Post aus China – Martin Barkhoff antwortet Sellner

Martin Sellners Aufgreifen und Weiterdenken von Zhao Tingyangs Buch Alles unter einem Himmel  hat eine Kontroverse ausgelöst.

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

Ich ste­he seit eini­gen Jah­ren in Ver­bin­dung mit Mar­tin Bark­hoff, der seit lan­gem schon in Peking lebt und dort in der Wal­dorf­leh­rer­aus­bil­dung tätig ist. Uns ver­bin­det, in Anthro­po­so­phen­krei­sen nicht mehr wohl­ge­lit­ten zu sein, die Zeit der “Denk­ver­bo­te” for­dert ihre Tri­bu­te. Bark­hoff las Sell­ners Bei­trag, Licht­mesz’ Kom­men­tar und Kai­sers Rezension. 

Das tra­di­tio­na­le Kon­zept des “Tianxia” ebnet nicht sporn­streichs Chi­nas poli­ti­sche Welt­macht­bahn, son­dern soll­te zunächst geis­tes­wis­sen­schaft­lich ein­ge­ord­net wer­den. Mir fiel ein Ver­gleich dazu ein: “Tianxia” rein geo­stra­te­gisch zu lesen wäre so, als ver­stün­de man eine Neu­ori­en­tie­rung an Augus­ti­nus’ Got­tes­staat als Geheim­plan zur Errich­tung eines christ­li­chen Impe­ri­ums. Bark­hoff rich­tet den fol­gen­den Brief an Mar­tin Sellner:

 

Lie­ber Herr Sellner,

Dank für den vor­ge­leg­ten und den ange­kün­dig­ten Beitrag!

Pro­duk­tiv und lang­fris­tig kann man Gesell­schaft nur gestal­ten, wenn man die Gestal­tung aus der Welt, aus dem Sein, aus dem ordo her­vor­wach­sen las­sen kann. Trag­fä­hi­ges Leben wächst aus der Wirk­lich­keit her­vor, nicht aus der Poli­tik. Die Nur-Poli­ti­schen irren ori­en­tie­rungs­los in einer sol­chen Umbruchs­zeit wie der unse­ren herum.

Was man da braucht, dafür feh­len heu­te die geeig­ne­ten Wor­te. Die muß man erst wie­der schaf­fen. Solan­ge muß man es wohl para­dox fas­sen, wie Sie es tun: Zhao ver­tre­te eine “kos­mi­sche Uni­ver­sa­li­tät”, die Sie dann aber als “nicht­uni­ver­sa­lis­ti­sche kos­mi­sche Ebe­ne” cha­rak­te­ri­sie­ren. Mir gefällt das Para­dox. Die platt-west­li­che “Uni­ver­sa­li­tät’ ist näm­lich abs­trakt, homo­gen, eigen­schafts­los: wie die Nacht, in der alle Kat­zen grau sind. In Zha­os Uni­ver­sa­li­tät geht ein Licht auf und dadurch wird der Kos­mos eigen­schafts­reich, far­big, wesen­haft und wesens­viel­fäl­tig. Der Kos­mos ist in sich Eines und ein Vie­les zugleich und: er will (als Eben-nicht-Sub­jekt) das Viel­fäl­ti­ge. Das ist auch der Kos­mos Goe­thes, wie er ihn in sei­nem Zwi­schen­ruf (“Para­ba­se”, 1820) beschreibt:

Freu­dig war vor vie­len Jahren,
Eif­rig so der Geist bestrebt,
Zu erfor­schen, zu erfahren,
Wie Natur im Schaf­fen lebt.

Und es ist das ewig Eine,
Das sich viel­fach offenbart.
Klein das Gro­ße, groß das Kleine,
Alles nach der eig­nen Art.

Immer wech­selnd, fest sich haltend,
Nah und fern und fern und nah;
So gestal­tend, umgestaltend -
Zum Erstau­nen bin ich da.

Die­ser Kos­mos geht uns als Abend­län­der ver­dammt viel an. Ganz ihrer Mei­nung. Denn: Aus dem wirk­li­chen Kos­mos her­aus läßt sich Lebens­wer­tes gestal­ten. Abs­trak­te Uni­ver­sen kann sich jeder leicht zusam­men­schus­tern, dar­in leben kann man nicht. Erobern wir uns also den Anschluß an die “nicht­uni­ver­sa­lis­ti­sche (nicht-graue) kos­mi­sche Ebe­ne” zurück! Auch Caro­li­ne Som­mer­feld und ich haben einen grö­ße­ren Bei­trag dazu in Vorbereitung.

Natür­lich ist Zhao in der Dia­gno­se bes­ser als in der The­ra­pie. Und daß Zhao dann viel in die Zhou-Dynas­tie rein­pro­ji­ziert, wie Kai­ser rich­tig schreibt, geschenkt! Ich dozie­re hier in Peking vor mei­nen Wal­dorf­leh­rer-Stu­den­ten viel dar­über, wie man wirk­lich in die Zeit vor Kong Dze hin­ein­kommt (z.B. die Zhou-Dyna­sie), von der doch der moder­ne Chi­ne­se zunächst ein­mal un-vor-stell-bar weit ent­fernt ist.

