Sie suchten allesamt das Gespräch, weil sie in Sorge sind, daß das, was Benedikt Kaiser und ich in unseren Beiträgen (hier und hier) zur Instrumentalisierung des Auschwitz-Arguments für die Forderung nach einem Regime Change im Iran vortrugen, falsch aufgefaßt und mißgedeutet werden könnte.
Diese Sorge ist berechtigt: Umzudeuten und zu unterstellen gehört zu den Verteidigungsinstrumenten derjenigen, die moralpolitisch im Vorteil sind. Daß diese moralpolitische Aufladung den kalten Blick auf die Politik – in diesem Fall: auf geopolitische Fragen – verhindert, ist für Deutschland eine Tragödie.
Angesichts der vermeintlichen “Alternativlosigkeit” tatsächlich in Alternativen zu denken, heißt, das Krampfhafte aufzugeben: Der realpolitische Blick ist der entspannte Blick, denn er muß nicht krampfhaft Umstände zusammendenken und unter einen Hut bringen, die einander widersprechen.
Vor allem aber muß er andere Nationen nicht behandeln wie einen Ehepartner (zusammen durchs Leben, bis das der Tod uns scheide); vielmehr kann Rußland im Nahen Osten der geopolitische Partner Deutschlands sein, und anderswo nicht. Und wenn Ungarn 1989/1990 im Rahmen seiner Selbstbefreiung die Unterstützung durch die USA begrüßte und den Amerikanismus auch, so lehnt es heute – also in veränderter Lage – den überdrehten und vor allem verlogenen Liberalismus ab und arbeitet kulturell jeder weiteren Amerikanisierung entgegen, jedoch ohne dabei die starke Schulter Rußlands zu suchen. (Die Orban-Beraterin Mária Schmidt führte das in einem Interview in Sezession 93 aus.)
Unsere Kritik an denjenigen, die us-amerikanische Regime-Change-Rhetorik nachahmen und sich an Israels Seite im Kampf gegen den Iran wähnen, läßt sich in diesem Sinne und in unserer Lage also in sechs Punkte zusammenfassen.
1. Die Geopolitik eines Staates wird von seiner geographischen Lage, also seiner Ausstattung, seinen Handelsbeziehungen, seinen Anfälligkeiten bestimmt. Israel ist ein kleiner, souveräner Staat und handelt als souveräner Staat so, wie es für das Fortkommen und die Entwicklung seines Staatsvolks gedeihlich ist. Wenn wir nun davon ausgehen, daß Deutschland ebenfalls ein souveräner Staat sein sollte, müßte unser Land diese Souveränität dadurch zeigen und dafür einsetzen, daß es im Interesse des deutschen Volkes handelt.
2. Welche außenpolitischen Interessen müßten Deutschland leiten, wenn es tatsächlich das Wohl des deutschen Volkes im Sinn hätte? Mit Sicherheit hätten die Eindämmung der Flüchtlingskrise und die Zurückweisung islamischer Einflußnahme in Deutschland oberste Priorität. Die Flüchtlingsströme fließen seit Jahren nach Deutschland ab, weil unser Land ein von keinem anderen Staat auch nur annähernd so komfortabel geschnürtes Fürsorge-Paket für jeden schnürt, der es über die Grenze geschafft hat.
Daß sich diese Flüchtlingsströme überhaupt bilden und in Bewegung setzen konnten, hat mit den Kriegen in Afghanistan und dem Irak, Syrien und Libyen zu tun. Die beiden erstgenannten Länder kämpfen seit den fadenscheinig begründeten Angriffen durch die USA chaotische, kaum entwirrbare Bürgerkriege aus. In Libyen trat Gaddafi längst als gemäßigter Führer auf und stellte für Europa kein Sicherheitsproblem mehr dar, im Gegenteil sogar: Er hielt die Afrikaner von Europa fern, indem er nach Süden eine wirksame Grenzkontrolle gewährleistete und im Norden an der Küste keine Schlepperei zuließ.
Mit Syrien hatte Deutschland überhaupt keinen Konflikt. Assad stellte weder für Deutschland noch für Europa eine Bedrohung dar. Natürlich war Libyen und ist Syrien ein autokratisches System ohne die liberalen Menschenrechtsstandards, die wir in Europa an unsere politischen Systeme anlegen, doch war Syrien unter der Präsidentschaft des jungen Assad vor 2011 politisch wie wirtschaftlich aufstrebend.
Vor allem aber ermöglichte es der damals noch vielfältigen Christenheit im Nahen Osten eine Schutzoase; Richard Millet berichtet darüber kenntnisreich in seinem von Antaios verlegten Essay, Kaiser sprach zudem mit einem syrischen Christen über diese Fragen. Klar ist freilich auch: Für Salafisten und Terroristen gab es kein Pardon.
Für außenpolitische Beziehungen sind die oft bemühten Menschenrechtsstandards völlig egal. Wenn man ernsthaft entlang der allgemeinen und “überall gültigen” Menschenrechte argumentierte, dürfte es weder eine Fußballweltmeisterschaft in Katar noch eine irgendwie geartete Partnerschaft mit Saudi-Arabien geben; vielmehr müßte man ganz Afrika, halb Asien und weite Teile Lateinamerikas zum Schutze der Menschen und ihrer Rechte erneut kolonialisieren.
