esoterischen Elementen, mitsamt den berüchtigten okkulten “Verschwörungstheorien”.
Er ist überhaupt ein seltsamer Fall: Felix Blume, so sein bürgerlicher Name, ist durch seinen nur “milden” Migrationshintergrund (Mutter Deutsche, Vater Kanadier) einer der wenigen Deutschen in einer Szene, die von jungen Migranten aus vor allem islamischen Ländern geprägt ist. Durch seinen algerischen Stiefvater wurde Blume nach eigener Auskunft schon früh zum Islam bekehrt. Im Habitus und in der Optik ist er kaum von seinen migrantischen “Brüdern” zu unterscheiden; auf den ersten Blick könnte er genauso gut ein türkischer, arabischer oder kurdischer Rapper sein.
Hier hat mit anderen Worten eine Art Gegen-Assimilation stattgefunden. Indem Blume den “kanakischen” Habitus vollständig angenommen hat, hat er sich auch ein Stück jener Narrenfreiheit ergattert, die den “Mihigrus” über weite Strecken gewährt wird. Wenn er dem auch physisch stark entgegensetzten Campino gegenübertritt, dann wirkt es weniger wie ein binnendeutscher Generationenkonflikt, in dem der altlinke, hypermoralisierende Opa mit dem jungen, politisch unkorrekten Rebellen zusammenstößt. Es wirkt vielmehr wie eine Szene aus dem laufenden Film “großer Austausch”, denn Blume tritt weniger als Vertreter einer jungen, genuin deutschen Generation auf, sondern einer hybriden, migrantisch-muslimisch dominierten Misch(sub-)kultur.
Zum Vergleich sehe man sich die spaßige Konfrontation zwischen Alice Schwarzer und dem deutschen Rapper King Orgasmus One vor zehn Jahren an. Letzterer wirkt wie ein kleiner, ungezogener Junge, der von seiner Schuldirektorin gemaßregelt wird, weil er im Schulunterricht Pornos mitgebracht hat. Schwarzer ist ebenso wie Campino ein Relikt der alten Bundesrepublik – wenn auch ein klügeres und klüger gewordenes. Wo Schwarzer heute offen islamkritisch ist, fehlen Campino schon sprachlich die Mittel, um mit dem Gorilla fertigzuwerden, der da im Gewächshaus des von ihm seit Jahrzehnten geförderten bunten Deutschlands herangewachsen ist, und der sich schon jetzt auch gegen die Linke wendet.
Und das ist für mich der eigentliche Clou an der Szene bei der Echo-Preisverleihung: Man konnte zuschauen, wie den linken Multikultis ein Monster auf den Kopf fällt, das sie sich selbst herangezüchtet haben. Und dieses Monster ist weder links noch rechts, weder deutsch noch migrantisch im herkömmlichen Sinne, es ist fremd, unverständlich, angriffslustig, respektlos und hat die Diskursregeln aufgekündigt. Die Feinde meiner Feinde sind nicht notwendigerweise meine Freunde, aber ich habe aus vollen Zügen genossen, wie Kollegah und Farid Bang mit nur wenigen Worten und Gesten Campino als den alten peinlichen Deppen entlarvt haben, der er nun mal ist.
Zu der besagten relativen Narrenfreiheit für Migranten gehört auch die Feier hypermaskuliner Inszenierungen. Auch hier ist die Körpersprache aufschlußreich, mit der Campino einerseits und Bang und Kollegah andererseits die Bühne betraten, bis zur höhnischen Imitation des Handzitterns des Altpunks. Eine genuin “deutsche”, die eigene Nationalität und Herkunft betonende Männlichkeitsinszenierung dieser Art ist heute kaum vorstellbar und würde von den Gouvernanten spätestens ab einem bestimmten Erfolgsgrad erst recht bitter bekämpft werden; der bereits erwähnte Fler hat es schon vor über zehn Jahren versucht (“Schwarz-rot-gold, hart und stolz”), und sich prompt die üblichen “Nazi”-Vorwürfe eingehandelt, vergleichbar mit den Attacken auf die Rockvariante von Frei.Wild (hier hat mir ein Leser, der sich in dem Genre besser auskennt als ich, ein Gegenbeispiel von den österreichischen Rapid-Hooligans Guilty & Vearz geschickt).
