Sie bietet die Möglichkeit, den Krieg, der im wesentlichen ein “Kollektivereignis” ist, zu personalisieren, dem einzelnen Soldaten ein individuelles Gesicht zu geben.
Kino- und propagandawirksam ist auch seine Profession, die ihn vom Durchschnittsinfanteristen abhebt: Der Scharfschütze ist der Experte für schwierige Aufträge, der kühle und kühne Könner und Profi, was ihm eine geradezu mythische Aura verleiht, ähnlich den Jagdfliegern des Ersten und Zweiten Weltkriegs.
„Coole Killer“ tauchen im Kino als Helden, Schurken oder moralische Grauzonenbewohner auf. Kaum eine Figur bietet solche filmischen Möglichkeiten, sich in die Haut eines Menschen zu versetzen, der gezielt töten muß, wie der Sniper.
Der Blick durch das Fernrohr des Präzisionsgewehrs, mit dem Fadenkreuz auf dem Kopf oder der Brust eines lebenden Ziels, taucht spätestens seit Fritz Langs „Man Hunt“ aus dem Jahr 1941, in dem die Hauptfigur Hitler persönlich ins Visier nimmt (und dann doch nicht abdrückt), in so gut wie jedem Film auf, in dem ein Scharfschütze eine größere Rolle spielt.
Bei aller notorischen Faszination des Kinopublikums für die harten Männer mit der Waffe stellt sich mitunter auch bei Zuschauern, die noch imstande sind, Soldaten und Mörder zu unterscheiden, ein gewisses Gefühl des Unbehagens ein, wenn der Sniper bei der „Arbeit“ gezeigt wird, die immerhin darin besteht, aus dem Hinterhalt gezielt einzelne, nichtsahnende Menschen abzuknallen. Das unterscheidet sich sowohl von dem Kampf, in dem Mann gegen Mann steht, als auch von der anonymen Massentötung etwa durch Bombenabwürfe.
Deshalb hatten Scharfschützen vor dem zweiten Weltkrieg aufgrund bestimmter militärischer Ehrenvorstellungen, etwa unter britischen oder deutschen Militärs, keinen besonders guten Ruf. Sie galten als “hinterhältige Heckenschützen”. Die Rote Armee kannte diese Hemmungen nicht, und setzte die Sniper effektiv gegen die deutschen Invasoren ein, was diese wiederum zwang, ihre Position gegenüber dieser Art von Kriegsführung zu überdenken.
Wenn die abzuschießenden Feinde “Nazis” sind, erübrigt sich die Rechtfertigung im Film meistens. “Nazis” kann man getrost abknallen. In der ukrainisch-russischen Co-Produktion “Red Sniper” (2015), die ich im ersten Teil erwähnt habe, wird Ljudmilla Pawlitschenko von Eleanor Roosevelt gefragt, wie viele Menschen sie denn schon getötet habe. Diese antwortet kühl: “Keine Menschen. Faschisten. Dreihundertneun.”
Auch auf der anderen Seite der Front gab es wahre Virtuosen, die der Roten Armee schwere Verluste zufügten. Der Finne Simo Häyhä tötete im Winterkrieg zwischen 500 und 700 sowjetische Soldaten, mehr als irgendein anderer Scharfschütze in irgendeinem anderen Krieg. Als erfolgreichste Schützen der Wehrmacht gelten Matthäus Hetzenauer (345 bestätigte Abschüsse) und Sepp Allerberger (257 Abschüsse), die beide hochdekoriert den Krieg überlebten.
Da sie der unterlegenen, “bösen” Partei angehörten, wird es wohl niemals heroische Filme nach dem Muster der sowjetisch-russischen Produktionen über sie geben.
In einem Focus-Artikel von 2014 fand ich folgende Darstellung:
Der Russe liegt etwa 90 Meter entfernt. Doch Allerberger zögert, sein Herzschlag rast, seine Waffe zittert. Auch ihn befallen die ethischen Bedenken vor dem ersten Schuss. “Worauf wartest du?”, ruft ein Kamerad. “Gib’s ihm!” Allerberger drückt ab. Er trifft den Gegner genau zwischen die Augen. So lässt es sich in Büchern nachlesen. (…) Während des Krieges fühlte sich Allerberger aber nicht immer als Held. Viele junge Offiziere hätten ihn als “widerlichen Killer” betrachtet, und verweigerten ihm die Bestätigung für Tötungen, wenn er sie für seine Buchführung brauchte, heißt es.
