Wenn ich vor Buben das Kopftuch ausziehe, das ist mir zu peinlich. Also wenn sie meine Schönheit sehen, das ist mir zu peinlich und deshalb trage ich Kopftuch.
Und was macht Lichtmesz, der alte Schwerenöter? Der schrieb dazu:
Ich finde das nicht verkehrt.
Ein Mittwitterer schrie sofort auf, er sei
empört darüber, dass man versucht, so etwas hoffähig zu machen, indem man es als nachvollziehbare Option derartig verharmlost.
So, mal ganz ruhig: Es könnte doch sein, daß das Kopftuch als geziemende Damenkopfbedeckung seiner Wiederentdeckung harrt, und uns der Islam drauf bringt. Im Falle des gesamten Deutsch-Raps ist der moslemische Mann ja auch zum Rollenvorbild geworden. Doch die Sache ist vertrackter.
Am 16. Mai wurde in Österreich das Kopftuchverbot an Volksschulen im Nationalrat mit den Stimmen von ÖVP und FPÖ als einfachgesetzliche Regelung beschlossen. Für die angepeilte Verfassungsbestimmung fand sich jedoch nicht die nötige Mehrheit. Es ist daher anzunehmen, daß es nach dem Staatsstreich schnellstmöglich rückabgewickelt oder per Verfassungsklage ausgehebelt wird. Die Abgeordneten der nunmehr abgesetzten Koalitionsparteien unterstrichen, es sei darum gegangen, ein klares Symbol gegen den politischen Islam und die Unterdrückung von Frauen und Mädchen zu setzen.
Es geht ein Riß durch die politische Rechte. Man könnte die beiden Seiten des öffentlichen Disputs, der zum Großteil und mitunter aggressiv in den Sozialen Medien ausgetragen wird, entlang der Waldstein-Gerlich-Kontroverse sortieren oder plakativer von „Aufklärern“ vs. „Reaktionären“ sprechen.
Rechte Aufklärer sind pro-westlich im Sinne eines amerikanischen Werteliberalismus, laizistisch, überwiegend pro-zionistisch, pro-feministisch, für eine politische Menschenrechte-Agenda und gegen Diskriminierung. Deswegen richten sie sich gegen den Islam, da er all diesen „Werten“ zuwiderhandelt.
Reaktionäre nennen sich nicht selber so. „Reaktionär“ ist ein Schimpfwort, lieber ist man doch „konservativ“. Man könnte sie in guter historischer Tradition auch Gegenaufklärer nennen. Die meisten von ihnen sind christlich, romantisch, in bestimmten Hinsichten anti-amerikanisch, gegen einen Menschenrechte-Liberalismus à la “Bikini statt Burka” und für einen Geschlechterrealismus im devlinschen Verständnis. „Das ist aber nichts für Konservative, denn zum Konservieren ist nichts mehr übrig“ (Nils Wegner).
Je suis réactionnaire. Bin ich deswegen „Islamversteher“, befürworte gar die “Islamisierung” Europas, oder wie ein weiterer Twitterant es pointiert faßte: „Ein Reaktionär hackt dem anderen kein Auge aus“?
Der populäre Mathematiker Rudolf Taschner, ÖVP-Mandatar, nannte das Kinderkopftuch ein politisches Symbol der Unterdrückung. Es gehe darum, den Kopf frei zu halten und die Mädchen von der Zumutung einer Unterwerfung zu befreien. Den Populismusvorwurf wies Taschner zurück: „Das Einstehen für die Aufklärung ist gar nicht populistisch.“
Die Parlamentsdiskussion nahm ihren erwartbaren Lauf: das islamische Kopftuch für Frauen sei ein klares Symbol der Sexualisierung von Mädchen und habe daher in der Schule aus ihrer Sicht nichts verloren, sagte Carmen Schimanek (FPÖ). Die Schule müsse Mädchen ein sicheres Umfeld und Schutz vor Diskriminierung bieten. Das Problem sei nicht das Kopftuch an sich, sondern die Tatsache, dass es ein Symbol für eine systematische Unterdrückung von Frauen geworden sei, meinte auch Robert Lugar (FPÖ). Gegen diese müsse der Staat auftreten, wenn er die Möglichkeit habe.
