Notizen zur Sachsenwahl (2)

In Sachsen wurde der neue Landtag gewählt. Notizen im Vorfeld gab es hier; nun eine erste Einschätzung. Brandenburg folgt.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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Zunächst zu den har­ten Fak­ten: Die CDU gewann die Wahl mit 32,1 Pro­zent der Zweit­stim­men (Ver­gleichs­zahl 2014: 38,4), die AfD folgt mit 27,5 (9,7) vor der Links­par­tei mit 10,4 Pro­zent (18,9). Die auf den Boden der Tat­sa­chen zurück­ge­hol­ten Grü­nen (mehr dazu hier) lan­den dem vor­läu­fi­gen End­ergeb­nis zufol­ge bei 8,6 Pro­zent­punk­ten (5,7), wäh­rend die SPD auf 7,7 abstürzt (12,4). FDP und Freie Wäh­ler (FW) schei­tern bei­de an der Fünf­pro­zent­hür­de. Die FDP erreicht 4,5 (3,8), die FW 3,4 (1,6).

In Man­da­ten aus­ge­drückt ver­tei­len sich die – theo­re­ti­schen – 120 Plät­ze im Dresd­ner Land­tag auf 45 Christ­de­mo­kra­ten (2014: 59), 39 Alter­na­ti­ve (14), 14 Lin­ke (27), 12 Grü­ne (8) und 10 Sozi­al­de­mo­kra­ten (18).

Prak­tisch wer­den indes 119 Sit­ze ver­ge­ben. Die AfD-Lis­te wur­de – je nach Les­art – auf­grund eige­ner Unzu­läng­lich­kei­ten respek­ti­ve ob will­kür­li­cher Set­zung durch den Lan­des­wahl­aus­schuß samt Kor­rek­tur durch den Ver­fas­sungs­ge­richts­hof auf die ers­ten 30 Kan­di­da­ten beschränkt. Das Ergeb­nis vom 1. Sep­tem­ber ergab aber 39 Man­da­te. Neun blaue Stüh­le wären also leer­ge­blie­ben, zähl­ten allei­ne die Lis­ten­stim­men. Die AfD gewann jedoch 15 Direkt­man­da­te (CDU 41, Grü­ne 3, Links­par­tei 1), wovon acht Direkt­kan­di­da­ten nicht zugleich über die Lan­des­lis­te ein­ge­zo­gen wären, so daß acht Direkt­man­da­te zu den 30 Lis­ten­man­da­ten hin­zu­ge­rech­net wer­den müs­sen. Das heißt, es bleibt ledig­lich ein AfD-Stuhl unbe­setzt, woge­gen die Lan­des­spit­ze der Par­tei im Nach­gang des Wahl­ta­ges noch Kla­ge ein­rei­chen will. Daß der Ver­fas­sungs­ge­richts­hof sei­ne eige­ne Ent­schei­dung der 30er Begren­zung am Ende revi­die­ren wird, darf jedoch bezwei­felt wer­den. Die Zahl der säch­si­schen Land­tags­ab­ge­ord­ne­ten für die kom­men­de Legis­la­tur­pe­ri­ode redu­ziert sich unterm Strich auf 119, wovon 38 Akteu­re mit blau­em Par­tei­buch aus­ge­stat­tet sind.

Die Wahl­be­tei­li­gung stieg auf 66,6 Pro­zent. Das ent­spricht einem Plus von über 17 Pro­zent­punk­ten im Ver­gleich zur Wahl von 2014. Erneut erwies sich die AfD als Demo­kra­tie­mo­tor. Ihr gelang es, über 200.000 bis­he­ri­ge Nicht­wäh­ler an die Urne zu mobi­li­sie­ren (und 235.000 wei­te­re Stim­men von Links­par­tei, CDU und Co. abzu­zie­hen). Ob das für eine »wie­der­ge­fun­de­ne Dia­log­fä­hig­keit« spricht, wie Thors­ten Kleditzsch in sei­nem Leit­ar­ti­kel für die Chem­nit­zer Freie Pres­se for­mu­lier­te, oder viel­mehr für die suk­zes­si­ve Schlie­ßung einer bis dato klaf­fen­den Reprä­sen­ta­ti­ons­lü­cke für das in Sach­sen lan­des­weit star­ke und viel­fäl­ti­ge rech­te Lager, sei dahingestellt.

Fest steht: Die hohe Wahl­be­tei­li­gung in der – über­wie­gend – links­ge­präg­ten Dresd­ner Neu­stadt und im – außer­or­dent­lich – links­ge­präg­ten Leip­zi­ger Süd­raum mit dem Epi­zen­trum Con­ne­witz konn­te der AfD nicht über­mä­ßig scha­den; zu stark ist die Par­tei jen­seits die­ser links­grü­nen Wohl­fühl­zo­nen, und das heißt kon­kret: über­all sonst in Sachsen.

Fest steht zwo: 33,4 Pro­zent der Wahl­be­rech­tig­ten, und das sind über eine Mil­li­on Men­schen, gin­gen auch dies­mal nicht zur Wahl. Dies ist das ent­schei­den­de Reser­voir von man­nig­fal­tig Unzu­frie­de­nen, fun­da­men­tal Ent­täusch­ten und poli­tisch Abge­wand­ten für die AfD, das es ab sofort Tag für Tag, bis zum nächs­ten Wahl­gang und dar­über hin­aus, zu errei­chen gilt. Der Fokus der Bemü­hun­gen ist folg­lich nicht auf den Kern hart­ge­sot­te­ner CDU-Über­zeu­gungs-Wäh­ler zu richten.

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Zu kon­sta­tie­ren ist, daß der Wahl­kampf trotz aller Pola­ri­sie­rung grosso modo fair, ruhig und erstaun­lich sach­lich ver­lief – zahl­lo­se Angrif­fe lin­ker »Akti­vis­ten« auf Ange­hö­ri­ge von Rechts­par­tei­en blei­ben aus­ge­nom­men. Sie zäh­len mitt­ler­wei­le zum unver­meid­li­chen Stan­dard­re­per­toire anti­fa­schis­ti­scher Poli­tik­aus­übung und sor­gen kaum mehr für Auf­re­gung jen­seits der eige­nen Lebenswelt.

In der bun­des­wei­ten, aber auch säch­si­schen Pres­se­land­schaft wur­de die Gewalt gegen Sachen und Men­schen durch Anti­fa-Täter, wenn über­haupt, ach­sel­zu­ckend ver­merkt. Ein­mal mehr gilt also, daß »rech­te« Slo­gans anstö­ßi­ger emp­fun­den wer­den als lin­ke Mili­tanz. Dar­an änder­te die vor­geb­lich »kon­ser­va­ti­ve« Uni­on wäh­rend ihrer bis dato 30jährigen Regie­rungs­zeit wenig bis nichts. Dies gilt es sei­tens AfD und Co. zu kon­sta­tie­ren, ohne sich empört in die per­ma­nen­te Opfer­rol­le zu bege­ben, die irgend­wann wir­kungs­los wer­den muß.

Wenn Medi­en und Behör­den lin­ke Kri­mi­nel­le scho­nen und dies satt­sam bekannt ist, muß der eige­ne Wahl­kampf in den spe­zi­el­len Gefähr­dungs­re­gio­nen eben effek­ti­ver geschützt wer­den anstatt auf ihn zu ver­zich­ten, wie es in Tei­len der Leip­zi­ger Süd­be­zir­ke gehand­habt wur­de. Dort gewann die Links­par­tei in Gestalt von Julia­ne Nagel im übri­gen das ein­zi­ge Direkt­man­dat des Frei­staats. 27,4 Pro­zent im Wahl­kreis 28 (Con­ne­witz, Süd­vor­stadt usw.) dürf­ten sie indes nicht zufrie­den­stel­len. Womög­lich sorg­te auch dies für die Ver­schlech­te­rung ihrer Grund­lau­ne.

Ohne­hin war die Lin­ke der gro­ße Wahl­ver­lie­rer in Sach­sen. Sie ist längst kei­ne »Volks­par­tei« des Ostens mehr, wor­an auch ein auf den Ost­nim­bus zuge­schnit­te­ner Groß­pla­ka­te-Ein­satz (»Das Gute am Osten – Die Lin­ke«) nichts ändern konn­te. Zu sehr hat sich die in Sach­sen kos­mo­po­li­tisch-urban durch­setz­te Life­style-Lin­ke von der Lebens­rea­li­tät struk­tur­kon­ser­va­ti­ver Alt-PDS-Sym­pa­thi­san­ten wie auch poten­ti­el­ler Pro­test­wäh­ler aus der Arbei­ter- und Mit­tel­schicht ent­fernt. Kon­kret hat die Lin­ke unter dem blas­sen und kon­zept­lo­sen Lan­des­chef Rico Geb­hardt die Zahl der Man­da­te hal­biert. Die meis­ten Stim­men (29.000) ver­lor man übri­gens an die AfD, fast drei­mal so vie­le wie an die Grü­nen (11.000).

Die Lin­ken­spit­ze geht mit der Schmach vom Wahl­sonn­tag ganz unter­schied­lich um. Spit­zen­kan­di­dat Geb­hardt bemän­gel­te, daß Kin­der, etwa sein Sohn (7), ja nicht wäh­len dürf­ten. Sei­ne Dresd­ner Par­tei­freun­din Kat­ja Kip­ping schritt der­weil zur Wäh­ler­be­lei­di­gung: Wer für die AfD optier­te, wähl­te damit »Pro­test vol­ler Ver­ach­tung«. Ein­mal mehr ist allein Sahra Wagen­knecht in der Lage zur dif­fe­ren­zier­ten Wahl­aus­wer­tung. Dem Redak­ti­ons­netz­werk Deutsch­land sag­te sie, daß die wach­sen­de Distanz zur Lebens­welt der Nor­mal­bür­ger sich nicht zuletzt im lin­ken Umgang mit AfD-Wäh­lern zei­ge, »die gern pau­schal als Ras­sis­ten beschimpft wer­den, obwohl vie­le von ihnen frü­her links gewählt haben«.

Wes­halb es eine durch­aus unver­zicht­ba­re Not­wehr der unte­ren und mitt­le­ren Schich­ten ist, sich von der ver­ei­nig­ten Lin­ken ab- und der (Neu­en) Rech­ten zuzu­wen­den, habe ich im übri­gen eben­so im 2019er kapla­ken-Band Blick nach links unter­sucht wie die Bedeu­tung von Kip­pings lager­in­ter­nem Sieg über Wagen­knecht – samt der­zeit und künf­tig zu bestau­nen­der Folgen.

