Eine englisch untertitelte Fassung kann man gratis hier sehen, eine weitere, die den Anspruch hat, eine präzisere Übersetzung zu liefern, gegen Bezahlung auf der Substack-Seite von Masaki Jinzaburo, auf der sich auch etliche rare Essays von Mishima auf Englisch finden.
Diese beiden Untertitel-Fassungen weichen teilweise stark voneinander ab. Da mein Japanisch ein bißchen eingerostet ist, und ich Jared Taylor nicht behelligen will, kann ich nicht beurteilen, welche besser ist. Masakis Version ist detailierter, aber zuweilen auch schlicht unverständlich. Die folgenden Zitate aus der Diskussion habe ich mir aus beiden Fassungen zusammengebastelt, mit dem Augenmerk auf größtmögliche Verständlichkeit.
Wir waren stehengeblieben, als Mishima vor den “Zenkyoto” bekräftigte, daß er illegale Gewaltanwendung befürworte.
Bereits im Vorjahr hatte er im Zuge einer anderen Universitäts-Debatte für Kontroversen gesorgt, als er äußerte, daß er kein Problem damit hätte, einen politischen Opponenten im Rahmen eines Duells Mann gegen Mann zu töten.
Mishima fuhr fort, daß er eben dies mit den Studenten gemein habe: die Befürwortung von Gewalt, um politische Ziele zu erreichen. Hatten sie aber auch gemeinsame Interessen? Zumindest ansatzweise schien dies der Fall zu sein: So waren auch die (insgesamt freilich recht heterogenen) Zenkyoto antiamerikanisch-antikapitalistisch ausgerichtet und hatten linksnationale Tendenzen. Mehr noch als vom Marxismus waren sie vom Existenzialismus beeinflußt.
Mishima betonte seine anti-intellektualistische Haltung, seine Verachtung für diejenigen, die bloß gelehrt und sonst nichts seien:
Ihr und ich, wir sind auf diametralen Enden des politischen Denkens gelandet. Nun verhält es sich so, daß die Tatsache, daß die Stärken der japanischen Intellektuellen bislang in ihrem Wissen und ihren Ideen lagen, und sie allein aus diesem Grund Macht ausgeübt haben, in mir einen unbändigen Haß ausgelöst hat. Um ein konkretes Beispiel zu geben: Es gibt viele wunderbare Professoren, aber ich fand den Anblick der Gesichter dieser Professoren unerträglich. Vielleicht, weil ich selbst kein Wissen und keine Ideen habe, aber dies war jedenfalls der Geruch, der an der gesamten Universität Tokyo vorherrschte.
Ich bin nicht mit allem einverstanden, was die Zenkyoto getan haben, aber ich muß die Leistung anerkennen, daß ihr einer bestimmten Art der intellektuellen Eitelkeit die Nase gebrochen habt. [Gelächter, Klatschen] Ist nun dieser Anti-Intellektualismus etwas, das von den Gipfeln oder den Niederungen des Intellekts kommt? [Gelächter] Ich weiß es immer noch nicht. [Gelächter]
Nach dieser Eröffnungsrede ergriffen die Zenkyoto das Wort. Der erste Redner addressierte den Geladenen versehentlich als “Mishima-sensei” (statt “Mishima-san”, “Meister Mishima”, statt nur “Herr Mishima”), was die Studenten wie auch ihn selbst laut auflachen ließ. Der Student beteuerte, daß Mishima angesichts mancher Professoren, die an der Uni herumliefen, diese ehrenvolle Anrede durchaus verdient hätte.
Eben dieser Student taucht nun im Film als 72jähriger Interviewpartner auf:
Ich hatte unachtsamerweise das Wort “sensei” benutzt. Sehen Sie, er hatte auf außerordentlich höfliche Weise gesprochen. Er bediente sich keiner groben Ausdrucksweise. Und das hatte mich überrascht.
Mishima hatte also auf Anhieb geschafft, sich Respekt zu verschaffen. Sein Charme, seine Eloquenz, sein Humor und seine Höflichkeit hatten eine nicht unerhebliche Wirkung entfaltet.
