Die Antwort, die ein Rechter auf die Frage nach seinen erlesenen Grundlagen geben wird, ist ohne Zweifel grundsätzlich weit weniger selbstsicher als die eines Linken: Wir haben kein so zentrales Gestirn wie die Gegenseite ihren Marx, wir pflegen keine Leseverwegenheit, indem wir eine vergleichbare Figur wie Lenin unter seinen Greuel- und Schandtaten herausklaubten und am Ende gar seine eliminatorische Formierungspolitik für ein nicht ganz so schlimmes Übel hielten.
Die Lektürezugänge zur Rechten sind schillernder eingefärbt. Aber natürlich schält sich am Ende ein Kanon heraus, der zum Teil sicherlich im 2. Band des von uns verlegten “Staatspolitischen Handbuchs” exemplarisch aufgefächert ist. Aber darüber hinaus hat jeder von uns (und das sind wirklich viele mittlerweile!) einen ganz eigensinnigen Stapel aufgetürmt.
Wenn ich darüber nachdenke, auf welchen Begriff der rechte Umgang mit dem Buch zu bringen sein könnte, komme ich seltsamerweise auf das Wort “Freiheit”. Seltsam ist das deshalb, weil ich (seit ich politisch denken kann) der Meinung bin, daß zuviel Freiheit weder schöpferisch oder persönlichkeitsprägend, noch ordnungsstiftend oder gerecht sei.
Dennoch also Freiheit: Wir sind privat und öffentlich freier in der Wahl unserer Lektüre als die Linken, und vor allem freier und weniger gefährdet, wenn wir über unsere Lektüre Auskunft geben sollen: Wir können Linke, Rechte, Liberale, Anarchisten, Etatisten, Faschisten, Bolschewisten lesen und von dieser Lektüre berichten, ohne daß jemand aus “unserem Lager” darin eine Grenzüberschreitung sähe.
Ein Linker hingegen muß heute einen halben Eiertanz aufführen, wenn er mit einem Buch aus unserem Milieu erwischt wird. Er muß dann sofort den Nachweis erbringen, daß er es entweder nur aus wissenschaftlichem Interesse oder als professioneller Nazijäger gelesen hat, und nicht selten wirken diese armen Würstchen dabei wie jemand, der behauptet, er schaue sich Pornos bloß an, um sie auszuwerten.
Ich jedenfalls sehe den Linken und der von ihr durchdrungenen Zivilgesellschaft recht gern bei jenem Vorgang zu, über den ich unter der Überschrift “Selbsterdrosselung” Mitte des Jahres einen Text geschrieben habe. Hier ist er.
Die Monate Mai bis August waren Lektüre- und Konsolidierungs‑, Klärungs- und Vorbereitungsmonate. Sie bescherten uns zunächst ein neues, wichtiges Format: “Aufgeblättert. Zugeschlagen – Mit Rechten lesen” konnte nach einem Entwurf von Kositza und mit einer sofort begeisterten Susanne Dagen als literarisches Trio umgesetzt werden, denn zu jeder Sendung stößt ein literarisch interessierter Gast dazu. Am 8. Mai war Auftakt mit Caroline Sommerfeld und drei Büchern, insgesamt kam das literarische Trio auf fünf Folgen bis zum Jahresende. Hier kann man sich einen Überblick verschaffen.
“Aufgeblättert. Zugeschlagen” ist nicht als PR-Format entworfen worden. Das ist für das Verständnis dieser Sendungen wichtig: Kositza und Dagen sind begeisterte Leserinnen. Das bedeutet: Sie lesen nicht, weil sie lesen müssen, sondern weil sie gerne lesen und wiederum beide das auch unternehmerische Zeug dazu haben, lesen und Lektüre zu vermitteln zu ihrem Beruf gemacht zu haben – die eine als Literaturredakteurin der Sezession, die anderen als Buchhändlerin nebst angeschlossenem, literarischem Kulturzentrum in Loschwitz.
