Es versteht sich von selbst. Heute kann quasi jeder quasi alles drucken, auch mit einer ISB-Nummer. Daher verkaufen sich die allermeisten dieser zigzehntausenden Bücher allenfalls mäßig. Eine verkaufte 1000er-Auflage rangiert da schon im oberen Mittelfeld!
Wir wollen uns hier aber nicht mit Tausenderauflagen abgeben. Uns geht es um das Zeug, das die Leute massenhaft entflammt!
Als heißbegehrte, vielgekaufte und hundertfach positiv bewertete Sommerlektüre hätten wir anno 2022 unter anderem: Das Geheimnis des Kameliengartens; Als die Tage leiser wurden ; Der Papierpalast; Die Liebe tanzt barfuß am Strand und Rügenträume und Bernsteinfunkeln.
Was fällt auf? Es sind durchweg Autorinnen. Ich gebe zu bedenken: Im 19. und teils noch im 20. Jahrhundert gaben sich Frauen Männerpseudonyme. Man denke an George Eliot, George Sand oder die Geschwister Brontë. Sie traten als männliche Autoren auf, um Leserschaft zu gewinnen.
Mag durchaus sein, daß es heute umgekehrt ist. Daß Männer unter Frauennamen schreiben, weil heute vor allem Frauen zur belletristischen Kundschaft zählen. Es wäre eine Untersuchung wert!
Susanne Abel hingegen dürfte definitiv eine weibliche Autorin sein. Diese (zuvor unbekannte) Schreiberin hatte mit dem hier besprochenen/bespöttelten Roman Stay away from Gretchen einen sogenannten Megaseller in die Welt gesetzt.
Die deutsche Leserschaft und selbst die berufsmäßigen Kritiker bejubelten dieses Buch. Gretchen mit ihrem PoC-Kind, das von der nachkriegsdeutschen Gesellschaft aus rassistischen Gründen tabuisiert und der Mutter weggenommen wurde!
Die gefeierte Autorin hat nun rasch nachgelegt. In diesem Sommer hat Frau Abel den zweiten Teil der „Gretchen-Reihe“ veröffentlicht. Er trägt einen traumaschwangeren Titel: Was ich nie gesagt habe. Gretchens Schicksalsfamilie. Dieser Roman wurde erneut ganz hoch in die „Spiegel-Bestseller“-Liste katapultiert.
Das ist deshalb interessant, weil es hier eben nicht um Kameliengärten und Bernsteinfunkeln geht, sondern abermals um deutsche Mentalitätsgeschichte, und weil die deutsche Leserschar diese Art von Kolportage offenkundig begierig aufsaugt.
Also: In Teil I hatte der berühmte und sexuell umtriebige Nachrichtensprecher Tom Monderath herausgefunden, daß seine (nun demente) Mutter im Nachkrieg ein Kind mit einem farbigen GI hatte. Es wurde ihr weggenommen.
Ihm, Tom, gelingt es, die Kontakte wiederherzustellen. Und, Ende von Teil I: Tom verliebt sich ernsthaft in seine emanzipierte Kollegin Jenny. Die entspricht nicht seinem „Beuteschema“ (blond, langbeinig, ‑haarig etc.), sondern ist kurzhaarig und brünett und hat sich gerade ein Kindchen aus der Samenbank bestellt.
Why not, so der Unterton. Nahtlos geht es im neuen Band weiter.
Tom deckt nämlich erneut etwas auf: Sein verstorbener Vater Konrad hat als Gynäkologe mutmaßlich mit seinem Samen hunderte Halbgeschwister von Tom gezeugt. Zunächst hatte sich nur ein bislang unbekannter Halbbruder bei Tom gemeldet: der homosexuelle Henk aus Holland. Ein Stabreim! Wie aberwitzig angesichts der Schwulität!
Im folgenden werden wie im vorigen Band stets Szenen entgegengeschnitten. Eine Ebene spielt im Jahr 2016, die andere in der Zeit von Tom Monderaths Vater Konrad, geboren 1928.
Während wir lesend den Spuren Konrads folgen – wie gewohnt mit allem „drum und dran“, von seinen zahlreichen versehentlichen Samenergüssen über die amerikanische Kriegsgefangenschaft („Schule der Demokratie“) bis zur Assistentenstelle bei einem „Nazi-Arzt“ -, begeben wir uns abwechselnd in die Gegenwart des berühmten Fernsehstars Tom – auch hier mit „allen Schikanen“.
Zum Beispiel, daß der kleine Carl alias „der Chef“( soo witzig, dieser konventionelle Jungelternsprech!) logischerweise immer dazwischenfunkt, wenn Tom und Jenny gerade intim werden wollen. Mensch! Wer kennt es nicht!
Das liebt das nach zehntausenden zählende Lesepublikum, das wir uns sehr genau vorstellen können. Mutmaßlich sind es die Leute, die sich wöchentlich die üblichen Schlagersendungen geben (beispielhafter Auftritt, vergangenes Wochenende, unbedingt sehenswert: Michelle-Scheißkerl) , die aber auch mal zu einem „guten Buch“ (pro Jahr) nicht strikt Nein sagen.
Das (Michelles und Sabines Produktionen) ist keine Nische und alles andere als ein Extrembeispiel: Das ist die heutige Volksmusik und Volksliteratur, leider, und sie ist mehrheitsfähig.