Die folgende Diskussion bewegte sich nun auf einem außerordentlich hohen theoretischen und abstrakt-philosophischen Niveau. Die erste Frage, ob die Existenz anderer Menschen in seinem gewaltbefürwortenden Weltbild überhaupt eine Rolle spiele, beantwortete Mishima unter Berufung auf Sartre (“den ich verabscheue”) mit einer ausführlichen Darlegung der Zusammenhänge zwischen Erotik und Gewalt, wie er sie sehe.
Ich muß an dieser Stelle abkürzen und zu dem meiner Ansicht interessantesten Schlagabtausch der Debatte springen. Ein junger Schauspieler und Avantgarde-Theaterregisseur namens Masahiko Akuta, der als gefürchtetster Diskutant der Zenkyoto galt, nahm den Fehdehandschuh auf. Auch er ist noch am Leben und wurde für den Film interviewt.
Mit seiner kleinen Tochter auf den Schultern, seinem löchrigen, groben Wollpullover, seiner karierten roten Hose und seinem kinnlangen, wuchernden Haarschopf bildete er habituell und optisch einen scharfen Kontrast zu seinem Opponenten. Sein Auftreten signalisierte ein Ausscheren aus dem traditionellen Männerbild, das Mishima so stark betonte.
An Schlagfertigkeit und Selbstbewußtsein war er Mishima ebenbürtig, und er hatte mit ihm gemeinsam, daß er sich vorrangig als Künstler verstand. Ähnlich wie Mishima strahlt er eine geradezu militante Egozentrik aus.
Was nun passierte, wirkt beinahe surreal. So reden also ein linksextremer und rechtsextremer Künstler im Japan des Jahres 1969 miteinander:
Mishima: Dieser Tisch zum Beispiel ist ein langweiliger, schmutziger, alter Schreibtisch. Er wurde an der Universität Tokyo von einem bestimmten Professor zu einem bestimmten Zweck aufgestellt. Ihr alle seid imstande, seine Funktion zu verändern. Ihr könnt eine Barrikade daraus machen. Das hätte sich der Tisch niemals träumen lassen, aber plötzlich ist er eine Barrikade. Damit wird die Funktion des Tisches verändert, aber sie hat keinerlei Beziehung zu der ursprünglich in der Produktion des Tisches beabsichtigten Funktion. Er wird nun zum Kampf benutzt. Das Objekt wird von seinen Produktionsverhältnissen losgelöst, und ihr lebt nun alle in einer Ära, in der ihr euch der Objekte zuerst durch solche Objekte bewußt werdet. Warum ist das so? Ist nicht auch eure eigene Existenz losgelöst von den Produktionsverhältnissen? Und versucht ihr nicht alle, zur Natur als Arbeitsgegenstand an der Basis der Produktionsverhältnisse zu gelangen? Ist diese Bewegung nicht der kausale Impetus eurer Gewalt? (…)
Akuta: In der singulären Lebensform namens Universität ist ein Tisch ein Tisch. Aber wenn die Universität zerfällt, ist er kein Tisch mehr oder sonstwas anderes. (…) Die Revolution besteht wahrscheinlich in der Umkehr von Beziehungen. Das bedeutet, daß auf diese Weise zum ersten Mal ein Raum entstehen kann. Im Falle eines Schriftstellers müssen seine Wörter und der Tisch dasselbe Gewicht haben, ansonsten sind sie bloß eine Erzählung oder ein Roman.
Mishima: Exakt, exakt.
Akuta: Was bedeuten würde, daß Sie verloren haben.
Mishima: Aber ich habe noch nicht verloren!
Akuta: Mir erscheint es so.
Das war eine zielgenaue Provokation Masahikos: Er nahm Mishimas wundesten Punkt ins Visier und teilte ihm mit, daß seine Worte nur Worte seien und keine Auswirkung auf die Realität haben würden.
Akuta: Als ich sagte, Sie hätten verloren, meinte ich, daß wir die Form, die Sie gewählt haben, nicht als gewaltsamen Druck erleben. Wir betrachten die Form unserer Aktionen als Inhalt und ihren Inhalt als Form. Das ist zwar keine Revolution, aber es ist eine Expression. Der Raum selbst, der Raum, der das Potential der Geschichte selbst ist, kann möglicherweise dort erscheinen. Darum scheint es mir für einen Schriftsteller etwas peinlich zu sein, an einen Ort wie diesen zu kommen und so zu reden. Sie wollen ein Spiel in Demagogie verwandeln. Aber ein Mensch, der nicht existieren würde, wenn es Japan nicht gäbe…
Mishima: Das bin ich! [Gelächter]
Akuta: In der Tat. Aber meine Vorfahren finden sich keinesfalls in Japan. Sie finden sich auch nicht irgendwo anders.