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Deut­lich wird im Zuge die­ser Ent­wick­lun­gen: Die Ner­ven links der Mit­te lie­gen längst vor dem gesell­schaft­li­chen Rechts­ruck, auf den wei­ter­hin zu hof­fen ist, blank; bereits 27,5 Pro­zent AfD-Stim­men in Sach­sen rei­chen dazu aus. Ein spre­chen­des Bei­spiel ist der Leip­zi­ger Micha­el Lüh­mann. Der wis­sen­schaft­li­che »Demo­kra­tie­for­scher« (Uni­ver­si­tät Göt­tin­gen) kom­men­tier­te das Wahl­er­geb­nis so:

Jeder drit­te männ­li­che Wäh­ler in Sach­sen hat mut­maß­lich Schei­ße im Kopf (weil er ent­we­der ein Drecks­na­zi ist oder weil er glaubt, eine Drecks­na­zi­par­tei wäh­len zu müs­sen, ohne Nazi sein zu wollen).

Lüh­mann ruder­te nicht zurück, ent­schul­dig­te sich nicht, und auch sein Arbeit­ge­ber äußer­te sich nicht. Die­ser Aus­fall blieb, wie­der­mal, ohne Fol­gen. In der Medi­en­welt der BRD ist nach links längst jede Schran­ke gefal­len. Dafür spricht, daß Micha­el Lüh­mann nur ein Tag nach dem Skan­dal-Tweet trotz­dem als Exper­te durch den ZDF befragt wur­de. Sei­ne eige­ne lin­ke Posi­tio­nie­rung samt Belei­di­gun­gen hun­dert­tau­sen­der Wäh­ler blieb unerwähnt.

Eben­so uner­wähnt bleibt bei einem der­zeit gefrag­ten Gesprächs­part­ner der Öffent­lich-Recht­li­chen des­sen radi­kal lin­ke Sozia­li­sa­ti­on: Mat­thi­as Quent. Bei der Bür­ger­initia­ti­ve Ein Pro­zent heißt es über den umtrie­bi­gen Akti­vis­ten:

Quent ist kein Unbe­kann­ter: Als ehe­ma­li­ger Mit­ar­bei­ter und Zög­ling der „anti­fa­schis­ti­schen“ Land­tags­ab­ge­ord­ne­ten Katha­ri­na König-Preuss (Die Lin­ke) ist er ein ideo­lo­gisch-gefes­tig­ter Akteur der Anti­fa-Sze­ne Thüringens.

Erschwe­rend kommt hin­zu: König-Preuss gilt Beob­ach­tern als anti­fa­schis­ti­sche Hard­li­ne­rin der Links­frak­ti­on in Erfurt, und Quent hat sich bis heu­te nicht von sei­nem Enga­ge­ment in der lin­ken Sze­ne distan­ziert. All dies wird von RBB, MDR und Co. verschwiegen.

Statt­des­sen reüs­siert Mat­thi­as Quent als Chef des »Insti­tuts für Demo­kra­tie und Zivil­ge­sell­schaft« in Jena. Über die­ses Insti­tut führt EP aus:

Das soge­nann­te „Insti­tut“ ist eine Tarn­or­ga­ni­sa­ti­on der Ama­deu Anto­nio Stif­tung und wur­de ursprüng­lich als poli­tisch-lini­en­treu­er Ersatz für das Thü­rin­ger Lan­des­amt für Ver­fas­sungs­schutz (LfV) kon­zi­piert. Nach erfolg­rei­cher Inter­ven­ti­on der Land­tags­frak­ti­on der Alter­na­ti­ve für Deutsch­land (AfD) (ein gelun­ge­ner Bei­trag des AfD-Abge­ord­ne­ten Brand­ner kann hier genos­sen wer­den) wur­de der Fall öffent­lich, das IDZ dient nun pri­mär zur Ver­öf­fent­li­chung frag­wür­di­ger Publi­ka­tio­nen mit ver­meint­lich wis­sen­schaft­li­chem Anspruch. Beson­ders umstrit­ten ist die völ­lig intrans­pa­ren­te Finan­zie­rung des IDZ.

Anlie­gen die­ses und vie­ler wei­te­rer lin­ker Lob­by­ver­ei­ne ist die Ver­en­gung des Kor­ri­dors des Sag­ba­ren. Anti­fa­schis­ti­sche Maxi­men wer­den abso­lut gesetzt, »ver­däch­ti­ge« Begrif­fe stig­ma­ti­siert, »Rech­te« aller Cou­leur in der Fol­ge dif­fa­miert. Einer­lei, ob in Thü­rin­gen oder Sach­sen – man soll als Patri­ot, als Regie­rungs­kri­ti­ker, als Geg­ner der anti­fa­schis­ti­schen Dok­trin nicht mehr öffent­lich dazu Stel­lung bezie­hen (kön­nen). Erfolg­reich. Dazu paßt eine aktu­el­le Erhe­bung:

Rund 70 Pro­zent der Sach­sen füh­len sich in ihrer Mei­nungs­äu­ße­rung ein­ge­schränkt – und zwar nicht nur prak­tisch alle AfD-Wäh­ler, son­dern auch die Hälf­te der Grü­nen-Wäh­ler. Das geht aus einer Umfra­ge her­vor, die das Mei­nungs­for­schungs­in­sti­tut Infra­test dimap im Zuge der Land­tags­wah­len für die ARD durch­ge­führt hat.

Der Ver­lie­rer des der­zei­ti­gen anti­fa­schis­ti­schen Auf­marschs in der Medi­en- und Exper­ten­welt ist ein­mal mehr die freie Demo­kra­tie, zu der das Recht auf freie Mei­nungs­äu­ße­rung samt Schutz vor Repres­sa­li­en gesell­schaft­li­cher wie staat­li­cher Natur zäh­len sollte.

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Wo es wahl­tech­nisch mar­kan­te Ver­lie­rer – Die Lin­ke – gibt, muß es auch Sie­ger geben. In Sach­sen gibt es zwei. Da ist zum einen die CDU, zum ande­ren die AfD. Erklä­rungs­be­dürf­tig ist vor allem die Dekla­ra­ti­on der Uni­on als »Sie­ger«, wo sie doch 7,3 Pro­zent ihrer Stim­men bzw. 14 ihrer Man­da­te ver­lor. Hier muß Beach­tung fin­den, daß Micha­el Kret­schmers Lan­des­ver­band unter denk­bar schlech­ten Vor­aus­set­zun­gen star­te­te und bei der Bun­des­tags­wahl 2017 bzw. bei der Europ­wahl im Mai mit 26,9 bzw. 23 Pro­zent jeweils hin­ter der AfD (27,0 bzw. 25,3 Pro­zent) ins Ziel ein­lief. 32,1 Pro­zent bei der nun­meh­ri­gen Land­tags­wahl sind das Ergeb­nis eines kraft­vol­len und klu­gen Wahlkampfs.

Beson­ders auf­fäl­lig ist der Auf­wand, der betrie­ben wur­de. Damit ist nicht das Blend­werk rund um die in kon­ser­va­ti­ven Krei­sen oft­mals glo­ri­fi­zier­te und damit in ihrer Alt­par­tei­en-sta­bi­li­sie­ren­den Rol­le wesent­lich ver­kann­te Wer­te­Uni­on gemeint, nicht das Hin und Her um den Ein­satz von Hans-Georg Maa­ßen als Wahl­kampf­hel­fer (oder eben nicht), son­dern der klas­si­sche bür­ger­na­he Wahl­kampf, der mit gro­ßem Enga­ge­ment bis zum Wahl­tag, bis ins letz­te Dorf, bis an die letz­te Tür geführt wurde.

Wäh­rend die AfD zudem eher all­ge­mein gehal­te­ne Ein­wurf­zet­tel samt »Regie­rungs­er­klä­rung« ver­brei­te­te, war der CDU-geführ­te Wahl­kampf milieu­spe­zi­fisch aus­dif­fe­ren­ziert und zusätz­lich stark auf die jewei­li­gen Direkt­kan­di­da­ten zuge­schnit­ten. 41 erziel­te Sie­ge in den Wahl­krei­sen (AfD: 15) spre­chen Bän­de und bewei­sen, daß es auch in Zei­ten von Social Media und Online-Kam­pa­gnen unver­zicht­bar ist, das direk­te Gespräch mit dem Bür­ger zu suchen. Das mag beson­ders für Ange­hö­ri­ge der ers­ten Funk­tio­närs­rie­ge nicht so bequem sein wie das auf Face­book fest­ge­hal­te­ne Hän­de­schüt­teln mit Par­tei­gran­den oder das Sel­fie vor den eige­nen Pla­ka­ten, aber bewirk­te, daß die Uni­on im Ren­nen um die Direkt­man­da­te Woche um Woche auf­hol­te, um schließ­lich mehr Wahl­krei­se zu gewin­nen als ver­schie­dent­lich pro­gnos­ti­ziert wur­de; immer­hin ging man in den Wochen vor der Wahl vie­ler­orts von einem engen Kopf-an-Kopf-Ren­nen zwi­schen Schwarz und Blau aus.

Den lei­den­schaft­li­chen und pro­fes­sio­nell geführ­ten Wahl­kampf der Uni­on zu wür­di­gen, heißt frei­lich nicht, daß man ihren Paro­len auf den Leim gegan­gen ist. Man­cher­orts pla­ka­tier­ten schlag­fer­ti­ge AfD-Akti­ve mit Recht unter CDU-Pla­ka­te, daß die ver­meint­lich ewi­ge Regie­rungs­par­tei doch 30 Jah­re Zeit hat­te für mehr Poli­zis­ten, mehr Sicher­heit, mehr ÖPNV, mehr Ärz­te auf dem Land usw. – all dies nun im Sti­le einer Oppo­si­ti­ons­par­tei ein­zu­for­dern, war von der Uni­on dreist, aber vor allem die AfD-Spit­ze ver­säum­te es, die­se Dis­kre­panz aggres­si­ver ins Zen­trum des eige­nen Wahl­kampfs zu stellen.

Es ist nicht zuletzt auf­grund die­ser über­wie­gen­den Scho­nung, die die CDU durch die AfD-Lan­des­füh­rung erfuhr, zu befürch­ten, daß man sich mit den Hin­ter­ge­dan­ken bereits bei mög­li­chen Koali­ti­ons­ge­sprä­chen, ob als Seni­or- oder Juni­or­part­ner, befand. Dabei ver­kennt man aber, daß der Sinn eines jeden Wahl­kampfs gera­de auch dar­in besteht, für die poten­ti­el­len Wäh­ler ein­deu­ti­ge Unter­schie­de zu akzen­tu­ie­ren. Gemein­sam­kei­ten für eine even­tu­el­le Part­ner­schaft könn­ten, wenn die Uni­on dies über­haupt ermög­li­chen wür­de, spä­ter noch gesucht und gefun­den werden.

