Mit Rechten reden: Mishima und wir (1)

Was soll das sein - ein Nischenthema? Ist es nicht oft so, daß wir über Bande subtiler aktuelle Lektionen erteilen können als schnurgerade?

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Die Lek­tü­re des Comics Der letz­te Samu­rai von Feder­i­co Goglio und Mas­si­mi­lia­no Lon­go hat in mir jeden­falls wie­der ein­mal ein mit­tel­schwe­res Mishi­ma-Fie­ber aus­ge­löst. Es befällt mich seit drei Jahr­zehn­ten in unre­gel­mä­ßi­gen Abstän­den, und jedes Mal ent­de­cke ich etwas Neues.

Mishi­ma war ein unge­heu­er kom­ple­xer Mensch und ein gro­ßer Künst­ler, mit dem man nie ganz fer­tig wird. (Hier ist mei­ne Bespre­chung des Comics, hier mein Mishi­ma-Por­trät zu sei­nem 50. Todestag).

Zwei exzel­len­te Bücher, die ich bis­lang nicht kann­te, kann ich emp­feh­len: Mishima’s Sword: Tra­vels in Search of a Samu­rai Legend, erschie­nen 2006, ist eine packen­de Spu­ren­su­che des bri­ti­schen Glo­be­trot­ters und Kampf­sport­en­thu­si­as­ten Chris­to­pher Ross, der lan­ge Zeit in Japan gelebt hat. Die Suche nach dem anti­ken Samu­rai­schwert, mit dem Mishi­ma von einem sei­ner “Schild­wäch­ter” ritu­ell ent­haup­tet wur­de, ist Auf­hän­ger einer anek­do­ten­ge­sät­tig­ten Rei­se durch die japa­ni­sche Kul­tur und Geschich­te, die ein erhel­len­des Licht auf das Werk und die fina­le Tat des Autors wirft.

Seit Publi­ka­ti­on die­ses Buches, das immer noch erhält­lich ist, scheint Ross von der Bild­flä­che ver­schwun­den zu sein. Es erschie­nen offen­bar kei­ne wei­te­ren Bücher, und sei­ne Home­page ist schon lan­ge nicht mehr exis­tent. Jeden­falls konn­te ich nicht her­aus­fin­den, was er heu­te treibt.

Das zwei­te Buch ist Mishi­ma, Aes­the­tic Ter­ro­rist: An Intellec­tu­al Por­trait von Andrew Ran­kin aus dem Jahr 2018. Ran­kin hat jahr­zehn­te­lang an einer Mishi­ma-Bio­gra­phie gear­bei­tet, den Plan schließ­lich ver­wor­fen und statt­des­sen die­se sehr dich­te Stu­die ver­faßt, die sich weni­ger mit dem äuße­ren Leben von Hirao­ka Kimi­t­a­ke als mit dem inne­ren Wer­den sei­nes Alter egos, des extre­mis­ti­schen Gesamt­kunst­wer­kes namens “Yukio Mishi­ma”, befaßt.

Ran­kin, der sämt­li­che Zita­te in sei­nem Buch selbst über­setzt hat, bekräf­tigt die her­aus­ra­gen­de Qua­li­tät von Mishi­mas lite­ra­ri­schem Werk. Er zitiert einen japa­ni­schen Pro­fes­sor für eng­li­sche Lite­ra­tur von der Uni­ver­si­tät Tokyo, Hisaa­ki Yama­nou­chi: “Mit sei­ner logi­schen Klar­heit und sei­nem rhe­to­ri­schen Reich­tum ist sein Pro­sa­stil bei wei­tem der her­aus­ra­gends­te der moder­nen japa­ni­schen Literatur.”

Wäh­rend der “Fall” Mishi­ma in der japa­ni­schen Öffent­lich­keit vie­le Jahr­zehn­te lang als eher pein­li­che Ange­le­gen­heit betrach­tet wur­de, erfreut sich der Schrift­stel­ler Mishi­ma einer unge­bro­che­nen Beliebt­heit. Ran­kin berich­tet, daß sich sogar sei­ne weni­ger bedeu­ten­den Roma­ne als “über­ra­schend lang­le­big” erwie­sen haben. Es ver­ge­he kein Monat, in dem nicht irgend­ein Stück von Mishi­ma in Japan auf­ge­führt wer­de. Sei­ne kul­tur­kri­ti­schen Schrif­ten lesen sich heu­te noch zün­den­der und viru­len­ter als vor fünf­zig Jah­ren. Im aka­de­mi­schen Bereich gäbe es gera­de­zu einen Boom an Stu­di­en über Mishima.