Ich bin jedesmal und immer sehr gern dabei, wenn Dagen und Kositza ihren Gast in Loschwitz begrüßen, während die Filmleute das Buchhaus in eine Filmkulisse verwandeln. Jedesmal geht es am Kaffeetisch um kulturpolitische Fragen, um die Lage im Land und um den nächsten bürgerlichen Feigling und einen weiteren Tapferen, den wir in unserer Mitte begrüßen dürfen, weil auch ihm nun endgültig der Kragen geplatzt ist aufgrund der ganzen Verlogenheit ringsumher.
Und natürlich geht es dann um Bücher, um Entdeckungen, Enttäuschungen, und manchmal denken wir im Nachgang, wir hätten einfach mitten auf dem Tisch ein Mikrofon platzieren und ein paar Kameras rundum aufstellen sollen – keinerlei Künstlichkeit, großartige Gespräche, Feuilletonpräsenz, und am Rand ich, zuhörend und mit einem Fächer aus Pfauenfedern dem Trio Luft zufächernd, im trockensten Sommer meines Lebens.
Staubtrockene Bürowochen, Konsolidierungsmonate! Wer nicht wissen will, wie es im Maschinenraum eines Verlags und einer Zeitschrift zugeht, sollte nicht nachfragen. Wir haben binnen weniger Monate die Strukturen bei laufendem Betrieb sozusagen entkernt, ohne daß auf der Fassade sich ein Riß gebildet hätte. Danach wurde der Innenraum saniert und – mitten in der Nacht gegen Ende des Sommers – verdrahtet und hochgefahren.
Wer danach dann als Verleger in Richtung Berlin fahrend den auf dem Beifahrersitz mitreisenden Systemadministrator dabei erlebte, wie er am Mobiltelefon einer mittelschweren Attacke auf einen unserer Server verfolgte und live erläuterte, warum sie an unserer neuen Struktur zerschellen mußte, hatte zwar noch immer keine Ahnung von diesen Dingen, kam sich aber so vor.
Klärungsmonate aber auch jenseits der Verlagsarbeit: viele Gespräche mit AfD-Politkern, mit den Protagonisten von örtlichen und überregionalen Protestbewegungen, mit bewährten und möglichen Autoren, mit Wissenschaftlern, die sich um die neue AfD-Stiftung zu sammeln beginnen, mit Verleger-Kollegen, mit Blog-Betreibern, mit Intellektuellen aus den anderen Lagern, die (ich beschrieb es oben) sich nie mit einem Antaios-Buch in der Hand erwischen lassen würden, aber insgeheim alles lesen, undsoweiter.
Unsere Leitfragen sind in solchen Gesprächen stets dieselben: Ist der Ernstfall (also der Verteidigungsfall der eigenen Kultur) in Deutschland ausgeschlossen? Wenn nicht: Wann, wenn nicht jetzt, wäre eine resolute und konsequente Reaktion angemessen? Und zuletzt: Wie kann es gelingen, die für einen “Aufstand für das Eigene” notwendige Energie zu wecken und zu bündeln?
Ich habe nach den empörten Reaktionen in Kandel, nach der Widerstandswelle in Cottbus und angesichts der “Einzelfälle”, die sich aneinanderreihen wie die Perlen einer Kette, diese Fragen in einem Blogbeitrag gestellt. Mit Bazon Brock und Peter Sloterdijk stand dabei das Analysebesteck zweier Denker bereit, die sich über den “ausgeschlossenen Ernstfall” freuen und auf ihn zu arbeiten. Fünf Stufen der Bändigung und Zivilisierung konnte ich referieren, aber eines (das Entscheidende!) bleibt bei Brock wie Sloterdijk unausgesprochen:
Wir befinden uns nicht in einem geschlossenen System, in dem man sich rückhaltslos über die Niedrigspannung unter den Mitmenschen freuen könnte (weil es einfach nicht mehr zu Schlägereien, Foulspiel beim Fußball oder Einzelfällen kommt). Vielmehr dürfen wir dem seltsamen Umstand zusehen, daß dieselben Leute, die ihre Söhne nicht mehr mit Soldaten spielen lassen wollen, den Zustrom hunderttausender junger Männer aus Kulturen beklatschen, in denen der Kampf um das bißchen Lebenschance zum Alltag gehört und an der Grenze nicht schlagartig verlernt wurde. Man kann das hier nachlesen.