Eben­so ver­säum­te es die AfD-Füh­rung, den »Selbst­läu­fer« Sach­sen – gewählt wor­den wären wohl auch Petry, Lucke oder Pog­gen­burg, wären sie auf dem säch­si­schen AfD-Lan­des­ti­cket gereist – zu einem Fanal für die bun­des­deut­sche Poli­tik wer­den zu las­sen. Gewiß, 27,5 Pro­zent sind ein respek­ta­bles und erfreu­li­ches Ergeb­nis, das die letz­ten Pro­gno­sen (23,5–25,5 Pro­zent) über­traf, aber kri­tisch-soli­da­risch darf ange­merkt wer­den, daß dies im Ver­gleich zur Bun­des­tags­wahl 2017 kei­ne rele­van­te Stei­ge­rung dar­stellt, obwohl seit­dem zwei wei­te­re Jah­re ekla­tan­ten CDU-SPD-Ver­sa­gens auf Bun­des- wie Lan­des­ebe­ne ver­stri­chen sind, von unzäh­li­gen »Ein­zel­fäl­len« und lin­ker Gewalt­es­ka­la­ti­on auch in säch­si­schen Städ­ten ganz zu schweigen.

Man ver­zich­te­te bei der AfD in den letz­ten Jah­ren bedau­er­li­cher­wei­se auf die For­cie­rung einer lan­des­wei­ten alter­na­ti­ven Nach­bar­schafts­po­li­tik, auf Per­so­na­li­sie­rung, auf Pro­fes­sio­na­li­sie­rung und über­dies auch auf einen rast­lo­sen Tür-zu-Tür-Wahl­kampf bis zur letz­ten Minu­te, wie ihn die CDU sieg­brin­gend kultivierte.

Das alles sind, wohl­ge­merkt, kei­ne Fra­gen à la »Flü­gel« vs. »Alter­na­ti­ve Mit­te«, kei­ne Resul­ta­te einer Spal­tung in »grund­sätz­lich« vs. »gemä­ßigt« oder auch von »Soli­da­ri­schem Patrio­tis­mus« vs. »FDP 2.0 plus Islamab­leh­nung«. Es sind zunächst aus­schließ­lich Fra­gen der Qua­li­tät. Hin­zu tritt dann erst das bis­wei­len feh­len­de Ver­ständ­nis für den »popu­lis­ti­schen Augen­blick« (Alain de Benoist), in dem wir leben, wie man bei­spiels­wei­se anhand der Wahl­par­ty am Abend des 1. Sep­tem­ber ver­an­schau­li­chen kann.

Vor der Wahl twit­ter­te ich:

Wenn die säch­si­sche Füh­rung der AfD authen­tisch poli­tisch denkt & han­delt, wird sie nach #sltw19 kei­ne main­strea­mi­ge Wahl­par­ty in ver­meint­lich geho­be­ner Atmo­sphä­re ver­an­stal­ten, son­dern einen Bier­gar­ten mie­ten, mit Wäh­lern fei­ern & zei­gen: Wir sind das Volk, ganz nor­mal, wie ihr.

Die klamm­heim­li­che Befürch­tung, die ich in mir trug, daß das – aus popu­lis­ti­schem Blick­win­kel – Fal­sche gesche­hen wür­de, bewahr­hei­te­te sich. Man wähl­te ein edles Ambi­en­te auf einem Damp­fer, um bei Sekt und Häpp­chen die Elb­flo­renz-Kulis­se zu bewun­dern. Das mag wun­der­vol­le Aus­bli­cke ermög­li­chen, aber die Fra­ge bleibt, ob der­ar­ti­ge Ver­hal­tens­wei­sen, tre­ten sie für­der­hin gehäuft auf, eines Tages beim Wäh­ler den Ver­dacht näh­ren könn­te, hier wür­den eini­ge Ver­ant­wort­li­che zu ger­ne zu schnell »oben ankom­men«. Ein gro­ßer Bier­gar­ten, ein paar Hun­dert gut gelaun­te Sym­pa­thi­san­ten und Wahl­hel­fer, gro­ße Fäs­ser Bier und Poli­ti­ker zum »Anfas­sen«: Viel­leicht hät­te es das auch getan, und zwar volks­nä­her, kos­ten­güns­ti­ger, weni­ger FDP-like.

Erschwe­rend kam im Vor­feld die­ser Par­ty hin­zu, daß der Wahl­kampf im Som­mer bis­wei­len ideen­arm und fan­ta­sie­los vor sich hin plät­scher­te und geo­gra­phisch auf die Hoch­bur­gen Dres­den, Mei­ßen, Bautzen/Görlitz und Säch­si­sche Schweiz fixiert war. In den soge­nann­ten »struk­tur­schwa­chen Regio­nen« Vogt­land, Zwi­ckau und dem Erz­ge­bir­ge waren die loka­len flei­ßi­gen Glie­de­run­gen eher auf sich allein gestellt. Kein Spit­zen­po­li­ti­ker der AfD wur­de von der Lan­des­spit­ze dort­hin gebe­ten, kei­ne auf­merk­sam­keits­hei­schen­de Akti­on wur­de gestützt oder gar selbst ange­sto­ßen. Als durch­aus wohl­wol­len­der Beob­ach­ter bekam man das Gefühl, daß Sach­sen für eini­ge Funk­tio­nä­re nur aus dem Lan­des­teil ab Dres­den ost­wärts exis­tiert. West- und Nord­sach­sen wur­den – aus Wohn­ort­grün­den des Spit­zen­per­so­nals der Lan­des-AfD und/oder aus stra­te­gi­schen Erwä­gun­gen her­aus? – vernachlässigt.

Daß aber auch dort Erfol­ge ohne grö­ße­re Dresd­ner Rücken­de­ckung erkämpft wer­den kön­nen, zei­gen nicht zuletzt die Wahl­krei­se Nord­sach­sen 3 und Erz­ge­bir­ge 3. In Nord­sach­sen besieg­te Senk­recht­star­te­rin Gud­run Pet­zold den ehe­ma­li­gen Leip­zi­ger Poli­zei­prä­si­den­ten Bernd Mer­bitz (CDU); sie hol­te ein Drit­tel der Stim­men in einem tra­di­tio­nell schwar­zen Wahl­kreis. Und im Erz­ge­bir­ge konn­te Tho­mas Tumm mit einem enga­gier­ten Wahl­kampf die eigent­lich sat­tel­fes­ten CDU-Hoch­bur­gen zwi­schen Brei­ten­brunn und Zwö­nitz neh­men; er ging mit fast vier Pro­zent Vor­sprung vor dem christ­de­mo­kra­ti­schen Kan­di­da­ten ins Ziel.

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Ob Thumm von Frau­en oder Män­nern bevor­zugt wur­de, oder ob ein rela­ti­ves Patt herrscht, weiß man nicht. Was man weiß: 33 Pro­zent der säch­si­schen Män­ner wähl­ten lan­des­weit AfD, aber deut­lich weni­ger Frau­en, näm­lich 22 Pro­zent. Die­se Schief­la­ge kann bun­des­weit dia­gnos­ti­ziert werden.

Erfreu­li­cher ist die Ent­wick­lung hin­sicht­lich der Wäh­ler­grup­pen nach dem Alter. Die For­schungs­grup­pe Wah­len ermit­tel­te, daß die säch­si­sche AfD bei den 18–30jährigen vor den Grü­nen die stärks­te Kraft stellt. Die CDU erzielt in die­sem Bereich nur 17 Prozent.

Den schwar­zen Wahl­sieg gewähr­te ein­mal mehr die Gene­ra­ti­on 60+. Dort kommt die CDU auf 43 Pro­zent, die AfD ledig­lich auf 23 Pro­zent. Nimmt man hin­ge­gen alle unter 60jährigen Sach­sen, und zwar Män­ner wie Frau­en, zusam­men, führt die AfD mit star­ken 30 Pro­zent. Die demo­gra­phi­sche Ent­wick­lung spricht zum einen also für die AfD, zum ande­ren wird aber auch deut­lich, wie wich­tig in einer altern­den Gesell­schaft soli­de und vali­de Ren­ten­kon­zep­te sind, um zumin­dest die poli­tisch noch Auf­ge­schlos­se­nen unter den älte­ren Men­schen zu erreichen.

Apro­pos Alter. Die­ter Stein irrt, schon wie­der. Es gibt ihn nicht, den Sie­ger­block, den er »kon­ser­va­tiv-rechts« nennt. Die AfD, man erin­ne­re ihn und sich bit­te dar­an, trat zur Wahl gegen die CDU an, nicht als ihr poten­ti­el­ler will­fäh­ri­ger Juni­or­part­ner-im-War­te­stand. Was es gibt, wenn man den Wäh­ler­wil­len so inter­pre­tie­ren möch­te, ist ein sta­bi­ler Block aus Mer­kel-AKK-Kret­schmer-CDU und AfD, der etwa 60 Pro­zent der Stim­men zusam­men­bringt und rech­ne­risch betrach­tet die sta­bils­te Koali­ti­ons­op­ti­on dar­stell­te. Solan­ge aber die Wer­te­Uni­on nur fin­di­ge Pres­se­mit­tei­lun­gen ver­schickt und fol­gen­lo­se Maa­ßen-Par­tys fei­ert, aber noch nicht ein­mal wagt, auch nur zag­haft und ver­schämt den Rück­tritt des Mer­kel-loya­len Kret­schmers zu for­dern, um mit der AfD wenigs­tens in locke­re Son­die­run­gen zu gehen, ver­bie­tet es sich für authen­tisch Kon­ser­va­ti­ve und Rech­te, beim CDU-AfD-Gedan­ken­spiel von einem zu befür­wor­ten­den »kon­ser­va­tiv-rech­ten« Bünd­nis zu sprechen.

Rot-Rot-Grün (R2G) ist in Sach­sen erwar­tungs­ge­mäß uner­wünscht (man kommt gemein­sam auf ledig­lich 26,7 Pro­zent!), und auch die Gro­ße Koali­ti­on ist ange­sichts der dilet­tan­ti­schen Sach­sen-SPD weit ent­fernt jeder Rea­li­sier­bar­keit. Par­tei­chef Mar­tin Dulig wird in der Frei­en Pres­se, infan­ti­len Jar­gon adap­tie­rend, wie folgt zitiert: »Wir haben das schlech­tes­te Wahl­er­geb­nis – wir sind aber der cools­te Lan­des­ver­band.« Und doch: Auch wenn die ideen­lo­sen Sozi­al­de­mo­kra­ten um besag­ten Dulig, Han­ka Klie­se und Co. sich anschi­cken, 2024 ver­dien­ter­ma­ßen unter »Sons­ti­ge« ver­bucht zu wer­den, dürf­ten sie fürs ers­te in der Regie­rung blei­ben. Denn die ein­zi­ge rea­lis­ti­sche Koali­ti­on besteht aus den Par­tei­en CDU, Grü­ne und SPD; man nennt das »Kenia« oder, pole­misch kon­no­tiert, »Afgha­ni­stan«.

