Einstieg in das Interview ist die Neuigkeit, daß sich Ruch erstmals ohne seine Kriegsbemalung aus Ruß fotografieren ließ, nach des Spiegels vollmundiger Ansage die “Maske des Aktionskünstlers, der die Grenze zwischen Realität und Fiktion ins Wanken bringt.”
Der Unterschied zwischen dem berußten und unberußten Ruch-Antlitz ist minimal. Das Maskenhafte ergibt sich weniger aus der Schwärzung des Gesichts als aus seiner seltsam “eingerasteten” Physiognomie. Man sieht Ruch stets mit demselben, beinah versteinerten Gesichtsausdruck, herabhängenden Mundwinkeln, zusammengepreßten, nach oben gewinkelten Augenbrauen, die ein Kummerdach bilden und seine Stirne traurig-nachdenklich furchen. Das wirkt manchmal auch weinerlich oder gar ein wenig dümmlich, als wäre er ein geprügelter Dackel. (Ob es sich bei seinen optisch gezielt eingesetzten Augenbrauen schon um ein “narzißtisches” Merkmal handelt, lasse ich mal dahingestellt).
Nie sieht man Ruch lachen oder auch nur lächeln. Er scheint frei von jeglichem Humor, von jeglicher Selbstironie zu sein. Wenn man dem bundesdeutschen Schuldkult eine Büßer- oder Passionsfigur schnitzen wollte, könnte man sich ihn als Vorbild nehmen. Bleierne, todernste Melancholie glänzt matt aus seinen Augen, als wären sie erschütterte Zeugen sämtlicher Holocauste und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die wir Normalsterblichen und satten Bürger ebenso verdrängen, wie wir sie zu verantworten haben.
Ruch sieht an unserer Stelle, leidet an unserer Stelle, mahnt an unserer Stelle, streut sich Asche auf sein betrübtes Prophetenhaupt voller Weltschmerz, weil wir es nicht tun. Er will uns ebenso tief betroffen machen, wie er selbst tief betroffen ist, was ein Ausweis seiner hohen Sensibilität und tiefen Humanität ist. (Manchmal frage ich mich, ob er Bilder von Elie Wiesel und ähnlichen Protagonisten studiert hat, um diesen Gesichtsausdruck hinzubekommen.)
Ich kann nun in Herrn Ruch nicht hineinblicken und nicht beurteilen, ob es ihm tatsächlich rund um die Uhr so schlecht geht oder er tatsächlich so traurig und betroffen über die humanitären Desaster der Weltgeschichte ist, wie seine Stimmlage, Augenbrauen und Stirnfalten vermutlich zum Ausdruck bringen sollen. Vielleicht verstellt er sich auch nicht und hockt ernsthaft neurotisch versponnen in diesem zum Dauerzustand gewordenen Habitus.
Aber da er als “Aktionskünstler” von der Öffentlichkeit lebt, liegt es auf der Hand, daß er danach trachtet, daß man seine herabsinkenden Mundwinkel und Weltschmerzaugen auch gut und deutlich sehen, filmen und fotografieren kann; daß er mit seiner Tragödenmaske eine Wirkung nach außen erzielen will, eine Pose einnimmt, eine Show inszeniert – natürlich für eine ehrliche, gute, angeblich tief empfundene Sache.
Gleichzeitig wirken er und seine Mitstreiter in ihren Auftritten nicht selten verschroben, autistisch in sich gekehrt, dabei fanatisch oder gar astrein psychopathisch. Man betrachte nur dieses extra-gruselige Foto der ZPS-Mitarbeiterin Nina van Bergen, auf dem sie Ruch quasi gechannelt hat.
Da das ZPS mit einem großzügig erweiterten, maximaldiffusen Kunstbegriff operiert, kann es so gut wie jede Niedertracht als “Kunstfreiheit” rechtfertigen, jeden kreativen Umgang mit der Realität und jeden linkstotalitären Triebimpuls mit einem künstlerischen, philosophischen oder “humanistischen” Mäntelchen kaschieren.
Der selbstgerechte Eifer, den Ruch in dem aktuellen Spiegel-Interview zutage legt, wirkt jedenfalls inzwischen so überdreht und extrem, daß sich neben ihm selbst das linke Hetzblatt Nr. 1 der Republik als Gralshüter des offenen Diskurses, der fairen Debatte und der demokratischen Besonnenheit inszenieren kann, was natürlich eine Heuchelei der Sonderklasse ist.
