antwortet nun einer der Autoren, Benedikt Kaiser. Er tut dies nicht nur als Attackierter, sondern als einer der Stammautoren und Mitarbeiter unserer Zeitschrift Sezession. Kaiser hat sich im Verlauf der letzten Jahre mit einer eigenen Tonlage und durch seine intensive Rezeption linker Denker und Bewegungen ein scharf konturiertes Profil erarbeitet. Er trat Mitte 2014 im Institut für Staatspolitik die Nachfolge Karlheinz Weißmanns an und leistet seither etwas, das zuvor nicht gelang: eine weit über unser eigenes Spektrum hinausreichenden intellektuellen Wirkung zu erzielen und so etwas wie “intellektuelle Angst” beim weltanschaulichen Gegner zu verbreiten.
Mit Kaisers Antwort auf Gerlich ist zugleich der Kommentarbereich in dieser Debatte geöffnet. Und wir rufen dazu auf, sich auch mit umfangreicheren Beiträgen zu beteiligen: bis zu 7000 Zeichen an redaktion(at)sezession.de, zum Thema, zu “Marx von rechts”, zur Debatte, zu einem der beiden Beiträge. Vielleicht bis kommenden Montag?
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“Marx Von rechts” – Lektüre, keine Lektüre, schiefe Lektüre
Ausführliche Rezensionen sind oftmals entlegenen Fachpublikationen vorbehalten. Es ist daher zu begrüßen, daß mit Siegfried Gerlichs Meinungsbeitrag über die kontroverse Veröffentlichung Marx von rechts aus den Federn von Philip Stein (Vorwort), Alain de Benoist, Diego Fusaro und mir eine – dem Umfang nach zu urteilen – nachhaltige Auseinandersetzung zu erwarten war.
Indes, auf die frohe Kunde einer Großbesprechung, ob negativ, differenziert oder positiv, folgte sogleich die Ernüchterung: Hier wurde überwiegend die Chance verpaßt, am spezifischen Inhalt der Beiträge entlang eine substantielle Auseinandersetzung zu führen – und sei sie in der Sache auch besonders kritisch.
Das liegt womöglich an des freischwebenden Autors persönlicher Aversion gegen »jüngere« (wie so oft betont wird) neurechte politische Theorie und an der ihm gänzlich fremd erscheinenden Praxis. Aber jenseits persönlicher Animositäten liegt dies mehr noch daran, so meine ich jedenfalls, daß hier vor der möglicherweise erfolgten Lektüre feststehende Urteile nachträglich ausgeschmückt wurden.
Anders ist es nicht zu erklären, daß Gerlichs gewählter Einstieg ein von ihm anhand der Einleitung pauschal diagnostizierter »Zweifrontenkrieg« ist, der in dieser Form nicht existiert. Selbst linke Blätter und Antifa-Magazine haben in jüngerer Zeit demgegenüber präzise herausgestellt, daß die Arbeit der »jüngeren« Neuen Rechten um Stein und Kaiser ganz zentral und nicht erfolglos der »Sammlung« gewidmet ist.
Das heißt: dem Aufbau und Wachstum eines rechten Mosaiks, in dem unterschiedliche organisatorische, strategische und weltanschauliche Bausteine miteinander verwoben ein großes Gefüge des Solidaritätszusammenhangs ergeben, der flexibel und Kräfte bündelnd den Erfordernissen des politischen Tagesgeschäfts genügen kann – innere Widersprüche, gerade auch zwischen sozial und liberal, inklusive. Es gilt, so schrieb ich an anderer Stelle, eine Rechte zu schaffen, in der viele Rechte Platz haben.
Gerlich begründet jedoch seine Diagnose nicht, wonach man hier »liberal-konservative Kollaborateure«, zu denen er sich offenbar zu zählen scheint, »mitzuerledigen« gedenkt. Er springt zum nächsten Punkt, der sich doch so bequem von alleine verflüssigte, wäre das Buch sorgfältig gelesen worden. Denn Gerlichs Vorwurf, es würde rechten Kapitalismuskritikern nichts anderes übrig bleiben, als »bis zum apokalyptischen Kollaps der bestehenden Weltordnung tapfer auszuharren«, geht – erneut – am Inhalt vorbei.
