Wie bereits hier und hier dargelegt, verfolgen wir die Entstehung einer neuen linken Sammlungsbewegung zugleich mit Interesse, Neugier und Gelassenheit.
Seit Samstag wissen wir nun mehr über das Wagenknecht-Stegemann-Projekt, das nicht mehr als #fairland projektiert wird, sondern als #aufstehen (inhaltlich blieb es beim altbekannten, wenngleich manch allzu »rechtsabweichlerische« Position für den – einstweiligen – linken Burgfrieden liquidiert wurde).
Die Gesichter der Kampagne sind indes nicht Linkspolitikerin Sahra Wagenknecht und Mastermind Bernd Stegemann, sondern 18 »normale Menschen«, die sich mit Videos präsentieren:
Es gibt die Journalistin Nada, die syrische Wurzeln hat und sich Sorgen macht, dass Deutschland fremdenfeindlich wird. Es gibt die Rentnerin Margot, die gerade genug Geld hat, um sich und ihren Hund Jack zu ernähren. Es gibt den Studenten Sebastian, der in der Provinz wohnt und über das Handynetz schimpft. Einige Auserwählte haben minutenlange Videos, andere nur eine Fotografie mit Vornamen, Beruf und einer Schlagzeile beigesteuert. Ein Unternehmer zum Beispiel gibt zu Protokoll: «Managergehälter in Millionenhöhe finde ich zum Kotzen.» Der rote Faden ist die Unzufriedenheit, mal über dieses, mal über jenes. «Flaschen sammeln darf keine Lösung sein!», heisst es zwischen zwei Videos. Oder: «Den Bürgern muss zugehört werden!»
Marc Felix Serrao ergänzt seine Darstellung:
Wagenknecht hat für den Auftakt ihrer Bewegung eine Strategie der geringstmöglichen Festlegung gewählt. Es gibt keinen Einleitungstext, kein Programm und keine Prominenten, mit deren Namen sofort bestimmte Positionen verbunden wären. Selbst Wagenknechts Name taucht auf der Website bis jetzt nicht auf. Im Impressum ist von einem «Trägerverein Sammlungsbewegung e. V.» die Rede, der sich noch in Gründung befinde. Selbst die Telefonnummer fehlt; «wird eingerichtet», heisst es. Als Adresse ist eine Anwaltskanzlei am Berliner Kurfürstendamm angegeben.
Der Hinweis auf die fehlende Wagenknecht ist ebenso wichtig wie jener auf die vorläufige Anonymität der »Bewegung«.
Wagenknecht fehlt, weil man im Team Sahra natürlich gemerkt haben dürfte, daß gerade das Aushängeschild nach außen (also in Richtung unzufriedener Normalbürger) für Friktionen und Ablehnungen nach innen (also ins rot-rot-grüne Lager hinein) sorgen würde, falls man die anvisierte linke Sammlungsbewegung von Anfang an medial zu stark mit ihr (und ihrem Ehemann Lafontaine) verbände.
Man muß keine ausgiebige, ausufernde Analyse vorlegen, sondern lediglich konstatieren: Der Start von #aufstehen ist ein Reinfall.
- Eine Bewegung, die von wenigen Köpfen erdacht, konstruiert, klandestin entwickelt wird, ist keine.
- Eine Bewegung, die am Reißbrett geplant wird, ohne lebendige Prozesse der Basis aufzuweisen, ist keine.
- Eine Bewegung, die eine solche Basis erst gar nicht aufweisen kann, sondern sie zunächst über Newsletter generieren möchte, ist keine.
- Eine Bewegung schließlich, die mit allgemeinen Wohlfühlfloskeln operiert, ohne von vornherein substantielle Ansätze wenigstens erkennen zu lassen, ist keine populistische, keine populare, keine volksnahe Bewegung sondern eben: gar keine.
Gewiß: Mit Fabio de Masi, Marco Bülow, Sevim Dagdelen oder Antje Vollmer verfügt man über einige kluge Politiker. Mit Bernd Stegemann hat man einen Wissenschaftler und Publizisten an der Seite, der aktuelle Lageanalyse und populistische Theorie vermitteln kann. Und mit einigen medial firmen Idealisten kann man im September dann zum nächsten Schritt, der offiziellen Präsentation seiner rund 40 »prominenten« Unterstützer, schreiten.
Doch: So entsteht keine Dynamik, und die relevanten Akteure von SPD, Grünen und Linkspartei gehen bereits jetzt auf Abstand. Das liegt natürlich an der entstehenden Konkurrenzsituation, an Wagenknecht, an Grandseigneur Lafontaine, an eben den klugen Köpfen um Fabio de Masi und Co. (die ohnehin seit geraumer Zeit als »linksnationale« Abweichler verdächtig erscheinen).