Ruch fordert gegenüber Rechten explizit eine Null-Toleranz-Politik. Die einzige Antwort sei “Ächtung und Totschweigen”. Sollte mal ein Rechter Gelegenheit bekommen, im Fernsehen den Mund aufzumachen, “dann sollte davor gut sichtbar ein Hinweis eingeblendet werden: Vorsicht, jetzt kommt jemand, der bekannt ist für die Normalisierung rechtsextremer Positionen.”
Hier darf dem Publikum also nicht der kleinste Funke von “Legitimität” suggeriert werden, sondern es muß ihm eindeutig klargemacht werden, daß es frei nach Orwell “Crimestop” zu praktizieren und das womöglich aufkeimende Gedankenverbrechen gleich im Ansatz zu ersticken habe.
Nun war die Berichterstattung des Spiegels über z.B. Björn Höcke bislang alles andere als freundlich, aber immerhin hat das Blatt versucht, seine Leser etwa per Direktinterview halbwegs darüber zu informieren, wofür dieser Mann eigentlich eintritt, wenn man ihn schon zum Buhmann macht.
Schon das ist Ruch zuviel der Bühne für den bösen Rechten, was dem Interviewer immerhin Gelegenheit zu ein paar scheinheiligen Statements gibt (immerhin wird deutlich gesagt, wen man in Hamburg als “politischen Gegner” betrachtet):
Ruch: Der SPIEGEL versorgt ihn mit einem wichtigen Rohstoff: politischer Legitimität. Auch die AfD liest ja den SPIEGEL.
SPIEGEL: Aber wir wollen doch wissen, was Höcke sagt und denkt.
Ruch: Warum?
SPIEGEL: Weil wir auch den politischen Gegner kennenlernen wollen. Es gehört zum Wesen einer Demokratie, mit allen zu reden, um dem Publikum die Möglichkeit der Meinungsbildung zu geben.
Ruch repräsentiert wie kein zweiter die politische Wahrnehmungsspaltung des “Ich seh etwas, was du nicht siehst.”
Apropos Chemnitz rief er dazu auf, Teilnehmer der gegen Merkels Asylpolitik gerichteten Demonstrationen zu identifizieren und an einen öffentlichen Pranger zu stellen, unter anderem, sie bei ihren Arbeitgebern zu denunzieren. Das unterscheidet sich in nichts von gängigen Antifapraktiken – abgesehen von der Alibi-Behauptung, dies hätte in irgendeiner Weise etwas mit “Kunst” zu tun.
Die entscheidende Frage ist, was in Chemnitz tatsächlich passiert ist. Für Ruch scheint eindeutig festzustehen, daß es dort “Hetzjagden” auf Ausländer gab, die Teilnehmer der Demos allesamt “Neonazis” oder “Rechtsextremisten” waren, deren Sache keinerlei nachvollziehbare Ursache oder Legitimation habe, und entsprechend müsse man handeln.
Auf der im weitesten Sinne “rechten” Seite hingegen dreht sich die Causa Chemnitz um ein verzerrtes Mediennarrativ (der Spiegel mischte hemmungslos wie immer mit), um die Mißachtung der Opfer der Asylpolitik, (siehe Kubitschek hier, Lichtmesz hier) und die Verachtung der politischen Eliten für die Anliegen großer Teile des Volkes (insbesondere im Osten, den der Spiegel ebenfalls in der aktuellen Ausgabe erklären will).
Ruch kämpft derart verbissen für die Totalgültigkeit seines offenbar reichlich “zwischen Realität und Fiktion” wankenden “Wahrheitssystems” (wie es der sächische Ministerpräsident Michael Kretschmer formulierte), daß er allen Ernstes bereits eine Sandra Maischberger bezichtigt, “den Absturz des Humanismus” zu “organisieren”.
In seinem neuen Buch Schluss mit der Geduld, einer “Anleitung für kompromißlose Demokraten” schreibt er:
Der Zusammenhalt unserer Gesellschaft wird durch Reichsbürger, Pegidisten und Rechtsfaschisten lange nicht so bedroht wie durch eine Maischberger-Sendung. Der “Völkische Beobachter” ist zurück.
Das begründet er auf Nachfrage des Spiegels so:
Gucken Sie sich mal an, wie diese Talkshows ihre Themen ankündigen: »Sozialstaat unter Druck: Kosten uns die Flüchtlinge zu viel?« Oder: »Angst vor Flüchtlingen: Ablehnen, ausgrenzen, abschieben?«
Es scheint für ihn irrelevant zu sein, daß besagte Shows diese Fragen durchweg im Sinne des politisch-korrekten Konsens einbetten und beantworten, während sie die Dissidenten und Quotenrechten, die ab und zu auftreten dürfen, in der Regel einer Überzahl von Gegnern zum Fraß vorgeworfen werden. Der Skandal besteht für Ruch schon allein darin, diese Dinge überhaupt zu thematisieren oder zu problematisieren.