Mishima: Aha, soso.
Akuta: Nicht weil ich zufällig ein Fremder geworden wäre, aber weil meine Umgebung ein fremdes Land war. Was bedeutet, daß wir reibungslos in das 21. Jahrhundert fortschreiten werden.
An dieser Stelle läßt der Film den heutigen, greisen Akuta zu Wort kommen, der immer noch eine neurotische, nervöse Intensität ausstrahlt:
Warum soll man töten, um die Kultur zu verteidigen? Inwiefern symbolisiert der Kaiser die Kultur? Wenn man diese beiden Fragen nicht beantworten kann, bleibt man ein Demagoge. (…)
Gedanken sind eine befreite Zone. Intellektuelle kultivieren schöne befreite Zonen. Und darum fühlten wir die Verantwortung, eine solche zu kultivieren, und darum luden wir Mishima ein. Um eine befreite Zone zu schaffen, braucht man sowohl alte als auch neue Ideen.
Unter “befreiten Zonen” wurden damals Zonen verstanden, in denen die “revolutionären Kräfte die Kontrolle der Staatsgewalt aufgehoben haben und selbst herrschen” (Kommentartext), wie etwa der besetzte Yasuda-Hörsaal an der Universität Tokyo.
Mishima bohrte nun nach: Was bleibt von diesen “Räumen”, diesen “befreiten Zonen” in der Zeit übrig? Oder spiele diese keine Rolle, auch nicht in dem Sinne, daß eine befreite Zone der Taktik der Revolution umso besser dient, je länger sie andauert? Akuta ließ sich auf nichts Konkretes festnageln, und ging zur Sophisterei über:
Mishima: Wollen Sie sagen, daß es nicht so wichtig sei, ob der Raum dauerhaft ist oder nicht?
Akuta: Es gibt keine Zeit, ist deshalb nicht schon das Konzept der Dauer absurd?
Mishima: Es macht also keinen essentiellen, dimensionalen Unterschied, ob der Raum drei Minuten oder eine Woche oder zehn Tage Bestand hat?
Akuta: Der Vergleich an sich ist absurd. Wenn Sie mich auffordern würden, ihre Werke mit zehntausend Jahren Zeit zu vergleichen, wäre das nicht Unfug?
Mishima: Aber meine Werke sind ein Abschnitt innerhalb einer Zeitspanne von zehntausend Jahren. Ich ziele nicht auf den Raum, sondern auf die Zeit.
Das erinnert an einen Spruch d’Annunzios, eines Autors, den Mishima sehr schätzte und als Vorbild betrachtete: ” E che m’importa d’essere vinto nello spazio se sono destinato a vincere nel tempo?”, “Was macht es schon aus, wenn ich im Raum besiegt wurde, da ich doch dazu bestimmt bin, in der Zeit zu siegen?”
D’Annunzio äußerte dies nach dem Scheitern seiner Besetzung von Fiume, wo er eine “befreite Zone” nach seinen eigenen politischen und ästhetischen Vorstellungen erschaffen hatte. Die italienische Marine bereitete dem Abenteuer, das immerhin fünfzehn Monate lang angedauert hatte, ein Ende – nicht anders als später die japanische Polizei der “befreiten Zone” der Zenkyoto im Yasuda-Hörsaal. D’Annunzio meinte, daß die “Legende”, der “Mythos” seines Freistaates in der Zeit fortleben werde, lange, nachdem dieser selbst aus dem Raum der Adriaküste verschwunden sei.
Am 25. November 1970 sollte Mishima im Büro des Generals Mashita eine temporäre “befreite Zone” erschaffen, die ihm als Bühne für ein Happening oder eine Performance diente, die ihn “unsterblich” machen sollte. Der Raum des Büros wurde gewaltsam okkupiert und einige seiner Gegenstände zweckentfremdet: Tische, Stühle und eine Topfpalme wurden benutzt, um die Türen zu blockieren.
