Dieser mal subtile, mal grobe, mal zermürbende Druck auf politisch Andersdenkende, auf Verweigerer und Individualisten, kann so vielfältige Formen annehmen wie Proteus, der griechische Gott der Verwandlung:
Geht es nicht mit Kündigung, geht es mit Mobbing, geht’s nicht mit Strafanzeige, dann mit Verleumdung, und so weiter. Es sind längst nicht mehr wenige, die ihre Überzeugung an den Rand der Gesellschaft, in die verschiedensten Schwierigkeiten, in Situationen des Ausschlusses, der Benachteiligung, der Marginalisierung, und teilweise in existenzrichtungsverändernde, im Extremfall sogar in existenzbedrohende Lagen gebracht hat.
Eine der Personen, die einschneidende Erfahrungen in ihrem Umfeld machen mußte, ist unsere Autorin Caroline Sommerfeld. Die (mit einer preisgekrönten Doktorarbeit) promovierte Philosophin und dreifache Mutter arbeitete neben ihrer publizistischen Tätigkeit in einer Wiener Waldorf-Schule als Köchin. Auch in ihrer persönlichen Vorgeschichte spielt die Waldorf-Bewegung, der sie lange verbunden war, eine Rolle.
Zwei ihrer Söhne, 8 und 12 Jahre alt, besuchten die Wiener Einrichtung. Umso schlimmer die gar nicht spirituell-empathische Weise, in der man dort mit einer im eigenen Milieu verankerten Weggefährtin umging.
Die folgende Episode stellt nur den vorläufigen Höhepunkt in einem Drama dar, das einerseits durch dieses Milieu sehr spezifisch, andererseits, durch die angewandten Mittel und Inhalte, sehr typisch für die Meinungsdiktatur in unserer Gesellschaft ist.
Lesen Sie als erste Kostprobe aus dem entstehenden Buchprojekt Repression das Gespräch, das Sophie Liebnitz mit Caroline Sommerfeld führte.
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Liebe Caroline, bevor Du über die Ereignisse selbst berichtest, wüßte ich gern: Wie bist Du zur Waldorf-Bewegung gekommen und was hat die für Dich bedeutet? Vielleicht könntest Du auch die Grundprinzipien für den Laien ganz kurz darstellen.
Meine Eltern waren als Grünen-Mitbegründer in den 70er Jahren durchaus waldorfnah, wenn auch völlig ungeistig, eben an Naturkost, Gartenbau und alternativen Lebensweisen interessiert und mit ein paar Anthroposophen befreundet. Als Philosophin bin ich vor 20 Jahren mit Rudolf Steiners Schriften im Kontext der „Lebensphilosophie“ der Jahrhundertwende in Berührung gekommen, habe mich dann länger mit Steiners vermeintlichem „Antiintellektualismus“ im Zusammenhang mit hochbegabten Kindern an Waldorfschulen beschäftigt und mit der Reformpädagogik überhaupt. Steiners Ideen sind nicht nur das, was an Waldorfschulen, deren erste er 1919 gegründet hat, unterrichtet wird, sondern ein ganzer geistiger Kosmos. Meines Erachtens, und je länger ich mich mit Steiner und der Schulpraxis auseinandergesetzt habe, sind es eigentlich so richtig schön rechte Gedanken, die mitten aus dem Zeitzusammenhang der Konservativen Revolution stammen. Waldorfpädagogik will Kinder in ihre „Volksseele“ (diesen Begriff verwendet Steiner selber) enkulturieren („einbinden“, „hineinwachsen lassen“) und sie als leibliche Wesen zum Geistigen erziehen, vor allem, das wurde mir immer wichtiger, sie zur Individualität erziehen. Das klappt aber nur – und das ist nicht paradox, sondern folgerichtig – in einer Gemeinschaft. Waldorfklassen machen das meiste als ganze Klasse: Singen, komplizierte Choreographien, Rezitieren, Theaterspielen, Musizieren, selbst Rechnen. Das einzelne Kind wird nicht, wie es gegenwärtig ja überall das wichtigste zu sein scheint, „individuell gefördert“, also mit seinem Lernheft oder Portfolio alleingelassen um sich „feedback“ zu holen, wenn es das braucht, sondern ist aufgehoben in einem großen Ganzen. Der Gang durch die Geschichte, also die historische Entwicklung des Menschen, wird an Waldorfschulen auch ganz anders unterrichtet als an Regelschulen: es beginnt in der 2. Klasse mit der Schöpfungsgeschichte, über nordische Mythen (sie lernen Runen!) und altindische Mythen zur Ur- und Frühgeschichte und langsam zum europäischen Menschen im Christentum. Ein Volk hat nicht nur seine gemeinsame Abstammung, sondern auch seine gemeinsamen Mythen und eine Seele.
