Im zurückliegenden Sommer war bei ihm Krebs diagnostiziert worden. Er stand für einen dezidiert an Edmund Burke orientierten englischen Konservatismus, der einen prononcierten Fokus auf das »Ästhetische« legte. Es ist Scrutons ausgesprochener Verdienst, daß er sich in einer Zeit konservativer Ökologievergessenheit, stets um die Anknüpfung und Pflege dieses versunkenen Erbes bemühte. Abgesehen von der Ökologie und der Ästhethik gab es kaum ein Feld, das er nicht beackerte: Architektur, Musik, Landwirtschaft etc.
Für die Sezession schrieb er in der dritten Ausgabe einen Aufsatz über die Aktualität Edmund Burkes (hier zu lesen) und immer wieder waren seine Bücher Gegenstand von Rezensionen (siehe hier IfS-Leiter Erik Lehnert zu »Grüne Philosophie. Ein konservativer Denkansatz« in der Sezession 59). Zuletzt erschien im Manuscriptum Verlag seine »Bekenntnisse eines Häretikers – Zwölf konservative Streifzüge«, das Sie hier bei Antaios bestellen können.
Außerdem verfaßte Sezession-Autor Till Kinzel für den 3. Band des Staatspolitischen Handbuchs »Vordenker« (hier bestellbar) ein konzises Autorenportrait zu Scruton, was wir Ihnen anläßlich seines Todes nicht vorenthalten wollen:
Der englische Philosoph Roger Scruton gehört zu den vielseitigsten und produktivsten zeitgenössischen konservativen Denkern. Neben intensiven philosophiegeschichtlichen Studien hat sich Scruton u. a. mit Fragen politischer Philosophie, Rechtsphilosophie, Ästhetik, Architektur, Landwirtschaft, Ökologie, Jagd, Tierrechten, Sexualität, Musik, Wein und Religion auseinandergesetzt.
Seine durchweg lesenswerten Bücher bieten eine Fülle von Anregungen zur Diagnose und Therapie der Gegenwartskultur; in der Summe können sie als herausragendes Kompendium konservativen Denkens und Fühlens gelten. Scruton schätzt die intellektuellen Denkweisen der analytischen Philosophie, ohne jedoch ihre Grenzen zu ignorieren; so vertritt er die Auffassung, daß die analytische Philosophie in Sachen Ästhetik sich von der Kultur entfernt habe und auch einer philosophischen Anthropologie ermangele, ohne die es aber nicht gehe.
Damit schließt Scruton an kontinentale Traditionen des Philosophierens, aber auch der Literatur und Kunst an; er betont durchgängig den Primat des Lebens vor den Netzen der Theorie, weshalb er Husserls Begriff der Lebenswelt als konservativen Begriff stark zu machen sucht. Im Anschluß an Denker wie Burke, Hegel, Hayek und Oakeshott entwickelt und verteidigt Scruton die Konzeption einer territorial gegründeten Rechtsordnung, die mit der Loyalität ihrer Bürger rechnen kann, weil sie selbst begründete Loyalitätsgefühle erzeugt.
Die konzisen und scharfsinnigen Analysen, mit denen Scruton etwa in »A Political Philosophy« (2006) oder »The Meaning of Conservatism« (1980) sowie in seinen autobiographischen, stets instruktiven Schriften aufwartet, erweisen den Wert philosophisch gründlicher Theoriebildung für den Konservatismus. Es handelt sich dabei freilich um eine Theorie, die um ihre lebensweltlich gesetzten Grenzen weiß. Der Konservatismus hat nach Scruton System und ist vernünftig, auch wenn er seine Maximen nur selten explizit vorträgt. Scruton hält die Kultur für einen Wert an sich, der in der Vermittlung von sogenanntem emotionalem Wissen besteht.