Denn ein Spagat aus Nah- und Fernziel wird, beispielshalber von mir, ausdrücklich konstatiert:
Es handelt sich also bei rechter Kapitalismuskritik oder der Relektüre von Denkern wie Marx nicht ansatzweise darum, danach zu trachten, in einem globalen Staatsstreich den Weltmarkt abzuschaffen oder Maximalprogramme vorzulegen, wie man die große Maschine zum Stoppen brächte, auch wenn dies Neokonservative zur Desavouierung des kapitalismuskritischen Neubeginns auf der politischen Rechten argwöhnen. Alain de Benoist wies vielmehr darauf hin, dass es unmöglich sei, überhaupt einen globalen Wandel herbeizuführen. Daher müsse man endlich beginnen, eigene „Räume der Freiheit und des Miteinanders zu schaffen“, also Inseln gelebter Alternativität und Solidarität.
Diese »Inseln« können Hausprojekte, kleine sich herausschälende Gruppen politischer Nachwuchsdenker, widerständige Jugendcliquen, Parteiplattformen oder auch Suppenküchen für Bedürftige über Bürgerinitiativen sein, je nach Fasson und Handlungsmöglichkeiten des Einzelnen.
In jedem dieser Fälle sind dies kleine und doch große Schritte der Veränderung, die uns mehr interessieren als das von Gerlich ohne jeden Beleg behauptete Warten auf den Weltkollaps, das eher die Sache abgesonderter Geister ist und weniger jene von jungen politischen Theoretikern, die tagtäglich (auch) in der Praxis bestehen müssen – in jener komplizierten und widerspruchsreichen Sphäre des Politischen wohlgemerkt, von der sich andere, bewußt distinguiert und gelegentlich mit der Arroganz des Besserwissenden zurücklehnend, seit Jahrzehnten fernhalten.
Alle politischen Bewegungen, die auf wirkliche und nachhaltige Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse abzielen und nicht bloß die Lust am Theoretisieren hegen, sehen sich im übrigen mit diesem Spannungsverhältnis von Nah- und Fernziel (vgl. »Revolutionäre Realpolitik von rechts?«, Sezession 81) – Politik der kleinen Schritte versus konkrete Utopie eines anderen Deutschlands, eines anderen Europas – konfrontiert. Doch auch hier irrt Gerlich.
Es geht nicht um gesetzte »Spaltpilze«, nicht um die Schaffung von Grenzen innerhalb des eigenen Milieus. Denn die Gräben zwischen »Realpolitikern« und »Fundamentaloppositionellen«, Grundsätzlichen und Reformern werden immer wieder, auch an dieser Stelle, dramatisiert. Die Losung der revolutionären Realpolitik, die die »jüngere« Neue Rechte auch in vorliegendem Marx-Buch zu der ihren macht, überwindet die falsche Entweder-Oder-Simulation der alten Denkgewohnheiten und zeigt auf, daß realpolitisch-reformistische Schritte unverzichtbar sind, um langfristige Strategien der Transformation entwickeln zu können.
Es gilt, wie Mario Candeias formulierte, »in Kenntnis der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse [zu] agieren, aber in der Perspektive ihrer Verschiebung«, während man konstant an den realen Bedingungen und gesellschaftlichen Widersprüchen anknüpft – man kann das schlicht Erweiterung von Resonanzräumen nennen. Es muß also »die Möglichkeit geben, im Hier und Jetzt so zu handeln, dass sich die Wahrscheinlichkeit einer zukünftigen Umsetzung der Alternative erhöht«, wie der Soziologe Erik Olin Wright ergänzend einforderte.
Doch zurück zu Marx und dem Corpus delicti, also insbesondere meinem Text, den Gerlich als »ausholenden Eröffnungsbeitrag« vorstellt, in dem ich eine »traurige Bilanz« zöge, was die Rezeption Marxscher Ideenwelten durch konservative und rechte Denker anbelange. Nur: Das ist schlichtweg nicht der Fall. Was vorliegt, ist eine kursorische, naturgemäß selektive Geschichte konservativer Kapitalismuskritik, die Marx immer wieder zum Gegenstand ihrer Kritik, selten aber ihrer Zuneigung machte.
