Es war nicht rechtens, sie in diesem Rahmen von einem Workshop im Dresdner Hygienemuseum auszuschließen.
Wie Vera Lengsfeld in ihrem Blog berichtet, hatte Dagen unter anderem gegen die Stiftung Deutsches Hygienemuseum geklagt, weil sie im September vergangenen Jahres von einem Workshop der Tagung „Die neue Mitte? Rechte Ideologien und Bewegungen in Europa“ als Teilnehmerin (!) ausgeschlossen worden sei. Die Arbeitsgruppe war von der Amadeu-Antonio-Stiftung veranstaltet worden, es ging um „Echokammern und Filterblasen. Rechte Vernetzung über Social Media“ gehen. Das oben verlinkte Tagungsprogramm bot auf diese Weise ein weiteres Anwendungsbeispiel unseres unverrückbaren „Lichtmesz-Sommerfeld-Gesetzes“.
Susanne Dagen wurde im Hygienemuseum von einer Mitarbeiterin der AAS mit der Begründung abgewiesen, sie arbeite mit den Neuen Rechten zusammen, und würde deshalb das vertrauensvolle Miteinander der Diskutanten stören. Die Echokammer des Hygienemuseums sollte gut isoliert bleiben. Das Landgericht beschied nun, daß ein mit Steuergeldern bezahlter Veranstalter einen angemeldeten Teilnehmer nicht ausschließen darf, weil dieser nicht die Meinung des Veranstalters vertritt. Ein solches Verhalten sei rechtswidrig.
Am 5. April ist ein neuer Termin angesetzt, in dem festgelegt wird, wie hoch das Schmerzensgeld ist, das Dagen zusteht. Die BILD-Zeitung berichtete, verklagt worden sei die Stiftung des Hygienemuseums aufgrund der Billigung des Verhaltens der Amadeu-Antonio-Stiftung, erstere müsse auch für den Schaden durch „erhebliche Prangerwirkung“ aufkommen, während die zweite sich weiterer Finanzierung aus Steuermitteln erfreuen darf. Hier jedoch kann man an einer Petition gegen die weitere Förderung in einer Petition auszusprechen, die ich deshalb verlinke, da der Petitionstext präzise benennt, wie das Denunziationssystem der linksextrem-staatsnahen Stiftung funktioniert.
Susanne Dagen hat noch eine weitere Hürde genommen. Im November 2018 ist sie in einem Offenen Brief im Elbhang-Kurier, einer seit 1992 bestehenden Kulturzeitschrift aus Dresden, von den Publizisten Hans-Peter Lühr und Paul Kaiser verbal angegriffen worden. Die Hauptflanke dieses Angriffs war Susanne Dagens Kooperation mit dem Verlag Antaios, insonderheit mit Ellen Kositza bei „Aufgeblättert – Zugeschlagen. Mit Rechten lesen“.
Der Schriftsteller Uwe Tellkamp hatte darauf seinerseits in einem Offenen Brief geantwortet, der auch auf Sezession im Netz veröffentlich worden war. Dagen forderte im Anschluß die beiden Angreifer zu einem öffentlichen Gespräch in Dresden auf. Sie sind der Aufforderung nachgekommen – man kann die zweistündige symptomatische Diskussion hier anschauen, an der auch die sächsische Politikerin Antje Hermenau teilgenommen hat.
Wie steht es um die Debattenkultur in Deutschland? Beginnt der von Götz Kubitschek anläßlich der Tellkamp-Grünbein-Diskussion in Dresden angesprochene „Riß“ durch die Gesellschaft zu heilen? Wird es langsam möglich, die Strategie des deplatforming der vereinigten Linken gegen uns per Klage oder in endlich stattfindenden Diskussionen zu vereiteln?
Auf den ersten Blick scheint es so. Ich selber habe zwei Diskussionen erlebt, die ungestört stattfinden konnten und zu denen ich „normal“ eingeladen worden war, eine im österreichischen Fernsehen bei Servus TV (die zuerst Sellner, dann Lichtmesz, und inzwischen eine ganze Handvoll mehr oder minder „rechter“ Protagonisten zum Talk im Hangar 7 eingeladen haben) und eine an einem Kölner Medieninstitut.
Um einen genaueren Blick auf die Lage der Debattenkultur zu bekommen, muß man näher herantreten. Es ist nämlich ein Unterschied, ob eine Veranstaltung stattfinden darf, ob ein Redner sprechen darf, ob es im Nachhinein rechtswidrig war, Teilnehmer auszuschließen, oder ob es sich um eine freie Debatte handelt. Um diesen Unterschied zu bemerken, muß man in die Erlebensperspektive hineingehen, ihn phänomenologisch zu erfassen versuchen.