Mishi­ma ist in Japan also immer noch quick­le­ben­dig. In Deutsch­land ist sein Werk groß­teils nur mehr anti­qua­risch zu fin­den, und dies zum Teil zu gesal­ze­nen Prei­sen. Immer­hin erschien 2020 erst­ma­lig auf Deutsch sein sati­ri­scher Roman Leben zu ver­kau­fen, der in Japan als zehn­tei­li­ge Mini­se­rie ver­filmt und 2018 aus­ge­strahlt wur­de (hier bestellen).

Der ver­ant­wort­li­che Schwei­zer Kein & Aber-Ver­lag hat 2022/23 auch zwei älte­re Klas­si­ker von Mishi­ma in Neu­über­set­zun­gen her­aus­ge­bracht: Der gol­de­ne Pavil­lon (frü­her: Der Tem­pel­brand) und Bekennt­nis­se einer Mas­ke (frü­her: Geständ­nis einer Mas­ke). Im Juni die­ses Jah­res soll, eben­falls erst­ma­lig auf Deutsch, sein legen­dä­rer Schlüs­se­l­es­say Son­ne und Stahl im Mit­tel­deut­schen Ver­lag erscheinen.

Eben­falls rela­tiv jun­gen Datums ist auch der japa­ni­sche Doku­men­tar­film Mishi­ma: The Last Deba­te, der 2020 her­aus­kam (Ori­gi­nal­ti­tel: Mishi­ma Yukio gegen die ver­ei­nig­ten Komi­tees des gemein­sa­men Kamp­fes der Uni­ver­si­tät von Tokio: Die Wahr­heit des fünf­zigs­ten Jah­res). Um ihn zu fin­den, muß man ein biß­chen durchs Netz sur­fen, z.B. kann man ihn hier mit eng­li­schen Unter­ti­teln sehen (tut mir leid, ich ver­tre­te eher nicht die Frak­ti­on, die “die Leu­te abholt, wo sie sind”. Hier muß man sich “stre­cken”, statt bücken.) Eine Ver­si­on mit ver­bes­ser­ten Unter­ti­teln kann man gegen Bezah­lung hier einsehen.

Es han­delt sich um eines der fas­zi­nie­rends­ten Film­do­ku­men­te, die ich je gese­hen habe. Im Zen­trum steht lan­ge ver­schol­le­nes, erst unlängst wie­der­ent­deck­tes Film­ma­te­ri­al einer legen­dä­ren vier­stün­di­gen Debat­te, die Mishi­ma am 13. Mai 1969 am Koma­ba Cam­pus der Uni­ver­si­tät Tokyo mit Stu­den­ten der im Vor­jahr gegrün­de­ten links­ra­di­ka­len Grup­pie­rung “Zen­kyo­to”  (engl. “All-Cam­pus Joint Strugg­le Com­mit­tees”, etwa “Die Ver­ein­ten Cam­pus-Komi­tees des gemein­sa­mem Kamp­fes”) führ­te. Die­se spiel­te eine füh­ren­de Rol­le bei den Stu­den­ten­re­vol­ten, die zu die­sem Zeit­punkt auch Japan mit enor­mer Hef­tig­keit erschütterten.

Sie stand im Ruf, beson­ders gewalt­tä­tig zu sein. Am 18. Janu­ar kam es zu einem groß­an­ge­leg­ten Poli­zei­ein­satz mit 8500 Poli­zis­ten gegen die Zen­kyo­to, die ein Audi­to­ri­um der Uni­ver­si­tät seit Juli besetzt hat­ten. Dies eska­lier­te zu einer regel­rech­ten Schlacht, in der sich die Stu­den­ten mit Molo­tow-Cock­tails wehrten.

Die Debat­te mit den Zen­kyo­to taucht auch in Paul Schr­a­d­ers Film A Mishi­ma: A Life in Four Chap­ters (1985) auf. Die Stu­den­ten sind dar­in als brül­len­de, zor­ni­ge Meu­te dar­ge­stellt, Mishi­ma als Qui­chot­te am Ran­de der Lächer­lich­keit, der mit eher lah­men Sprü­chen argu­men­tiert, die aus­ge­buht und ver­lacht wer­den: “Wir alle wol­len Japan bes­ser machen. Wir haben bei­de mit den­sel­ben Kar­ten gespielt. Ich aber habe den Joker: den Kaiser!”