Um elf Uhr betraten Mishima und vier seiner Schildwächter das Büro Mashitas; um 12:23 bestätigten Polizeiärzte seinen Tod durch Harakiri und Enthauptung. Seine “befreite Zone” hatte nicht einmal eineinhalb Stunden angedauert, aber lange genug, um ihren von Mishima vorgesehenen historischen Sinn zu erfüllen.
All dies steckt schon in diesem scheinbar rein theoretischen Wortwechsel mit Masahiko Akuta drinnen. Mishima, der das Theater liebte und erhebliche professionelle Erfahrung damit hatte, begriff das Konzept der “befreiten Zone” und des verfremdeten Raumes, in dem sich eine ungeahnte “Freiheit” offenbaren kann, sehr gut. Aber im Gegensatz zu dem Avantgarde-Schauspieler Akuta, der bei vagen und absichtlich ungreifbaren Beschwörungen von “Freiheit” und “Potenzial” blieb, hatte er eine sehr klare Vorstellung davon, wozu er seine Freiheit, das Objekt seines Körpers und den besetzten Raum in der Ichigaya-Kaserne verwenden wollte.
Das läßt seine bohrenden Fragen an Akuta in einem anderen Licht erscheinen: Es handelte sich nicht um ein bloß sportliches intellektuelles Gefecht, sondern man kann vermuten, daß es Mishima darin wirklich “um etwas ging”, daß er in der Konfrontation ernsthaft etwas in Erfahrung bringen wollte, das auch ihn im Innersten beschäftigte.
Ich bin erst bei Minute 52 eines doppelt so langen Films angelangt, und muß nun abkürzen. Darum sei noch ein Wortwechsel zwischen Akuta und Mishima zitiert, der sich um die Frage nach der nationalen, wir würden sagen: “ethnokulturellen” Identität dreht.
Diese sah Mishima für Japan im wesentlichen im Kaiser ( Tennō) symbolisiert, weniger im Menschen Hirohito, der damals aktuell diesen Titel trug, als in der transzendentalen Idee selbst, die er seit Beginn der sechziger Jahre zunehmend als absoluten Maßstab und kritisches Werkzeug benutzte, um die Realität des seiner Ansicht nach materialistisch degenerierten Nachkriegs-Japans zu sezieren.
Angesprochen auf den Kaiser, verblüffte er die Studenten mit einer unerwarteten Antwort (Zeitstempel im Film 1:10:28):
Ich sage das in vollem Ernst: Wenn die Männer der Vereinten Campus-Komitees des gemeinsamem Kampfes dieses eine Wort “Kaiser” gesagt hätten, als sie sich im Yasuda-Hörsaal verschanzten, hätte ich mich ihnen freudig angeschlossen.
Hierauf brach schallendes Gelächter aus.
Damit standen das Wort Tennō und seine Bedeutung (oder genauer gesagt seine Bedeutungsaura) im Raum, und die Diskutanten mußten sich mit ihm auseinandersetzen, egal, wie sie nun zu dieser Provokation standen. Mishimas Botschaft an die Studenten war, daß sie alles Recht hätten, die derzeitige japanische Gesellschaft zu kritisieren – es müsse allerdings im Namen des Kaisers geschehen.
Mishima fuhr fort:
Ich mache keine Scherze. Ich habe das immer schon gesagt: Die Prinzipien der kaiserlichen Souveränität und der direkten Demokratie sind praktisch identisch. Es handelt sich gewiß um ziemlich vage politische Konzepte, aber es gibt eine Sache, die sie miteinander gemein haben. Ich werde euch sagen, was das ist: Der Traum, daß sich der Wille des Volkes direkt mit dem Willen des Staates verbindet, ohne Vermittlung durch eine zwischen ihnen stehende Machtstruktur. Und weil dieser Traum niemals Realität wurde, sind alle Staatsstreiche vor dem Krieg gescheitert.
Der im Film zu Wort kommende Soziologe Eiji Oguma ist der Ansicht, daß das einsetzende Gelächter nicht nur Hohn, sondern auch Verblüffung und Irritation ausdrückte:
Die Studenten konnten darüber nur lachen. Warum? Ich glaube, sie waren überrascht, daß es nicht wirklich ärgerlich war, und sie waren froh, daß die Spannung einen Moment lang nachließ und sie etwas zu lachen hatten. Es kam so unvermutet, daß sie nicht wußten, wie sie darauf reagieren sollten.