Außerhalb des militärischen Kontexts betrachtet waren Pawlitschenko, Häyhä, Hetzenauer (allesamt “einfache Menschen aus dem Volk”) Massenmörder. Man kann ihnen freilich keinen ernsthaften moralischen Vorwurf machen, sofern man nicht radikaler Pazifist ist. Sie haben auch viele Leben gerettet, indem sie ihr Vaterland und ihre Kameraden verteidigt haben. Von keinem von ihnen ist überliefert, daß er Gewissensbisse gehabt hätte.
Was sie taten, war nüchtern betrachtet nun einmal der “Job” von Soldaten. “Der Krieger soll erobern und vernichten”, formulierte Hans Domizlaff lapidar in seinem Brevier für Könige.
Nobler und auch filmdramaturgisch ergiebiger erscheint das Handwerk der Scharfschützen, wenn sie einen Zweikampf gegen einen ebenbürtigen Gegner antreten. So komprimierte Jean-Jacques Annaud in „Duell – Enemy at the Gates“ (2001) den deutsch-sowjetischen Krieg zu einem aufregenden Duell zwischen zwei Profis vor dem Hintergrund der Schlacht von Stalingrad.
Dieser Film basiert auf dem Leben eines weiteren legendären sowjetischen Scharfschützen, Wassili Saizew (265 Abschüsse). Ed Harris spielt seinen fiktiven deutschen Herausforderer Major König (vermutlich eine Erfindung der Sowjetpropaganda) als schweigsame, eisige Figur mit einem übermenschlich scharfen Auge und unerschütterlichen Nerven, der in den Kampf wie zu einem Ritual schreitet.
Das Kunststück, amerikanischen Patriotismus zu affirmieren, ohne in Propaganda abzugleiten, ist Clint Eastwood des öfteren gelungen, so auch mit “American Sniper” (2014). Dieser basiert auf der Autobiographie des Soldaten Chris Kyle (1974–2013), der mit über 160 bestätigten Abschüssen als der erfolgreichste Scharfschütze der US-Armee gilt.
Der Film hat kaum begonnen, als Kyle dabei gezeigt wird, wie er im Irak zuerst eine Frau und dann einen kleinen Jungen tötet, die beide in selbstmörderischer Attentatabsicht mit einer Granate auf eine Gruppe amerikanischer Soldaten zulaufen. Der Abschuß ist ebenso gerechtfertigt, wie die Situation für den Schützen dauerhaft traumatisierend ist. Auch die Tötung von Menschen ist ein Opfer, das er selber bringt.
Wie in “Flags of our Fathers” zeigt Eastwood die abgründigen Seiten des Kriegshandwerks und die Schalheit der propagandistischen Auswertung, ohne den Heldenstatus von Kyle in Frage zu stellen. Er wird als einfacher, aber aufrichtiger und bescheidener Charakter gezeigt, dem hohle Phrasen zuwider sind, dessen Sicht auf die amerikanischen Kriegseinsätze allerdings auch von einer gewissen Naivität geprägt ist.
Als er “9/11” live im Fernsehen verfolgt, packt ihn die Wut und der Wille, sein Heimatland zu verteidigen und zu rächen. In einer Welt aus Schafen und Wölfen möchte er weder Opfer noch Übeltäter werden. Stattdessen betrachtet er es als seine Bestimmung, ein „Hütehund“ zu sein, der die Schafe vor den Wölfen schützt.
Auch er bekommt zwei extravagante „Wölfe“ gegenübergestellt: den fiktiven Al-Qaida-Terroristen „Der Schlächter“ und einen ebenbürtigen Scharfschützen namens Mustafa, der eine ähnliche Rolle erfüllt wie Major König in „Duell“. Die Leinwandversion Chris Kyles erledigt ihn mit einem unwahrscheinlichen Schuß aus weitester Entfernung. Und wie in „Duell“ wird die „Legende“ des Scharfschützen weniger in der Anzahl seiner Abschüsse begründet, als in seinem meisterhaften Können, das der Abwehr der „Wölfe“ dient.