Es liegt aber auch daran, daß die bundesdeutsche Linke die Notsituation, in der sie sich befindet, nicht begreifen will; sie ist erkenntnisblind, ideologisch auf Irrwegen und inhaltlich wie strategisch erfreulich beratungsresistent. In dieser Hinsicht unterscheidet sie sich fundamental von ihren unmittelbaren Vorbildern wie der französischen Sammlungsbewegung »La France insoumise«.
#aufstehen wird daher kein Rettungsanker für die Linke bedeuten, sondern ein letztes Aufbäumen linkssozialdemokratischer Restvernunft, gepaart mit nationalstaatlicher Pragmatik, die dem linken Lager freilich zu weit geht. Man bleibt zudem, wiederum anders als »France insoumise« und weitere Inspiratoren, gänzlich dem Bestehenden verpflichtet und verkörpert keine fundamentale Opposition.
Wenn Wagenknecht beispielsweise im Gespräch mit den – im linken Lager weitgehend als »Querfront-nah« verbrämten – Nachdenkseiten letztendlich suggiert, man würde gegen das politisch-mediale Establishment streiten, bemerkt sie nicht die ironische Situation, daß ebendieses Establishment der einzige Faktor ist, der die Entstehung der Sammlungsbewegung einigermaßen positiv begleitet, weil er sie womöglich als potentiellen Wahlkonkurrenten der AfD begreift und daher für strukturell bedeutsam erachtet.
Doch eine Bewegung, die ihren Startschuß am Wochenende gleichzeitig in Leitmedien wie dem Spiegel oder auch in der FAZ abfeuern konnte, ist, ein mal mehr, eben keine Bewegung, und schon gar keine solche, die das politisch-mediale Establishment als Gegner aufweist, sondern es, im Gegenteil also, verschiedentlich als Multiplikator und Promoter für die eigene Gründungsphase nutzen darf.
Das alles hat, es wurde bereits erwähnt, eine spezifische, ironische Konnotation, die aber durch Wagenknechts Fazit erst ihre volle Bedeutung entfaltet:
Inzwischen bestimmt die AfD in Deutschland die Themen der Politik und treibt die anderen vor sich her. Das wollen wir nicht länger akzeptieren.
Weil man also nicht akzeptieren will, daß das linke Lager von der AfD getrieben wird, läßt man sich dazu treiben, ein die gesamte bundesdeutsche Linke potentiell unterminierendes, weil aufsprengendes und tendenziell spaltendes Von-oben-Konstrukt zu plazieren, das inhaltlich mannigfaltige populistische Ansätze absorbiert, die von der AfD besser, da authentischer, vertreten werden können.
Linke Dialektik im Jahr 2018.
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Dieser Dialektik ist im übrigen jene Unbeschwertheit gänzlich fremd (geworden), mit der rechts fortan operiert wird. Man denke nur an Till-Lucas Wessels’ Auseinandersetzung mit dem »Phänomen Sahra«:
MartinHimstedt
Wagenknecht wird also von ihrer eigenen Partei als „Nazi“ diffamiert (wie im Grunde genommen alle rechts der Sonnenkanzlerin, aber das ist ein anderes Thema). Sie vertritt in ihrem Buch („Reichtum ohne Gier“) Thesen, die man auch von Sieferle oder der neuen Rechten im allgemeinen kennt (Unvereinbarkeit von Sozialstaat und offenen Grenzen, Demokratie nur mit halbwegs homogenen Demos und so weiter). Auf dem Parteitag sorgt sie für einen Eklat, weil die Delegierten es so rein gar nicht fassen können, dass sie ernsthaft behauptet, so etwas wie Wirtschaftsmigration würde es überhaupt geben.
Sie gründet also eine Sammelbewegung „für Wähler von SPD, Grünen und Linken“ (vgl. ihr Nachdenkseiten-Interview: „Wir hoffen, dass sich möglichst viele Mitglieder aus SPD, Linker und Grünen bei uns zusammenfinden“). Also für Leute, die Teile ihrer Thesen für „Nazi“ halten. Auf Twitter und so weiter wird sie, für die Bewegung, sowohl von gemäßigten Genossen angefeindet, als auch von linksextremen Wirrköpfen wie Jutta D. Das U-Boot der AfD, und unser Mann Nummer 1 im Staat, Ralf Stegner, lehnt die Bewegung ab: „Egotrip notorischer Separatisten“.
Wer hat sich das Alles ausgedacht? Was habe ich nicht verstanden?
„#aufstehen wird daher kein Rettungsanker für die Linke bedeuten, sondern ein letztes Aufbäumen linkssozialdemokratischer Restvernunft, gepaart mit nationalstaatlicher Pragmatik, die dem linken Lager freilich zu weit geht“ – dem dürfte eigentlich nichts mehr hinzuzufügen sein.