Nun, das alles war natürlich damals vor sieben Jahren nicht der Grund, sich für eine Waldorfschule zu entscheiden. Damals ging es mir eher um die religiöse und gemeinschaftliche „Hülle“ (auch ein Ausdruck, den Rudolf Steiner geprägt hat) und die feste Klassengemeinschaft.
Kannst Du Dich erinnern, an welcher Stelle Dir das erste Mal das Konfliktpotential, das in Deinem politischen Engagement steckt, klargeworden ist. Gab es Warnzeichen, Hinweise auf Inkompatibilität? Und ist diese Inkompatibilität, etwa mit den Zielen der Identitären Bewegung, wirklich in den Lehren Steiners angelegt, oder siehst Du darin eher das Ergebnis einer zeitgeistigen Interpretation von Steiners Lehre?
Es gibt einen Riesenunterschied zwischen Steiners Ideen und den Leuten, die heute Waldorfschulen bevölkern. Diese Klientel ist (abgesehen von vereinzelten echten Anthroposophen, aber die sind ganz leise) linksgrün, meist Bobo-Hipster mit kreativen Berufen, gern Patchwork und „Regenbogen“-Familienersatzkonstrukte, aber nicht ohne Geld, denn Waldorfschulen werden zumindest in Österreich kaum staatlich unterstützt. Meine Vorstellung war lange, daß die Elternschaft doch irgendetwas an der Anthroposophie (nicht die geisteswissenschaftliche Lehre Steiners selber, aber irgendwelche Ideen, die tiefergehen als hübsche Aquarelle und feierliche Stimmung) gefunden hätte. Es hatte den Anschein, daß sie zumindest den autoritären Unterrichtsstil und die christliche Prägung goutieren. Daß allerdings ebendiese Eltern, niemals alle, aber eben diejenigen, die diese elternverwaltete Schule als quasi schulleitender Vorstand 2016 übernommen hatten, eine ganz andere Agenda haben, war mir nicht bewußt.
Sie haben, das weiß ich jetzt, Steiners Grundideen verraten und verkauft. Natürlich nicht nur diese fünf Hanseln im Vorstand von Waldorf Wien West, sondern in der ganzen institutionalisierten Anthroposophie ist seit etwa 10 Jahren etwas im Gange: derselbe Kurzschluß zwischen Kulturmarxismus und Globalisierung wie in der ganzen Linken, mit derselben Rhetorik für „Toleranz“, „Vielfalt“ und die „offene Gesellschaft“. Diese hat aber eine sinistre (Anthroposophen würden sagen: eine „ahrimanische“) Kehrseite, nämlich ideologisch motivierte Verfolgung von allem, was sich dieser Weltordnungsphantasie in den Weg stellt. Selbst die Linken in den 70er und 80er Jahren, von denen ja auch viele ihre Kinder auf Alternativschulen schickten und da als Eltern mitmischten, hatten keinen solchen Furor gegen Andersdenkende, keine Agenda „gegen Rechts“, so wie gegenwärtig. Rudolf Steiner würde heute, las ich mal in einer schönen Glosse in einem abtrünnigen Anthroposophenmagazin, aus der Anthroposophischen Gesellschaft ausgeschlossen werden wegen rechter Gedanken.