An einigen Beispielen – ob Wagner, Rodbertus, Spengler, Sombart oder Strasser – zeige ich auf, wie dezidiert von rechts der Kapitalismus kritisiert wurde und welche (meist negative) Rolle Marx aus welchen mannigfaltigen Gründen spielte. Indessen wird – und Gerlich unterschlägt dies – im Aufsatz auch auf Gegenteiliges verwiesen, etwa auf Pierre Drieu la Rochelles affirmative Marx-Rezeption oder auf Hans-Dietrich Sanders individuellen Marx-Zugang, was Gerlich leider wiederum dem Leser, der das Marxbuch unter Umständen noch gar nicht kennt, explizit vorenthält, obwohl Drieu (hoffentlich) und Sander (sicher) auf Interesse seitens der Sezession-im-Netz-Leser stoßen dürften.
Ebenjener Sander, einer der Vordenker der bundesdeutschen Rechten der 1970er bis in die 1990er Jahre hinein, zeigte sich in bezug auf Marx und den Marxismus erfrischend undogmatisch. In seiner Dissertation Marxistische Ideologie und allgemeine Kunsttheorie ging er zurück zu Marx als Autor, ohne marxistischen Ballast der schrecklichen Vereinfacherer, die auf ihn folgten, absolut zu setzen.
Einerseits sah Sander – mit Recht – Marx als widerlegten Ankläger der Geschichte, als heilsgeschichtlich argumentierenden Propheten des kapitalistischen Untergangs, der die immanente Flexibilität des Kapitalismus, wie man heute vielleicht formulieren würde, unterschätzte, und dementsprechend zu folgenschweren Fehlprognosen gelangte.
Es ist dies übrigens ein weiterer Aspekt der Marxschen Geschichtsphilosophie, dessen indirekte Übernahme Gerlich dem Autorenstamm des Buches Marx von rechts vorwirft, obwohl Alain de Benoist (dem Gerlich absurderweise zuschreibt, aus der »Alten Linken« zu kommen und nicht etwa Begründer der Nouvelle Droite zu sein) einige Jahrzehnte nach Sander Karl Marx ausdrücklich rügt, wenn er dessen »linearen Historizismus« ebenso verwirft wie die projizierte quasireligiöse Messias- beziehungsweise Erlöserrolle des Proletariats.
Sander verwarf Marx jedoch nicht in toto, sondern nahm jenen Marx ebenso wahr, der die realen Begebenheiten der bürgerlichen Gesellschaften des Kapitalismus empirisch analysierte und ihre Beziehungen und Prozesse, kritisch analysierend wie kaum ein Zweiter, durchdrang. Dort, wo Marx nah an der Realität argumentiert und Geschichtsprophetie beiseite läßt, bleibe er, in der Quintessenz Sanders, ein wichtiger Ansprechpartner für jeden, der die ihn umgebenden Verhältnisse und Gesellschaftsbeziehungen, kurz: die kapitalistische Logik, verstehen möchte.
Exakt diesem Ansinnen fühlte sich das Autorenkollektiv bei Beginn der Arbeit verpflichtet; Alain de Benoist traf den Minimalkonsens, der bei manch Konservativen schon für Fieberanfälle sorgt, recht gut, als er bereits 2012 in einem aufschlußreichen Gespräch mit der Jungen Freiheit postulierte: »Ich lese Marx, so wie man jeden Autor lesen sollte: ohne Verehrung und ohne vorgefaßte Meinungen.«
Der Grund nun dafür, daß ich demgegenüber Leo Kofler und Domenico Losurdo in meiner Tour d’horizon wegließ, worüber sich Gerlich als nächstes mokiert, sollte gemeinverständlich sein:
Ein wichtiges Ziel meines Textes war eine Einführung in Kapitalismuskritik rechter Denker und ihrer negativen wie positiven Bezugnahmen auf Marx und Marxsche Ideen – Ziel war es gerade nicht, linke Dissidenten vorzustellen und zu bemühen. (Der Titel lautet, dies nur zur Erinnerung: Marx von rechts, nicht: Marx von linken Dissidenten aus gesehen, die einige bedenkenswerte Ansätze pflegten.)
Daß Losurdo nun zum heterogenen Feld meiner ideenpolitischen Inspiratoren zählt und daß Kofler (wie auch beispielsweise ein anderer Marxianischer Dissident: Wolfgang Harich) so manchen reizvollen und klugen Text verfaßte, führt vom Thema des von Gerlich doch eigentlich zu besprechenden Buches allzuweit weg, ebenso wie (separat zu diskutierende) 180-Grad-Verdrehungen rund um den Nolte-Kontrahenten Zeev Sternhell.