Wer die­se Sze­nen im Kopf hat, wird ver­blüfft sein, wenn er das ori­gi­na­le Mate­ri­al sieht. Aber alles nach der Rei­he: Aus einem Grund, der bis heu­te nicht ganz klar ist, luden die Zen­kyo­to Mishi­ma einen dezi­dier­ten “Reak­tio­när” und poli­ti­schen Anti­po­den zu einem Streit­ge­spräch. Die­ser hat­te am 5. Okto­ber 1968 die “Schild­ge­sell­schaft” (Tate­no­kai) gegrün­det, eine klei­ne, eli­tä­re Pri­vat­mi­liz aus natio­na­lis­ti­schen, kai­ser­treu­en Stu­den­ten, die eige­ne, von Mishi­ma selbst ent­wor­fe­ne Uni­for­men trugen.

Die Links­extre­mis­ten hat­ten also einen (pro­mi­nen­ten) Rechts­extre­mis­ten zur Debat­te her­aus­ge­for­dert. Schon allein die­se Tat­sa­che wirkt im Deutsch­land des Jah­res 2023 äußerst bizarr. Hier­zu­lan­de sind die extre­men Lin­ken bekannt­lich vor­ran­gig damit beschäf­tigt, Rech­te oder auch nur ver­meint­li­che Rech­te aller Art zum Schwei­gen zu brin­gen und von den Uni­ver­si­tä­ten und sons­ti­gen öffent­li­chen Räu­men und Platt­for­men zu ver­trei­ben, not­falls auch mit Ein­schüch­te­rung und Gewalt.

Nun war die poli­ti­sche Lage im Japan der spä­ten sech­zi­ger Jah­re frei­lich eine gänz­lich ande­re als in der heu­ti­gen Bun­des­re­pu­blik. Die extre­me Lin­ke befand sich zu die­sem Zeit­punkt in ech­ter Oppo­si­ti­on zum Estab­lish­ment, das von der Libe­ral­de­mo­kra­ti­schen Par­tei domi­niert wur­de, die seit 1955 nahe­zu unun­ter­bro­chen die Regie­rung stellt. Man kann sich ihre Rol­le ana­log zur Demo­cra­zia Cris­tia­na oder zur CDU in Ita­li­en und Deutsch­land, den bei­den ande­ren besieg­ten Ach­sen­län­dern, vorstellen.

Mishi­ma oppo­nier­te die japa­ni­sche Nach­kriegs­ord­nung von rechts, indem er sich unge­niert zum auto­ri­tä­ren Impe­ria­lis­mus und Mili­ta­ris­mus der Zeit vor 1945 bekann­te. Das war aller­dings, und das ist ein wei­te­rer wich­ti­ger Unter­schied zur heu­ti­gen Bun­des­re­pu­blik, kei­ne Posi­ti­on, die sozia­le Äch­tun­gen und ähn­li­che Druck­mit­tel zur Fol­ge gehabt hät­te. Man “durf­te” im Japan des Jah­res 1969 äußerst rech­te Mei­nun­gen ver­tre­ten, ohne sei­ne Salon­fä­hig­keit zu ver­lie­ren. Und Mishi­ma war nicht nur “salon­fä­hig”, son­dern als Best­sel­ler­au­tor und inter­na­tio­nal berühm­ter Anwär­ter auf den Lite­ra­tur­no­bel­preis gera­de­zu ein “Super­star” des Kulturbetriebs.

Die Grün­dung der Tate­no­kai kos­te­te ihn kei­nen Ver­lags­ver­trag, kei­nen Repu­ta­ti­ons­ver­lust und er wur­de auch nicht von irgend­ei­nem “Ver­fas­sungs­schutz” “beob­ach­tet”. Aller­dings wur­den sei­ne poli­ti­schen Ambi­tio­nen mehr­heit­lich als blo­ßer Spleen eines exzen­tri­schen Selbst­dar­stel­lers mit einem Über­schuß an Phan­ta­sie und Hang zur Thea­tra­lik belä­chelt. Der betont ästhe­ti­sche, “spi­ri­tu­el­le” und “sym­bo­li­sche” Cha­rak­ter sei­ner Tra­di­ti­ons­kom­pa­nie schien Mishi­mas Radi­ka­lis­mus abzu­fe­dern und ihn zu einem unver­bind­li­chen Pri­vat­ver­gnü­gen zu mache. Umso grö­ßer war der Schock des 25. Novem­ber 1970, als aus dem Spiel schließ­lich blu­ti­ger Ernst wurde.