Andere Ausnahmen wären die milieuprägenden Böhsen Onkelz, die ihren Zenit allerdings lange hinter sich haben, oder Rammstein, die sich in dicke Schichten von Selbstparodie und bewußter grotesker Übertreibung eingepackt haben. Dennoch gibt es für junge proletarische deutsche Männer ohne “Migrationshintergrund” wenig “identitäre” Ventile und Rollenbilder, es sei denn, sie wollen wirklich in den verbliebenen Reservaten und Ghettos des “nationalen Widerstands” landen.
Und doch: Wenn ich mir Kollegah auf seiner selbstverliebten Tour durch die palästinensischen Autonomiegebiete ansehe, dann kommt hinter seiner ganzen Ghetto-“Bruda”-Assi-Nummer etwas Unerwartetes zum Vorschein – der brave, etwas naive, deutsche, sehr deutsche Gutmensch mit starkem sozialem Gewissen, der ernsthaft Gutes und Edles tun will. Besonders deutlich wird das in dieser Szene seines Palästina-Films, in der sich Blume von einem Häuptling der UNRWA für seine Unterstützung des al-Am’ari ‑Flüchtlingslagers im Westjordanland ehren läßt.
Dieser betont, um die Nationalität seines Gastes zu würdigen, daß die Palästinenser ebenso wie die Deutschen ein “friedliches Volk” seien:
Wir wissen, daß Deutschland das gastfreundliche Land ist und die meisten Flüchtlinge aufgenommen hat, was uns sehr berührt. Frau Merkel ist diejenige, die sich am intensivsten um alle Flüchtlinge gekümmert hat.
Was von Kollegah mit einem ernsten und stolzen “That’s right!” quittiert wird. Später, in seiner Antwort an Heiko Maas, wird er diesen Vorgang “Massenzuwanderung” nennen.
Ich sehe in dieser Szene einen jungen Mann, der nach einem Glauben, nach männlicher Ehre, nach einer Mission, nach Vätern, nach Brüdern, nach einem Volk gesucht hat, all dies jedoch unter den Menschen seines eigenen Stammes und in einem Land namens Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Merkel, Campino, Maas und Böhmermann, nicht finden konnte.
Zumindest in dieser Hinsicht ist Felix Blume vielleicht jenen Deutschen nicht unähnlich, die sich einen leidenschaftlichen pro-israelischen Ersatzpatriotismus angeeignet haben, und ihn für einen “Antisemiten” halten, weil er sich ebenso leidenschaftlich für die andere Seite des Konflikts einsetzt.
Nath
Wenn AfD-Funktionäre ihren bürgerlich-konservativen Konfirmationsanzug anziehen und sich in philosemitischen Äußerungen ergehen , fühle ich mich in erster Linie ästhetisch peinlich berührt. Das ist jene tausendfach wiederholte, Gähnkrämpfe auslösende Mainstream-Rhetorik, die man von einer a l t e r n a t i v e n Partei gerade nicht nicht hören will. Das Fehlen eines intellektuellen Gewissens, welches einem solche ausgeleierten Empörungsrituale schon aus Stilgründen verbieten müsste, unterstreicht dann nur noch einmal, wie abgrundtief mittelmäßig viele von ihnen sind. Ja, sie wollen Stimmen einfangen aus dem mittigen Milieu, das ist schon klar. Es jedoch auf diese Weise zu tun, desavouriert sie ein für allemal.
Vielleicht ist Curio ja eine löbliche Ausnahme.