Anders als bei meinem Sezession-Kollegen Till-Lucas Wessels (siehe »Sonntagsheld (169) – Das Leben nicht zu beleidigen«) waren meine Erinnerungen an die Hayao Miyazaki-Animationsfilme aus dem Hause Studio Ghibli verblaßt und in die hinteren Ecken meines Gehirns gewandert.
Doch Wessels Sonntagshelden sei Dank, wurden meine Erinnerungen an diese fabelhaften Filme wieder hochgespült. Dabei müßte ich bei meiner ersten Studio-Ghibli-Bewegtbilderfahrung sogar etwas älter als er gewesen sein. Lustiger Weise bildete auch bei mir Prinzessin Mononoke den Einstieg in das Ghibli-Universum.
Danach verschlang ich speziell die Filme der frühen bis mittleren Schaffensphase des Studios. Vom Schloß im Himmel und Nausicaä aus dem Tal der Winde – das strenggenommen gar kein Ghibli-Film ist – bis zu Das wandelnde Schloß tauchte ich in die vor Magie sprühenden Welten aus der Feder Miyazakis und Isao Takahatas ein.
Das, was Wessels richtig in seinem Sonntagsheld zu Miyazaki beschrieb, nämlich »die dichte Atmosphäre ihrer [Studio Ghibli] Welten, die märchenhafte Fantastik der dargestellten Wesenheiten, der unorthodoxe und ambivalente Erzählweise der Geschichtsstränge« war einzigartig und hob sich von der Konkurrenz ab. Anstatt sich an US-amerikanischen Filmstandards zu orientieren und damit normierte Produkte für ein globales Publikum zu produzieren, erzählt(e) Ghibli genuin japanische Geschichten.
Ein wichtiger Aspekt, den Wessels zwar streift, aber nicht weiter vertieft, ist die in vielen Werken des Studios – insbesondere in Prinzessin Mononoke – thematisierte Entzauberung der Welt. Miyazakis entworfene Welten stecken voller Magie, die von einer voranschreitenden Technisierung bedroht ist. Dort, wo die Technik Fuß gefaßt hat bzw. die Industrialisierung sich ihren Weg bahnt, verschwinden die Geister und das Land verödet sowohl seelisch als auch physisch.
Entscheidend ist hierbei für Miyazaki aber die Art und Weise, wie die Technik genutzt wird. Wird sie in einem klassisch-industrialisierenden Stil verwendet, wirkt sie zerstörend. Wird sie hingegen harmonische in die Natur eingebettet, treibt sie das Magische in der Welt nicht zurück, sondern es eröffnet sich so die Option zur Koexistenz.
Ungeachtet dessen ist Miyazakis Wahrnehmung der Moderne als »dünn und seicht und falsch« in seinem Schaffen omnipräsent. Im Grunde sind seine Filme ein künstlerisches Aufbäumen gegen das »Falsche«, indem er durch sie eine Wiederverzauberung mit Hilfe von Bildern kanalisiert. Zwar sind diese wiederverzauberten Welten fragil und ständig von der Entzauberung bedroht, aber jede einzelne stellt einen Kontrapunkt, wenn auch einen imaginären, zur endgültigen Abkoppelung des Menschen von seinen natürlichen Wurzeln dar.
Jedoch erschafft der Inhalt alleine noch keine animierte, magische Parallelwelt, in die man hineingezogen wird. Mit welchen handwerklichen Mitteln Ghibli diese Immersion konsistent erreicht hat, zeigt das folgende Video (leider nur auf Englisch):
Außerdem existiert eine ältere Arte-Dokumentation mit dem Titel Ghibli: Der Tempel der tausend Träume, die auf YouTube nur noch in Bruchstücken und leider unvollständig zu finden ist. Ein Blick lohnt trotzdem:
Und wen der Komplex »Ghibli« nun so richtig interessiert, dem sei die Dokumentation Never Ending Man: Hayao Miyazaki empfohlen, die es auch mit deutscher Synchronisation gibt:
Mögen die wilden Gräser das Land zurückerobern!
Eine Technologie, die mit ziemlicher Sicherheit zu keiner harmonischen Natur-Technik-Beziehung im Sinne Miyazakis beitragen wird, sondern vielmehr eine weitere Forcierung industrieller Durchdringungen mit sich bringt, ist das elektrifizierte Automobil. Mit aller Macht wird seine Etablierung als das wesentliche Rückgrat individueller Mobilität der Zukunft vorangetrieben.