Das geht über das Prinzip “Ich seh etwas, was du nicht siehst” weit hinaus. Es ist vielmehr ein “Du darfst nicht sehen, was du siehst, du darfst nicht benennen, was du siehst, du darfst nicht kritisieren, was du siehst. Du darfst nur sehen, benennen und kritisieren, was ich sehe. Ansonsten wirst du geächtet, terrorisiert, denunziert, totgeschwiegen.”
Aber wenn Ruch das Folgende ernst meint und nicht bloß als aufmerksamkeitsgenerierende Provokation lanciert hat, dann fällt mir keine andere Erklärung mehr als eine psychiatrische Diagnose ein:
Ist Ihnen einmal aufgefallen, dass Maischberger immer für die Seite Partei ergreift, die wir dem geistigen Faschismus zuordnen könnten? Haben Sie sie jemals für Humanismus eintreten hören? Wir sind viel zu tolerant. So was dürfte gar nicht gesendet werden. Maischberger spielt mit extremen Positionen. Sie findet, dass das den Diskurs belebt.
Ähnliches könnte man über den Hirnfilm sagen, den Ruch für den Großteil des Interviews an die Leinwand wirft: Demnach befände sich die Bundesrepublik Deutschland 2019 in exakt, wirklich exakt derselben Lage wie die Weimarer Republik im Jahr 1932, was ihm nach intensiver Lektüre der “Weltbühne” endgültig klargeworden sei. Sein Buch und seine Aktionskunst wollen nicht weniger, als die unmittelbar dräuende Wiederkehr von 1933, des Dritten Reichs, in letzter Konsequenz von Auschwitz zu verhindern.
Wir müssen aufhören mit der innenpolitischen Appeasementpolitik. Die Geduld gegen rechts verursachte einen einzigen Flächenbrand… Es wäre deshalb wichtig, dass die Bundesregierung endlich anerkennt, dass wir einen staatlichen Auftrag erfüllen. Der Staat sollte unsere Rechnungen begleichen. … Es darf niemals zu einer Regierungsbeteiligung der AfD an einer Bundesregierung kommen. Niemals.
Dabei fühlt sich Ruch selbst unmittelbar an Leib und Leben bedroht. Ohne jeglichen Beleg behauptet er:
Im Bundestag arbeiten Leute, die mich auf Todeslisten gesetzt haben.
Da angeblich die äußerste Gefahr droht, sind auch äußerste Mittel gerechtfertigt. Ruch schreckt in seinem Buch auch nicht vor Sätzen wie diesen zurück:
Der Kampf gegen den rechten Deutschlandhass ist ein Kampf um Symbole. Es reicht mitunter, sich seinen Anführer zu schnappen und wie das Gnu vor den Augen seiner entsetzten Kumpane zu zerfleischen.
Auf Nachfrage des Interviewers, was dieser Satz bedeute, antwortet Ruch:
Ruch: Ich halte das für eine akkurate Beschreibung dessen, was wir mit dem Posterboy der Rechten, mit Björn Höcke, gemacht haben. Der hat sich davon bis heute nicht richtig erholt. Er ist einfach nicht mehr der Alte und vertut sich dauernd.
Das war also das Ziel dieser “Kunstaktion”: Einen Menschen öffentlich zu traumatisieren, zu erniedrigen, zu brechen, und das alles mit gutem Gewissen, denn dieser Mensch ist ja bloß ein “Nazi”, also kein vollwertiger Mensch. Und der Initiator dieser Aktion träumt expressis verbis davon, diese Art von Terror offiziell im Dienste des Staates ausüben zu dürfen.
Ich habe das im November 2017 so kommentiert:
Ich bin alles andere als ein Freund historischer Aufrechnungen und übertriebener Unterstellungen, aber in diesem Fall haben sich Ruch & Co, dieser nichtswürdige “Oktoberklub” unter den zeitgenössischen Künstlerdarstellern, die Gegenkeule redlich verdient. Sie mögen ihre Niedertracht, Aggression und häßlichen Verfolgungs- und Erpressungsgelüste hinter “Kunst”, “Widerstand”, den “Lehren des Holocaust”, “Menschlichkeit”, “menschlicher Großgesinntheit”, “Humanismus” usw. verstecken, soviel sie wollen. All dies waren schon immer beliebte Zuflüchte von besonders ausgesuchten Kanaillen.