Für die AfD stellt das kein mas­si­ves Pro­blem dar. Ers­tens ent­larvt sich die CDU mehr denn je als inhalt­lich belie­bi­ge und oppor­tu­nis­ti­sche Macht­er­hal­ter-um-jeden-Preis, zwei­tens wer­den die grü­nen Minis­ter und ihre mut­maß­lich volks­fer­nen Vor­ha­ben vie­le Uni­ons­wäh­ler nach­hal­tig ver­är­gern und drit­tens hät­te die AfD der­zeit kein aus­rei­chend adäqua­tes Per­so­nal an der Spit­ze für zu beset­zen­de Minis­te­ri­en. Man gewinnt also, wenn es kei­ne Neu­wah­len geben wird, fünf Jah­re Zeit, die eige­ne Füh­rung zu pro­fes­sio­na­li­sie­ren und auf jedem Feld nach­zu­bes­sern. 2024 könn­te man dann stärks­te Kraft wer­den und die Din­ge neu ord­nen, ja viel­leicht sogar die Juni­or­part­ner­rol­le an die CDU oder, was unwahr­schein­li­cher ist, an eine im Geis­te Nils Heis­ter­ha­gens erneu­er­te Sozi­al­de­mo­kra­tie und/oder an die bür­ger­lich-kon­ser­va­ti­ven Frei­en Wäh­ler her­an­tra­gen, so sie denn beim nächs­ten Gang an die Urne die fünf Pro­zent stemmen.

Ein Pro­blem stellt die nahen­de schwarz-grün-rote-Regie­rung frei­lich den­noch dar: Für Sach­sen im all­ge­mei­nen, für die Schul- und Agrar­po­li­tik im beson­de­ren. Die Grü­nen for­dern etwa, daß sich Schu­len ihre Lehr­kräf­te selbst aus­wäh­len dür­fen. Man muß kein Bil­dungs­exper­te sein, um zu mut­ma­ßen, daß beson­ders vie­le jun­ge Lehr­kräf­te sich dann in Leip­zig-Goh­lis, Mark­klee­berg oder Dres­den-Bla­se­witz bewer­ben dürf­ten und eini­ge weni­ge in Mor­gen­rö­te-Rau­ten­kranz, Deutsch­neu­dorf und Oybin. Aber das haben sich die Uni­ons­wäh­ler selbst ein­ge­brockt, eben­so wie eine dro­hen­de Ver­schlech­te­rung der Situa­ti­on in der säch­si­schen Landwirtschaft.

Die FAZ warf am 2. Sep­tem­ber zudem die nahe­lie­gen­de Fra­ge in den Raum, ob die in Sach­sen nur in Leip­zig und Dres­den wirk­lich prä­sen­ten Grü­nen über­haupt ange­mes­se­nes Per­so­nal auf­bie­ten kön­nen; Staats­se­kre­tä­re, Abge­ord­ne­te und Minis­ter wer­den sie jeden­falls stel­len dürfen.

Für das hei­mat­ori­en­tier­te Feld tritt bei »Kenia« das Pro­blem hin­zu, daß die Grü­nen in Sach­sen weit links­au­ßen zu ver­or­ten sind. Es ist damit zu rech­nen, daß die Stim­mungs­la­ge samt Repres­si­ons­be­dro­hung gegen­über der gesam­ten hete­ro­ge­nen poli­ti­schen Rech­ten wei­ter ver­schärft wer­den dürf­te – und anti­fa­schis­ti­sche Lob­by­ver­ei­ne wei­ter fürst­lich ali­men­tiert werden.

– – –

Kei­ne Ali­men­tie­rung erfährt die NPD. Die Natio­nal­de­mo­kra­ten kom­men in ihrem eins­ti­gen Stamm­land Sach­sen nur mehr auf 0,6 Pro­zent der Zweit­stim­men (2014: 4,95 Pro­zent). Der juris­ti­sche Streit, ob man die Par­tei end­gül­tig aus der Par­tei­en­fi­nan­zie­rung ent­fernt, ist damit obso­let gewor­den. Auch in ihren Hoch­bur­gen ging die NPD unter: In Rein­hardts­dorf-Schö­na (Säch­si­sche Schweiz-Ost­erz­ge­bir­ge) hol­te man nur noch 4,6 Pro­zent der Stim­men, in Aue-Bad Schle­ma (Erz­ge­bir­ge) 3,5 und in Streh­la (Mei­ßen) 3,1.

Aller­dings betref­fen die­se Auf­lö­sungs­er­schei­nun­gen rechts der Mit­te kei­nes­wegs nur die ältes­te deut­sche Rechts­par­tei. Auch die libe­ral­kon­ser­va­ti­ve AfD-Abspal­tung #Team­Pe­try konn­te trotz lan­des­wei­ter mar­ki­ger Pla­kat­wer­bung (»Grü­ne in die Pro­duk­ti­on, »Sach­sen kann es auch allei­ne«) nur 0,4 Pro­zent der Zwei­stim­men gewin­nen (Petry als Direkt­kan­di­da­tin im Wahl­kreis Säch­si­sche Schweiz-Ost­erz­ge­bir­ge 3: ca. 800 Stim­men, macht 2 Prozent).

Noch här­ter traf es den Auf­bruch Deut­scher Patrio­ten Mit­tel­deutsch­land (ADPM) mit 0,2 Pro­zent der Stim­men. Das Gesicht der Par­tei, André Pog­gen­burg aus dem benach­bar­ten Sach­sen-Anhalt, trat wäh­rend der hei­ßen Wahl­kampf­pha­se samt regio­na­ler Gefolgs­leu­te aus der ADPM aus. Es ist zu erwar­ten, daß die ADPM allen­falls als regio­nal beschränk­te Par­tei in Zwi­ckau und Umland fort­be­steht, wo sie im Wahl­kampf zumin­dest über Kan­di­da­ten und Pla­ka­te prä­sent war und leicht über­durch­schnitt­li­che Ergeb­nis­se erziel­te. Daß der Auf­bruch dar­über hin­aus kei­ne Zuwäch­se erzie­len kann, zeigt nicht zuletzt das Bei­spiel von Chem­nitz. Dort trat die seit vie­len Jah­ren im dor­ti­gen Stadt­rat ver­an­ker­te For­ma­ti­on Pro Chem­nitz – erfolg­los – mit eige­nen Direkt­kan­di­da­ten an und warb in Sachen Zweit­stim­me für die AfD, obwohl der Chef der Bür­ger­be­we­gung, Mar­tin Kohl­mann, anfäng­lich bei ADPM-Ver­an­stal­tun­gen auftrat.

Fest steht damit: Mög­li­cher Druck »von rechts« auf die AfD wird in der kom­men­den Legis­la­tur allen­falls außer­par­la­men­ta­risch erfol­gen. In Sach­sen gibt es ein respek­ta­bles Mit­ein­an­der nicht­par­la­men­ta­ri­scher patrio­ti­scher und rech­ter Initia­ti­ven, unter ande­rem Ein Pro­zent und Pegi­da. Es ist damit zu rech­nen, daß die­ses Feld, das seit Jah­ren den säch­si­schen Boden auch für die nun­meh­ri­gen AfD-Erfol­ge bestellt, etwa­ige ideel­le und habi­tu­el­le Anpas­sungs­ten­den­zen der AfD-Frak­ti­ons­spit­ze an das selbst­re­fe­ren­ti­el­le Par­tei­en­kar­tell mit der not­wen­di­gen kri­ti­schen Auf­merk­sam­keit beglei­ten würde.

Die AfD muß eine revo­lu­tio­nä­re Real­po­li­tik ent­wi­ckeln; weder destruk­ti­ve Fun­da­men­tal­op­po­si­ti­on noch CDU-Lakai­en­rol­le soll­te die Devi­se hei­ßen. Denn der Wäh­ler, gera­de der selbst­be­wuß­te aus Sach­sen, wür­de es recht schnell mer­ken, wenn die AfD-Funk­tio­nä­re kei­ne Alter­na­ti­ve für (Ost)Deutschland dar­stell­ten, son­dern eine »Reser­ve­eli­te« für das Bestehende.

– – –

Wolf­gang Sof­sky führ­te in einem skep­ti­schen Essay (»Das Volk schaut nur zu«, NZZ v. 20.2.2019) aus, daß Ämter ihre Inha­ber über­dau­er­ten und daß in unse­ren west­li­chen Gesell­schaf­ten die Oppo­si­ti­on, »ob links, mit­tig oder rechts, nichts ande­res als eine Art ‘Reser­ve­eli­te’ (sei), die gleich­falls Pos­ten und Pen­sio­nen zu erobern sucht«. Der Auf­trag für die AfD in Sach­sen als 27,5‑Prozent-Partei und authen­ti­scher Alter­na­ti­ve besteht – im gegen­tei­li­gen Sin­ne – dar­in, dem (Wahl-)Volk zu bewei­sen, daß Sof­skys Lehr­satz nicht immer zutrifft. Für die Bil­dung einer wei­te­ren Reser­ve­eli­te des Estab­lish­ments wäre die Zeit, die Kraft, das Geld und die Gesund­heit vie­ler lei­den­schaft­li­cher und auf­rich­ti­ger Patrio­ten zu scha­de; es geht, ganz ohne Pathos, immer­hin ums Ganze.

Blei­ben wir dies­be­züg­lich zunächst hoff­nungs­froh. Denn wenn man bedenkt, daß kei­ne aku­te Kri­se die Debat­te über­la­gert, sind die säch­si­schen Erfol­ge der AfD um so bemer­kens­wer­ter. 30 Pro­zent und noch viel mehr sind in Sach­sen kei­ne Uto­pie mehr, wenn man in den kom­men­den Jah­ren den eige­nen Auf­tritt, die eige­nen Inhal­te und das eige­ne Per­so­nal einer­seits pro­fes­sio­na­li­siert und wenn ande­rer­seits eine Wirt­schafts­flau­te (ein mög­li­cher Durch­bruch auch für West­wah­len!), die Rück­kehr der ver­dräng­ten Migra­ti­ons­pro­ble­ma­tik oder eine aku­te Kri­sen­si­tua­ti­on ande­rer Art ein­tritt, etwa Ver­schär­fun­gen der Die­sel­po­li­tik (Stich­wort Pend­ler­land Sach­sen) oder ein mög­li­ches Aus­ein­an­der­bre­chen der Kenia-Koalition. 