Ich habe Susanne Dagen aus diesem Grunde befragt, wie es ihr im ehemaligen „Club der Intelligenz“ in Dresden ergangen ist und wie sie die Debattenkultur wahrnimmt.
SOMMERFELD: Frau Dagen, wie haben Sie die Atmosphäre erlebt im Lingnerschloß? War das das, was wir uns wünschen dürfen? Oder noch zu anwürfig, voreingenommen, unter Zwang zustandegekommen?
DAGEN: Der Raum war überfüllt, ein zusätzlicher Raum wurde kurzfristig noch eröffnet. Dort saß man und betrachtete die Diskussion per Leinwandübertragung. Ich habe mir sagen lassen, daß selbst dort mit diskutiert und Zwischenapplaus gespendet wurde. Insgesamt war die Stimmung sehr angespannt, es mußten tagelang Interessenten telefonisch abgewiesen werden. Im Vorfeld wurde ein Sicherheitskonzept besprochen. Insgesamt waren 300 Personen anwesend. Meiner Beobachtung nach war die Linken- und Grünenfraktion mehrheitlich anwesend – zwei Drittel der Zuschauer verorte ich dennoch als Sympathisanten von mir.
Ich war wohl zu optimistisch, was die Ausgangsposition der Herren Kaiser und Lühr betraf, dachte, daß die vergangenen drei Monate genutzt worden wären, um die Vorwürfe des offenen Briefes ins Metapolitische zu abstrahieren. Das war nicht der Fall.
Kaiser führte den Abend ein mit den Vorwürfen des Briefes und hielt auch den ganzen Abend daran fest. Er hätte dies gern als Schauprozeß inszeniert.
Kaiser und Lühr, die mit dem offenen Brief eine “Debatte” über die Grenzen des Sag- und Machbaren anstoßen wollten, waren allerdings bald auf dem Rückzug. Lühr hat gegen Ende ganz eingeschwenkt und wiederholte immer wieder Hermenaus Aussagen mit eigenen Worten. Famos. Kaiser hingegen deutete an, daß ich nun nicht mehr zur Lebensgemeinschaft am Elbhang gehöre (als wollte er mich aktiv verstoßen). Das hat uns überrascht. Diese Brutalität auf offener Bühne war neu. Am Ende sprach er dann von einer „Traurigkeit“, die ihn angesichts meines „Wandels“ befiel, aber auch davon, dass eine Rückkehr nach (meiner) „Verirrung“ noch möglich sei. Es war in seiner durchschaubaren Absicht abscheulich. Aber ich glaube, ich habe durch eine stoische, durchweg freundlich-sachliche Art an diesem Abend alles abschmettern können.
Hermenau versuchte wiederholt, das wichtigste Thema anzusprechen, nämlich, daß die Welt sich verschiebt, die Gesellschaft in einer Orientierungsphase ist und viel Meinungsfreiheit und Diskussion braucht. Erst dann wird es ein neues Gleichgewicht in der Gesellschaft geben. Davor fürchten sich natürlich jene, die jetzt die Meinung bestimmen.
Und noch etwas: Ich habe nicht ohne Grund darauf verwiesen, dass es sich beim ehemaligen “Club der Intelligenz” um einen Ort für die DDR-Nomenklatura handelt. Der Muff war noch zu spüren, ein befreundeter Lyriker fühlte sich schon beim Eintritt an seine Stasi-Haft erinnert. Atmosphärisch ein belasteter Ort.
SOMMERFELD: Am Ende der Diskussion fragte der Dresdner Soziologe Karl-Siegbert Rehberg, wie Sie sich eigentlich nach der „Kulturrevolution von rechts“ das Kulturleben vorstellen. Wenn die AfD einmal die Regierungspartei wäre, wollten “wir” dann eigentlich, daß es keine linken Kulturzentren und Institutionen gibt, oder daß es die ganze Bandbreite geben soll, meinethalben auch die Amadeu-Antonio-Stiftung?
DAGEN: Wenn ich mich als “radikal liberal” bezeichne, beinhaltet dies Vorstellungen zu jedweder Lebensweise und Lebensansicht. Jeder sollte die Möglichkeit haben, im gesetzlichen Rahmen nach seinem Duktus und Denken zu agieren. Die Vorstellung einer Monokultur haben wir als ehemalige DDR-Bürger schon einmal erfahren. Man sieht nur, was man weiß. Man lernt nur von dem, den man (er)kennt. Freiheit ist vor allem die Lust am Weiterdenken.