Kommen wir nun mit all dem im Hinterkopf zu dem ukrainischen Film “Sniper – White Raven” (“Der weiße Rabe”), der die Wandlung eines Pazifisten in einen heroischen Killer darstellt. Strukturell ähnelt er dem Film “Der schwarze Rabe” von 2019, den ich im ersten Teil dieses Beitrags besprochen haben. Die ähnliche Titelgebung ist womöglich mit Absicht geschehen.
Der Film beginnt im Donbass im Jahr 2014: Der ukrainische Mathematiklehrer Mykola und seine Frau Nastja sind ein junges Hippie-Pärchen, das glücklich in einer Art Hobbit-Erdhäuschen in der Steppe wohnt. Er ist langhaarig, bärtig und mit einem fransigen Schlabberwollpulli bekleidet, sie trägt hellblonde Zöpfe unter einem spitzenbesetzten weißen Kopftuch und wallende hellbraune Kleider.
Beide sind radikale Umweltschützer. Mykola fährt jeden Tag eine größere Strecke mit dem Fahrrad in die Stadt Horlivka (Oblast Donetsk), an die Schule, an der er unterrichtet. Vor seinem Häuschen hat das Paar ein aus weißen Steinen gebautes Symbol plaziert, das an das Friedenszeichen erinnert. Später wird Nastja erklären, daß das Zeichen den Fußabdruck eines legendhaften weißen Raben darstellt, der mit seinem Flügelschlag “die Welt aus der Finsternis” erschaffen hat. Um sie fruchtbar zu machen, mußte er sein ursprünglich weißes Gefieder opfern.
In diese Idylle bricht nun zunehmend die russische Aggression, unerbittlich, nuancenlos, unmenschlich. Der Film hält sich nicht lange damit auf, die Ursachen des Kriegs zu behandeln. Er scheint ausgebrochen zu sein, weil die Russen ohne irgendeinen erkennbaren Grund “böse” geworden sind.
Der erste Russe, der im Film auftaucht, ist ein aufsässiger Schüler Mykolas namens Iwan, kontrastiert mit einem “guten” Schüler mit dem typisch ukrainischen Namen Taras, den er mit Papierkügelchen durch ein Blasrohr beschießt, zielgenau, wie ein Scharfschütze. Er stellt gegenüber dem Lehrer und den Schülern eine arrogante, blanke Aggressivität zur Schau. Am Ende der Stunde bedroht er Mykola: “Du bist ein Fremdling hier, verschwinde!”
Als nächstes taucht eine herablassende russische Fernsehreporterin auf, die dem liebenswerten alternativen Lebensstil der Hippies mit unverhohlener Verachtung begegnet. Anschließend brettert ein Lastwagen mit russischen Soldaten rücksichtslos über die mit einem wackeligen Drahtzaun versperrte russisch-ukrainische Grenze.
In diesem Film sind also die Russen die Invasoren und die Ukrainer die Verteidiger, während in den russischen Propagandafilmen “Opolchenochka” (2019) und “Solntsepyok” (2021), die ebenfalls in der Ostukraine spielen (siehe den ersten Teil dieses Beitrags), genau das gegenteilige Bild gezeichnet wird.
Die groben, ungeschlachten Kerle, die sich als Separatisten tarnen, fallen über das süße Pärchen her, zünden das Hobbithäuschen an, verprügeln den Mann, vergewaltigen (was nur angedeutet, nicht vollständig gezeigt wird) seine Frau und töten sie, als sie einen der weißen Steine ergreift und auf ihre Peiniger wirft. Mykola muß seine Frau eigenhändig begraben.