Sach­sen hat gewählt, die Zah­len spre­chen Bän­de, jetzt erst beginnt die eigent­li­che Arbeit. Sach­sen kann zei­gen, wie es geht. Kon­struk­ti­ve Kri­tik ist dabei vonnöten.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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Kommentare (31)

Niekisch

3. September 2019 17:40

"Anliegen dieses und vieler weiterer linker Lobbyvereine ist die Verengung des Korridors des Sagbaren."

Da stehen sie nicht alleine da: Staatliche Institutionen, Kirchen, Gewerkschaften und viele mehr betreiben diese Verengung bis zum Zudrücken der Hälse seit Jahrzehnten. Solange keine wenigstens außerparlamentarische Avantgarde bis an den Rand der Selbstaufopferung gegen diese Schändlichkeit antritt, wird kein wirklicher Durchbruch zu erzielen sein. Mal sehen, welches mediale Sturmgewitter in den nächsten Wochen und Monaten gegen die AfD losbrechen wird.

Niedersachse

3. September 2019 19:11

@Benedikt Kaiser

"....sondern der klassische bürgernahe Wahlkampf, der mit großem Engagement bis zum Wahltag, bis ins letzte Dorf, bis an die letzte Tür geführt wurde...."

Wenn eine Partei wie CDU, die seit 30 Jahren in Sachsen die Landesregierung und seit 14 Jahren die Bundesregierung stellt, mit ein paar blumigen Worten und einer vermehrten Präsenz "vor Ort" die Bürger einlullen kann, dann sagt das viel weniger über den engagierten Wahlkampf der Partei, als über deren Wähler aus die leider immer wieder den gleichen Figuren auf den Leim gehen. Außerdem:
Mit großer Wahrscheinlichkeit haben Wähler, die eigentlich der Linkspartei, der SPD oder den Grünen nahestehen, diesmal der CDU ihre Stimme gegeben, um einen AfD- Sieg unter allen Umständen zu verhindern. Die 27.5 Prozent in Sachsen sind respektabel, aber nicht überragend. Dennoch war ich am Sonntag sehr erleichtert, da ich ein Ergebnis von weniger als 25 Prozent befürchtet hatte. Das wäre ein Rückschritt gewesen und für die Moral nicht gerade förderlich. So geht es zumindest in kleinen Trippelschritten in die richtige Richtung.

Freki

3. September 2019 19:31

Mir ist es ein Bedürfnis Benedikt Kaiser für die hohe sachliche Qualität und die Fairniß seiner Beiträge zu danken.
Hier a) Auswirkung der Wahlmanipulation (Ergebnis ein "fehlender" Sitz)
b) Sachlichkeit und Beachtung für die NPD u.a,
Patrioten "die schon länger und/oder anders"
für die rechte/richtige Sache Kämpfen!

H. M. Richter

3. September 2019 19:57

Eine ganz hervorragende Analyse, vielen Dank.
________________________________________________

Manches am dortigen Wahlkampf würde ich sogar noch kritischer sehen, vieles schien offenbar noch ein letztes Mal nach dem Motto "Wir könnten auch einen Besenstiel zur Wahl aufstellen, sie würden uns dennoch wählen!" abzulaufen.

Zu bedenken möchte ich an dieser Stelle allerdings geben, daß es, weil ich den Parteikampf innerhalb der sächsischen CDU längst nicht für entschieden halte, in nächster Zeit noch so manche Überraschung geben könnte. Manchmal geht alles schneller, als man denkt. Zumal in Zeiten, in denen für deutsche Regierungsflieger offensichtlich weder sichere Starts noch Landungen mehr gewährleistet werden können.

Sachsen gelten aus gutem Grunde als 'helle', 'heeflisch' und 'heemtiggsch', also als schlau, höflich und heimtückisch. Gerade letzteres tatsächlich nicht ganz zu Unrecht. Wer also innerhalb der sächsischen CDU-Führung eine Minderheitsregierung will, ist vermutlich 'helle' und 'heemtiggsch' genug, dies nicht vor der Zeit zu verkünden, sondern zunächst einmal Koalitionsverhandlungen anzubieten und durchzuführen. Solange bis man nachvollziehbar deren Scheitern verkünden kann bzw. muß. Fundamentale Positionen der Sachsen-CDU (Braunkohle und innere Sicherheit u.a.) sind derart verschieden von denjenigen der Bündnis 90/Die Grünen-Abgeordneten und -basis, daß dies leicht zu bewerkstelligen wäre. Vorausgesetzt natürlich, man will es ...

Insofern ist es vielleicht - anders als oben ausgeführt - klug und verständlich, daß die sog. WerteUnion zum jetzigen Zeitpunkt, (noch?) gar nicht den Rücktritt Kretschmers fordert. Vielleicht ist sie ja ebenfalls 'helle'.
Nicht auszuschließen sogar, daß Kretschmer selbst 'helle' und 'heemtiggsch' ist, - mehr jedenfalls als viele derzeit vermuten ...

Dann könnte es sehr schnell gehen und die AfD in Sachsen hätte keine "fünf Jahre Zeit, die eigene Führung zu professionalisieren und auf jedem Feld nachzubessern." Dann müßten jene ins Gefecht, die jetzt da sind. Nicht darauf vorbereitet zu sein, hielte ich für einen Fehler.

Hartwig aus LG8

3. September 2019 21:16

Ich kenne mich in der sächsischen Provinz ein wenig aus und weiss, dass es die CDU-Basis innerlich zerreißen wird, wenn es eine genehme Alternative zu Schwarz/Grün/Rot gibt. Allerdings weiß ich auch, dass diese Leute an ihren Pfründen hängen. Da wird ohne Netz und doppelten Boden nichts riskiert. Eine letztendlich armseelige Truppe.

Ein gebuertiger Hesse

4. September 2019 07:46

66,6 Prozent Wahlbeteiligung - ein numerologischer Zufall? Vade retro satans.

Valjean72

4. September 2019 08:04

Zunächst einmal vielen Dank an Benedikt Kaiser für diese gelungene und interessante Zusammenfassung.

Folgende Passage am Ende stösst bei mir allerdings auf eine gewisse Skepsis:

"30 Prozent und noch viel mehr sind in Sachsen keine Utopie mehr, wenn man in den kommenden Jahren ... "

Sachsen ist das Zugpferd der AFD, zusammen mit den beiden anderen originär mitteldeutschen Bundesländern. (Obschon ich dennoch meine, dass Sachsen ein wenig hervorsticht)

Wenn das nun die Perspektive sein soll, in den kommenden Jahren in Sachsen lediglich 30% -Plus einzufahren, dann bedeutet dies im Umkehrschluss, dass ein Politikwechsel auf Bundesebene über eine von der AFD geführte Bundesregierung in eine allzu ferne Zukunft verschoben wird.

Darüber hinaus halte ich es für möglich, dass in Sachsen (und auch in Brandenburg) Wahlmanipulationen durchgeführt wurden

Der_Juergen

4. September 2019 09:02

Ich danke Benedikt Kaiser ebenfalls für diese höchst nützlichen Informationen, schliesse mich jedoch der Bemerkung von @Valjean 72 an, dass "30 Prozent und mehr" nicht das Ziel sein können. Wenn in vier Jahren noch (mehr oder weniger) reguläre Wahlen stattfinden, müsste das Ziel 40 Prozent oder mehr sein.

Nach der zu erwartenden Koalition der CCU mit SPD und den Grünen werden mit hoher Wahrscheinlichkeit manche CDU-Abgeordnete ausscheren und entweder eine eigene Fraktion (Werte-Union) begründen oder zur AFD übergehen. Das wäre ein grosser Schritt in die richtige Richtung.

Adler und Drache

4. September 2019 09:29

"die bürgerlich-konservativen Freien Wähler"

Deren politische Verortung ist noch nicht recht klar. Eine sinnvolle Alternative zur Alternative sind sie, da die AfD zumindest im Osten zunehmend sozialdemokratischer wird, nur dann, wenn sie sich ein klar marktwirtschaftliches, wirtschaftsliberales Profil geben, also das, was einst "nationalliberal" war und bis Möllemann in der FDP auch noch eine Heimat hatte. Das wäre aus meiner Sicht eine deutlich bessere Option als die Union - die wurde durch Merkel unrevidierbar verändert.

"Die AfD muß eine revolutionäre Realpolitik entwickeln ..."

Lange über diesen schönen Satz nachgedacht und denke immer noch. Da steckt viel drin! Eine Vereinigung von bisher scheinbar grundlegend Gegensätzlichem, eine Art Quadratur des politischen Kreises ... das wäre eine wirkliche Alternative! Man würde nicht altbundesrepublikanische Konstellationen aufwärmen, sondern sie überwinden. Ließe sich auf konkrete Bereiche ausweiten: Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik etc. Jedenfalls: ausgezeichnet formuliert! Regt zum Denken an, warum nicht doch möglich sein sollte, was bisher "unmöglich" genannt wurde!

RMH

4. September 2019 12:34

"Die AfD muß eine revolutionäre Realpolitik entwickeln ..."

Lange über diesen schönen Satz nachgedacht und denke immer noch.

@Adler und Drache,

Den Satz muss man aber auch ganz lesen und da steht noch nach dem Semikolon

"weder destruktive Fundamentalopposition noch CDU-Lakaienrolle sollte die Devise heißen."

Aus meiner Sicht wird das aber nur dann insgesamt rund, wenn man "revolutionär" streicht und durch "evolutionär" ersetzt. Revolutionär und AfD bzw. "Realpolitik" sind meiner Meinung nach inkompatible Begriffe. Wer etwas Revolutionäres sucht, sollte realistischerweise die Rechnung gerade nicht mit der AfD oder überhaupt mit einer (derzeit nicht parlamentarisch existierenden) Partei machen, die dann ob ihres "revolutionären" Potentials ab erreichen einer gewissen, bereits geringfügigen Schlagkraft, dann recht einfach verboten und zerschlagen werden kann (das BVerfG setzt hier die Schwelle ja recht niedrig an. Eine NPD mit 20% Wahlerfolg, wie ihn die AfD jetzt hatte, wäre ziemlich klar verboten worden).

Die AfD ist bürgerlich - durch und durch und damit das Gegenteil von Revolutionär. Darauf weisen Gauland, Meuthen etc. vollkommen zurecht regelmäßig hin. Und gerade den Charakter der Bürgerlichkeit versuchen die Haltungsmedien nun zu negieren und wegzuschreiben.