Sich auf universelle Menschenrechte zu berufen, ist auf politischem Feld ein Ausweis von Infantilität oder Perfidität.
3. Vor diesem Hintergrund lauten die entscheidenden geopolitischen Fragen jenseits von Entwicklungshilfe oder rhetorischem Mitleid: Welche Staaten bedrohen uns, welche Entwicklung könnte für uns bedrohlich werden und wer ist vor diesen Bedrohungsszenarien unser Verbündeter? Wer arbeitet sozusagen in dieselbe Richtung wie wir, wer fährt uns in die Parade?
These: Die Bedrohung Deutschlands durch andere Staaten ist keine offensichtliche, sondern eine hintergründige: Saudi-Arabien, Katar und die Türkei sind die wichtigsten Geldgeber für den aggressiven und planmäßig vorgetragenen Moscheebau in Deutschland. Sie sind offiziell unsere Verbündeten, vor allem aber die Verbündeten der USA und Israels. Das bedeutet: Unsere “Verbündeten” exportieren Wahhabismus, Salafismus und die Ideologie der Muslimbruderschaft nach Europa, sie unterstützen finanziell und waffentechnisch die syrische Opposition gegen Assad und verursachen durch das Chaos, das sie anstiften, Flüchtlingsströme in Richtung Europa, vor allem: Deutschland.
Die syrische Opposition besteht in Wirklichkeit aus Djihadisten und nicht aus “Demokraten”, wie die offizielle Propaganda erzählt. Die Golfmonarchien wollen in Syrien eine sunnitische Theokratie errichten, Erdogan möchte das Osmanische Reich wiederaufrichten. Die USA wollen aus geschäftlichen Erwägungen den sunnitischen Halbmond von Ryad bis Ankara wiederherstellen, und Israel will aus Sicherheitserwägungen die weitere Herrschaft von Erbfeind Assad unter allen Umständen unterbinden. Keines dieser Ziele ist im Interesse Deutschlands.
Unsere offiziellen Verbündeten handeln und wirken also gegen unsere Interessen, da sie für das Chaos, das die Flüchtlingsströme verursacht, verantwortlich sind. Unsere geopolitisch Verbündeten in der Region sind diejenigen, die Assad stützen, die Djihadisten bekämpfen, die Flüchtlingsströme verhindern: also Assad selbst, dann Rußland und der Iran. Welche Innenpolitik diese Staaten verfolgen, ob sie demokratisch sind und wie sie die Menschenrechte auslegen, ist nicht unsere Sache.
4. Natürlich: Der Iran bedroht Israel. Jedoch sehen die Israelis (das versicherte mir zuletzt ein israelischer Offizier in höherem Rang) diese Bedrohung realistisch und das bedeutet entspannter als die israelhysterischen Deutschen. Israel ist ein bis an die Zähne bewaffneter, wehrhafter, kriegserfahrener Staat, hinter dem mit den USA die stärkste Militärmacht der Welt steht. Die deutsche Spielzeugarmee wäre mit ihren sieben fahrtüchtigen Panzern und anderthalb Hubschraubern für die Verteidigung Israels auch dann nicht relevant, wenn sie zur Hilfe gerufen würde.
5. Es ist im deutschen Interesse, zu nahezu allen nahöstlichen Staaten möglichst gute Beziehungen zu unterhalten, ohne sich in deren endlose Konflikte mit den ständig und schnell wechselnden Allianzen einzumischen. Wir beherrschen dieses Spiel sowieso nicht und können dabei nur verlieren.
Man muß sich entscheiden: Ist man als Deutscher israelischer Patriot (was aus unserer Geschichte heraus eine nachvollziehbare Haltung wäre), kann man nicht gleichzeitig deutscher Patriot sein. Ist man aber deutscher Patriot (und damit vor allem daran interessiert, daß sich Deutschland seinen Interessen gemäß geopolitisch verhält), dann kann man Israel nicht bedingungslos unterstützen und muß vor allem die us-amerikanische Außenpolitik im Nahen Osten ablehnen.
6. Diese bedingungslose, zu einem nicht unerheblichen Teil deutsche Interessen widersprechende Unterstützung israelischer und/oder us-amerikanischer Außenpolitik dadurch zu erzwingen, daß man moralpolitisch mit Auschwitz und der deutschen Schuld argumentiert, kann keinesfalls ein Ansatz für eine patriotisch-alternative Politik in Deutschland sein.
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Diese knappe Argumentationskette berührt nicht die Frage nach dem israelischen Alltag, nach dem Zugang zu den dortigen, für uns Christen so wichtigen religiösen Stätten, nach den historischen Bezügen und Verflechtungen zwischen Israel und den deutschen Juden. Schon gar nicht wird die eigentliche Frage nach Auschwitz berührt: Über sie habe ich – von geopolitischen Überlegungen frei – hier einmal geschrieben.
Waldgaenger aus Schwaben
"Israel und Deutschland"
Viel Spaß bei diesem Glasperlenspiel. Es gibt fürwahr zur Zeit wichtigere Dinge zu diskutieren in Deutschland.