Der traumatisierte Hippie mit dem Jesus-Look wird durch den Schock von seinem Pazifismus geheilt. Er kennt nur mehr einen Gedanken: “Wir müssen sie aus unseren Land verjagen.” Seine Haare und sein Bart werden kürzer. Er stählt seinen Körper. Er lernt, in Rekordzeit seine Waffe auseinanderzunehmen und wieder zusammenzubauen. Seine mathematischen Kenntnisse helfen ihm bei der Berechnung von Entfernungen. Er wird nun zum “weißen Raben”, der seine unschuldigen Federn opfert, um die Welt zu retten (“weißer Rabe” bezeichnet im Russischen auch einen ungewöhnlichen, seltenen Charakter).
Mykola stellt sich nun in den Dienst der ukrainischen Armee und unterwirft sich einer harten Militärausbildung à la “Full Metal Jacket”. Anders als im Film von Stanley Kubrick wird diese jedoch ohne einen kritischen Unterton dargestellt, sondern als packende, vorbildliche Ertüchtigung, der sich Mykola und seine Kameraden mit besessener Inbrunst hingeben.
Der Rest des Films zeigt ihn beim Einsatz in eher lose aneinandergereihten Episoden. Eines Tages bekommt er auch seinen ehemaligen Schüler Ivan, der zum Soldaten geworden ist, vor die Flinte und drückt ab. Auch die Peiniger seiner Frau ernten, was sie gesät haben.
Gegen Ende des Films taucht auch ein Gegenspieler auf russischer Seite auf, den Mykola in einem waghalsigen Einsatz unschädlich macht. Allerdings nicht mit der Schußwaffe, sondern eigenhändig mit einem Messer, das er ihm in den Hals rammt. Das Blut des Russen bespritzt eine Engelsfigur aus Holz, die Mykolas Frau geschnitzt hat und die dieser stets bei sich trägt, ein Symbol für das Schöne, Wahre, Gute, Heilige, das es mit Waffengewalt zu verteidigen gilt.
“White Raven” endet mit einer melancholischen Note: Mykola besucht das Grab seiner Frau, das mit einem schlichten Kreuz aus Holzzweigen gekennzeichnet ist, nahe der Ruinen seines Erdhäuschens. Der Himmel ist grau und finster.
Die letzte Szene zeigt ihn in Wintertarnbekleidung in Schützenposition in einer schneebedeckten Landschaft beim Laden seines Gewehres. Er flüstert ein Gebet:
Führe meine Hand, Herr, auf daß sie alle Feinde in diesem Land vernichte.
Dann feuert er einen Schuß ab. Schnitt: Der hölzerne Engel seiner Frau, den er immer noch bei sich trägt. Die düstere, schicksalsschwere Szenerie suggeriert, daß der Kampf noch auf unbestimmte Zeit weitergehen und sehr hart werden wird. Wohlgemerkt, noch befinden wir uns im Krieg in der Ostukraine vor der russischen Invasion im Jahr 2022. (Der Darsteller Mykolas, Aldoshyn Pavlo, ist übrigens inzwischen tatsächlich Soldat geworden.)
Handwerklich und optisch ist “White Raven” ein professionell gemachter Film, “stylish” und dennoch detailiert realistisch. Über weite Strecken wirkt er wie ein “Rekrutierungsfilm”, was allerdings nicht ganz zu seinem betont “künstlerischen” Lack paßt.
Ein russischer Bekannter, der in Rostow lebt, schrieb mir, daß der Film vermutlich eher als Exportartikel für den Westen als für das heimische ukrainische Publikum gedacht sei. Dazu passe, daß der Held und seine Frau Umweltschützer seien, was im Westen besonders gut ankäme.
Ob das zutrifft, kann ich nicht beurteilen. Auffällig ist jedenfalls, wie unverhohlen das Töten des Feindes in diesem Film glorifziert und als gute, gerechtfertigte, notwendige Tat dargestellt wird. Darüberhinaus ist der Krieg ein Actionabenteuer vor tragischem Hintergrund, in dem sich Männer behaupten müssen und zu ihrer Bestimmung finden. Solche Töne wagen westliche Filme schon lange nicht mehr anzuschlagen.
Was nun die “wahren Begebenheiten” angeht, auf denen “White Raven” angeblich beruht, so wurde offenbar eine Menge dazuerfunden, auch wenn der “echte” Mykola Voronin als Co-Drehbuchautor firmiert, um “Authentizität” zu signalisieren.
