Was manche von uns Schlachtenbummlern in den 1960er Jahren in den Straßen Berlins, Münchens und Wiens skandierten, bewahrheiten jetzt unsere Nachbarn: Sieg im Volkskrieg!
Das muß man sich auf der Zunge zergehen lassen. Er meint allen Ernstes die Ukraine. Der dort ausgetragene Stellvertreterkrieg der NATO soll ein “Volkskrieg” sein?
Der Terminus “Volkskrieg”, ein Wort aus dem Wörterbuch des Maoismus, wurde im Zuge des Vietnamkriegs unter westlichen Linken bekannt. Die Solidarität mit dem Befreiungskampf des Vietcong (“Komm herunter vom Balkon / reih dich ein beim Vietcong!”) imaginierte ein unterdrücktes authentisches Volk im Kampf gegen den US-Imperialismus. Der Prototyp jenes “Volkskriegs” war – im Rückblick klar zu erkennen – just der Prototyp des proxy war, also des Stellvertreterkrieges.
Der Begriff “Volk” schillert gefährlich ambig, wenn man in die Gefilde des kommunistischen Sprachgebrauchs gerät: mal ist es die “Masse der Unterdrückten” (populus) und mal ist es das ethnische Volk (ethnos).
Böckelmann ist nicht allein. Ich vernahm mehrfach aus dem rechten Lager heftige Parteinahmen für den “Verteidigungskampf des ukrainischen Volkes”, das Stichwort Natiokratie soll hier als Hinweis genügen. Wann immer marxistische Grundausrichtungen hineinspielen in die Lagebeurteilung, erscheint das Vexierbild des Volksbegriffs und übt seine suggestive Wirkung aus.
Wie kommen deutsche Rechte darauf, sich auf die Seite dieses vom “kollektiven Westen” sowohl finanziell als auch ideologisch und militärisch hochgerüsteten Landes zu schlagen?
Weil es dort ein ethnisches Volk, das zugleich unterdrücktes und kämpferisches Volk ist, gibt, nach dem man in der BRD lange suchen muß? Wer das glaubt, ist in die Ambiguitätsfalle des Volksbegriffs getreten und spielt deshalb die Rolle derjenigen, die Sophie Liebnitz in Hinblick auf “unterdrückte Minderheiten” im Rassismus-Kontext so treffend “Stellvertreterminoritäre” genannt hat.
Ein weiteres Motiv für die Verkennung des Stellvertreterkriegs scheint mir folgendes zu sein:
Kann es sein, daß Rechte “pro-ukrainisch” auftreten, weil echte Mobilmachung (auch der ukrainischen Frauen und Jugendlichen seit neuestem) männlich und geil ist, wohingegen der Bundesdeutsche immer nur als schlaffer Sack auf der Couch den Möchtegern-Militärstrategen spielen darf? Kubitschek sprach vom “Ersatznationalismus”, er meinte den Mainstream, doch im eigenen Lager tritt dieses Phänomen bisweilen genauso zutage.
Dieser Verdacht führt mich zu einigen Ausführungen, die Dieter Stein, Chefredakteur der Jungen Freiheit, unlängst in der Frühjahrsausgabe der Zeitschrift The European Conservative getätigt hat:
Ein Kurswechsel in der Verteidigung war längst überfällig – aber viele Jahre lang wurde dies durch eine angstgeplagte, zutiefst antimilitärische öffentliche Stimmung behindert. Ein tiefgreifender Wandel in der nationalen Mentalität ist seit langem notwendig, aber das ist natürlich leichter gesagt als getan. In der Seelensuche nach 1945 verschwanden alle Spuren des alten preußischen militaristischen Geistes vollständig.
Und an die Stelle des “alten preußischen militaristischen Geistes” soll jetzt die volle Solidarität mit der NATO treten? Sieht ganz so aus, denn Stein schreibt weiter:
Deutschland gab die jährlichen 2% des BIP für Verteidigung aus, die von den NATO-Partnern erwartet werden. Die Zahl für 2020 betrug magere 1,4%, und selbst das war ein starker Anstieg gegenüber einigen anderen Jahren.