Antwort Benedikt Kaiser:
Diesen – von mir oben verlinkten Artikel – zu lesen, hätte ggf. geholfen.

Gast auf Erden

4. September 2019 15:36

Sehr schöne Einblicke ins sächsische "Innenleben"; für Leute wie mich als Außenstehender hilfreich, danke dafür. - Bin auch bei den Schlagwörtern "realpolitisch" und "revolutionär" in einem Zusammenhang hängengeblieben. Dann hab ich mir ein Greta-Clip gegönnt: "We have no time" - ein revolutionäres Statement, um die Schleusen zu öffnen. Ob sie damit die fff-Hüpfer gepackt hat, weiß ich nicht. Übertragen: haben wir Zeit, welches Fanal müsste von wem gesendet werden? Wie lange müssen noch Bahnsteigkarten erworben werden? - Andererseits: Wer mag sich schon mit seiner ganzen Existenz in den Wind stellen, wenn "real" der normale Alltag mit allen Anforderungen schon alle Kraft fordert und man noch halbwegs überschaubare Zukunftspläne hat? Ich mag den Rasen noch nicht betreten, weil das "Verboten!"-Schild drohend in der Mitte steckt. Wer zieht's raus?

RMH

4. September 2019 17:20

@Benedikt Kaiser,

ich sehe keinen echten Widerspruch in der Sache bzw. zu meiner These, statt revolutionär evolutionär zu sagen. Gut, man hat dann den Nachteil, die Luxemburgsche Sprachschöpfung nicht kapern zu können bzw., moderater formuliert, mit eigener Anwendung füllen zu können. Wenn ich Frau Luxemburg, so wie Sie sie in Ihrem Artikel wiedergeben, richtig verstehe, meint sie doch gerade, dass im Bestehenden das "Kommende" bereits angelegt sei ("in nuce") - das ist meiner Meinung nach durchaus eher "evolutionär" als "revolutionär". Das R. Luxemburg dann aber lieber das Wort "revolutionär" verwendet, dürfte aufgrund ihrer politischen Richtung und dem Lager, dem sie zugehörte, klar sein.

"Wir", also das konservative, rechte Lager, hingegen brauchen die Umschreibung "revolutionär" eigentlich nicht (gut, ich weiß, auch die Konservativen wollten einmal "revolutionär" sein - Schlagwort KR). Zumal nun wahrlich nicht jeder gleich Rosa Luxemburg bzw. den von Ihnen hergeleiteten Hintergrund dazu einordnen wird und beim Wort "revolutionär" eher verwirrt sein könnte (siehe Schlusssatz ihres Aufsatzes, in dem Sie selber von einem Oxymoron sprechen).

Atz

4. September 2019 18:12

Bemerkenswert, dass nach der Wahl noch lauter die AfD von Meinungsmachern als rechtsextrem, rechtsradikal, faschistisch, Nazi usw. beschimpft wird, wo man dachte, es kommt nach der Wahl zu einer Normalisierung der Aufregung, schiesst die Aufregung so richtig in die Decke.

Dieses radikalisierende Gebrüll des linksliberalen Medienmainstreams mit antidemokratischer Tendenz ist Schwäche und untergräbt deren Position.

Laurenz

4. September 2019 20:11

@RMH ... bin der Meinung, Herr Kaiser liegt vorne. FFF ist Revolution von oben. Inwieweit die durchschlägt, ist schwer zu beurteilen, bei der Europa-Wahl war die Reichweite 25%. Da ging es aber auch um nichts und die EU haute den EU-Befürwortern danach fett eine rein. Hätte ich was im Wahlkampf zu sagen gehabt, würde ich denen "Fuck for Future" entgegengesetzt haben.
Ich bevorzuge auch eher den Begriff "revolutionär", zumindest in der Analyse. Evolution ist auch bei religiösen Menschen unbeliebt. Selbst ich würde in der öffentlichen Debatte die Christen nicht in die Pfanne hauen, und nur die Nazi-Gesetzgebung der Kirchen im Bezug zu den Alt-Parteien als Argumentations-Basis nutzen, wenn uns wieder einer eine Armbinde anlegen oder Sterne an uns verteilen will.
@Herr Kaiser .... ich habe Ihren Artikel sehr genossen, weil er in der Sprache, Konzeption (Aufbau) & Argumentations-Kette, Recherche ziemlich perfekt gelungen ist.
Eine einzige Frage habe ich dazu. Warum benutzen Sie, ähnlich auch anderen Autoren Ihrer Generation und Ihres Dunstkreises, immer die Termini unserer politischen Gegner und definieren Sie nicht um, um selbst die Begrifflichkeit zu beherrschen? Ich meine das im Sinne von Herrn Silone.

Benedikt Kaiser

5. September 2019 07:30

@Laurenz: Danke für Ihren Kommentar, zu dem ich nur am Ende etwas zu antworten habe.

Sie spielen auf die Verwendung des Begriffes »Antifaschismus« an und meinen, die Antifaschisten wären keine, sondern etwas anderes, beispielsweise »Faschisten«. Ich sehe das grundsätzlich anders und warne davor, das Spiel des Gegners zu spielen und ganze Begriffswelten zu entleeren und falsch zu füllen (Linksautonome als "rote SA", Antifaschisten als "Faschisten" usw.).

Antifaschismus war seit seiner Inauguration ein taktisches Vehikel extremer Linker, um eine Ideologie parat zu haben, die situativ jeden Gegner mit dem ultimativen Feindverdikt – »Faschist!« – diffamieren kann. Schon damals waren es ja nicht nur Hitleristen, die man so titulierte, sondern eben auch Sozialdemokraten (»Sozialfaschisten«), dissidente und moskau-kritische Linke, Konservative Revolutionäre und Strasser-Leute. Heute, 80 Jahre später, wird ebenso alles grundsätzlich Gegnerische als ultimatives Feindbild verbucht: Abtreibungsgegner, christliche Traditionalisten, Konservative, Neurechte, radikale Rechte, nonkonforme Linke usf. Man reproduziert sich seine »Faschisten« in jeder Epoche, und gegen diese ist dann, mit den bekannten Folgen der antifaschistischen Enthemmung, alles erlaubt.
Die Bundesrepublik hat daher – in der Theorie – qua Grundgesetz keinen antifaschistischen Grundkonsens, sondern einen freiheitlich-demokratischen. Mit Recht. Antifaschismus heißt seit jeher Ausschaltung des Gegners und Erweiterung der Faschismusdefinition um jeden, der anders denkt. Er ist gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Das alles steckt in seiner DNA, und es gibt daher keinen Grund, Begriffsverfälschungen zu akzeptieren oder gar selbst zu übernehmen.

Adler und Drache

5. September 2019 09:37

Benedikt Kaiser:

Aber war und ist die "extreme Linke" nicht tatsächlich "Faschismus"? Ausschalten der Opposition, Totalitarismus, Gleichschaltung aller gesellschaftlichen Komponenten um des utopischen Zieles Willen, straffe Führung durch eine Kader-Partei, Rechtfertigung politischer/staatlicher Gewalt, Personenkult statt Religion, Forcierung der Technik, radikales Ersetzen des Gewachsenen durchs Geplante, Verschmelzung von Politik und Ethik ... Ist denn das nicht alles tatsächlich Faschismus, oder was ist es sonst?

Freilich, mir ist schon klar, dass "Faschismus" im historischen Sinn eher das System Mussolinis war, dass es Unterschiede zum Nationalsozialismus und zum Stalinismus gab, aber politisch-phänomenologisch ist der Begriff "Faschismus" für das System der extremen Linken doch recht zutreffend.

Search4M

5. September 2019 09:56

@ Benedikt Kaiser
In korrekter und nüchterner politikwissenschaftlicher Betrachtung ist der Begriff "Antifaschismus", als selbstgewählter Name einen politischen Agitationsrichtung, natürlich nicht veränderbar existent. Trotzdem möchte ich ihn nicht verwenden und dieser Truppe über ihren Eigennamen ihre selbstgewählte Definition bestätigen. Impliziert doch der Begriff Antifaschismus, dass es einen
Faschismus gibt. Dieser ist aber weit und breit nicht zu sehen. Ich nenne sie "Gesellchafts-Loser", "Bildungs-Loser" (von NGO bezahlter Rechtsanwalt ja, aber hat einer von denen einen MBA und arbeitet bei einer Bank??), oder einfach Links-Faschisten. Halten sie doch in ihren Zielen und Methoden die Ausschaltung von allem und jedem, das/der nicht nach ihrem verworrenen Weltbild scheint, mit Gewaltanwendung für legitim. Da unterscheiden sie sich nicht im Geringsten von ihren Lehrmeistern des klassichen Faschismus. Ausserdem, wenn einer "Idiot" zu mir sagte und ich konterte (beweisbar) mit "selber Idiot", hat das immer hilfreich verunsichernd gewirkt.

Benedikt Kaiser

5. September 2019 10:16

@"Adler und Drache":

Sie erleben mich bass erstaunt. Das, was sie da anführen, ist reinster Antifaschismus, ist vielleicht auch Totalitarismus, aber doch nicht »Faschismus«?

Ich orientiere mich da eher am kundigen Faschismusforscher Zeev Sternhell, der es wie folgt auf den Punkt bringt:

Die faschistische Ideologie ist eine Synthese aus einem radikalen Nationalismus und einer antimaterialistischen, antirationalistischen Revision des Marxismus.

Darüber hinaus erlaube ich mir, mich selbst zu zitieren:

Im Folgenden wird auf die Faschismus-Definitionen Sternhells rekurriert, der von einem Faschismus ni droite ni gauche ausgeht und dessen ideengeschichtliche Entstehung als Synthese nationalistischer und antimaterialistisch-sozialistischer Ideen im fin de siècle in Frankreich begreift, als Amalgam radikal linker und rechter Ideologeme, die durch die polarisierende Dreyfus-Affäre, den Ersten Weltkrieg und D’Annunzios Fiume-Regentschaft an Dynamik gewonnen habe. Zudem grenzt Sternhell aufgrund des inhärenten biologistischen Rassendeterminismus den Nationalsozialismus von den faschistischen Bewegungen ab. Vgl. Sternhell, Zeev (Hrsg.): Die Entstehung der faschistischen Ideologie. Von Sorel zu Mussolini, Hamburg 1999; ders.: Faschistische Ideologie. Eine Einführung, Berlin 2002; ders.: Ni droite ni gauche. L’idéologie fasciste en France, 3. Aufl., Brüssel 2000. Eine deutschsprachige Analyse des letztgenannten Werkes leistet Armin Mohler in einem Zusatzkapitel seines Handbuchs der Konservativen Revolution: Vgl. Die Konservative Revolution in Deutschland 1918-1932. Ein Handbuch, Ergänzungsband, 4. Aufl., Darmstadt 1994, S. 103-119.