Wer die Mentalität verstehen will, die zur Vernichtung von über hundert Millionen Menschenleben geführt hat, braucht sich nicht weiter umzusehen als im orwellesk betitelten “Zentrum für politische Schönheit”. Das nehme ich erst zurück, wenn Ruch und seine “Komplizen” Björn Höcke und seine Familie auf Knien rutschend um Verzeihung für diesen Terror bitten. Anschließend dürfen sie meinetwegen gerne Urlaub als Erntehelfer in Nordkorea machen, um aus der Geschichte etwas zu lernen.
Die Selbstinszenierung des Interviewers als vernünftiger Ruhepool gegenüber dem etwas überspannten Ruch, ist wie gesagt trügerisch und scheinheilig. Der Spiegel arbeitet Woche für Woche daran, die hysterische Angst vor der AfD als Wiedergängerin des Nationalsozialismus zu schüren. Die Entfernung zu Ruch beträgt im Grunde nur Nuancen.
Ruch selbst ist wohlgemerkt alles andere als ein Außenseiter oder Spinner, der nicht ernstgenommen wird. Er ist bestens mit der deutschen Kunst‑, Kultur- und Medienszene vernetzt und unterscheidet sich in seinen Ansichten und seinem Selbstbild kaum von anderen einflußreichen Mainstream-Figuren wie Georg Restle oder Jan Böhmermann, die ein etwas weniger schräges Image haben; er ist nur unverhohlener, fanatischer und direkter, was seine totalitären Gelüste angeht.
Die Restles, Böhmermanns und Ruchs scheinen nicht zu bemerken, daß sie mit ihrem ideologiebetonierten und selbstgerechten Blindflug viel nachhaltiger zur Eskalation der politischen Spannungen beitragen, als irgendeine Rede von Höcke es jemals könnte. Wenn jemand den politischen “Flächenbrand” schürt, sind sie es selbst.
Wer im Bereich des Politischen, in dem Vernunft, Voraussicht und Realismus zählen sollten, nicht unterscheiden kann, wo “die Grenze zwischen Realität und Fiktion” verläuft oder sie gar bewußt verschiebt (weil er ein “Künstler” ist, oder auf der “richtigen” Seite steht), spielt auf fahrlässigste Weise mit dem Feuer, egal wie moralisch oder hypermoralisch er den Kampf um die Unversehrtheit seiner persönlichen “Wahrheitssysteme” hinstellen mag.
Was uns zu dem wohl entlarvendsten Teil dieses Interviews führt:
SPIEGEL: Es ist irritierend, dass Sie stets etwas freudig Erregtes im Gesicht haben, wenn Sie Ihre Szenarien entwickeln. Eine gewisse Freude am Untergang.
Ruch: Mich interessiert nur der Worst Case. Die Frage ist: Ist er möglich? Ihren Blicken entnehme ich: So ganz unplausibel ist er nicht.
Der_Juergen
Blendende Charakterisierung eines ganz besonders bigotten und widerlichen Fanatikers. Wir dürfen allerdings nicht vergessen, dass Kreaturen wie Ruch ein (unvermeidliches) Produkt des in der BRD herrschenden Systems und seiner Ideologie sind. In einem Staat, wo Vaterlandsliebe als Verbrechen und Selbstbeschmutzung als Tugend gilt, werden derlei Gestalten automatisch aus den tiefsten und übelriechendsten Kloaken ganz nach oben gespült. Sie gerieren sich als waghalsige Drachentöter, die todesmutig gegen den allgegenwärtigen Faschismus und Rassismus auftreten, sind aber nichts weiter als Denunzianten der erbärmlichsten Sorte. Wer mit den Schakalen heult, der wird im heutigen Deutschland als "kritischer Denker" gefeiert.
Wir erleben die Umwertung der Werte, von der Nietzsche einst schrieb, in drastischer Form tagtäglich mit. Dazu gehört die Umdeutung der Begriffe. Als "kompromissloser Demokrat" gilt heute jemand, der zur Vernichtung gewaltloser Andersdenkender aufruft. Eine Partei wie die AFD, die direkte Demokratie in Form von Volksabstimmungen nach Schweizer Vorbild fordert, ist hingegen "antidemokratisch".
In Orwells Ozeanien wäre Ruch bestimmt ein heisser Anwärter auf den begehrten Posten des Chefs des Wahrheitsministeriums gewesen. In einem deutschen Deutschland würde er hingegen flugs in jenen Orkus zurückverfrachtet, dem er entstiegen ist.