Schuld am mangelnden Militarismus der BRD sei laut Stein unter anderem eine “feministische Außenpolitik” (Baerbock); die Klima- und Asylpolitik Merkeldeutschlands und ihre linksgrüne Fortführung hätten zu “emotionaler Hybris und einen völligen Mangel an strategischem Denken” geführt. Stein endigt in einem emotionalen Plädoyer für stramme NATO-Vasallenschaft, das sich so liest:
Zum ersten Mal seit vielen Jahrzehnten müssen deutsche Politiker lernen zu denken statt zu fühlen – und die vitalen nationalen Interessen Deutschlands durchzusetzen (…) Fast ein Jahrhundert nach dem Krieg ist es an der Zeit, dass der niedergeschlagene deutsche Riese endlich aufrecht steht und ein erwachsenes Land wird, das in der Lage ist, gefährlich auszusehen.
Ist Stein nicht klar, daß eine BRD, die “in der Lage ist, gefährlich auszusehen”, Kriegspartei ist? Daß dem bereits so sein dürfte, Rußland den Waffenstillstand mit Deutschland beenden könnte, und echt kein Mensch noch zusätzlich vermeintlich “konservativen” Größenwahn braucht, kann man mal probehalber durchdenken (wenn man nicht immer nur “fühlen” mag).
Die “vitalen nationalen Interessen Deutschlands” liegen anscheinend darin, sich mutig von Putins Gas unabhängig zu machen, gleichwohl keinen linksgrünen Klimaquatsch an dessen Stelle zu setzen, sondern endlich wieder auf echte deutsche Atomkraft zu setzen. Mein Vater selig berichtete immer wieder gern von den DKP-Leuten, die in den frühen 80ern die Grünen unterwanderten und das Argument brachten, Atomkraftwerke seien in den Händen der Arbeiterklasse sicher.
Zum Schluß noch ein Wort aus Böckelmanns Artikel, in dem er dieselbe Weg-vom-Russengas-Phrase drischt wie Stein und die gesamte transatlantische Presse, dann aber noch den europabegeisterten talking point bringt:
Die Weigerung, uns erpressen zu lassen, können wir derzeit nicht anders beglaubigen als durch bedingungslosen und uneingeschränkten Verzicht auf russische Erdgaslieferungen.(…)Das Notopfer (sic!) hingegen eröffnete die Chance auf ein politisch vereintes Europa. Was wäre schon eine Rezession, wenn wir endlich Boden unter den Füßen bekämen?
Der eine will ein gefährlich aussehendes militaristisches Deutschland, der andere ein im “Notopfer” politisch vereintes Europa. Dazu braucht es eine Rezession (pillepalle, stecken wir so weg “für Deutschland” und “für Europa”).
Und wenn wir die nicht wegstecken, dann kriegen wir zweifelsohne “endlich Boden unter den Füßen”. Allerdings ganz bestimmt anderen, als sich die beiden Konservativen das vorstellen. Der Aufprall auf dem Boden der Wirklichkeit könnte schmerzhaft sein. Mit Rilke gesprochen:
Es dringt kein Laut bis her zu mir / von der Nationen wildem Streite. / Ich stehe ja auf keiner Seite / denn Recht ist weder da noch hier. (Rainer-Maria Rilke, In dubiis)
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Von Caroline Sommerfeld ist zuletzt das Kaplaken Versuch über den Riß erschienen. Es liegt in der 2. Auflage vor und kann hier bestellt werden.
Umlautkombinat
Ich kann mich mit verschiedenen Forderungen der Herren durchaus anfreunden. Allerdings habe ich eine bedeutend umfassendere - auch verschiedene - Sammlung von Leuten und Laendern im Sinn, von denen wir uns emanzipieren sollten.