Die Exekutive ist das neue Durchregieren mittlerweile gewohnt und sieht sich zum einen moralisch, zum anderen qua Zustimmung durch eine immer noch verschreckte Mehrheit genau dazu legitimiert. Es ist der Regierung gelungen, eine Stimmung zu erzeugen, die in den meisten Bürgern offenbar ein Schutzbedürfnis weckt.
Die Legislative kennt nurmehr eine Oppositionspartei, die allerdings nicht als Partner im Widerstreit der Gedanken respektiert, sondern heftig verpönt und weitestgehend aus allen Entscheidungsprozessen herausgehalten wird. Daß gegen sie der Verfassungsschutz eingesetzt wird, ist dafür Beweis genug: Der einzige Opponent soll neutralisiert werden.
Und der Bürger, der Souverän? Viele scheinen aus physischer und kognitiver Fitneßschwäche bereit, sich führen zu lassen. Es fehlen ihnen die Vitalität und die Befähigung, eigenverantwortlich zu entscheiden oder mindestens den Mut aufzubringen, vernünftig, mithin so aufmerksam wie gelassen mit einer Krankheit umzugehen, die es nun mal gibt – so wie alle möglichen anderen Krankheiten, durchaus schlimme und scheußliche darunter, auf die man bislang eher fatalistisch reagierte, ohne Blockaden und Quarantänen und ohne allüberall einen Atemschutz nötig zu haben, der bereits als “Alltagsmundschutz” bezeichnet wird.
Daß das Leben selbst naturgemäß riskant und kontingent ist und auf den Tod zuläuft, scheint als banale Alltagsweisheit vergessen. Aber es gibt keine Versicherungen: Man kann sich heute infizieren oder ein anderes Übel erleiden oder so wie bisher noch eine Weile weiterleben, bis man unweigerlich erkrankt, verfällt, ja, und schließlich stirbt.
Eine normale Infektionskrankheit mehr als die zahllosen bekannten sollte eine funktionsfähige Gesellschaft nicht derartig deformieren, wie dies nun geschehen ist und weiter geschehen wird. Nicht alles läßt sich regeln, reparieren und heilen. Glücklicherweise nicht und schon gar nicht um jeden Preis. Sensibilismus und Hypochondrie nehmen aber bereits seit Jahren tragikomische Formen an. Als unnormal gilt, wer keine Atteste für Allergien, Unverträglichkeiten oder sonstige Zipperlein vorweisen kann; er erfüllte so auch nicht die betriebswirtschaftliche Logik des sogenannten Gesundheitssystems, in dem nur der Kranke normal erscheint.
Gerade linke Politik erweckt die gefährliche Hoffnung, ein Leben ohne Leid wäre möglich, und nicht nur der Mensch, sondern die gesamte Gesellschaft sei zu heilen und von allem Ungemach zu kurieren.
Den meisten Bürgern scheint einerlei zu sein, was die Regierung mit ihrer Verordnungspolitik anrichtet, solange sie nur den Rahmen für Komfort und „Wohlfahrt“, also für alle Arten Konsum sichert. Erst wenn das entscheidend in Frage steht, wird die Lage entzündlich, dann aber innerhalb von Tagen oder Stunden, so daß den Verbrauchern die Demokratie einerlei wäre, wenn eine andere Herrschaftsform sicherere Versorgung garantierte.
Was immer das „neuartige“ Corona-Virus an tatsächlich ernstzunehmender Gefahr bedeuten mag: Es hat sich nicht als das Killer-Virus erwiesen, als das es angekündigt war. Das Dilemma ist bereits da und dort beschrieben worden: Die Exekutive wird stets argumentieren können, daß der vergleichsweise harmlose Verlauf einer als großes Sterben orakelten Krankheit eben einzig und allein ihren so einschneidenden wie pleiteauslösenden Maßnahmen zu verdanken ist, während man Zweifel hegen darf, ob diese Infektion nun wirklich wie ein apokalyptischer Reiter durchs Land getobt wäre, hätten wir nicht artig unseren Mundschutz vorgebunden, auf den Handschlag verzichtet und mit „Mindestabstand“ Schlange gestanden.
Wichtig ist nur, daß das „neuartige“ Virus das Narrativ, besser die Legende abgab, vor deren Hintergrund sich ein ganz prinzipieller Umbau der Gesellschaft im Kulturellen wie im Politischen vollzieht, dessen Folgen bis in den intimen Alltag hinein – etwa durch das Nähe- und Berührungsverbot zugunsten des Abstandsgebotes – noch nicht absehbar sind.