In diesem Bericht über ihn vom 11. November 2014 (BBC Ukraine, Original hier) ist weder von einer ermordeten und vergewaltigten schwangeren Ehefrau die Rede, noch wird der Spitzname “Weißer Rabe” erwähnt. Beides ist offenbar frei erfunden (Rabe heißt auf ukrainisch Ворон, “voron”). Voronin wird auch nicht als Profi-Scharfschütze vorgestellt, sondern als Fallschirmjäger der Freiwilligentruppe “Cyborgs”, die 2014–15 den Flughafen von Donetsk verteidigte, worüber 2017 ein eigener heroischer Film gedreht wurde.
Demnach hatte Voronin, der aus dem südukrainischen Cherson stammt, 2004 den Krebs überstanden und schloß sich der “orangenen Revolution” an, einem Vorläufer das Euromaidan. Danach widmete er sich der konsequenten Ausgestaltung seines “alternativen” Lebensstils. Zu diesem Zeitpunkt war er Anhänger der Idee einer Vereinigung von Rußland und der Ukraine. Als der Euromaidan 2013 begann, war er zunächst nach eigener Auskunft “drei Tage lang Separatist”, ehe er vom pro-russischen ins pro-ukrainische Lager wechselte.
Die Bekehrung erfolgte während eines pro-ukrainischen Treffens in Donetsk:
“Dort beteten die Menschen, alle religiösen Konfessionen standen beisammen, es gab Menschen mit Kindern, Mütter. Für mich war klar, für wen ich weiterhin eintreten muss.”
“Wenn ihr nach Rußland wollt – nehmt eure Sachen und fahrt nach Rußland. Rußland ist groß, es gibt viel Land. Ich selbst wollte einmal in Rußland leben. Ich habe mit meiner Frau acht wunderbare Monate im Altai-Gebirge gelebt.”
Ein gewaltsames Ereignis wird erwähnt: Separatisten entführten und mißhandelten einen 17jährigen Freund aus Horlivka (in einer späteren Version der Geschichte wurde dieser sogar getötet). Voronin gab seinen Pazifismus auf und schloß sich dem “Donbas Bataillon” an. Der Artikel zitiert ihn so:
“Ich habe nie Freude am Töten gehabt. Der Krieg stinkt. Vom Krieg wird dir schlecht, jedes Mal. Aber ich sehe keine andere Möglichkeit, diesen Dreck zu stoppen, der von Rußland aus auf die Ukraine zusteuert.”
Der Krieg habe ihn gelehrt, was Patriotismus bedeutet:
“Der Krieg hat mich die Einheit mit meinem Land gelehrt, und vor allem, was das Wort ‘mein Land’ bedeutet. Ich begann zu spüren, daß ich ein ukrainisches Heimatland habe. Das ist eine der wertvollsten Lektionen meines Lebens.”
2018 tourte er offenbar durch Kanada, um Werbung für die ukrainische Sache zu machen. Im Zuge dieser Tour entstand dieses Interview für das exilukrainische Medium “Stephan Bandera Forum TV”, in dem er fließend ein passables Englisch spricht und als “Ukrainian Army Sniper” vorgestellt wird.
Er erzählt darin, daß ihn Gräueltaten der Russen in der Ukraine zum Kriegertum bekehrt hätten, spricht aber mit keinem Wort davon, daß seine eigene Frau deren Opfer geworden sei. Getarnt als Separatist habe er zunächst als Spion für den SBU (Inlandsgeheimdienst der Ukraine) und den Rechten Sektor gearbeitet.
Er leugnet, daß es eine erzwungene sprachliche “Ukrainisierung” der Russen gegeben habe, bedauert aber im selben Atemzug, daß eine solche nach der Staatsgründung 1991 nicht konsequent landesweit durchgeführt wurde. Des weiteren beklagt er, daß es auf der Krim und in der Oblast Donetsk mehr russische als ukrainische Schulen gegeben habe. Der Grund sei der Irrglaube gewesen, daß Rußland “ein guter Freund” sei.