Das bedeu­tet, daß Mishi­mas sozia­ler Sta­tus weit über dem der Stu­den­ten stand. Respekt zeig­ten sie aller­dings zunächst kei­nen. Ein hand­ge­mal­tes Pla­kat vor dem Hör­saal, in dem die Dis­kus­si­on statt­fand, kari­kier­te ihn als “ultra­rech­ten”, “moder­nen Goril­la”, mit nack­tem Ober­kör­per, Samu­rai­schwert und debi­lem Gesichts­aus­druck ein Gewicht stem­mend, um sei­nen Hals eine Ket­te mit einem Penis samt Hoden­sack. Dane­ben kleb­te ein Foto von Aki­hi­ro Maru­ya­ma (Miwa), einem trans­ves­ti­ti­schen Schau­spie­ler und Sän­ger, von dem die Fama zu wis­sen glaub­te, daß er mit Mishi­ma eine Affä­re hat­te (was wahr­schein­lich stimmt). Er wur­de also als schwu­ler Spin­ner mit Machis­mo-Kom­plex verhöhnt.

Mishi­ma betrat somit ein über­aus feind­se­li­ges Gelän­de, auf dem ihm erwar­tungs­ge­mäß ein erheb­li­ches Maß an Aggres­si­on und Spott ent­ge­gen­schla­gen wür­de. Die Paro­le lau­te­te: “Wir wer­den ihn mit Logik so lan­ge fer­tig­ma­chen, bis er auf dem Podi­um Hara­ki­ri begeht.” Auch phy­si­sche Gewalt war nicht aus­zu­schlie­ßen. Die Poli­zei rich­te­te dem Schrift­stel­ler aus, daß sie sei­ne Sicher­heit nicht gewähr­leis­ten kön­ne. Für den Fall eines tät­li­chen Angriffs schleus­te er ein paar uner­kann­te Schild­wäch­ter in den Saal ein, unter ihnen Mori­ta, der ein Jahr spä­ter mit ihm in den Tod ging.

Um 14:05 stand Mishi­ma allein in der Höh­le des Löwen ein­tau­send Zuhö­rern gegen­über. Er war läs­sig geklei­det, mit einem kurz­är­me­li­gen schwar­zen Hemd mit offe­nem Kra­gen und einer bei­gen Hose, am Arm­ge­lenk eine prot­zi­ge gol­de­ne Uhr, zwi­schen den Fin­gern eine Ziga­ret­te. Sei­ne Eröff­nungs­re­de dau­er­te zehn Minuten.

Das Mate­ri­al zeigt, daß Mishi­ma mit einer beein­dru­cken­den Ruhe und Selbst­si­cher­heit auf­trat. Sei­ne Rede ist voll mit iro­ni­schem und selbst­iro­ni­schem schwar­zen Humor, staub­tro­cken vor­ge­tra­gen. Das Publi­kum unter­bricht ihn nicht, und lacht häu­fig laut auf zu sei­nen Poin­ten, mit denen offen­bar nie­mand gerech­net hat. Mit­un­ter setzt sogar ver­ein­zel­ter spon­ta­ner Applaus ein.

Der Roman­au­tor Kei­i­chi Hira­no (Jahr­gang 1975) kommentiert:

Mishi­ma woll­te tes­ten, ob Wor­te in einer Dis­kus­si­on zwi­schen gegen­sätz­li­chen Welt­an­schau­un­gen eine Wir­kung haben. Das war ihm ein bren­nen­des Anlie­gen: Wel­che Macht wür­den sei­ne Wor­te haben? Konn­ten sie die Wirk­lich­keit ver­än­dern? Konn­te er mit ihnen Men­schen errei­chen, die gegen­sätz­li­cher Mei­nung waren? Die­ser Gedan­ke fes­sel­te ihn.

Wor­te, das war die Dis­zi­plin, die er am bes­ten beherrsch­te, in der er ein unleug­ba­rer Meis­ter war. Es war also auch eine Art sport­li­che Her­aus­for­de­rung, der sich Mishi­ma stellte.