SOMMERFELD: Man stellt sich ja linkerseits vor, in Polen oder Ungarn gäbe es quasi keine offene Kulturszene, kein freies Wort, keine nicht staatstreue Kunst etc. mehr., und die „autoritären“ Rechten wollten das in Deutschland genau so haben. Würden Sie so weit gehen, daß es sich hierzulande bereits so verhält, wie man sich das mit wohligem Gruseln bei den “Regimen” in Osteuropa vorstellt, nur eben mit linker Hegemonie?
DAGEN: Wer die Medien hat, hat die Macht. Und da die Medien zum Kulturbetrieb gerechnet werden, ist diese Aussage gern auch darauf auszuweiten. Wir erfahren derzeit einen einseitigen, indoktrinierenden staatlichen Kulturbetrieb, der eher auf Belehrung als auf Lehre setzt. Spätere Generationen werden unsere Kulturgeschichte anhand der Förderrichtlinien nachzeichnen können. Das ist ein Armutszeugnis und bedarf im Sinne der wirklichen Vielfalt unbedingter Korrektur. Auch dass der Begriff “Kulturschaffender” zum Systembegriff geworden ist, hängt unbedingt damit zusammen.
SOMMERFELD: Den „Riß durch die Gesellschaft“ nicht zu kitten, sondern zu vertiefen – diese Aussage von Götz Kubitschek hat die Diskussionsteilnehmer gegen Sie aufgebracht: die „Rechten wollen die Gesellschaft spalten“. Wie kann man um Gottes Willen diesen Riß noch vertiefen wollen? Sie haben das versucht zu erklären.
DAGEN: Das Bild des Risses als klaffende Wunde zu erklären, lag auf der Hand. Auch, um die bezweckte Verunglimpfung der kubitschekschen Einlassung vom 8. März 2018 in Dresden noch einmal zu korrigieren. Ernst Jünger schrieb im “Abenteuerlichen Herz” davon, und überhaupt geht es immer mehr darum, als Leser und Geschichtenerzähler in Bildern zu sprechen; meine Erfahrung ist, daß dies nötig ist.
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Soweit das Gespräch, und ich will den Gedanken, in Bildern zu sprechen, aufgreifen und weiterdenken:
„Ein blinder Ochse, der mit dem Kopf gegen den Felsen rennt, hat in der Härte des Felsens, von der ihn der Stoß überzeugt, die Wahrheit desselben, und in der Wunde das Resultat dieser Wahrheit“, schrieb Friedrich Hebbel in seinen Tagebüchern. Es gibt diesen Felsen, die Diskurshegemonie, die unverrückbare Macht über Medien und Meinungsfreiheit: Plattformen, Partystehplätze und Buchmessenecken werden gewährt oder entzogen. Wer dagegen anrennt, fügt sich selbst Wunden zu statt der Wahrheit des Felsens. Die Wunden bezeugen die harte Realität des Felsens. Doch sind wir die blinden Ochsen und versuchen es immer wieder und wieder?
Diejenigen Diskussionsgegner, die den „Moralismus der Vielen“ (Uwe Tellkamp) aufbieten, um die Wunde so schnell wie möglich zu verpflastern, sind blind für zwei Dinge: sie sehen weder den Verursacher, noch den Sinn der Wunde. Der Verursacher ist der harte Fels, nicht der blinde Ochse. Um eine Wunde untersuchen zu können, um herauszufinden, was sie verursacht hat, muß man sie schmerzhaft weit öffnen. Sie darf nicht zu schnell zum Verheilen gebracht werden, sie ist gewissermaßen selber zum Erkenntniswerkzeug geworden: wo es schmerzt, regt sich Widerstand gegen den Schmerz. Diesen Widerstand abtöten zu wollen, indem man entweder erklärt, es gäbe keinen Felsen, der Ochse sei selber schuld oder die Wunde bekämen wir schon schnell wieder geflickt, wenn der Ochse nur stillhielte, führt nicht zur Heilung. Vielleicht müssen wir es bis auf weiteres mit Benn und Hebbel halten. Noch herrscht „Mangel an Versöhnung“. Der Riß bleibt offen. „Versöhnung im Drama: Heilung der Wunde durch den Nachweis, daß sie für die erhöhte Gesundheit notwendig war“ (Friedrich Hebbel, Tagebücher).
Niekisch
Cordon sanitaire? Das geht auf Dauer ohnehin schief. Kein cordon ist ohne Löcher, Schwachstellen, überholte Bausteine. Die Stelle suchen, notfalls mit dem Rammbock durchstoßen. Einen Diskurs auf Augenhöhe wird es mit denen nie geben. Das wäre ihr Untergang.