Unter anderem wird in den Erläuterungen zum Kopftuchverbot argumentiert, daß mit dem Verbot auch die „Information über den körperlichen Entwicklungsstand, das Religionsbekenntnis bzw. die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Islam-Ausrichtung geschützt werden soll“. Die Verhüllung des Hauptes bzw. das Tragen des Kopftuchs zeige nämlich „das Erreichen der Geschlechtsreife an, die Art der Trageweise unter Umständen die Anhängerschaft zu einer bestimmten Gemeinschaft bzw. auch die Einhaltung bestimmter religiöser Regeln und die familiäre Situation“.
„Unterdrückung“, „Diskriminierung“, „Zumutung der Unterwerfung“, „Schutz personenbezogener Informationen“ sind durch die Banke Vokabeln aus der Menschenrechtsideologie, wie sie exactement von allen politisch Linksstehenden und Globalisten verwendet werden. Die islamkritische Aufklärerfraktion geht – so meine Beobachtung – von denselben ideologischen Grundlagen aus wie der Kulturmarxismus. Hauptsache, niemand wird „diskriminiert“.
Linke Islamisierungsbefürworter und „Stellvertreterminoritäre“ (Sophie Liebnitz) aus den Reihen der SPÖ und der Grünen, die im Nationalrat geschlossen gegen das Kopftuchverbot stimmten, sprechen ihrerseits von „Unterdrückung“, „Diskriminierung“, „Zumutung der Unterwerfung“, „Schutz personenbezogener Informationen“, nur beziehen sie all diese Übel auf die „rassistische“ Mehrheitsgesellschaft, die eben Muslime unterdrücke, diskriminiere und nicht ausreichend schütze, wenn sie das Kopftuch für Volksschulmädchen verbiete. Man könnte von einer deadlock-Situation innerhalb desselben frames sprechen und sich als Reaktionär zurücklehnen und zuschauen.
Dann käme etwas anderes in den Blick. Und wir wären auch wieder etwas näher dran an diesem konkreten vermutlich tschetschenischen Mädel. Mit Roger Devlin ließe sich argumentieren, daß hier ein (anthropologisch gesehen) noch intaktes Frauenbild auf ein dekadent-dekonstruiertes trifft: Ist doch sonnenklar, daß moderne westliche Zehnjährige am liebsten bauchfrei und mit “girl power” am Leiberl herumrennen würden und sich kein bißchen ihrer Schönheit “schämen”.
Hier wird es nötig, zu differenzieren zwischen Entwicklungspsycho- und biologie auf der einen Seite, mithin also menschlichen Konstanten, und kulturellen „Rollen“ auf der anderen Seite, die zwar als Geschlechterrollen anthropologisch angelegt sind, aber selbstverständlich mit unterschiedichen Stereotypen befüllt werden. Es wird also zugleich differenzierter und einfacher:
Ein ausgeprägtes Körpergefühl der Peinlichkeit und Scham entsteht erst mit der Pubertät ab etwa 10 Jahren. Insofern ist die 10-jährige Moslemin weder frühreif noch frühsexualisiert, wenngleich Mädchen beispielsweise afrikanischer oder südamerikanischer Abstammung früher geschlechtsreif werden als nordeuropäische.
Mädchen spielen Frauen. Vor dem Jugendalter ist es nichts anderes als das Sich-als-Frau-Verkleiden (so daß Glitzertütü, Perlenketten und Nagellack vom Kindergartenalter an bei Mädchen “chic” sind, allem gendergerechten Kindergärtnerinnengesäusel zum Trotz). Kleine Mädchen schämen sich ihrer sekundären Geschlechtsmerkmale ebenfalls bisweilen, und erröten, wenn man sie plötzlich auf ihre Nacktheit hinweist – diese anthropologische Substanz sich entwickelnder Weiblichkeit ist nur für die sexuellen Befreier der 70er Jahre Ausdruck „bürgerlicher Repression“ gewesen.
Meine Eltern beispielsweise fanden in den 80ern nix dabei, wenn wir nackig oder im Höschen herumgelaufen sind, und im Schwimmbad am Dorfsee war ich eines Tages im besagten Alter von 10 völlig verwirrt, als mich ein fremdes älteres Mädchen schnodderig aufforderte, ich solle doch mal einen Bikini anziehen: “Bei dir sieht man ja voll die Titten!“ – die allerdings noch so aussahen wie bei kleinen Jungs. Deren (proletarische) Eltern und Geschwister hielten den Körper für etwas zum Verstecken, und “sexualisierten” das Mädchen auf diese Weise.