Er bestreitet vehement, daß Amerika oder “Juden mit Geld” den Krieg entfacht hätten und schiebt Rußland die alleinige Schuld zu. In der Ostukraine habe er weder Amerikaner noch Juden gesehen, aber zuhauf russische Soldaten, die gefoltert, gemordet und vergewaltigt hätten. Er äußert außerdem die Ansicht, daß der Krieg für die Ukraine bereits gewonnen sei, da die ukrainische Armee besser ausgerüstet und organisiert sei als die russische.
Offenbar hat er zu dieser Zeit auch einen Gedichtband veröffentlicht.
Im April 2019 begegnet er uns erneut, auf eher unerwartete Weise. Voronin trat in den Hungerstreik, um eine öffentliche Entschuldigung des damaligen Präsidentschaftskandidaten Selenskji für despektierliche Äußerungen zu erzwingen:
Voronin ist der Mann, der verlangt, daß sich der ukrainische Präsidentschaftskandidat Wolodymyr Selenskij für seine Beleidigungen der Helden des Euromaidan, der Himmlischen Hundertschaft [getötet von Snipern! ML], der Gläubigen der orthodoxen Kirche der Ukraine und für Witze über das Tomos [Dokument zur Anerkennung der Orthodoxen Kirche der Ukraine], entschuldigt.
Voronin äußerte damals:
Es macht mir Sorgen, daß Wolodymyr Selenskyj unser Präsident werden könnte. Ich sehe eine gravierende Gefährdung der Stabilität unseres Staates auf uns zukommen. Ernste, komplexe Transformationen, derer wir bedürfen, werden nicht gelingen. Es werden sehr schlechte Zeiten auf unser Land zukommen. Deshalb habe ich darüber nachgedacht, was ich dagegen tun könnte. Ich beschloß, daß ich der Ukraine zuliebe in den Hungerstreik treten könnte.
Die Fernsehserie, in der Selenskyj in der Rolle des Präsidenten der Ukraine aufgetreten ist, wurde in seinen Augen “ganz offensichtlich” gedreht, um “das Volk zu gehirnwaschen” und zur Wahl des Schauspielers zu manipulieren. Er bekräftigt erneut seine Hingabe an die ukrainische Nation:
Ich hoffe, daß wir gewinnen werden. Wir brauchen einen Sieg. Einen ukrainischen Sieg. Die ukrainische Sprache. Die ukrainische Kultur. Nicht die “russische Welt”.
Auch in diesem Artikel wird nicht erwähnt, daß er ein Sniper ist: Nach eigener Auskunft diente er als Fallschirmjäger und anschließend im 73. Naval Center of Special Operations, also offenbar in einer Marine-Einheit (dort könnte er freilich als Scharfschütze tätig gewesen sein).
Was weiterhin geschah, was Voronin inzwischen tut (oder ob er überhaupt noch lebt), und wie er heute über Selenskij denkt, konnte ich nicht herausfinden. Sowohl seine Instagram- als auch seine Twitter-Seite geben keinerlei persönliche Informationen preis. Ebensowenig sein Youtube-Kanal, auf dem seit März 2020 nichts mehr veröffentlicht wurde. In diesem Video demonstriert er, wie man sich vor Viren schützt, in diesem und einigen anderen sieht man ihn mit einem Scharfschützengewehr posieren.
Das wären also die Fakten und der Film über Mykola Voronin. Wie zu erwarten, gibt es etliche Diskrepanzen zwischen dem realen Menschen und der zu Propagandazwecken geglätteten Filmfigur, auch wenn zumindest eine starke “innere”, psychologische Übereinstimmung zu erkennen ist. Auffällig ist, daß der reale Mykola sich wesentlich nationalistischer gebährdet als sein Filmpedant.
Im nächsten Teil werde ich zum Vergleich den pro-russischen serbischen Scharfschützen Dejan Berić und seine Darstellung in dem Dokumentarfilm “A Sniper’s War” (2018) untersuchen.
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Niekisch
"Von keinem von ihnen ist überliefert, daß er Gewissensbisse gehabt hätte."
Alleine schon aus diesem Grunde sollte für diese Leute keine Energie verschwendet werden. Welcher Mensch kann überhaupt einem anderen Menschen zwischen die Augen schießen?