Akuta hatte bereits signalisiert, daß er sich innerlich von Japan gelöst habe: “Meine Vorfahren finden sich keinesfalls in Japan.” Er sah nationale Herkunft, Geschichte und Tradition als Beschränkungen, die es zu überwinden galt, um das eigene Selbst zur Entfaltung zu bringen. Mishima hingegen sah darin den Rahmen, in dem er sein Schicksal vollenden wollte.
Als nun die Frage nach dem Kaiser aufgeworfen wurde, reagierte Akuta gereizt und übergriffig. Mishimas Reaktion ist bemerkenswert:
Mishima: Wenn ich vom “menschlichen” Kaiser spreche, meine ich den Kaiser als Regenten, den Kaiser als eine Form der Macht.
Akuta: Ok, ok, aber worauf wollen Sie hinaus?
Mishima: Ich möchte die alte Idee wiederbelebt sehen, daß der Kaiser ein “lebendiger Gott” ist.
Akuta: Und weil Sie in dieser Idee Schönheit erblicken, wollen Sie sich mit ihr vereinigen?
Mishima: Ja, ja.
Akuta: Das ist doch nur eine Art Onanismus, mit dem Bild und mit sich selber. Das bedeutet, daß Sie unfähig sind, auf Objekte zu reagieren.
Mishima: Nein, aber wissen Sie, die japanische Kultur…
Akuta: Habe ich nicht recht? Heißt das nicht, daß Sie am Ende unfähig sein werden, über die Beschränkungen des Japanischseins hinauszugehen?
Mishima: Klar. Aber das muß ich ja gar nicht. Ich bin Japaner, ich bin als Japaner geboren, ich werde als Japaner sterben, und damit habe ich habe kein Problem. Ich persönlich habe nicht den Wunsch, diesen Beschränkungen zu entkommen. Darum mag ich aus Ihrer Perspektive bemitleidenswert erscheinen.
Akuta: In der Tat!
Mishima: Jedoch, insofern ich Japaner bin…
Zwischenruf: Das ist eine Fantasie!
Mishima: … verspüre ich keinerlei Bedürfnis, irgendetwas anderes als ein Japaner zu sein.
Akuta: Japan, hm… wo existieren denn Japaner als Dinge?
Mishima: Gehen Sie doch mal ins Ausland, und prüfen Sie, ob Sie sich wirklich nicht als Japaner fühlen, wenn Sie Englisch sprechen und die Sprache mehr oder weniger gut beherrschen lernen. Und wenn Sie dann eine Straße entlanggehen und ihr Spiegelbild in einem Schaufenster sehen, und jemanden erblicken, der einen langen Oberkörper [implizit wohl: kurze Beine] und einen nicht allzu hohen Nasenkamm hat, dann werden Sie sich fragen: “Da läuft ein Japaner herum. Wer ist das?” Na, verdammt nochmal Sie selber natürlich. Egal, was Sie denken, genau das werden Sie im Ausland erleben.
Akuta: Das ist unmöglich, es sei denn, man ist ein Ding und kein Mensch.
Mishima: Und wie sieht es aus mit der Flucht vor der Nationalität?
Akuta: Keine Flucht, es gibt gar keine Nationalität.
Mishima: Sie haben also keine Nationalität. Das ist in Ordnung. Ich respektiere Sie als freien Menschen. Aber ich habe nun mal eine Nationalität und ich bin Japaner. Ich glaube, daß das mein Schicksal ist.
Akuta: Das heißt, Sie kapitulieren vor etwas, das eine Art Relation ist.
Mishima: Ja, ja, ja.
Akuta: Folgerichtig kapitulieren Sie vor der Geschichte?
Mishima: Kapitulieren… ich möchte vor der Geschichte kapitulieren!
Akuta: Vielmehr vor der Tatsache, daß Sie existieren!
Mishima: Das macht mir Freude! [Gelächter]
Schon damals, im Japan des Jahres 1969, der Gegensatz-“Klassiker”: Für den Linken ist Nationalität ein “Konstrukt”, von dem er sich zu emanzipieren trachtet, für den Rechten ist es der schicksalshaft gegebene Rahmen seiner Selbstverwirklichung (ein abgedroschenes Wort, das aber hier ganz gut paßt.)