68er-Eltern haben ihren Kindern die kulturell nur in diesem sehr deutschen Habitat aufgetretene seltsame Mischung aus Asexualität (FKK-Kultur nach dem Motto: „Wir sind nackt und nennen uns du“) und ganz klar sexualisierter feministischer Selbstbestimmungsduselei (Ich bestimme, wie ich ich mich anziehe! Mein Körper gehört mir! Ich habe Rechte!) vermittelt.
Ein zehnjähriges Mädchen ist vom Rollenbild her bereits voll auf Frausein ausgerichtet: und zwar gleichwohl, ob es das Kopftuch oder Hotpants, lila Strähnen und Klebetattoos trägt. Natürlich sind 10-jährige Mädchen auch in einem protosexuellen Sinne “schön”, ob sie nun diese Schönheit exhibieren oder verhüllen.
Buben – als Jungsmutter habe ich da mehr Anschauungsmaterial – sind im Volksschulalter ausgesprochen g’schamig und würden nie nackt herumspringen wenn Besuch da ist oder auch im Sommerurlaub mit Gleichaltrigen. Aufschlußreich war die Geschichte eines alten Freundes, dessen jugendlicher Nachwuchs am Nacktbadestrand auf Bekleidung beharrte, zum Leidwesen ihrer sexuell befreiten Eltern.
Der Sohn einer Bekannten hat einmal auf der Klassenfahrt die Regel eingeführt, daß sich im 4er-Bubenzimmer keiner “herzeigen” darf, sodaß die Knaben sich unter der Bettdecke umzogen oder er selbst – extra clever – im Kleiderschrank! Gleichzeitig sind Volksschulkinder innerhalb ihrer Familie privat oft noch extrem kindlich. Ich mußte manchen jungen Exhibitionisten an die Regel erinnern, daß ich nicht mit Nacktschnieplern frühstücke und der Betreffende bitte eine Unterhose anziehen möge.
Zehnjährige Buben behandeln ihre Freundinnen wie ihre Bubenfreunde, etwas reduzierter Ekel- und Deppenhumor in ihrer Gegenwart vielleicht, würden es aber weit von sich weisen, “verliebt” zu sein. Einer meiner Burschen fand es vor Jahren mit etwa 9 Jahren hochnotpeinlich, daß ich einen rosa Mädchensocken in seinem Bett fand und Witze über “Damenbesuch” machte.
Natürliches Schamgefühl (und Scham als moralisches Empfinden setzt Sexualität voraus) ist auch beim europäischen Kinde vorhanden ohne fürchterlich menschenverachtende Indoktrination, wie uns die Kopftuchverbieterfraktion innerhalb der politischen Rechten im Namen der Aufklärung weiszumachen versucht.
Ein Kommentator im selben Twitter-Diskussionsstrang kann sich nicht bloß nicht vorstellen, daß Schamgefühl nicht auf Indoktrination beruht, sondern setzt gleich volles Rohr auf Umerziehung zum Zwecke der Integration in die schamlose Gesellschaft:
In unserer westlichen Gesellschaft muss dieses Schamgefühl, ohne Kopftuch nackt zu sein, aberzogen werden. Man fängt bei den Eltern an, die ihren Töchtern diesen Floh ins Ohr setzen. Gegen Parallelgesellschaften, für Integration über Assimilation!
Islamkritikerin Seyran Ates formuliert mit dem gleichen Tenor:
Religiöse Gründe jedoch, die im Dienste der Geschlechtertrennung und zur Markierung der Frauen als “das andere Geschlecht”, das minderwertigere, das schwache, das verführerische Geschlecht dienen, dürfen wir nicht länger akzeptieren.
Kopftücher markieren Frauen als Frau, als was auch sonst? Verführung funktioniert seit jeher über Ver- und Enthüllung, wie sowohl Camille Paglia als auch Slavoj Zizek betonen. Kinder bedürfen qua Kindsein ganz besonderer Begrenzung und eben gerade nicht der „Kinderrechte auf freie Selbstbestimmung“. Dies könnte uns Freud erklären.
Daß ein Kinderbuch ausgerechnet den sadistischen Titel „Justine und die Kinderrechte“ verpaßt bekommen hat, fällt wohl auch in sein Ressort. In entwicklungspsychologischer Betrachtung sind Kinder immer schon sexuelle Wesen, und brauchen nicht erst “sexualisiert” zu werden, sie sind es aber auf keimhafte Weise.