Es gibt ja nicht „die“ Waldorf-Bewegung. Sie durchzieht genau derselbe politische Riß wie die ganze Gesellschaft. Ich glaube sogar, dieser Riß ist dort noch tiefer, weil eine geistige Bewegung sofort auf der Ebene ideologischer Grabenkämpfe landet, während im normalen sozialen Alltag ja noch viele Puffer existieren und viele Konflikten länger verdeckt schwelen. In den 90er bis 2000er Jahren gab es eine Reihe teilweise extremer Angriffe gegen Steiners Gedankengut von links, inklusive Faschismus- und Rassismusvorwurf. Dagegen haben viele, allen voran Lorenzo Ravagli, durch mühevolle Interpretation und Kontextualisierung der inkriminierten Stellen in Steiners umfangreichem Werk versucht zu argumentieren. Leider hat dann – wie an anderen reformpädagogischen Einrichtungen übrigens in ähnlicher Weise, an Jenaplanschulen zum Beispiel – der „Waldorfbund“ 2007 eine „Erklärung gegen Rassismus und Diskriminierung“ lanciert, um diesen politischen Vorwürfen ein Ende zu machen. Mit dem Erfolg, daß ebendiese Erklärung zehn Jahre später als Werkzeug zur Verfügung stand, konkrete Leute zu diskriminieren als „Rassisten“.
Die Waldorf-Schule hat Dich, wenn ich das richtig sehe, zunächst nach einer Denunziation entlassen. Wie hat sich das abgespielt, und was ist danach geschehen? Die von Dir verfaßte Gegenerklärung wurde immerhin in zwei anthroposophischen Zeitschriften veröffentlicht. Läßt das auf einen gewissen Restspielraum in der Bewegung schließen?
Konkret passiert ist, daß ich als Schulköchin aus heiterem Himmel entlassen worden bin, weil ich „auf rechtsextremen Internetseiten“ schreibe. Wohlgemerkt: als Köchin, nicht als Schulleiterin oder Geschichtslehrerin. Es wurde just diese „Stuttgarter Erklärung“ (für Österreich textgleich „Wiener Erklärung“) herangezogen, und behauptet, ich verstieße dagegen in meinen Texten. Eltern fühlten sich „diskriminiert“ davon und würden weggehen, wenn ich bliebe. Die Hauptsorge war der Ruf der Schule, den ich doch nicht gefährden wollte, oder? Man hat versucht, mich einzuschüchtern: wenn ich mich ruhig verhielte, nichts gegen die Schule schriebe, diese Kündigung hinnähme und mich nicht blicken ließe, könnten unsere Kinder weiter an der Schule bleiben. Das Damoklesschwert hing also seitdem, das war im Februar 2016, über uns. Ich habe in der Schule nie jemanden angegangen oder eingeschüchtert in Wort, Geste oder Tat. Sie fürchteten mich trotzdem wie der Teufel das Weihwasser.
In einer außerordentlichen Generalversammlung nur zum Fall Sommerfeld verlas man dann gesammelte Dinge, die ich angeblich geschrieben hätte, darunter, ich sei „gegen Ausländer, außer solche aus den Nachbarländern“, ich hätte geschrieben, Ausländer seien „Kaninchenficker“ (ich kannte das Wort nicht einmal, obwohl ich bekanntlich begeistert von absurden Wortschöpfungen bin), hätte überdies „Neger“ gesagt, und „wir“ hätten uns doch in Österreich darauf geeinigt, dieses Wort nie wieder zu sagen. Selber in jener legendären Versammlung das Wort zu meiner wenigstens ansatzweisen Verteidigung zu ergreifen war mir kaum möglich, denn alsbald riefen wohlmeinende Waldorfeltern, man solle mir hier „keine Plattform“ bieten. Es gäbe Eltern, war das Argument, die sich durch meine schiere Präsenz “getriggert” fühlten, oder die es nicht lassen könnten, freiwillig meine Schriften zu studieren (der Herr vom Vorstand wörtlich zu meinem Mann: “Wir verfolgen jeden Schritt Ihrer Frau!”). Mein Mann hatte in dieser Situation den Vorstand aufgefordert, Abstand zu nehmen von jeglicher Sippenhaftung − worauf einfach keine Reaktion kam. Vollkommen gespenstische Szene, dieser Generalversammlungsabend. Wir hatten dem Monster ins Gesicht geblickt.
