Der Angriff galt vorwiegend iranischen Akteuren, traf jedoch auch gezielt ein Wohngebiet. Zu heldenhafter Musik zeigen Aufnahmen, wie die syrische Luftabwehr weitere israelische Raketen vom Himmel holt. Das Leben in Damaskus nimmt davon kaum Notiz. Die Stadt ist gewiß nicht repräsentativ für alle Landesteile, aber trotzt der insgesamt schwierigen Situation, in der sich Syrien befindet, mit gehöriger Normalität. Als ich nach dem Frühstück meine Aktentasche hole, spielen die Tennisspieler unter dem Balkon die ersten Aufschläge.
Es ist dies nicht die erste Reise von Abgeordneten der AfD nach Syrien. Bereits anderthalb Jahre zuvor bereiste eine Delegation das Land. Zwar nicht als offizielle Abordnung einer Fraktion und ohne größere Vor- und Nachbereitung, aber mit enormem Medienecho. Anders als diese Delegation bereisten die Abgeordneten im März 2018 das ganze Land. Damaskus, Homs und Aleppo die Stationen einer Reise, bei der der Krieg noch um einiges präsenter war.
Völlig fehl laufen also Medienberichte, die behaupten, man lasse sich nur die „Festung Damaskus“ zeigen und von der Regierung „blenden“. Auch das Argwöhnen einiger Journalisten und Kommentatoren, man würde Land und Leute gar nur oberflächlich kennen lernen, mangelt es an jedwedem Realitätsbezug. Die Delegationsreise der AfD-Fraktion war keine touristische Erkundungstour, kein Kulturtrip. Sie war eine von langer Hand vorbereitete Arbeitsreise mit konkret parlamentsbezogenem Auftrag und straffem Terminkalender.
Derlei Delegationsreisen haben immer etwas vom „Murmeltiertag“. Zumal dann, wenn es eine parlamentarische Delegation ist, bei der – anders als etwa bei Ministerial- oder Unternehmensdelegationen – kein konkretes Verhandlungsziel existiert. Ständig beginnt alles von vorne. Man stellt sich vor, versucht Vertrauen zu bilden, tastet sich ab, tauscht Meinungen aus. Immer dieselben Gespräche. Immer dieselben Gags. Aber das liegt in der Natur der Sache.
Die angestrebten Ziele liegen hier anders. Sie sind nicht direkt meßbar, nicht durch verkaufte Einheiten oder abgeschlossene Verträge zu quantifizieren. Wesentlich ist hier der Informationsgehalt. Der unmittelbare Erkenntnisgewinn über die Situation eines nominellen Krisenstaates, dessen Krise uns nicht erst im Spätsommer 2015 unmittelbar einholen sollte. Nicht zuletzt politisch. Ob Erfolge erreicht werden, ob die Methoden fruchten, das mißt sich hier in der Anzahl gewonnener Kontakte und dem jeweils qualitativen Informationsgehalt, der Reaktionszeit, die solche Kontakte bei Anfragen und Ersuchen benötigen.
Er mißt sich ferner in der Anzahl an Presseerwähnungen. Und nicht zuletzt in der Anzahl an parlamentarischen Initiativen, die aus den vielen Gesprächen und Nebengesprächen abgeleitet werden können. So es auch oft wahr sein mag, daß Politiker sich der Dinge nicht vor Ort selbst annähmen, so stellt eine solche Delegationsreise das radikale Gegenteil dar. Ein regelrechter Terminmarathon ist abzulaufen. Teilweise bleibt kaum Zeit für ein Foto oder die zahlreichen arabischen Journalisten, da der nächste Gesprächspartner bereits wartet.
Die Gesprächspartner sind bunt gemischt. So geht es eines Morgens zunächst zum Außenministerium. Ein beeindruckender Bau, den zu erreichen man diverse Checkpoints passieren muß. Andere Ministerien residieren mitunter wesentlich bescheidener. Das Tourismusministerium etwa in einer kleinen Villa in der Nähe des idyllischen Parks, der das Nationalmuseum umgibt. Wiederrum andere, zum Beispiel das Wirtschaftsministerium sowie das Ministerium für öffentliche Bauvorhaben, liegen jeweils direkt in der Innenstadt und haben dort nur einige profane Etagen innerhalb eines Gebäudekomplexes.