Darunter ist das Wissen davon zu verstehen, das Richtige zu fühlen, also in einer bestimmten Situation mit angemessenen Gefühlen reagieren zu können. Gefühle sind nach Scruton rationale Reaktionen auf objektive Gegebenheiten, die gebildet und korrigiert werden können. Scrutons Kulturkonservatismus hängt eng mit der Einsicht zusammen, daß diese Formen emotionalen Wissens leichter verlorengehen können, als daß sie erworben werden.
Die Wertschätzung der kulturellen Dimension des Menschseins begründet die Skepsis Scrutons gegenüber libertärem Denken; sie zeigt sich zum anderen in seiner intensiven Beschäftigung mit Literatur- und Kulturkritikern wie F. R. Leavis und T. S. Eliot, die für Scruton gleichsam kanonischen Rang beanspruchen können. Scruton ist ein emphatischer Verteidiger des souveränen Nationalstaates, der ihm als eine der entscheidenden Errungenschaften des Abendlandes gilt, durch den dieses sich vom Rest der Welt unterscheide.
Die Idee der Bürgerlichkeit hängt nach Scruton von der Nation ab; Versuche einer Ersetzung nationaler Bezüge der Staatsbürgerschaft lehnt er ab, weil die Verbindung einer Rechtsordnung mit einem klarumrissenen Territorium eine wesentliche Bedingung des Funktionierens dieser Ordnung darstellt. Scruton ist folglich gegenüber der Globalisierung kritisch, sofern sie jene Tendenzen der abendländischen Gesellschaften verstärkt, die zu einer Aufweichung und Auflösung der spezifischen Errungenschaften Europas und Amerikas führen.
Der Ideologie des Multikulturalismus widmet Scruton dabei besondere Aufmerksamkeit, nicht zuletzt im Zusammenhang mit seiner tiefeindringenden Reflexion auf Enoch Powells berühmt-berüchtigte Birminghamer Rede über die drohenden Konsequenzen einer ungesteuerten Einwanderungspolitik. Scrutons Bedeutung für die Artikulierung einer genuin konservativen Philosophie kann nicht genug betont werden; auch die Gründung der bis heute erscheinenden Salisbury Review als Zeitschrift eines parteiungebundenen Konservatismus setzte Zeichen.
Zu Scrutons wichtigsten Büchern gehört das 2010 erschienene »The Uses of Pessimism and the Dangers of False Hope«, das als unverzichtbare Schulung im Erkennen politischer und ideologischer Trugschlüsse gelten darf. Scruton zeigt hier mustergültig an sieben Trugschlüssen, wie etwa dem Nullsummen‑, Planungs‑, Utopie- oder Best-Case-Trugschluß, welche negativen Konsequenzen aus ihnen gesellschaftspolitisch erwachsen; so etwa, wenn der Nullsummentrugschluß, der tief in der sozialistischen Weltanschauung verankert ist, suggeriert, Gleichheit sei dasselbe wie Gerechtigkeit. Scrutons politische Philosophie ist Konservatismus auf dem denkbar höchsten Niveau.
Sir Roger Scruton hinterläßt ein exzeptionelles Lebenswerk. Daher die Aufforderung ganz im Einklang mit der jüngsten Winterakademie des Instituts für Staatspolitk: Lesen Sie es!
zeitschnur
"Die Idee der Bürgerlichkeit hängt nach Scruton von der Nation ab; Versuche einer Ersetzung nationaler Bezüge der Staatsbürgerschaft lehnt er ab, weil die Verbindung einer Rechtsordnung mit einem klarumrissenen Territorium eine wesentliche Bedingung des Funktionierens dieser Ordnung darstellt. Scruton ist folglich gegenüber der Globalisierung kritisch, sofern sie jene Tendenzen der abendländischen Gesellschaften verstärkt, die zu einer Aufweichung und Auflösung der spezifischen Errungenschaften Europas und Amerikas führen."___________
Das Problem ist eigentlich, dass Rechtsordnung an sich selbst kein echtes Ideal sein kann. Gesetze sind die Krücken eines ewig Lahmen. Ideal wäre eine Gesellschaft, in der keine Gesetze nötig sind. Nur dann wäre Freiheit erreicht, Gerechtigkeit etc. (Bitte nicht wieder antworten, ich sei blauäugig - ich spreche vom Eigentlichen im Uneigentlichen).