Ich bin dann in den Widerstandsmodus übergegangen, denn diese Zwangslage konnte und wollte ich nicht auf uns als Familie sitzenlassen. Eine Sache war, daß ich zur „Gleichbehandlungsstelle“ im Frauenministerium gegangen bin, weil es sich eindeutig um eine Jobkündigung aus politischen Gründen, und also nach deren Definition um „Diskriminierung“ am Arbeitsplatz handelte. Diesem Ansuchen wurde auch tatsächlich stattgegeben, es fand eine (außergerichtliche) Verhandlung zwischen mir und dem Vorstand der Schule statt. Die Aufgabe dieser Ministeriumsstelle ist indes nur Schlichtung, der Vorstand war aber zu keinem Vergleich bereit.
Der zweite Teil war metapolitischer Natur: ich habe zum Schulbeginn nach dem vergangenen Sommer gleichzeitig die genannte „Gegenerklärung“ auf Sezession.de und in zwei dissidenten Anthroposophenmagazinen veröffentlicht. Dort sind Leute, die die linksglobalistische Vereinnahmung von Rudolf Steiner nicht mitmachen und zurückgehen auf dessen eigentlichen geistigen Anspruch. Der Anthro-Mainstream hat reagiert: in allen Magazinen und auf allen größeren Internetseiten gab es entschiedene Distanzierungen. Man nahm meinen Vorstoß als Bedrohung wahr.
Lange passierte in der Schule dann gar nichts, wir wähnten uns schon in relativer Sicherheit. Bald ein Jahr nach dem Küchenrauswurf haben sie dann die „Wiener Erklärung“ in die – für den Schulbesuch der Kinder zwingenden – Betreuungsverträge aufgenommen. Zuvor hatten sie einen Passus in die neuen Verträge hineingeschrieben, der eine echte “Lex Sommerfeld” darstellt. Dieser verlangt, daß auch der zweite Elternteil “in seiner Lebensführung den ideologischen Zielen des Vereins” entsprechen müsse. Jetzt, nachdem ich längst raus bin, sollen in der nächsten Generalversammlung die allgemeinen Begriffe der „Wiener Erklärung“ noch “Konkretisierung erfahren“. Nun, ich stelle mir eine Versammlung von 120 und mehr Personen beim Definieren des Rassismus- oder Diskriminierungsbegriffs heiter vor. In der Zwischenzeit hatte der Vorstand außerdem Kontakt zum DÖW (Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands) aufgenommen, um „neofaschistische Vereinsmitglieder“ ausfindig zu machen und die Lehrerschaft in einem „Antirassismusworkshop“ zu schulen.
Wie war es für Dich, Deine Kinder weiter dort zur Schule zu bringen und zu begleiten? In Waldorf-Schulen ist das Engagement, das von den Eltern verlangt wird, ja außergewöhnlich hoch, also konntest Du wahrscheinlich nicht einfach von der Szene verschwinden. Waren die Eltern in ihren Reaktionen gehässig oder haben sie versucht, Dich zu meiden? Ich meine, wie spielt sich so etwas auf der persönlichen Ebene ab? Die Schule hat Dich ja sozusagen für vogelfrei erklärt, trotzdem warst Du, waren die Kinder als ständige Erinnerung an Deine Person ja nicht wegzubekommen.