Etwa zu einem Drittel bestehen die Termine aus offiziellen Gesprächen mit Ministern und Regierungsvertretern. Diese Unterredungen verlaufen meist typisch politisch, unkonkret. Viel ist zwischen den Zeilen zu lesen, Gesten und Abläufe zu analysieren. Keineswegs jedoch wird die Delegation als Randnotiz wahrgenommen. Sie verkauft sich nicht als Newcomer, der zum ersten Mal die große Bühne betritt, wie man es doch immer noch zu oft erlebt, wenn Politneulinge der Partei plötzlich mit der Realität ihrer neuen Aufgaben konfrontiert werden.
Der Auftritt der Delegation ist hochprofessionell. Die Gespräche, sie verlaufen auf Augenhöhe. Formell und auch materiell. Und es würde sich auch derjenige Schreiberling sein Urteil nicht mehr erlauben, würde er erlebt haben, wie es die Verhandlungsleiter deutscherseits angehen, eigene Erwartungen klar zu artikulieren und wahrgenommene und befürchtete Mißstände in Syrien kritisch zu adressieren, ohne das Gegenüber zu brüskieren. Ein riskanter Spagat, der jedoch Erfolge bringt. So reagiert eines der besuchten Regierungsorgane umgehend auf die Kritik, vorherige Kontaktversuche zwecks Informationsgewinnung über einen in Deutschland medial diskutierten syrienrelevanten Sachverhalt unbeachtet gelassen zu haben: gleich am nächsten Tag überreicht ein Bote die Wochen zuvor angefragten Unterlagen.
Überhaupt überrascht, in welcher Offenheit sich Nichtregierungsorganisationen, Vertreter aus der Privatgesellschaft aber auch Passanten, die man in der wenigen Freizeit in Bars oder Cafés zu sprechen bekommt, äußern. Durchaus kritische Kommentare zur Staatsführung, zur Ineffizienz der Verwaltung, der Korruption. Selbst dann, wenn Vertreter von Regierung, Staat und Protokoll an der Sitzung teilnehmen oder daneben stehen. Alles etwa Inszenierung?
Von Termin zu Termin eilen wir in der Eskorte des offiziellen Protokolls. Die schwarzen Limousinen sind etwas in die Jahre gekommen. Wo sie parken, riecht es binnen Minuten beißend nach austropfendem Benzin. Die Organisation ist jedoch straff. Die Verkehrspolizei bändigt den Berufsverkehr. Motorradpolizisten jagen der Eskorte voraus, Fahrbahnen werden gesperrt, Kreisverkehre angehalten, um die Eskorte zügig von A nach B zu bringen. Notfalls auch mitten durch den Basar und durch die engsten Gassen der Altstadt, in denen sich die neugierigen Passanten den Fahrzeugen unerschrocken nähern, um einen Blick zu erhaschen, welch wichtige Staatsgäste wohl diesen ungeheuren Aufruhr produzieren mögen. Dabei ist es bloß eine langweilige AfD-Delegation aus dem Deutschen Bundestag, möchte man den vielen Schaulustigen am liebsten zurufen.
Fruchtbarer als die Regierungstermine sind jedoch die Gespräche mit privaten und nichtstaatlichen Institutionen. Etwa dem dem Syria Business Coucil, privaten Unternehmern, NGOs oder dem Roten Halbmond, der in einem recht bürgerlichen Stadtteil ansässig ist. Begrünte Bäume säumen die kleine Straße, auf dem Nachbargelände, einer kleinen Schule, spielen fröhliche Kinder. Der Leiter der syrischen Filiale ist ein robuster Mann, selbstbewußt. Er läßt kein gutes Haar an der Politik des Westens. „Die Sanktionen töten unser Volk!“ läßt er wissen, während die übliche Runde des karadamomgeschwängerten syrischen Kaffees oder Çay gereicht wird.
Es sind dies jedoch die Gespräche, die für das Verständnis der Situation Syriens so wesentlich sind. Die allgemeine geopolitische Situation ist – zumindest der Delegation – bekannt. Jedoch reden die Vertreter dieser Institutionen Klartext und benennen die Probleme des Landes offen und einleuchtend: Warum emigrieren die Menschen aus Syrien? Wieso kehren noch so wenige zurück? Woran ist auch unabhängig von den internationalen Sanktionen die eigene Regierung schuld und was muss passieren, um die Grundlage für die massenhafte Rückkehr der Millionen ausgewanderten Syrer zu schaffen?