Allein Zha­os Bemü­hung fin­de ich bereits inter­es­sant genug. Die Suche nach dem Eige­nen und das Gefühl, man habe es ver­lo­ren und kön­ne es nicht wie­der­fin­den und das tie­fe Leid dar­über ist hier in Chi­na über­all zu spü­ren, oft wie Ver­zweif­lung. Die­sem rie­si­gen Man­gel­ge­fühl ein biß­chen Lin­de­rung zu geben, das ver­sucht Zhao, so gut er kann. Zu dem Eige­nen gehört näm­lich auch die eige­ne Natur‑, die eige­ne Kos­mos­be­zie­hung. Die wur­de uns von den Gestell-Leu­ten näm­lich auch weg­ge­nom­men. Jetzt soll die­se Gestell-Natur, die­ser Gestell-Kos­mos unse­re “Hei­mat” sein. Schön dumm, wer sich das antun läßt.

Daß sol­cher Kampf um das Eige­ne auch für die Unter­stüt­zung eines chi­ne­si­schen Impe­ria­lis­mus genutzt wer­den kann … wie­der geschenkt! Ist die­ses Tot­schlag­ar­gu­ment nicht ähn­lich herz- und geist­los wie jedem Autor, der sich die deut­sche Ver­gan­gen­heit wie­der­erobern will, Nazi-Impe­ria­lis­mus zu unter­stel­len? Erst ein­mal ver­ste­hen; das zu schnel­le Abur­tei­len ein­fach mal den Igno­ran­ten über­las­sen. Man kann ja sogar etwas aus Kis­sin­gers Chin­a­bü­chern lernen.

Mit ganz herz­li­chem Gruß aus Peking

Ihr Mar­tin Barkhoff

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

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Kommentare (4)

Franz Bettinger

2. April 2021 08:44

Warum glaubt Martin Barkhoff, die westliche Universalität sei abstrakt (und deshalb halb so wild)? Ich sehe leider sehr Konkretes: Globale Player, Kontrolle, globale Verschwörer, einen Plan, globale Planspiele, globale Zensur, den globalen Polizeistaat von Australien bis Anchorage. Masken, Gauner, golbale Geldpolitik, Satelliten wie am Faden gezogen, G5, Reisebeschränkungen, alles global und alles sehr konkret.

Laurenz

2. April 2021 14:01

In der Geschichte der Zivilisation(en), auch in der Chinas, entsteht aber erst Politik. Seitdem muß man das Spirituelle oder auch Philosophische von der Politik im eigenen Leben trennen, quasi säkularisieren, wollte man Ihrem Brief an MS gerecht werden. Denn in den Zeiten jeglicher Zivilisation wurde die Philosophie immer nur benutzt, (Paulus, Marx, die Freimaurer der Aufklärung), um gesellschaftlichen Wandel & politische Ziele ohne tatsächliche Veränderung des politischen Gegebenheiten, nur im Austausch der Protagonisten, zu bewerkstelligen.

Die einzige politische Kraft, die Wohlstand "für alle" jemals zum Inhalt ihrer "Ideologie" machte, waren die Nationalsozialisten (die Deutschen Nationalsozialisten & ihre Nachfolger, wie auch die heutigen chinesischen Nationalsozialisten). Daß bei diesem politischen Ziel tatsächlich die Seele auf der Strecke bleiben kann, mag an der Überforderung der Aufgabe liegen.

Aber mal Hand auf's Herz, wie viele Studenten einer ganzen Generation können sich einen Walldorf-Dozenten leisten? Und nur diejenigen, die sich diesen Dozenten leisten können, besitzen den Luxus, sich auch Hunger nach kosmischer Magie gönnen zu können. Die anderen alle, bekämpfen auch in China den materiellen Hunger, der ausnahmslos jeden, wieder zum Tier macht, wenn er mit Erfolg unter Menschen wütet.

Gracchus

2. April 2021 16:48

Zwiespältig. Der westliche Universalismus besteht darin, dass jeder Mensch Rechte hat. Für die Uiguren oder Häftlinge auf Guantanamo ist ihre Rechtlosigkeit keineswegs abstrakt. Das Menschenrechtsdenken kommt aus dem Natur-, später Vernunftrechtsdenken. Die Umbenennung zeigt schon den (cartesianischen) Bruch an. Seine gegenwärtige Abstraktheit resultiert daraus, dass ihm die Natur abhanden gekommen ist, eben der Kosmos oder die Vorstellung davon. Es dominiert ein Rechtspositivismus, der von jedem vorgängigen ordo abgeschnitten ist. Unter dem (atomistischen)  naturwissenschaftlichen Paradigma lässt sich die Verbindung auch nicht wieder herstellen. Der Westen lebt hierdurch in einer permanenten Schizophrenie. Rechtlich werden dem Menschen Freiheit und Würde zugesprochen, die ihm naturwissenschaftlich wiederum permanent abgesprochen werden.

RMH

2. April 2021 19:20

Der Herr Barkhoff "schenkt" mir ein bisschen zu viel ... und nein, nicht "geschenkt", dies sind wesentliche Punkte.

Da ist mir zu viel Harmoniesucht im Spiel.

Ethnopluralistisch betrachtet hält sich jede Ethnie naturgemäß und salopp formuliert, für den Nabel der Welt und tritt damit "universell" an. Aus der daraus entstehenden Spannung entstehen Reiche, Kulturen und der "Eintritt in die Geschichte".

Am Osterwochenende darf man zudem einmal festhalten, dass mit Jesus Christus das göttliche Heilsgeschehen sich nicht mehr an Völkern und Imperien festmacht, sondern am konkreten Individuum - in ihm allein verwirklicht sich Glaube und Erlösung. Mit Jesus Christus tritt das Subjekt mit Macht auf den Plan. Daraus entwickelte sich die zweitausendjährige Geschichte der Abendlandes.

Und in dieser Tradition sollten wir den Antagonismus gegenüber der asiatischen Welt annehmen.

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