Ich sollte fernbleiben. Die beiden Klassenlehrerinnen wünschten zwar explizit, daß ich zu Elternabenden komme, aber als zum Beispiel eine andere Mutter mich fragte, ob ich beim Schulfest den Bücherstand mitbetreuen würde, schaltete sich der Geschäftsführer ein und verbot mir das: „Du polarisierst. Das verstehst du doch? Wenn du da bei den Büchern stehst, kommen bei den Leuten Bilder hoch von der Buchmesse.“ Es gab eine Menge Eltern, die mich nicht mehr grüßten, wenn ich mal die Kinder geholt oder hingebracht habe, und ganz vereinzelte, die mir Mut zusprachen. „Auch Rechte haben Rechte“ äußerte ein Vater, und ein anderer hat sich offen mit mir solidarisiert und an die Schulgemeinschaft geschrieben, daß er auch Identitärer sei. Fürchterliche Haß-Rundmails wurden dann herumgeschickt von einzelnen Eltern. Grotesk war beispielsweise, als ich über Dritte zu hören bekomme, eine lesbische Mutter wolle nicht, daß ihr Kind neben meinem sitze, „wegen der Ideologie“. Ansteckendes Rechtsekzem halt. Man stelle sich einmal nur kurz zum Spaß vor, dies geschähe andersherum …
Die Kinder blieben erstaunlich verschont. Beim Kleinen trug sich einmal eine Szene zu, daß ein anderer Bub ihn mit einem Stock hauen wollte beim Waldausflug, weil seine Mama rechts sei und nicht so wie seine Eltern SPÖ wähle. Der Größere hatte allerdings ständig Sorgen, ob, wenn er irgendetwas im Unterricht gegen die Meinung der Lehrerin sagen würde, auch völlig unpolitische Dinge, er vielleicht rausgeschmissen würde. Ein Kleinklima der Angst ist entstanden. Eine Mutter, Osteuropäerin, sagte zu mir, sie habe nie gedacht, daß sowas wiederkommen würde: ein Verwandter von ihr sei damals gekündigt worden im real existierenden Sozialismus, weil er irgendeine unerwünschte Flagge gehißt hatte.
Wie kam es schließlich zu dem Ausschluß Deiner Kinder aus der Schule? Wie haben sie es Dir mitgeteilt? Beschreibe uns bitte diese Szene, man kann sich einen so krassen Schritt schlecht vorstellen: In einer Gesellschaft, die sich fortlaufend ihrer Meinungsfreiheit rühmt, jemanden wegen seiner Meinung aus einer Institution auszuschließen, in der er die längste Zeit ohne Beschwerden agiert hat.
Der Vorstand hat uns am letzten Schultag vor den Sommerferien ohne Vorankündigung in der Früh die Kündigung der Betreuungsverträge mitgeteilt. Mein Mann hatte noch um ein Gespräch gebeten und wurde kalt abserviert. „Gehen Sie doch an die Presse, bitte, wir können gute Presse brauchen!“, gab einer vom Vorstand ihm zu verstehen, und daß sie ja nur den Beschluß der Generalversammlung (die Wiener Erklärung in die Betreuungsverträge aufzunehmen und alle Eltern, nicht bloß das jeweilige Mitglied, zur Unterschrift zu zwingen) umsetzten. Nun könnten sie nichts mehr für uns tun.
Die Reaktion der Kinder war entsprechend: die Lehrerinnen und die gesamte noch anwesende 6. Klasse weinte, ein Pulk Kinder stürmte zum Büro, um vielleicht doch noch irgendwie was tun zu können. Ich solle doch den Vertrag unterschreiben, dann wäre alles gut. Nein, leider nicht. Denn: dem war bereits ein Gespräch zwischen mir (ich wollte Klarheit, wie es im kommenden Schuljahr aussieht, und kein Damoklesschwert) und dem Vorstand vorausgegangen, in dem sie mir sagten, selbst wenn ich jetzt unterschriebe, würden sie a.) nicht glauben, daß ich dem Inhalt der Erklärung auch zustimmte und b.) wäre es eine Frage von Wochen oder Monaten, denn “Je berühmter du wirst, desto unwahrscheinlicher ist es, daß deine Kinder bleiben!”.
Es handelt sich – und das ist der Skandal an unserem Fall – eindeutig um Sippenhaftung. Mein Mann ist ja ein in deren Augen gänzlich unbescholtener Linker, und die Kinder sind mitgefangen, mitgehangen.