Unter den mittlerweile knapp 8000 jubelnden „Kundenrezensionen“ zu Frau Abels Kunstschaffen bei amazon.de findet sich auch die Einschätzung, Frau Abel stünde mit ihrem Schaffen in der Tradition volkstümlicher Autoren wie Ludwig Ganghofer und Rosamunde Pilcher.
Das allerdings trifft ausschließlich auf die simple Kompositionsart „durch viele Turbulenzen zum süßlichen Happy End“ zu. Was auch Abels neues Buch so unendlich schmierig macht, sind zum einen die permanenten subkutanen politischen Botschaften, zum anderen die grauenhafte Sprache. Beides finden wir bei den gleichfalls harmoniebetonten Pilcher und Ganghofer nicht.
Sammelte sich sämtlicher Nachkriegsschmonz im vorigen Band Abels in der Figur des schwarzen Muster-GI und Befreiers Robert, so gibt es auch hier das absolut Gute (die superlustige Schwulen-Community; die emanzipierte Samenbankkonsumentin Jenny; ein Mädchen mit Down-Syndrom, das dann dem Rassenwahn zum Opfer fällt) und andererseits das absolut Böse: die NAZIS.
Konrad /Conny Monderaths Kindheit und Jugend in kurzer Skizze: Im Puppentheater gibt’s nun eine neue Figur, den fiesen jüdischen Pferdehändler Abraham Schmul mit „riesiger Hakennase und wulstigen Lippen“; es werden auf dem Schulhof nur noch antisemitische Reime gesungen; in Mathe müssen Textaufgaben zur menschlichen Zuchtwahl gelöst werden; ein Freund wird einfach so von Klassenkameraden totgeschlagen, nur, weil er Jude ist; während der Olympischen Spiele wird gegen „die Neger“ Stimmung gemacht; die jungen Soldaten pumpen sich später mit Pervitin voll. Und natürlich das:
Adolf Hitler schaut Conny direkt ins Gesicht. IHM! Dieser Blick traf ihn wie ein heiliger Blitz, und mehr noch als zuvor wußte Conny, dass er dem Führer bis in alle Ewigkeit folgen wollte.
Klar, “holy shit”, so war das „damals“ in der schwarzmagischen Zeit…
Conny/Konrad wurde hernach natürlich geläutert. Unter anderem durch den Umerziehungsfilm „Die Todesmühlen von Auschwitz“, der sich „tief in seine Seele brannte”. Bereits hier, wir haben erst ein Drittel des Schinkens durch, liegt nahe, daß der gute Konrad gar nicht der fragliche Supersperminator gewesen sein kann, der wohl über tausend Kinder zeugte.
Zum Sprachstil des Buches: Es besteht weitgehend aus Superlativen. Jenny hat nicht Hunger – sie „fällt fast in Ohnmacht vor Hunger“. Wer hier aufgebracht ist, „zittert“ gleich sichtbar. Wer staunt, dem „entgleisen“, wahlweise „entgleiten“ (ja, passiert hier sehr oft) plakativ gleich „sämtliche Gesichtszüge“ oder „fallen die Augen aus dem Kopf“. Carlchen hat vor lauter Staunen dauernd einen „offenen Mund“. Er ist nicht süß, sondern „sooo süß“. „Große Augen“ werden überhaupt ständig gemacht.
Und natürlich wird geflucht, was das Zeug hält. Vermutlich gilt das heute als Ausweis von Bodenständigkeit. “Du elende Kacke”, “meine verfickte Familie”, überhaupt fällt krankhaft häufig „F***“, natürlich ohne Auslassungszeichen.
Kaum verwunderlich durchzieht ein gigantisches Symboltier diesen Buchknaller: Ein Mega-Einhorn, vom schwulen Henk dem kleinen Carl geschenkt. Henk schickt ein Photo: Er mit „dem Chef“ auf dem Arm. Drumherum „ein Rahmen aus pinkfarbenen Spermien.“ So cool!
Hier bleibt kein Auge trocken. „Volk“ reimt sich nunmehr phantastisch auf „Erfolg“, und so ist es halt. Auf den ultimativen Verkaufslink mag ich hier verzichten. Aus lauter Toleranz können neugierige Leser das Machwerk natürlich dennoch unter antaios.de beziehen. Nur zu! Keiner soll hinterher sagen, er sei völlig ahnungslos gewesen!
Maiordomus
Ergiebige Zusammenfassung einer Buchproduktion, die ich, so Gott will und sich irgendetwas davon setzt, frühestens im Alter nach 80, was doch noch ein paar Jahre aussteht, lesen würde. Begnüge mich mit dem glaubwürdigen, trefflichen und gewiss nicht überflüssigen Lesebericht von EK, wohingegen ich mich wieder in einen der Bände des grossartigen Aphoristikers Ludwig Hohl vertiefe, der in einer Kellerwohnung oder jedenfalls einer unbürgerlichen Kabause in Genf eine Art Lichtenberg redivivus wurde, wiewohl letzterer unerreicht bleibt, gemäss seinen Sudelbüchern nach Nietzsche einer der fünf besten deutschen Autoren wenigstens bis 1888, darunter Stifters von Arnold Stadler in einem wunderbaren Buch wieder gewürdigten "Nachsommer". Der Hinweis, heute als Frau, vielleicht noch vorteilhafter als "Queer"-Geschlechtlicher zu publizieren, bleibt zu bedenken. Für Auflage sind heute indes Frauenbiographien im Durchschnitt rentabler als solche über Männer, besonders "alte weisse Männer", welcher Begriff nunmehr den weiland "Neger" ersetzt.