Im Mädchen ist immer schon die Frau angelegt, egal ob es als „stolze Puppenmutti“ posiert, sich züchtig verhüllt auf des gestrengen (und im Falle unseres Kopftuchmädchens unangenehm stolzen) Vaters Wort hin, oder zu aufreizender Musik „nuttig herumhopst“ (Zitat einer Lehrerin, die mit diesen Worten eine musikvideoimitierende Tanzeinlage ihrer Siebtkläßlerinnen nicht zuließ). Den Keim zu früh herauszuschälen tötet ihn.
Der Islam verlegt die notwendige Begrenzung des männlichen Begehrens (das sich im übrigen immer auch auf das Kindliche der Frau und das Frauliche des Mädchens richten kann) nach außen in die rigide Kleidervorschrift, das Christentum nach innen in die rigide moralische Selbstdisziplin, schreibt Zizek in seinen „Blasphemischen Gedanken“.
Und der Liberalismus?
Die Freiheit ist ein so ätherisches Ideal, daß es der Versteifung bedarf, dann liegt das Öbszöne nahe.
(Arnold Gehlen, Moral und Hypermoral)
Der Liberalismus zerstört die Versteifung der moralischen Selbstdisziplin und damit das für Kinder zum Aufwachsen nötige soziale Exoskelett. Dieses gewährleistet sowohl Begrenzung des männlichen als auch des weiblichen Begehrens, sonst wird dieses allzu leicht obszön. Das linksliberale und eben auch das rechtsliberal-islamkritische aufklärerische Selbstbild fühlt sich massiv gestört, wenn Mädchen islamisch „sexualisiert“ werden.
Daß sie umgekehrt liberal “sexualisiert” werden, ist kognitiv nicht anschlußfähig außerhalb reaktionärer Kreise. In diesen kann man sich durchaus vorstellen, daß bei weggebrochener innerer Versteifung wieder die äußere einen Teil der Stützfunktion übernehmen müßte. Und die “Islamisierung” konfrontiert uns knallhart mit realexistierenden Exoskeletten, die uns Deutschen wesensfremd sind.
Insofern wir jedoch zu moralischen Mollusken geworden sind, locken sie uns nackte Einsiedlerkrebse in den falschen Unterschlupf. Erkennen wir den Skelettbedarf und rekonstruieren uns das eigene.
Von Caroline Sommerfeld erschien vor kurzem ihre grundlegende Schrift Wir erziehen. Zehn Grundsätze im Verlag Antaios. Das Buch (328 S., 18 €) kann hier bestellt werden.
2019Sachsen
Für "moralische Selbstdisziplin" braucht es in Europa keinen Islam und schon gar nicht dessen Kleiderordnung. Wir haben in unserer eigene christlichen - vornehmlich katholischen - Tradition gewissen Regeln, sich nicht "aufreizend" zu kleiden. Es gab Zeiten, da trugen Frauen Röcke und Kleider, dazu Hüte oder - zur Arbeit im Haus, auf dem Feld oder in der Fabrik - auch mal ein Kopftuch. Offenes Haar, wie es heute Alltag ist, galt als unzüchtig. Und selbst heute noch tragen Frauen aus traditionell-katholischen Kreisen beim Kirchgang prinzipiell einen mindestens knielangen Rock, ein nicht zu körperbetontes undurchsichtiges und nicht zu weit ausgeschnittenes Oberteil sowie in vielen Fällen auch eine Mantilla oder ähnliche Kopfbedeckung. Dagegen scheint die eigentlich männliche Hose für Musliminnen kein Problem darzustellen - solang sie mit einem langem Oberteil und Kopftuch kombiniert wird.
Es ist völlig richtig, dass wir vor unsrem christlichen Hintergrund (Sexual-)Moral vor allem durch Selbstdisziplin anstreben - nicht durch Wegsperren des "Objekts" hinter Stoffmassen. Allein das Begehren ist schon Sünde. Wir erwarten vom Mann, dass er sich und seine Triebe im Griff hat - selbst dann noch, wenn alle Frauen plötzlich nackt wären. Dagegen scheint es, dass im Islam allein die Frauen durch ihre Verschleierung, Absonderung etc. für die Wahrung der Moral zuständig sind. Anders sind Aufrufe, nicht normgerecht gekleidete Frauen durch Vergewaltigung zu betrafen, nicht zu erklären.
Kurz gesagt, unsere "Sittsamkeit" funktioniert anders. Es geht allein darum, dass wir wieder zu unserer eigenen Tradition, zu unseren Werten, zu unserer Kultur und letztlich auch zu unserer (katholischen) Religion zurückfinden. Der Islam ist und bleibt ein Fremdkörper. Es kann ihn nur als Entweder-Oder geben.