Wie haben die Kinder reagiert und wie geht es jetzt weiter?
Der Ältere ist schier verzweifelt, und wir beide sind erst einmal so richtig psychosomatisch krank geworden, inklusive Spitalsaufenthalt. Irgendwann haben wir uns dann wieder gefangen, da hilft ein guter Freundeskreis ungemein. Wir haben eine neue Schule gefunden, eine katholische Ordensschule mit Gymnasium und Volksschule. Keiner hat da nach meiner politischen Meinung gefragt, ich war fast verblüfft, daß keine Fragen kamen. Mir hatte eine Bekannte erzählt, bei der Suche nach einer neuen Schule für ihren Sohn wäre ihr bei einer der Schulen eine ganz ähnliche politisch-weltanschauliche „Erklärung“ unter die Nase gehalten worden zum unterschreiben. Das ist also nicht waldorfexklusiv. Ich glaube, es ist ist dort nur besonders extrem, weil ich als politische Dissidentin einem losgelassenen linken Elternklüngel ausgesetzt war, ohne daß eine übergeordnete Institution diesem Treiben Einhalt gebieten könnte. Aber wer weiß, die übergeordneten Institutionen wollen ja allzu oft genau dasselbe.
Mir tut es unendlich leid um die Waldorfschule. Diese spezielle und die Waldorfschulen generell. Freilich auch leid darum, was unseren Kindern entgehen wird, von den Freunden und zwei großartigen Lehrerinnen abgesehen auch an Unterrichtsinhalten und an gemeinschaftlichem Leben. Sehen wir es mal so: Leute wie ich, die sich mit der Waldorfpädagogik identifizieren, haben keinen Platz mehr an Waldorfschulen. Ich bin ja nicht die einzige, die aus politischen Gründen entfernt wurde, ich kenne mehrere Fälle von Lehrern und Schülern. Auf einem linken Anthroposophen-Blog las ich einmal: „Wer heute Steiner sät, wird Neurechte ernten“. Der Mann hat, auch wenn er es anders gemeint hat, absolut recht. Ich glaube, meine Causa war ein Punkt, an dem einige innerhalb der Anthro-Community ins Nachdenken gekommen sind. Auch da trennt sich gerade ein Widerstandsmilieu ab. Aber warum mußten deswegen die Kinder dran glauben? Mein Mann hat in einem Interview dann gesagt, dieses Opfer wäre doch wieder nur ein Argument für die Neuen Rechten. Aus diesem Denken müssen wir uns schleunigst verabschieden, sonst kommen wir politisch von der Waldorf- in Teufels Küche!
Am heutigen Tage, dem 3. September, beginnt die Schule in Wien wieder. Nachdem der Vorstand noch andere Kinder unliebsamer Eltern sowie drei Lehrer gekündigt hat, gibt es Protest vor dem Schultor. Auf kleinen Sesseln stehen die Namen der ausgeschlossenen Kinder geschrieben, auch unsere sind darunter…
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Soweit das Gespräch. Ein Nachtrag zum Buchprojekt Repression: Für ein, zwei sehr besondere Fälle ist noch Platz – wer über seine Erfahrungen mit den Mechanismen alltäglicher Unterdrückung berichten möchte, wendet sich unter liebnitz(at)antaios.de an Sophie Liebnitz.
Durendal
Gibt es eigentlich Erkenntnisse darüber, was in Menschen vorgeht, die sich so aufführen? Da dieses Verhalten mit sachlichen Gründen nicht erklärbar ist, müsste es psychologische Erklärungen geben, die ggf. Aufschluss über den richtigen Umgang mit entsprechend gestörten Menschen geben können.
Als Laie meine ich Parallen zum Mobbing zu erkennen bzw. zum Verhalten schwacher Charaktere, die auf diesem Weg Pseudostärke signalisieren und die Akzeptanz seitens der tonangebenden Gruppe gewinnen wollen. Aber das ist nur eine Laientheorie.