Das ers­te, was er tat, war fest­zu­hal­ten, in wel­chen Punk­ten er und die Stu­den­ten über­ein­stimm­ten. Er mach­te deut­lich, daß er nicht zu ihnen spre­chen wür­de, wenn sie Kom­mu­nis­ten wären, da er den Kom­mu­nis­mus als sei­nen abso­lu­ten Gegen­pol und Tod­feind erach­te. Er mach­te aber auch deut­lich, daß ihm die Gewalt­be­reit­schaft der Zen­kyo­to und deren mili­tan­te Hal­tung gegen­über dem Estab­lish­ment gefiel.

Hier ein paar Kost­pro­ben sei­ner Eröff­nungs­re­de (die fol­gen­den Zita­te ent­neh­me ich den ver­bes­ser­ten Unter­ti­teln von Masa­kis Substack):

Offen­bar gab es Ein­wän­de, daß es reak­tio­när sei, mir eine Büh­ne zu bie­ten. Weil nichts Selt­sa­mes dar­an ist, daß Reak­ti­on reak­tio­när ist, habe ich zuge­sagt. Wie das Sprich­wort sagt: Wenn ein Mann sein Haus ver­läßt, begeg­net er sie­ben Fein­den. Mir scheint, daß sie­ben heu­te nicht aus­rei­chen wer­den, und so habe ich eine Men­ge Mut mitgebracht. (…)

Am Mor­gen des 28. April traf ich mich mit einem Mann, der dem “Estab­lish­ments” ange­hört [an die­sem Tag fan­den in Tokyo und ande­ren Städ­ten Frie­dens­de­mons­tra­tio­nen statt, in deren Ver­lauf über tau­send Stu­den­ten ver­haf­tet wur­den]. Kein beson­ders hohes Tier, aber dich von Bedeu­tung. Er sag­te zu: “Daß die­ser Hau­fen Ver­rück­ter soviel Tam­tam macht, ist ein wirk­li­ches Pro­blem. Was sie trei­ben, ist ein­fach nur dumm.”  Ich will euch nicht schmei­cheln, aber sei­ne Aus­sa­ge miß­fiel mir. Ver­rück­te, die Tam­tam machen, steckt man in ein Irren­haus. Ist es nicht einer Regie­rung unwür­dig, sich mit Ver­rück­ten ein­zu­las­sen und ihrer­seits ein Tam­tam zu machen? [Geläch­ter]. Ver­rück­te sperrt man ein oder man gibt ihnen Medi­zin, aber es ist äußerst unmensch­lich und schänd­lich, sie zu töten oder zu verletzen.

Ich glau­be aller­dings nicht, daß ihr alle ver­rückt seid. Ich kam hier­her mit der Absicht, zu prü­fen, ob Wor­te immer noch einen gewis­sen Grad an Effek­ti­vi­tät haben. Betrach­tet es als ein Expe­ri­ment. Als ich nun am Mor­gen des 28. April in die Gesich­ter der staat­li­chen Auto­ri­tä­ten sah, erblick­te ich kei­ner­lei Angst in ihren Augen. Dafür emp­fand ich außer­or­dent­lich tie­fen Respekt, aber ich begann mich zu fra­gen, wie ich mich füh­len wür­de, wenn ich Mit­glied des Natio­na­len Ver­bands der Stu­den­ten­selbst­ver­wal­tung wäre. (…)

Ihr bin sicher, daß es Angst ist, die ihr in den Augen des japa­ni­schen Macht­sys­tems sehen wollt. Ich auch, aber aus einer ande­ren Rich­tung. Ich has­se Men­schen, die all­zu sorg­los sind. In der Tat schmeckt es mir nicht, daß ich an einem Ort wie die­sem in aller Ruhe spre­chen kann.  [Geläch­ter] Ich habe gehört, daß ihr für die­se Ver­an­stal­tung hun­dert Yen Ein­tritt  ver­langt habt, und ich hel­fe euch nun unbe­ab­sich­tigt beim Spen­den­sam­meln. [Geläch­ter]  Ich mag der­ar­ti­ge poli­ti­sche Situa­tio­nen nicht. Da wür­de ich ger­ne die Hälf­te der Ein­nah­men für mei­ne Schild­ge­sell­schaft kas­sie­ren. [Geläch­ter]  (…)

