Joe Biden sagte: „We are going into a dark winter” (22. 10. 2020). Der bayerische Ministerpräsident Söder verlas auf einem Parteitag Drohbriefe gegen ihn und goß sich derweil einen Tee ein – seine Game-of-Thrones-Thermotasse veränderte ihre Aufschrift von „Winter is coming“ zu „Winter is here“.
Angela Merkel bediente sich derselben Metapher: „Der Winter wird schwer, aber er wird enden“. Der Spiegel verbreitete Notstandsstimmung mit demselben Slogan: „Es wird ein langer, dunkler Winter“.
Ein auf YouTube inzwischen gesperrtes kritisches Format namens „Kulturstudio“ fand heraus (oder hat Hinweise aus den alternativen sozialen Medien zu einem Filmchen verarbeitet), daß es im Jahre 2001 ein Seuchen-Planspiel gleichen Namens gab: die Johns-Hopkins-Universität probte damals mit führenden Militär- und Regierungsvertretern, die sich teilweise selbst spielten, den Ernstfall eines weltweiten Pockenausbruchs, ausgelöst durch einen bioterroristischen Angriff. Bill Gates sprach bekanntermaßen grinsend von einer „Pandemie zwei“ (im Video bei Minute 4:07), die natürlich niemand wollen könne.
Plötzlich paßt alles zusammen. Mich interessiert in solchen Fällen anscheinend perfekter Passung aller Puzzlesteine: Wieso paßt alles so gut zusammen? Handelt es sich um „magisches Denken“ im Sinne Arnold Gehlens? Dieser hatte in Die Seele im technischen Zeitalter (1967) festgestellt, daß magisches Denken den Ordnungsfaktor in der Natur stets überschätze und Kausalität da auffinde, wo womöglich blinder Zufall herrsche.
Sprechen alle diese Repräsentanten vom „dark winter“, weil dieser jahreszeitlich doch irgendwie dunkel naheliegt, oder handelt es sich um einen symbolischen Code, mit dem seine Verwender etwas ausdrücken wollen, das sie wissen?
Wer sich entlang dieser Denklinie weiter vorwagt, kommt unweigerlich an den Punkt, wo er sich fragen muß: Warum lancieren die Eliten bestimmte Begriffe oder Codes, wenn doch ohnehin klar ist, daß diese von der medialen Öffentlichkeit dechiffriert werden? Im Falle magischer Symbole wäre deren öffentliche Zurschaustellung erklärbar durch die okkulte Wirkung derselben, wie ich anhand der seltsamen Bildsprache von „Extinction Rebellion“ beschrieben hatte. Doch „dark winter“ ist nicht magisch aufgeladen, jedenfalls nicht soweit ich dies in den Tiefen des Netzokkultismus ermitteln konnte.
Q‑Anhänger brüsten sich an dieser Stelle mit der Einsicht „Symbolism will be their downfall“ – an ihrem Symbolgebrauch werden sie zugrundegehen, weil sie sich verraten. Wer demnach erkannt habe, daß Söders Merchandising-Tasse kein alberner Zufall war, sondern er mit anderen Elitenangehörigen über einen Code kommuniziert, der auf das „Dark-winter“-Planspiel und Gates’ „zweite Pandemie“ verweist, der wisse mehr über die Welt als ein Normalsterblicher.
Ein großer blinder Fleck dieser Art von Wahrheitserkenntnis liegt an der Stelle, wo den Symbol-Decodierern nicht klar ist, daß sie – die sie doch von der Geplantheit alles politischen Geschehens ausgehen – selber eine nicht unbeträchtliche Rolle im Plan spielen dürften. Wenn man annimmt, daß es tatsächlich Pläne zu einer zweiten herbeigeführten Pandemie gibt, dann wäre für die Strategen einer solchen Inszenierung zweierlei von Vorteil:
Erstens müssen die Vorhaben langsam in die öffentliche Meinung eingespeist werden. Zunächst über die Unglaubwürdigkeitsschiene: “So etwas wie ein absichtlicher Bioterrorangriff ist doch eine Verschwörungstheorie, absolut wahnwitzig.” Doch der Gedanke ist da, hakt sich fest im Bewußtsein der User, ist also in einer bestimmten Hinsicht bereits real.