Spätestens an dieser Stelle der Gerlichschen Volten muß man als sonst kaum eitler Autor doch mit Bedauern konstatieren, daß der eigene Text offenkundig nicht oder schief gelesen wurde. Denn die – auf die Geschichte rechter Kapitalismuskritik folgende – Einführung in das vielschichtige Werk Marxens (und Engels’) wird von Gerlich »zu einer typischen linken Einführung in den Marxismus« entwertet.
Das wirft einige Fragen auf: Denkt Gerlich bei der »typischen linken« Zugangsweise an meine Auseinandersetzung mit Rolf Peter Sieferles luzider, wohlmeinender und durchaus konservativer, stets aber ergebnisoffener Marx-Auswertung? Oder meint Gerlich meine Thesen zur Marxschen »industriellen Reservearmee«, also beispielsweise die skizzierte Auseinandersetzung mit der Masseneinwanderung gering qualifizierter »Überflüssiger«, die das Marxsche Topos heute (noch) aktueller werden läßt? Ist das typisch links?
Oder verweist Gerlich, ohne es auszuführen, auf die von mir angeführte Marxsche Bewahrungsthese aus dem dritten Band des Kapitals, wonach auch »eine ganze Gesellschaft, eine Nation, ja alle gleichzeitigen Gesellschaften zusammengenommen« nicht die »Eigentümer der Erde« sind. Vielmehr sind sie lediglich »ihre Besitzer, ihre Nutznießer, und haben sie als boni patres familias den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen«. »Typisch links«? Oder vielmehr eine Zugriffschance für konservative Ökonomie- und Ökologiekritik?
Die unvorstellbare Zerstörung gewachsener Strukturen, die zunehmende Luftverschmutzung und der Raubbau an der Natur sind global virulente Phänomene; hier kann vor dem Hintergrund des Marxschen Werkes der Zusammenhang mit der weltweit vorherrschenden Produktionsweise untersucht werden – und das ist für Gerlich »typisch links«, vulgo: zu verwerfen?
Vielleicht meint Gerlich aber auch einen vierten, fünften Aspekt meiner kursorischen Marx-Einführung, der jedoch, wie die vorangegangenen, gänzlich in der Rezension verschwiegen wird, obwohl er einen weiteren zentralen Passus meiner Arbeit betrifft. Ich bedauere nämlich in Marx von rechts, daß Konservative heute oftmals keine Konservativen im eigentlichen Sinne mehr seien. Sie blenden, so lege ich dar, bisweilen die Kehrseiten der kapitalistischen Produktionsweise und Gesellschaft aus.
Damit aber nehmen sie passiv, qua lauten Schweigens im ökonomischen Beritt, die umfassenden und umwälzenden Veränderungen in den verschiedensten Segmenten hin. Ziel ist offenbar, die zu konservierende Besitz- und Finanzordnung, der man sich verschrieben hat, obwohl der zeitgenössische, finanzialisierte und digitalisierte Kapitalismus nur den obersten Schichten exorbitante Gewinne ermöglicht, nicht aus den Fugen geraten zu lassen.
Viele Konservative, so spitze ich zu, wollen mit Werten und Moralbildern gegen Entwicklungen angehen, die systemimmanent auftreten und keineswegs durch voluntaristische Aufrufe (Denkt auch an die Armen! Schluß mit der Spekulation!) allein beherrschbar sind.
Der Umstand, wonach viele Akteure im konservativen, freiheitlichen Lager von entsprechenden Thesen nichts wissen wollen, liege auch darin begründet, daß der Siegeszug der bewußten oder subkutanen Marktgläubigkeit – mit all seinen Folgen für das politisch-ökonomische Folgerungsvermögen – auch dieses Milieu erfaßt hat.
Nur so sei es zu erklären, daß die »als Konservative firmierenden Marktfundamentalisten« zu selten Widerspruch von rechts ernten, obwohl sich ein »historisch gehaltvoller Konservatismus« zum »Marktfundamentalismus wie Wasser zu Feuer verhält« (W. F. Haug).