Mindestens förderte die „Corona-Krise“ den Ausbau des vormundschaftlichen Staates, der fatalerweise den meisten Bürgern, insbesondere der sogenannten Mitte, sehr recht ist, wenn nur weiter für Hedonismus gesorgt bleibt. Der Umbau der Gesellschaft hin zu einer kollektiven Erziehungsveranstaltung mit moralisierender Impertinenz hatte lange vor der vermeintlichen Gefahr begonnen, diese aber ließ die politische Didaktik erst richtig Fahrt aufnehmen – immer mit dem Ziel, den neuen, den hygienischen, aber gleichsam ökologischen, klimaneutralen, antirassistischen, weltoffenen und in jeder Weise durchweg vorbildlichen Menschen zu konstruieren.
Dies wird vor allem sprachlich versucht. Der Historiker Wolfgang Reinhard bemerkte kürzlich dazu: “Ich habe etwas gegen Sprachreinigung. Wir haben uns eingebildet, wenn wir das Wort ‘Rasse’ abschaffen, dann gibt es auch die Sache nicht mehr. Das ist eine Überschätzung der Sprache. Man kann Dinge nicht abschaffen, bloß weil man sie begrifflich entsorgt.” Solche Säuberungen finden derzeit überall statt. Das ist neurotisch, klar, vor allem aber gefährlich, weil genau dieses Vorgehen eben vormundschaftlich wirkt.
Je näher sich Regierung und „Mitte“ über eine Säuberungspolitik diesem Ziel wähnen, um so heftiger wird gegen die Abweichler alarmiert und ausgeholt, also gegen die Rechten und die allüberall gewitterten Nazis, aber ebenso gegen die schlimmen alten weißen Männer, die quasi genetisch alles Negative in sich vereinen und ebenso Umweltvermüller und Tierquäler wie Frauenfeinde und Sexisten sind, Rassisten ja sowieso, weil sie Sorgen wegen spürbarer Überfremdung und erfolgendem Bevölkerungsaustausch hegen.
Die Gesellschaft erscheint bereits weitgehend durchideologisiert, so daß es schwierig ist, nicht sogleich eine politische Empfindlichkeit auszulösen oder in Verdacht zu geraten, wenn man Bedenken äußert und nicht mit der Einheitsfront von CDU/CSU bis Antifa- und Klimajugend alles bejubelt, was angeblich Welt und Mensch so entscheidend verbessert, wie es all die Jahrtausende davor nicht möglich war.
Weil es den meisten, bedingt durch die regressive Schuldbildung und die Social-Media-Verblödungsmedien, längst an Urteilskraft gebricht, sind sie gern bereit, sich die Welt „in einfacher Sprache“ erklären zu lassen und den Einheitsmedien des „Qualitätsjournalismus“ zu folgen. Wie früher scheint grundvereinbart: Die Entscheidungen der Regierung werden schon richtig sein! Mindestens meint sie es ja gut! Die Wissenschaft wird’s sicherlich besser und genauer wissen als wir! Ach, und endlich spürt man, daß überhaupt regiert wird. Endlich mal Maßnahmen! Sehr gut! Sie tun was und setzen dafür das Volksvermögen ein.
Den Unterboden der neuen geistigen Untertänigkeit bereitet sehr wirkmächtig die Angst, namentlich vor Krankheit und Tod. Solche Unsicherheit sucht nach Schutz, ein Bedürfnis, das die tendenziell autoritär agierenden Regierungen gern erfüllen, weil ihnen so Zustimmung sicher ist, derer sie ja bedürfen, um sich weiterhin als „demokratisch“ rechtfertigen zu können.
Dies geschieht jedoch mit der Nebenwirkung, die Angst stets mit sich bringt: Die Gesellschaft infantilisiert und neurotisiert. Aber wenn aus Bürgern gewissermaßen Patienten oder Grundschüler werden, lassen sie sich leichter lenken und regieren. Mit Ausnahme nur der Opposition, die dann aber – in sich logisch argumentiert – als etwas Pathologisches gelten muß, weil sie sich der großen politischen Gesundheit verweigert.
Maiordomus
@HB ist daran, sich als Publizist hier wirklich zum Begriff zu machen; allein schon sprachlich und als Meister der Lesbarkeit. Das Tiefste hat aber, das ist schon Ernst Jünger mal aufgefallen, scheint mir das Verhältnis zu Sterben und Tod zu sein und überhaupt der Kontingenz des Daseins, was natürlich nicht mit wissenschaftsfeindlicher Resignation zu verwechseln ist. Aber es macht im gegenwärtigen weltanschaulichen Graben den grössten Unterschied der noch "Alt-Denkenden" bzw. abendländischen Humanisten zum Mainstream aus.