Weiterhin ist Karlheinz Weißmann Essay über den Faschismus aus afaschistischer Perspektive als Grundlage zu betrachten. Weißmann klärt die grundsätzlichen Gemeinsamkeiten der Faschismen. Der Faschismus sei demzufolge eine Ideologie gewesen, dessen Ziel die vollständige Integration einer von Desintegration bedrohten Gesellschaft ist, weshalb alle Faschismen per se nationalistisch ausgerichtet waren. Den landestypischen Nationalismus kombinierten die Faschisten mit sozialistischen Ideen und schufen eine idealistisch-voluntaristische Weltanschauung, deren erklärte Feinde der Liberalismus, der Kommunismus, und, unter Umständen, der Konservatismus sind. Kennzeichnend für die Faschisten sind etwa die Preisung der Gewalt als legitimem Mittel zur Zieldurchsetzung, die hierarchische Befehl-Gehorsam-Kette und der immanente politische Stil. Der Faschismus ist, in dem er etwas fundamental „Neues“ anstrebt, einen „neuen Menschen“ in einer „neuen Ordnung“ fordert, eine revolutionäre Erscheinung, dessen Anspruch auf Totalität erst aus den Handlungsmöglichkeiten erwachsen kann, die mit der Moderne gegeben sind. In dem ausdrücklichen „nicht zurück“ der Faschisten liegt die entscheidende Trennlinie zur restaurativ-reaktionären, d.h. „alten“ Rechten, die, wie die Action Française oder deutschnationale Verbände in der Weimarer Republik, einen unwiderruflich vergangenen Status-quo wiederherzustellen versuchten. Vgl. Weißmann, Karlheinz: Faschismus. Eine Klarstellung, Schnellroda 2009.

Dies nur einführend zum Faschismusbegriff (aus dem Buchprojekt Inselfaschismus). Wie will man das denn mit zeitgenössischen Antifa-Aktivisten, Grünen oder sonstigen Linken zusammenbringen?

»Linksfaschisten«, dies noch abschließend, waren Anhänger der späten Italienischen Sozialrepublik (1943–1945), José Antonio Primo de Rivera und andere nationalsyndikalistische Aktivisten, ferner sicherlich auch der proletarische Flügel der rumänischen Eisernen Garde und die Französische Volkspartei (PPF) unter dem kommunistischen Renegaten Jacques Doriot, der Pierre Drieu la Rochelle und andere einbinden konnte. Auch hier: Wie will man das denn mit zeitgenössischen Antifa-Aktivisten, Grünen oder sonstigen Linken zusammenbringen? Nur, wenn man die »Sprache der BRD« samt angeschlossener Deutungsmuster von Begriffen und Inhalten mit der Muttermilch aufgesogen hat.

Adler und Drache

5. September 2019 10:50

Benedikt Kaiser:

"Wie will man das denn mit zeitgenössischen Antifa-Aktivisten, Grünen oder sonstigen Linken zusammenbringen?"

Nun, vielleicht kann man sie als Faschismus-Modifikation verstehen, d.h. besonders ohne das Element "Nationalismus"?
Sie schreiben: "Der Faschismus ist, in dem er etwas fundamental „Neues“ anstrebt, einen „neuen Menschen“ in einer „neuen Ordnung“ fordert, eine revolutionäre Erscheinung, dessen Anspruch auf Totalität erst aus den Handlungsmöglichkeiten erwachsen kann, die mit der Moderne gegeben sind. "
Das ist der extremen Linken immerhin so nah verwandt, dass man es in der Eile schon mal mit dem Faschismus verwechseln kann.
*
Ihren Appell unterstütze ich - ich bin auch dann kein Freund der "Nazikeule", wenn sie von unsereins geschwungen wird. Man kann sich nicht darüber beklagen und gleichzeitig selbst damit austeilen. Ich halte überhaupt nichts von der Übernahme feindlicher Semantik, weil man damit ungewollt, aber zwangsläufig Mechanismen übernimmt - man kann das immer wieder bei den parteiinternen Diskussionen der AfD feststellen. Ich meine: Da muss man auf sprachliche Hygiene achten. Selbst vormals recht eindeutige Worte wie "Antisemitismus" sind durch ihre Einbettung in die linksextreme Semantik "verseucht" und nicht mehr wertfrei anwendbar; es wird dann alles zu einer Sache moralischer Scheidung und moralischer Existenzvernichtung.
Nein, wir müssen schon unsere eigene Sprache und Terminologie finden bzw. wiederfinden. Ich habe beispielsweise das schöne Wort "sittlich" wiedergefunden, um nicht "moralisch" sagen zu müssen und den ganzen Anhang mitzuschleppen, der ans Wort angeheftet wurde, oder ich rede von "Tugenden" statt von "Werten".
Also: ganz auf Ihrer Seite, was die Praktik betrifft, aber auf der Ebene ideengeschichtlicher Deutung können Sie mich nicht so recht überzeugen.

Der_Juergen

5. September 2019 13:08

@Benedikt Kaiser @Adler und Drache

In Ihrer Diskussion über den Faschismusbegriff stehe ich klar auf der Seite von Kaiser. Während der Faschismus in Theorie und Praxis eine nationalistische Ideologie war (wie der deutsche Nationalsozialismus, von dem er sich in einigen wichtigen Punkten unterschied), ist der Kommunismus zumindest in der Theorie internationalistisch und somit antinationalistisch. Dass Stalin spätestens ab 1941 eine de facto nationalistische Politik betrieb und auch die linksradikalen Befreiungsbewegungen der Dritten Welt, von Vietnam bis Kuba, ausgeprägt national waren, steht auf einem anderen Blatt und beweist übrigens die Überlegenheit des Nationalismus über den Internationalismus. Unter dem Schlachtruf "Proletarier aller Länder, vereinigt euch!" hätte die Sowjetunion den 2. Weltkrieg ganz gewiss nicht gewonnen.

Ein ebenso wesentlicher Unterschied ist, dass der Faschismus, wie jede rechte Denkweise, das Primat der Vererbung gegenüber der Umwelt betont, während der Kommunismus (wiederum zumindest in der Theorie; in der Praxis mag das anders aussehen) die Bedeutung genetischer Faktoren herunterspielt oder überhaupt bestreitet. Ein Extrembeispiel hierfür war der bekannte Scharlatan Lyssenko.

Wer die Antifa als "rote Faschisten" bezeichnet, treibt also Schindluder mit den Begriffen.

Search4M

5. September 2019 13:31

Das ist doch ein homogenes Bild. Alle Bestandteile der Antifa sind grün und links. Die GRÜNEN, DIE LINKE und die halbe SPD sind durchsetzt von Sympathisanten für die Antifa. Und keiner von denen interessiert sich für Betrachtungen eines Sternhell oder Weißmann.

Antwort Benedikt Kaiser:
Na geht doch. Und weil das alles durchsetzt ist von Antifa, sollte man es auch Antifa nennen und nicht Fa, Linksfa oder sonstwas absurdes.

Laurenz

5. September 2019 15:27

@Herrn Kaiser ... Danke Ihnen für die Arbeit Ihrer Begriffserklärung. Verstehe ich Sie richtig, daß Sie Sinowjew als korrekt ansehen, weil die Sozialdemokraten in der Weimarer Zeit Europa-weit noch national gesinnt waren und noch auf Matrosen schießen ließen? https://de.wikipedia.org/wiki/Sozialfaschismusthese
Ich reduziere den Begriff "Faschismus" einerseits auf Hitler, der den Nationalsozialismus als "autoritär" (im Gegensatz sogenannter Mehr-Parteien-Staaten) bezeichnete, und der Begriffsherkunft "fasces" als legale Waffe (aktuell besteht hier nur der Anspruch der Antifa auf politisch motivierter Gewaltausübung) einer wie auch immer gearteten Oberschicht. Durch diese Vereinfachung fallen natürlich alle "autoritären" Systeme meinem Faschismus-Begriff anheim. Der Unterschied zu einem "Links-Faschismus" basiert dann rein auf dem geographischen Herrschaftsanspruch. Faschisten reduzieren sich auf ein Neo-Rom oder Groß-Serbien, während die Linke einen globalen Herrschaftsanspruch zugrunde legt. Mal abgesehen von der Entbildung (Fakten spielen im Dienste des Marxismus keine Rolle und sind variabel) will auch die Linke einen "neuen" Menschen erschaffen. Im Hitlerismus, (wenn ich mich recht erinnere, bei Rauschning oder Serrano) durchschreitet der neue Mensch einen evolutionären Akt, weg vom Verstand hin zum Willen, weil die Zivilisation den Menschen, wodurch auch immer, zum negativen, weg vom Mensch sein, degenerierte.
Bei der Erschaffung der Begrifflichkeiten Anti-Semitismus durch die Zionisten Ende des 19. Jahrhunderts oder Anti-Faschismus durch die Komintern 1935 (s.o.), kommt mir beim Lesen immer ein emotionales Ungleichgewicht hoch, existiert denn nicht eine gefühlte Pro-These? Betrachtet man allgemein die Opfer des Nationalsozialismus, besteht dann nicht in der Handhabung der Retro-Perspektive ein tatsächlicher pro-semitischer Rassismus, da man den semitischen Opfern eine besondere Aufmerksamkeit schenkt und alle anderen Ethnien, auch Deutsche Opfer, hinten runter fallen? Ist es nicht so, daß in der heutigen linken Diktion sogar nur Semiten einen Anspruch auf ethnisches Dasein haben?
Die Definition eines Pro-Faschismus fällt hingegen schwer. Es gibt ihn wohl nicht. Verkommt von daher der Anti-Faschismus nicht zu einem religiösen Konstrukt und alle definierten politischen Gegner werden zu Ketzern?

Niekisch

5. September 2019 16:50

"Wie will man das denn mit zeitgenössischen Antifa-Aktivisten, Grünen oder sonstigen Linken zusammenbringen? "

@ Benedikt Kaiser 5.9. 10:16: In zumindest e i n e r Hinsicht vielleicht doch, werter Herr Kaiser: Der Faschismus in seiner italienischen Urform zumindest war etatistisch, das Antifa-Gelinke - an sich staatsfeindlich-anarchistisch- benutzt den Staat immerhin gerne als Plattform für seine menschen- und naturfeindlichen Gelüste.

Hartwig aus LG8

5. September 2019 19:03

Begriffe wie Linksfaschisten oder SAntifa sind nicht nur "Schindluder" (@Der_Jürgen), sondern kommen eindeutig aus der Defensive. Es sind hilflose Konstruktionen, die nicht nur sachlich falsch, sondern auch einfallslos sind.
Es mag sogar sein, dass man mit derlei Begriffen vor schlichten Gemütern im Wahlkampf punkten kann, aber auf SiN haben sie nichts verloren.