Ökologisch soll es sein, CO2-neutral, »grün« – im Hintergrund drehen die Windräder, auf den Dächern blitzen die Solarpanels und im Vordergrund fliegt der Tesla, angetrieben durch den Strom erneuerbarer Energien, über die Landstraßen dahin. So oder so ähnlich sieht der Traum der Befürworter einer »Nachhaltigen Entwicklung« aus.
Daß das einen folgenschweren Selbstbetrug mit der tatsächlichen Absicht, die eigene unökologische Lebensweise des Überflusses zu konservieren, darstellt, habe ich bereits hier in den »Ökologische Beleuchtungen (2) – Mogelpackung Elektroauto« aus der 93. Sezession ausgeführt.
Nun hat der französisch-deutsche Sender ARTE es gewagt, mit der Dokumentation Umweltsünder E‑Auto? am Glaubenssatz vom »grünen« Gefährt der Zukunft zu rütteln. Die gespaltenen Reaktionen der deutschen Zuschauer und das teils vehemente Verteidigen des elektrischen Vierräders in den Kommentaren zeigt, wie tief das Mantra von der umweltfreundlichen Mobilität im Land der Energiewende zumindest bei einem Teil der Bevölkerung bereits verankert ist.
Auch diesmal gibt es wieder Neues aus der Clownwelt zu vermelden. Und zwar wurde Michael Wendler – kurz nur »Der Wendler« – vom Privatsender RTL einfach »trotzkisiert«.
Da einige Leser den Wendler nicht kennen – was sie an sich erstmal grundsympathisch macht und für sie spricht – und daher auch das ganze Brimborium um seine Person nicht mitbekommen haben werden, hier eine knappe Einordnung:
Der Wendler ist ein mittelmäßig erfolgreicher Schlagersänger der Marke »Mallorcabespaßung«. In den letzten Jahren erfuhr er durch seine zahlreichen Auftritte in »Reality«-Formaten über den »Bierkönig«-Kosmos hinaus eine größere Bekanntheit. Das ging soweit, daß ihm eine eigene »Reality«-Serie von RTL angeboten wurde (natürlich ist das mittlerweile Geschichte) und man ihn als neuen Juror in der vor sich hinschippernden Trash-Casting-Serie Deutschland sucht den Superstar installierte.
Doch vor kurzem machte der Wendler den Naidoo und outete sich als Querdenker. Das konnte in der BRD anno 2020 natürlich nicht gut gehen und RTL reagierte prompt: Wie bereits den friedensbewegten Naidoo zuvor wurde der Wendler aus der DSDS-Jury verbannt. Dumm nur, daß die ersten DSDS-Folgen mit ihm bereits im Kasten waren.
Aber RTL fand eine Lösung: Retuschieren! Das amüsante Resultat kann man hier ab Minute 1:31 bestaunen:
Wenn das Genosse Stalin noch mitbekommen hätte – er wäre verzückt gewesen. 2021 dreht den Clownwelt-Regler munter auf.
Laurenz
Danke JS,
auch wenn mein gegen Anatol Broder gerichteter Beitrag im Sonntagshelden nicht publiziert wurde. So haben Sie es direkt formuliert ....
"Entscheidend ist hierbei für Miyazaki aber die Art und Weise, wie die Technik genutzt wird. Wird sie in einem klassisch-industrialisierenden Stil verwendet, wirkt sie zerstörend. Wird sie hingegen harmonische in die Natur eingebettet, treibt sie das Magische in der Welt nicht zurück, sondern es eröffnet sich so die Option zur Koexistenz."
Magie oder Begeisterung, wie sie in Ihrem Artikel oder in dem von TLW zu spüren ist, hat weder was mit Vernunft noch mit der Ratio, also dem Verstand zu tun. Magie oder Enthusiasmus entstehen nur, wenn der Verstand ausgeschaltet ist. Deswegen haben Sie genau das Richtige getan, und im wesentlichen Ihre Empfindungen beschrieben. Gerade unsere vielen Katholiken, die Mystik immerhin noch besser hinkriegen als die Protestanten, sollten sich das hinter die Ohren schreiben.