Das heißt, im Uneigentlichen ist es unmöglich, das Eigentliche auch nur ansatzweise "hereinzuholen". Ich weiß nicht, woher der Konservativismus diesen ungebrochenen Glauben an die stabilisierende Kraft des 19. Jh-Kunstbegriffes der "Nation" hernimmt. Dieser Kunstbegriff muss erst je gefüllt werden, er liegt doch nicht einfach schon vor. Und wie macht man das? Oder anders gefragt: wie oft hat dieser Nationbegriff gekoppelt an eine Rechtsordnung denn schon einigermaßen befriedigend funktioniert? Die Zeiten des Feudalismus mögen "nationaler" gewesen sein, aber sie gründeten nun mal nicht in der "Nation", sondern in der Souveränität des Monarchen.
Staatsbürgerlichkeitsideale glauben faktisch an ein Wachsen und Mehren der Verrechtlichung des kompletten Lebens und aller Beziehungen. Das ist pervers, totalitär.
Allerdings halte ich die "Nation" als Projektionsfläche für eine Verschonung davor für falsch. In ihr wird wachsende positive und auf Dauer überfordernde Rechtssetzung durch ein erstarrtes, schlankes "Naturrecht" ausgetauscht. Bloß noch mal gefragt: wann hat das je funktioniert? Naturrechtszeiten waren NIEMALS Zeiten der "Nation"! Letzteres mag uns übersichtlicher erscheinen, leichter verwaltbar. Aber offenbar haben manche Konservative vergessen, in welche Zwänge und Erstickungen die Menschen deswegen geraten sind. Der Schrei nach der souveränen Nation war ein Schrei gegen den Monarchismus, gegen das feudale Zeitalter einer erdrückenden Hierarchie und eine Revolte für die eigene Souveränität der Untertanen, die sich nun "Volk" oder "Nation" iS des Souveräns nannten. Nur, wer waren diese "Eigenen"? Bisher wurden sie fest durch die Definition über den Monarchen zusammengehalten. Und jetzt durch was? Das alles wurde im 19. Jh ohne wirklich überzeugende Ergebnisse diskutiert. Typisch deutsche Kultur entstand nicht, weil das Volk ohne weitere Motivation als sich selbst auszudrücken, das so wunderschön geschaffen hat, sondern weil die Fürsten in Kirche und Welt es initiiert und finanziert und in Auftrag gegeben hatten. Die Motivation des Volkes "aus eigenem" gab es so überhaupt nie. Wie Ricarda Huch es sehr treffend beschreibt, gab sich unsere Kultur mit dem untergehenden Ancien Regime vor 1oo-150 einen letzten Schwanengesang an herzzerreißenden Werken, danach kam nur noch seelenloser Dekonstruktions-Schrott im Namen der Nation oder wechselweise des Globus.
Es ist die Wahl zwischen Pest und Cholera. Solange wir in diesem Dualismus hin und herrennen, noch dazu ein bisschen wie im Hase-und-Igel-Märchen, sind wir die Ärmsten der Armen und verschwenden Zeit und Energie, denn der Igel ist immer schon da, mal beim einen, mal beim anderen Extrempunkt, den der reaktionär-progressive Hase (er muss ständig beim Rennen seine Farbe wechseln) jeweils außer Atem erreicht.
Ich habe den Eindruck, der Konservativismus dreht sich in einem geistigen Hamsterrad, wiederholt sich immer wieder auf meinetwegen brillantem Niveau in immer neuer Nuancierung seine Mythen, die nie funktioniert haben, und landet still, heimlich und leise eben wieder im Feudalismus - letztendlich dann auch ohne Nation - , oder eben im nationalistischen und/oder katholischen Faschismus. Mehr ist auf dem Weg nicht zu erreichen. Ist es das, was wir brauchen und wollen?