Zweitens sind genau diese „Verschwörungstheoretiker“, als „Nazis“ und potentielle „Terroristen“ geframet, die perfekte Legitimation für totalitäre Maßnahmen. Es dürfte also – einen größeren Plan einmal vorausgesetzt – innerhalb desselben sehr klug sein, öffentliche Spekulationen über die „Symbole“ und ihre bedrohliche Bedeutung zu veranlassen.
Hinzu kommt ein sozialpsychologisch meines Erachtens schwerwiegendes Problem: Diejenigen Leute, die solche Hintergrundzusammenhänge in den alternativen Medien rezipieren, wissen dann zwar mehr als ein Normalsterblicher. Aber sie müssen fortan mit dieser Last leben. Sie müssen als Realität ertragen, daß uns ein „dunkler Winter“ bevorsteht, dessen Dunkelheit wahrlich nicht nur in Lockdowneinsamkeit bestehen, sondern im Welteinheitsstaat und dessen Staatsterrorismus Gestalt annehmen wird.
Diese Leute sind dann genauso großer seelischer Qual ausgesetzt wie die Virusverängstigten. Sie landen nämlich psychologisch gesprochen im double bind: sie “checken was läuft”, müssen aber dann das, was sie wissen, mit der Wirklichkeit abgleichen, ohne zu verzweifeln. Nicht umsonst spricht ein Daniele Ganser inzwischen bisweilen genausoviel über geopolitische Zusammenhänge wie über spirituelle Hilfsmittel, um mit diesen Einsichten zurechtzukommen.
Müssen wir nun tatsächlich einen dunklen Winter gewärtigen? Es ist mir nicht darum zu tun, das Dark-winter-Puzzle als magisches Denken abzuqualifizieren und mich danach überlegen zurückzulehnen, weil doch alles nicht so schlimm kommt, schließlich habe ich doch auf den blinden Fleck in diesem Denkbild hingewiesen.
Der dunkle Winter ist überaus real. Martin Sellner schrieb kürzlich, daß meine Selbstrettung das inaktive „Überwintern“ als Rückzug aus dem gegenwärtigen politischen Kampf anempfehle. Dies betrachte ich nun nicht als Vorwurf, würde es aber anders verstehen: nicht abwarten, daß “danach” dann doch noch die patriotische Wende kommt, auf die hinzuarbeiten Teil der häuslichen Winterverrichtungen ist.
Der dunkle Winter dauert schon und noch wesentlich länger. Er erschöpft sich auch nicht in Plandemien, Great Reset und Neuer Weltordnung. Dieser dunkle Winter ist Teil der conditio humana, die sich nicht aus eigener Kraft aufheben läßt:
Auf Erden befinden wir uns im Dunkeln, wir überdauern eine uns bemessene Zeit. Daß dieser Zustand heuer durch äußere Repressionen und besonders dreistes Triumphieren des Bösen so deutlich zutagetritt, dient dazu, die Aufmerksamkeit zu schärfen bis ins Unerträgliche: „Das Unglück zwingt, das als wirklich anzuerkennen, was man nicht für möglich hält“ (Simone Weil). Sie führt diesen Gedanken noch genauer aus:
Unglück: die Zeit führt das denkende Wesen dem entgegen, was es nicht ertragen kann und was dennoch eintreffen wird. ‘Dieser Kelch möge an mir vorübergehen!’ Jede Sekunde, die verrinnt, reißt ein Wesen in dieser Welt zu etwas Unerträglichem mit sich fort. (Schwerkraft und Gnade, 1947, dt. 1952)
Der dunkle Winter kann nicht herabgemindert werden durch die Hoffnung, er möge vielleicht nicht eintreten oder doch mich und die meinen verschonen. Selbst wenn dieser Fall einträte, und – wie das Kulturstudio-Video selbstironisch schließt – das Puzzle „bestimmt nur eine Verschwörungstheorie“ ist, dann haben wir als Christenmenschen die Aufgabe, so zu leben, als wäre das unerträglichste Unglück immer schon da. Und zugleich so zu leben, als wäre der dunkle Winter schon dem neuen Frühjahr gewichen.
Maiordomus
Die vom "dunklen Winter" schwadronieren, sollten im Hinblick auf das Klima doch dankbar dafür sein, auch wenn gerade die Interpretation von Frau Sommerfeld stark in Richtung reine Metaphorik geht.