Aber dennoch funktionieren wir alle weiter wie Maschinen und halten ein hochkomplexes Gemeinwesen in Gang, dessen Früchte Jahr für Jahr gründlicher und schamloser von Leuten verprasst wird, die keine Dankbarkeit kennen, selbst kein Plus erwirtschaften und darüber hinaus unser Schlechtestes wollen (ich meine damit nicht die Ausländer, sondern unseren politisch-medialen Komplex samt angegliederter Zivilgesellschaft).
Weil dann, wie in Chemnitz geschehen, der Unmut der Bürger einmal wirklich hoch- und sogar ein klitzekleines Bißchen überkochte, konnte sich dieser Komplex sich selbst und den Unentschiedenen ein Feinbild konstruieren und eine Chiffre formulieren, die wie Codes funktionieren. “Sachsen”, “Chemnitz”, “Hetzjagd”.
Darf ich die Gespräche zusammenfassen? Wir suchten nach einer Antwort, fanden aber keine. Die Begriffsfindungspräzision, die Erklärungsschärfe, das Auffindungsnetz – unser Milieu (im weitesten Sinne) hat alles, kann alles, weiß alles, um Kampagnen gegen die Schwätzer, Lügner, Lückner und Deppen der Gegenseite zu fahren; aber hat es einen Entwurf von effektivem, entschlossenem, aufräumendem Regierungshandeln, eine Vorstellung vom Härtegrad des Durchgriffs? Oder denken wir mittlerweile, daß nach Wahlerfolgen eine ganze Gesellschaft im 30‑, 45- oder 90-Grad-Winkel abbiegt und einfach alles ein bißchen oder ziemlich richtiger mache?
Keine Klärung also, bis Ende August keine Klärung, aber Vorbereitungen auf den Herbst, auf die Herbstmesse, das Herbstprogramm, den Bücherherbst und das Dieselfahrverbot, während wir das seltene Privileg besitzen, dem Untergang des Abendlandes als in die Bühnen-Show integrierte zusehen zu dürfen.
Das Abendland versammelten wir Mitte August zu einer der schönsten Akademien, die wir in Schnellroda bisher erlebten. Aus Rumänien, Serbien, Kroatien, Ungarn, Österreich und Dänemark waren Referenten zu Gegenbesuchen angereist (wir hatten in den vergangenen drei Jahren jedes dieser Länder wiederum zu eigenen Vorträgen bereisen können). Wir ließen über diese Europa-Akademie einen Film drehen, hier ist er.
Die vier inhaltsreichen Tage bestätigten unseren Eindruck: Die Schere öffnet sich zwischen den Ländern, die ihre angestammte Kultur und Lebensart noch verteidigen wollen und denen, die zwischen dem Ich und der Menschheit keine Größe mehr akzeptieren wollen.
Einladungen, nach Budapest oder Zagreb zu ziehen und den Verlag von dort aus zu betreiben, selbstverständlich verbunden mit einem Ferienhäuschen am Plattensee oder an der Adria.
Freunde, sagten wir, Freunde: Wir haben doch auch unseren Osten!
Ein gebuertiger Hesse
"... während wir das seltene Privileg besitzen, dem Untergang des Abendlandes als in die Bühnen-Show integrierte zusehen zu dürfen."
Womit eine der krassesten Perversionen des heutigen Alltags im Lande benannt ist. Gab es das ein solches Phänomen eigentlich schon einmal? Die Indianer in den Bühnen-Shows von Buffalo Bill & Konsorten haben ihre Selbstzersetzung wenigstens nicht sehenden Auges mitinszeniert, sondern wurden von den Siegern als Verlierer-Staffage vorgeführt. Wir (bzw. nicht WIR, sondern der, wie GK es treffend ausdrückt, "politisch-mediale Komplex samt angegliederter Zivilsgesellschaft") vollführen diese Selbstbespeiung dagegen fortlaufend. Was ist da eigentlich los? So lange ein - durchaus psycho-analytisch auf die kaputte Kollektiv-Seele hin zu betreibendes - Verständnis dieser elementaren Schädigung nicht erbracht ist, sind alle Hoffnungen auf eine Gesundung womöglich vergebens.