Ein Poli­ti­ker der Libe­ral­de­mo­kra­ti­schen Par­tei bat mich neu­lich, eine Peti­ti­on gegen Gewalt zu unterschreiben.[Gelächter. Der­lei aus­ge­rech­net von Mishi­ma zu ver­lan­gen, ist natür­lich sau­ko­misch.] Ich teil­te ihm mit, daß ich nicht behilf­lich sein kön­ne, weil ich mich seit mei­ner Geburt kein ein­zi­ges Mal gegen Gewalt aus­ge­spro­chen habe. [Geläch­ter] Rechts oder Links, ich habe mich noch nie gegen Gewalt ausgesprochen. (…)

Kate­go­ri­sche Ableh­nung von Gewalt spielt nur der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei in die Hän­de. Das gefällt mir nicht. Als ich über die Gesamt­pro­ble­ma­tik der Uni­ver­si­tät von Tokyo nach­dach­te und sah, wie die Libe­ral­de­mo­kra­ten und die Kom­mu­nis­ti­sche Par­tei extrem nahe anein­an­der­rück­ten, wuß­te ich, daß uns wahr­haft grau­si­ge Zei­ten bevor­ste­hen würden.[Gelächter] [Bei­de Par­tei­en hat­ten sich zusam­men­ge­tan, um die Stu­den­ten­kra­wal­le zu been­den und die Ord­nung an der Uni­ver­si­tät wie­der­her­zu­stel­len – und genau das miß­fiel Mishima.]

Ange­sichts der Pro­ble­ma­tik der Uni­ver­si­tät von Tokyo habe ich nie­mals gesagt, daß ich Angst vor Gewalt habe oder der Mei­nung bin, sie sei falsch oder so. Wenn ihr mei­ne Schrif­ten gele­sen habt, wer­det ihr nichts der­glei­chen finden. (…)

Wer inter­es­siert sich schon in Japan für Ideo­lo­gie? Wenn küm­mern Logik und Ver­nunft? Das ein­zi­ge was zählt, ist die herr­schen­de Ord­nung der Gesell­schaft. Dafür ist die Poli­zei zustän­dig. Und wenn es der Poli­zei gelingt, die herr­schen­de Ord­nung auf­recht­zu­er­hal­ten, dann ist es auch egal, ob sich Libe­ral­de­mo­kra­ten und Kom­mu­nis­ten die Hän­de gereicht haben. (…)

Obwohl ich mir wün­sche, daß die LPD reak­tio­nä­rer und die KP gewalt­tä­ti­ger wäre, zögern sie alle bei­de. [Geläch­ter] Das ist es, was mich am meis­ten irri­tiert. Ich weiß nicht, gegen wel­che eurer Frak­tio­nen ich kämp­fen wer­de, und so sage und schrei­be ich gro­ße all­ge­mei­ne Din­ge, aber wenn ein Mann etwas tut, dann glau­be ich, daß er es auch rich­tig tun muß. (…)

Nun kommt eine Stel­le, die ange­sichts von Mishi­mas spä­te­rem Schick­sal auf­hor­chen läßt:

Ich bin mit dem Kon­zept des lega­len Tötens nicht ganz ein­ver­stan­den. Ich bin abso­lut nicht gegen die Todes­stra­fe, aber es geht mir nicht dar­um, jeman­den legal zu töten. Ihr seht in mir jeman­den, der auf der Sei­te des Estab­lish­ments steht, aber nur den Selbst­ver­tei­di­gungs­streit­kräf­ten ist es erlaubt, legal das Feu­er zu eröff­nen, um Unru­hen zu unter­drü­cken. Ich bin kein Mit­glied der SDF, aber ich respek­tie­re sie und sie haben viel für mich getan, aber… [Geläch­ter] [Mishi­ma hat­te die Erlaub­nis bekom­men, mit sei­nen Schild­wäch­tern auf Anla­gen des japa­ni­schen Mili­tärs zu trainieren.]

Ich bin ein Zivi­list. Soll­te ich han­deln, dann wäre es für mich eben­so ille­gal wie für euch. Wenn man jeman­den im Namen der Idee des Duells tötet, gilt das als Mord. In einem sol­chen Fall wür­de ich lie­ber ster­ben, als mich von der Poli­zei ver­haf­ten zu las­sen, sei es durch Selbst­mord oder auf ande­re Wei­se. Da ich nicht weiß, wann ich in eine sol­che Lage kom­men wer­de, trai­nie­re ich mei­nen Kör­per vor­be­rei­tend, um, da ich ja ein “moder­ner Goril­la” bin, ein gran­dio­ser Goril­la zu werden.