Es ist immerhin das hegemonial gewordene neoliberale Denken, das ehedem konservative Fixpunkte wie Staat, Familie und Nation zugunsten neuer Parameter wie der »marktkonformen Demokratie« und dem Umbau einer vielgestaltigen Welt zum globalen Market Place durch die von Marx abschätzig eingestuften »Freihandelsdoktoren« und »Quacksalber« zu überwinden trachtet. Doch auch diese zur Diskussion und zum Widerspruch einladenden Thesen werden von Gerlich übergangen, ja noch nicht einmal beiläufig erwähnt.
Einer unserer Ausgangspunkte derweil ist folgender: In dem herrschenden und sich trotz aller Krisenanfälligkeit verfestigenden Rahmen des Bestehenden hat immer derjenige die reelle Gestaltungsmacht, der über Geld disponiert. Das ist ein Allgemeinplatz kapitalistischer Weltordnung.
Um nun aber im Kleinen wie im Großen den Primat des Politischen gegenüber dem Wirtschaftlichen herzustellen, einer bedeutsamen Maßnahme mit Konsenspotential in der Rechten, benötigen wir zunächst das Bewußtsein dafür, daß dieser Primat des Politischen ohne die Überwindung der oben angesprochenen kapitalistischen Logik nicht zu haben sein dürfte.
Dieser Logik gegenüber gilt es daher, etwa folgende Grundregel ins Gedächtnis zu rufen: »Die Gemeingüter gehören der Gemeinschaft.« Entscheidend für uns dabei die Ergänzung Slavoj Žižeks: »Marx erinnert uns an diese Frage.« Darüber hätte Gerlich informieren können, dagegen hätte er anschreiben können, diese Diskussion hätte er suchen können, hier hätte man den inhaltlichen Streit ansetzen müssen. Doch von der Existenz solcher (und vieler anderer) Überlegungen im Marx-Buch erfährt der Leser seiner Besprechung: nichts.
Stattdessen wirft Gerlich den Autoren vor, sich »einer zunehmenden Realitätsverweigerung« schuldig zu machen, worauf ich tatsächlich nichts antworten kann, so fehlgeleitet scheint mir dieser Vorwurf aus entsprechender Richtung.
Die Schriften von Karl Marx, so zeigen wir vier Autoren uns überzeugt, sind für das Verständnis der sich heute vollziehenden globalen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prozesse selbstverständlich kein allumfassender Schlüssel.
»Wer darauf bestehen würde«, so Co-Autor Diego Fusaro an anderer Stelle, »die heutigen Umwälzungen des Kapitals (Finanzkrisen, Auseinanderklaffen der ökonomischen Schere, et cetera) einzig durch die Marx’sche Brille betrachten und interpretieren zu wollen, würde sicher wenig verstehen, da es einfach unmöglich ist, sich ein Bild von Ereignissen zu machen, die Marx gezwungenermaßen nicht vorhersehen konnte. Ebenso wahr ist allerdings« lenkt Fusaro ein, »dass jeder, der sich weigert, auch diese Brille aufzusetzen, nichts vom Heute und seinen Veränderungen verstehen wird.«
Gemäß dieser Maxime gilt es auf der politischen Rechten, Marx als Denker vielschichtig zu durchdringen und gleichzeitig den Geist radikaler Kritik aufzunehmen. Eine solche erste Anerkennung von Marx und einer kritisch-radikalen Geisteshaltung, »die sich emphatisch und grundlegend von der in der Welt der Uneigentlichkeit und Entfremdung vorherrschenden unterscheidet« (Alain de Benoist), hieße Anerkennung der Kapitalismuskritik, aus der theoretische wie praktische Folgeschlüsse zu ziehen sind, wobei zu den reellen Folgen sicherlich die oben bereits erwähnten Inseln der Solidarität und der Alternativität zu rechnen wären, die derzeit gegen alle internen wie externen Widerstände aufgebaut werden.
Eine solcherart Schritt für Schritt zur politischen Praxis gewordene rechte Kapitalismuskritik, die mit europäischen Ideen und der Entschlossenheit zum elementaren Neubeginn assoziiert wäre und welche die von uns – wiederum: entgegen Gerlichs Behauptung – durchaus aufgeführten und kritisierten, bisweilen tödlichen Sackgassen des linken Antikapitalismus sowie dessen ökonomistisches Weltbild (das gespiegelt auch bei Neokonservativen zu finden ist) überwindet, hätte Ausstrahlungskraft auf die besten Köpfe der bisherigen politischen Lager, insbesondere hinsichtlich der verstärkt nach Neuem suchenden Jugend.