Venator

5. September 2019 19:35

Ausserdem, wenn einer "Idiot" zu mir sagte und ich konterte (beweisbar) mit "selber Idiot", hat das immer hilfreich verunsichernd gewirkt.

Wirklich? Also mir kommt da automatisch der Begriff Kindergarten in den Sinn.

Danke an Hr. Kaiser, daß er die Begriffe wieder vom Kopf auf die Füße stellen will. Dieses PI und Rechtspopo Geheule von der roten SA und den linken Faschisten fand ich schon immer zum fremdschämen. Die wissen ganz genau, wo sie herkommen: Bolschewismus heisst die Welt im Blut ersäufen!

Cugel

5. September 2019 20:55

@Adler und Drache

"Aber WARUM?
WARUM machen die das?
DAS ist doch die Frage!
Antworten wie "Umerziehung" halte ich für viel zu kurz gegriffen. Ist es eine Art Wahn?"

Allzu kurz greift man mit diesem Begriff nicht.
Zwar sind die Verfallsprozesse der Moderne weltweit und nicht nur in den liberalen Staaten zu beobachten, doch für die Eskalation im Sonderfall BRD ist die Umerziehung mit ihren Folgen wesentlich.
So erklärt sich auch zum erheblichen Teil der Unterschied zum Beitrittsgebiet.

Folgende Stichpunkte, die ineinandergreifen, begründen m. E. den Zustand, wobei 2. - 4. teilweise aus 1. folgen:
1. Umerziehung und Umorientierung
2. Verachtung des Eigenen bzw. Haß auf dasselbe durch Schuldsuggestion und gesteigerte Greuelpropaganda
3. Materialismus/Atheismus/Egoismus (induziert/verstärkt vom Wohlstand, der zudem (bislang) Folgenlosigkeit der praktizierten Verantwortungslosigkeit garantiert)
4. Transzendenzbedürfnis, Ersatzreligion zur Kompensation des Glaubens- und Sinnverlusts

All dies wirkt seit Generationen auf den Bürger ein, von der (heute: frühen) Kindheit an.

Jene Zirkel, welche die Umerziehung der Deutschen auf dem Kerbholz haben, wußten, was sie taten, denn sie konnten bereits damals auf eine umfassende Kenntnis der menschlichen Psyche zurückgreifen. Anthropologie, Psychologie und Soziologie lieferten ihnen die Werkeuge.

Abgesehen von der Vorstellung des 3. Reichs als real stattgefundene Hölle meinen es aber die Wenigsten, vom Rotweinvíertler bis zum Antifanten, ernst mit ihrem Glauben.
Sie leben ihn nur plakativ, nicht existenziell, und hängen ihm an, weil er anstrengungs- und kostenlos zu praktizieren ist und obendrein materiellen, emotionalen und sozialen Gewinn abwirft.
Fallen diese Randbedingungen weg, treten gar Verluste auf, folgt schnell der Abfall. Kaum einer unter ihnen folgt der schönen angelsächsischen Redewendung: "To put one's money where one's mouth is."

Heuchelei, die mitunter an Schizophrenie grenzt.

LotNemez

6. September 2019 00:09

Kleiner Ausblick:

In Thüringen leben die ängstlichsten Deutschen. Die Stimmung hat sich so sehr verschlechtert wie in keinem anderen Bundesland (plus 18 Prozentpunkte). Alle Ängste haben im Vergleich zum Vorjahr zugenommen – besonders deutlich die Furcht vor einer schlechteren Wirtschaftslage.
Die größte Sorge der Thüringer ist, dass Bürger und Behörden durch Flüchtlinge überfordert sind (81 Prozent). Nur in Brandenburg ist diese Angst noch größer (88 Prozent).
Bei fünf ihrer Top-10-Ängste sorgen sich die Menschen mehr als die Bewohner in allen anderen Regionen. Bemerkenswert ist, dass dazu drei Ängste aus dem privaten Bereich gehören: steigende Lebenshaltungskosten (78 Prozent), Pflegefall im Alter (74 Prozent) und schwere Erkrankungen (70 Prozent).

https://www.ruv.de/presse/aengste-der-deutschen/ergebnisse-nach-bundeslaendern

LotNemez

6. September 2019 01:15

"Für die Bildung einer weiteren Reserveelite des Establishments wäre die Zeit, die Kraft, das Geld und die Gesundheit vieler leidenschaftlicher und aufrichtiger Patrioten zu schade; es geht, ganz ohne Pathos, immerhin ums Ganze."

Das würde eine idealistische, ja revolutionäre Haltung der AfD-Abgeordneten erfordern. Die Linke hat sich damals gegen Diätenerhöhung ausgesprochen. Als diese mit den Stimmen der Blockparteien doch kam, wurde der Mehrverdienst gemeinschaftlich gespendet. Ich weiß nicht mehr wofür und über ihre idealistische Phase ist die Linke nun wohl auch hinweg. Jedenfalls fehlt den blauen Abgeordneten dieser Idealismus als Haltung, glaube ich völlig. Die Basis wünscht sich sicher solche Robin Hoods, aber mehr als Wunschdenken ist das wohl nicht. Ähnlich wird es dann auch mit dem Willen zum Erhalt dieser lukrativen Posten aussehen. Wer seinen Job behalten will, muss Kompromisse mit dem Gegner schließen. Herr Kaiser, ich fürchte, sie werden enttäuscht sein. Immerhin handelt es sich bei diesem Streben um eine Art anthropologische Grundkonstante. Es bräuchte schon festgelegte Mechanismen, um das Anbiedern auf Dauer zu verhindern. Die AfD ist keine Partei des freiwilligen Verzichts.

Ich sehe mich daher schon zur nächsten Rechtspartei weiterziehen. Vllt. ist das eine, die es jetzt noch gar nicht gibt. Aber so weit ist es noch nicht.

Adler und Drache

6. September 2019 11:02

@ Der_Juergen

"Während der Faschismus in Theorie und Praxis eine nationalistische Ideologie war (wie der deutsche Nationalsozialismus, von dem er sich in einigen wichtigen Punkten unterschied), ist der Kommunismus zumindest in der Theorie internationalistisch und somit antinationalistisch."

Das kann man auch als Addendum ansehen. Der Nationalsozialismus war dem Stalinismus dafür in anderen Bezugspunkten näher und verwandter als dem italienischen Faschismus oder spanischen Franquismus. Hitler verachtete das Reaktionäre und Katholische der Südländer, hielt Stalins Wirtschaftspolitik dagegen für modern und tragfähig.

"Dass Stalin spätestens ab 1941 eine de facto nationalistische Politik betrieb und auch die linksradikalen Befreiungsbewegungen der Dritten Welt, von Vietnam bis Kuba, ausgeprägt national waren, steht auf einem anderen Blatt ..."

Warum?

Stellenweise kommen sich Bolschewismus und Faschismus gar so nahe, dass sie fast ununterscheidbar werden ... Ich bin geneigt, das alles nur für unterschiedliche Ausprägungen, Modifikationen, Spezifikationen ein- und desselben grundlegenden Prozesses zu halten. Nach dem Abbruch der ständischen Gesellschaft sollte die Masse auf irgendeine Art und Weise formatiert werden, entweder totalitär oder liberal. In welchem Gewand der Totalitarismus erscheint, ist doch nachrangig. Hier ist er national, dort international; hier katholisch, dort säkular; hier völkisch, dort republikanisch ... aus politischer Sicht sind die Unterschiede doch nur Nuancen. Aus ästhetischer Sicht scheint mir der originale italienische Faschismus am gelungensten.

Allerdings & freilich: Bei einer vergleichbaren Diskussion auf FB belehrte mich einer, der mehr als ich weiß, darüber, dass ich die Ideologien nicht ausschließlich danach beurteilen sollte, dass sie zum Totalitarismus geführt hätten, sondern auch als Flucht- und Freiräume vor der Verwertungslogik des Liberalismus und dem schamlosen Zugriff des Markts.

Ach!
Nichts ist recht, bedenkt man's recht ...

Search4M

6. September 2019 15:43

Sie haben es erfasst @venator! Politisches Handeln ist wie Kindergarten, erweitert um vorsätzliche Niedertracht (zumeist zum Zwecke der Erreichung des persönlichen Vorteils, oder zum Ausleben der eigenen Marotten) und alle Theorie ist und bleibt grau. Nomenklatur? Pfft...

Laurenz

9. September 2019 19:25

@Adler und Drache & Der_Juergen .... es existiert keine faschistische Ideologie. Nennen Sie mir einen pro-faschistischen Politologen oder Ideologen, der anerkannt wäre? Es existiert also nur eine anti-faschistische Anti-These des Faschismus. Im Marxismus, selbst im Stalinismus verhält sich dies ganz anders. Die darob geschriebenen veröffentlichten Bibliotheken werden wir in unseren Lebzeiten nicht mehr durchlesen können.
Der wirtschaftliche Erfolg des Nationalsozialismus, wie auch der etwas mehr bescheidene ökonomische Erfolg des italienischen Faschismus hatten sehr wohl internationale Wirkung und drohten die bis heute bestehenden "Terms of Trade" global zu verändern. Das mußte aus Sicht der Kolonialisten verhindert werden, ist aber nicht aufzuhalten, wie man an der chinesischen reversen konter-kolonialen Außenpolitik feststellen kann.

@Der_Juergen .... Stalins Politik war nur in der Propaganda "nationalistisch", weil trotz 20jähriger orwellianischer Berieselung man doch lieber für die Heimat starb, als für die Welt-Revolution. An der militärischen Planung und den vielen Kriegen Stalins erkennen Sie, daß Stalin die Idee der Welt-Revolution nie aufgab. Auch am Verlauf des II. Weltkriegs können Sie, wider allen Beteuerungen pro-sowjetischer, russischer Historiker, festellen, daß sich die Rote Armee nach der "Befreiung" Ost-Europas, nicht wieder auf sowjetisches Territorium zurückzog. Wäre die Rote Armee schneller gewesen als sie war, hätten wir uns den eisernen Vorhang von Osten aus in Brest, Lissabon oder Narvik anschauen dürfen. Stalin bereitete auch schon 1939 den Einfall in Persien 1941 vor, mußte sich aber die Nummer mit den Briten teilen, was dazu führte, daß die Sowjetunion wieder keinen See-Zugang zu südlicheren Gefilden bekam.

Umso größer man den historischen Rahmen faßt, umso lächerlicher wird zeitgenössische deutsche & und auch internationale Geschichtsschreibung.

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