Das ist jedoch nur der Anfang – das Bes­te kommt noch. Mehr im zwei­ten Teil die­ses Beitrags.

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Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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Kommentare (24)

das kapital

17. Mai 2023 16:24

Irgendwie sind wir doch alle Reichsbürger ...Jedenfalls, soweit es um das japanische Kaiserreich geht. Mishima hat 1970 einen "Umsturzversuch" unternommen mit etwa 4 Mitstreitern. Ein von vorneherein aussichtsloses Unterfangen. Nach dem Scheitern hat er rituellen Selbstmord begangen im Alter von 45 Jahren. Im Gegensatz zu "unseren" Reichsbürgern hat er das Rentenalter nicht erreicht.

Obwohl er für die Wiedereinführung der Monarchie war ist ein "Mishima-Preis" nach ihm benannt und wird seit 1988 für Literatur vergeben.Auf einen "von Reuss Preis" wird Deutschland lange und vergebens warten müssen.

Die Einheit von Schönheit, Erotik und Tod. So wird oft sein Credo zusammengefasst. Verfilmt ist das auch noch. Er sollte 1968 der erste japanische Nobelpreisträger für Literatur werden. Das wurde dann aber aus politischen Gründen zurückgezogen. Gibt es eigentlich auch in Japan derzeit einen woken totalitären "Kampf gegen Rechts" ?

das kapital

17. Mai 2023 16:31

Japan als Vorbild der Neuen Rechten in Deutschland? EineAnalyse des Japanbilds in den Publikationen des Instituts fürStaatspolitik - Stephanie OsawaDa hat sich relativ frisch jemand ausführlich mit der "Japan-Politik" des IfS beschäftigt

ZRex – Zeitschrift für Rechtsextremismusforschung, Jg. 2, Heft 1/2022, 53–71 https://doi.org/10.3224/zrex.v2i1.04Auf der Folgeseite lässt sich der Beitrag als PDF herunterladen.

Maiordomus

17. Mai 2023 16:33

Mishima war vor allem ein japanischer Sektierer, dem ich hier nicht die Bedeutung  geben würde, die ihm zugeschrieben wird. Wenn schon, vielleicht dem Filmemacher Kurosawa. Offenbar ein Thema für sog. rechte Romantiker, so wie auf seine Weise bei den Linken dies Che Guevara geworden ist, den ich im übrigen nicht mit Mishima gleichsetze, er war eindeutig krimineller. 

Niekisch

17. Mai 2023 17:39

"Ich mag keine Menschen, die sich ihrer Sache allzu sicher sind."
soll Mishima gesagt haben. Da ist er mit Heino Bosselmann und meiner Unbedeutendheit auf einer Linie. Ich gehe noch einen Schritt weiter: Kann ich, können wir uns sicher sein, was überhaupt unsere Sache ist? Wie sehr haben wir uns bereits eingeigelt, dass wir weder über den Tellerrand hinausschauen noch die Zutaten im Gericht erkennen und verwerten können, wie Mishima es noch konnte?  

Nath

17. Mai 2023 20:10

Das Hauptproblem, dass ich mit Protagonisten wie Mishima (den ich bis jetzt noch nicht kannte) habe, ist ihre Befangenheit in Umkehrungen, die das Goteske mehr als nur streift: der Provokateur, der Hofnarr und Bürgerschreck einmal auf rechts gebürstet. Es ist kein Zufall, dass solche geistigen Physiognomien ihre größte Suggestivkraft im Graubreich zwischen Ästhetik und Politik entfalten. "Die ganze Welt" ächtet den Krieg und die Gewalt - man bekennt sich zum Militarismus, die ganze Welt vollzieht eine ideologische Abkehr vom  Imperialismus - man erklärt ihn als eine Ausdrucksform menschlicher Größe; die ganze Welt glaubt den Re-Aktionär als einen wahnhaft-rückwärtigen Zeitgenossen entlarvt zu haben - prompt nimmt gerade diese Zuschreibung auf und wendet sie für sich ins Positive. usw.usw.usw.
Dieses kindliche Spiel mit Antinomien und den mit ihnen einhergehenden Erregungsmustern kann als P a r o d i e auf die linke Idyllik des Aufruhrs durchaus anregend sein. Maßt es sich aber an, selbst als der große Befreiungschlag zu gelten, kann man es nicht ernstnehmen. 