Dies wäre der Anfang vom Ende sowohl für die altkonservative »Rechte« als auch für die zeitgenössische, nur in Teilen noch authentisch kapitalismuskritische »Linke«. Daß dies beide Platzhirsche nicht akzeptieren wollen, kann nicht überraschen. Daß beide nun scharf schießen und dabei auch zu Verfälschungen, Weglassungen und Verdrehungen greifen: geschenkt.
Eine besonders erwähnenswert ironische Note erhält die Kritik des Werkes Marx von rechts lediglich dann noch, wenn gemutmaßt wird, »daß nicht wenige junge Rechte dieses Buch ‚links’ liegen lassen werden«. Nun, tatsächlich dürfte das Buch in Bälde, nach wenigen Wochen auf dem Markt, einer zweiten Auflage bedürfen – trotz Löschung durch Amazon, die Gerlich, wie so vieles, was das Buch wirklich anbelangt, verschweigt.
An diesem raschen Erfolgszug des Buches besitzen – Instagram, Facebook und Twitter lassen entsprechende Vermutungen zu – junge Leser einen, wenn nicht den entscheidenden Anteil. Für eine Erkenntnis dessen müßte man jedoch seinen Elfenbeinturm verlassen und das hohe Roß gegen ein Zusammenspiel politischer Theorie und Praxis eintauschen.
Dann würde man auch junge Rechte persönlich kennen und wüßte, welche Themen in ihren Reihen derzeit drängend sind und lebhaft, ergebnisoffen, kontrovers diskutiert werden. Insbesondere die Aussichten einer genuin europäischen Zukunft, die vielgestaltige soziale Frage oder auch der Zusammenhang von Migrationsbewegungen und Wirtschaftsentwicklungen sind hier anzuführen – weniger, mit Verlaub, die Suche nach der deutschen Seele bei Richard Wagner.
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Das Buch kann beim größten konservativen Buchversand – Antaios – bezogen werden. Wir empfehlen die Lektüre des Titels von Alain de Benoist, Benedikt Kaiser, Philip Stein und Diego Fusaro als Auftakt zu einer weiterführenden Debatte!
Der_Juergen
Da ich das Buch über Marx aus der Sicht der Rechten zwar bestellt, aber noch nicht erhalten habe, kann ich es noch nicht beurteilen und mich folglich auch zur Debatte zwischen dem Liberalkonservativen Gerlich und dem Sozialpatrioten Kaiser nicht verbindlich äussern. Stattdessen zitiere ich, was ein undogmatischer Rechter, der Russe Alexander Dugin, in seinem Buch "Putin gegen Putin", das in Kürze auch auf deutsch erscheinen wird, über die Schwächen und Stärken der marxistischen Theorie sowie ihre Anwendbarkeit auf die heutigen Verhältnisse schreibt:
"Eine Analyse ergibt, dass sich Marx mit seinen historischen Voraussagen geirrt hat. Er hielt eine sozialistische Revolution in den entwickelten bourgeoisen Gesellschaften Europas für unvermeidlich, in den Gesellschaften Asiens und Russlands hingegen für unmöglich. Es kam jedoch umgekehrt: In Europa fand eine solche Revolution nicht statt, wohl aber in manchen asiatischen Ländern sowie in Russland. Der historische Materialismus, der unkritische Fortschrittsglaube und der dogmatische Atheismus sind offenkundige Schwachstellen des Marxismus, doch in anderen Fragen erwiesen sich seine Prognosen durchaus als zutreffend. Er lieferte eine präzise Analyse der in einer bourgeoisen Gesellschaft allgegenwärtigen Entfremdung, übte berechtigte Kritik am Kapitalismus sowie am Mechanismus des Mehrwerts, prophezeite die unvermeidlichen Krisen des Kapitalismus und beschrieb deren Mechanismen. Die marxistische Kapitalismuskritik kann auch auf die heutigen Umstände übertragen werden, doch die These, wonach die Klasse das Subjekt der Geschichte ist, darf man ruhigen Gewissens als falsch verwerfen."