Im Rückblick auf die Debatte äußert der 73jährige Akuta, sein und Mishimas Feind sei das “zweideutige und obszöne” Japan gewesen. Meine beiden Untertitelvarianten sagen: “the ambiguous and obscene Japan” bzw. “the indefinite obscene Japan”. Wie könnte man das übersetzen? Ein bourgeoises Wischi-Waschi-Japan, ohne klare ideologische Zielsetzung oder Identität, pervertiert und vulgär? Ich bin mir nicht sicher, wie es gemeint ist.
Akuta fährt fort:
Mishima sympathisierte mit unseren Idealen, auch wenn wir Differenzen hatten. Gegenseitige Gesten des Respekts sind auch eine Art von Gespräch. Wenn man jemanden wirklich verachtet, kann man mit ihm kein Gespräch führen. Ich denke, das war damals das Ende des Zeitalters, in dem Worte eine Macht hatten als Mittler zwischen den Menschen.
Als der Interviewer anmerkt, daß die Studentenbewegung gemeinhin als gescheitert betrachtet werde, antwortet Akuta:
Wen kümmert das, wie ihr das in eurem Land seht? Das ist nicht in meinem Land passiert. Ich bin der lebende Beweis. Ich existiere in meinem Land. Ich existiere nicht in eurem Land. Ich bin hier, ich atme. Ich bin es, der spricht. Ich ahme niemanden nach. Sehen Sie?
Ich muß hier einen Schlußstrich machen, obwohl ich nicht einmal ein Drittel des Reichtums dieses Films ausgeschöpft habe, der um Nüchternheit und Objektivität bemüht ist, und alle Beteiligten mit gleichem Respekt behandelt.
Die spezifische Debatte zwischen Links und Rechts, die sein Gegenstand ist, war trotz der aufgeheizten Stimmung im Land aus verschiedenen Gründen möglich: weil Mishima und die Zenkyoto zumindest ein Mindestmaß an Überschneidungen hatten, weil sie von beiden Seiten in ehrlicher Absicht geführt wurde, und nicht mit dem Ziel, den anderen zur Sau machen oder der Lächerlichkeit preiszugeben, und nicht zuletzt, weil Mishima eben Mishima war.
Im ersten Teil des Beitrags schrieb ich:
Die Gründung der Tatenokai kostete ihn [Mishima] keinen Verlagsvertrag, keinen Reputationsverlust und er wurde auch nicht von irgendeinem “Verfassungsschutz” “beobachtet”.
Nicht nur das: Er hatte in der Debatte mit den linksextremen Studenten, die ganz Japan in Aufruhr und Bürgerkriegsstimmung versetzten, ohne mit der Wimper zu zucken bekannt, daß er politische Gewalt für legitim hält und daß er auch gerne einmal im Duell einen Menschen töten würde.
Auch das tat seinem Ruf und seinem literarischen Erfolg keinen Abbruch. Er konnte weiterhin ohne Probleme mit seiner rechtsradikalen Privattruppe auf den Anlagen der Jieitai paramilitärische Übungen durchführen. Eineinhalb Jahre nach der Uni-Debattte spazierte er mit einem scharfgeschliffenen antiken Samuraischwert und einem Tantō-Dolch unkontrolliert in das Hauptquartier des japanischen Verteidigungsministeriums, nahm einen General als Geisel, rief zu einem Militärputsch auf und richtete anschließend ein Blutbad an, wobei das Blut hauptsächlich sein eigenes war.
Auch wenn gerade eben der zehnte Todestag von Dominique Venner war, sollen diese Betrachtungen kein Aufruf zum Harakiri oder ähnlichem sein. Ich werde allerdings niemanden daran hindern, aus ihnen ein gewisses Bedauern herauszulesen, in was für vergleichsweise geistig faden und vor allem feigen Zeiten wir heute leben.
Volksdeutscher
"Der Traum, daß sich der Wille des Volkes direkt mit dem Willen des Staates verbindet, ohne Vermittlung durch eine zwischen ihnen stehende Machtstruktur."
Das ist auch mein Traum!