Es sind angeregte Gespräche. Konstruktiv, kritisch – aber auch freundschaftlich. Und umso unverständlicher wird mit jedem dieser Gespräche die Haltung der Bundesregierung, die in Syrien selbst zu fast allen kulturellen, humanitären, privatwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Akteuren den Kontakt abgebrochen hat, die außerhalb der von islamistischen oder sonstigen Rebellen- und Terrormilizen gehaltenen Gebieten Syriens agieren, die man der bundesdeutschen Öffentlichkeit als Rückzugsorte der oppositionellen Kämpfer für Demokratie und Freiheit verkauft.
Neben den offiziell durch das Protokoll des syrischen Außenministeriums geplanten Terminen wurden zahlreiche weitere Termine durch die Delegation selbst und ihre Kontaktpartner vor Ort angesetzt. Einige weitere hochinteressante Termine ergaben sich spontan. Oft empfing man den letzten Kontakt noch spät am Abend, um nicht zu sagen nachts. Mal ergaben sie sich zufällig; mal kamen Leute von sich aus auf die Delegation zu, da sie durch die Medien oder durch Bekannte von ihrem Besuch gehört hatten.
Während für die Abgeordneten nach den Terminen noch Interviews und Filmaufnahmen anstanden, wollte seitens der Mitarbeiter der nächste Tag vorbereitet werden. Filmmaterial verarbeiten, Pressemitteilungen aufsetzen, Auswertung des Pressespiegels vornehmen, Rücksprache mit den Kollegen in Berlin halten und so weiter und so fort.
Glücklicherweise hatte der Lieblingskellner der Spätschicht das Afamia, ein syrisches Bier, auch noch zu vorgerückter Stunde für uns kalt stehen. Ehrenmann!
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Unser Autor John Hoewer bereiste mit einer Gruppe von AfD-Bundestagsabgeordneten um Frank Pasemann Syrien und wirkte als Organisationsreferent der Reise. Teil 1 und 2 der persönlichen und lockeren Syriennotizen sind hier und hier abrufbar, Teil 4 wird als Abschluß das Stadtleben umreißen und einen Ausflug in die ehemals durch IS-Terroristen besetzten und verwüsteten christlichen Städte schildern, die durch Präsident Bashar al-Assads Truppen befreit werden konnten. Außerdem wird es dann eine sehenswerte Bilderserie geben!
In einem der folgenden Printhefte der Sezession wird Hoewer aus den theoretischen Erfahrungen eine praktische Herangehensweise destillieren, wie sie von Florian Sander (im vergriffenen Heft 93) so hervorragend formuliert wurde, so daß beide Artikel eine aufeinander bezogene Symbiose rechter geopolitischer Analyse bilden.
Laurenz
Im Gegensatz zu @Maiordomus, habe ich an der politischen Reiseerzählung nichts auszusetzen.
1 Punkt ist vielleicht anzumerken. Bewertungen, wie gut die AfD-Reisegruppe aufgestellt ist, zeigen nur Unsicherheit, obwohl sie doch das Gegenteil implizieren sollen.
Ob ein Abgeordneter neu und unerfahren ist, oder ob ein alter Hase (, der dem Fuchs und Jägersmann bisher entkam), spielt einfach keine Rolle. Jeder fängt mal an.
Und die repräsentativen Demokratie-Debatten sind, wenn, im Grundsatz nötig. Wenn man Georg Leber (Maurermeister), Pack-Siggi (Haupstschul-Lehrer) und Meiko Haas (Jurist), allesamt SPD, vergleicht, hatte der Maurermeister Georg Leber noch am ehesten Format. Die beiden letzteren hätten auch in der Sowjetunion oder im III. Reich Karriere gemacht.
Mangelnde Direktwahlen oberhalb der Bürgermeister-Ebene sind historisch bedingt (Tri-Zone). Und es ist endlich die Zeit angebrochen, diese gefährlichen Bundes-Bürokraten politisch zu entsorgen.