MarkusMagnus

17. Mai 2023 21:50

@ das Kapital
Japan ist auf jeden Fall ein Vorbild. Wieso auch nicht.
Man kann sehr wohl modern und gleichzeitig traditionell sein.
Man kann auch links sein ohne deswegen gleich auf seine Ahnen pi..... zu müssen oder obskure alliierte Lügen (Abgehackte Kinderhände, Katyn und ähnliche Absurditäten) zu glauben und nachzubeten.
Eine selbstbewusste Nation ohne Schuldkult und Ehrung der Ahnen und Soldaten die für ihr Land gestorben sind.
Da sollten wir auch wieder hin. Right or wrong, it's my country.
Oss.

RMH

18. Mai 2023 10:47

Politisch auch heute relevant ist, dass Mishima 69 mit Studenten an einer Universität debattieren konnte (ohne von diesen gelyncht zu werden), politisch relevant ist, dass Mishima Raum in der Gesellschaft zugebilligt wurde, dass er keine Sommerfeste hinter Sichtschutz und unter Dauerfotografierens entsprechender "Journalisten" abhalten musste. Er konnte sogar ein finales Kunstwerk inszenieren. Ein Blick zurück zeigt, wie unfrei wir in der aktuell freiesten aller möglichen Welten leben. Ein Blick auf Japan von damals bis heute zeigt, dass Migration nicht die Lösung aller "demografischen" und damit verbundenen sozialstaatlichen Probleme ist. Japan hatte aber auch evtl. das Glück, als besiegtes Land weiterhin Insel sein zu können und nicht direkter, geteilter Fronstaat.
Mishima selber kann uns kein Vorbild mehr sein, da die Rahmenbedingungen gänzlich andere sind. Was bleibet aber, stiften die Dichter und er hat in diesem Sinne Bleibendes geschaffen, literarisch und ästhetisch. Im Übrigen: Friede seiner Seele.

Gimli

18. Mai 2023 16:35

Diese Mishima-Gedanken zu Töten und Gewalt halte ich für Sozialatavismus. Hoffe doch, wir sind über Duell und Todesstrafe etc ethisch und sozial und zivil hinaus und haben unsere Primatengene dahingehend im Grif, eben: zivilisiert. Der Blick nach USA ist da wie ein Blick in die Vergangenheit. Europa ist da bis auf Orban weiter. Japan: Bleibt mir fremd. Interessiert mich aber auch kaum, Europa ist ja schon schwer zu fassen  
Und noch im Rückblick auf den ersten ML-Text neulich zu Mishima: Warum muss man bzgl dessen Sexualität das Wort "deviant" (ethymologisch etwa: "abwegig") benutzen? So eine Wertung ist aus der Zeit gefallen, wie überhaupt der Hinweis darauf überflüssig war. 

ML: "Aus der Zeit gefallen" ist vieles, was man lieber doch hätte festhalten sollen, und im Falle Mishimas handelt es sich um einen essentiellen Hinweis, den man nicht unterschätzen sollte. Man kann ja nicht so tun, als ob seine Sexualität "normal" gewesen wäre. Davon abgesehen, finde ich den Ausdruck "deviant" nicht wertend.

das kapital

18. Mai 2023 20:48

Auch Tichys Einblick hat gerade Japan für sich entdeckt. Japan, du machst es besser als Deutschland. Pünktliche Züge, saubere Bahnhöfe, freundliches Personal. Da geht noch was.@MarkusMagnusIch bin inzwischen empfindlich, was Anglizismen und die Sprache des transatlantischen Machtmissbrauchs angeht. Dem falschen Land auf Englisch Vorrang vor dem Wahren Schönen und Guten zu geben, ist nicht meins.Ich ziehe das Traditionelle durchaus der woken Schwachsinnskultur vor.Die obskuren allierten Lügen von irgendwann führen nicht weiter. Der Tag der Befreiung liegt nicht hinter uns, sondern vor uns.Weil sich die "Looser"mentalität so sehr eingebrannt hat und wir die loswerden müssen. Allerdings trotzdem muss man sich klar machen, was geht und was eben nicht. Das dritte Reich war extremer Machtmissbrauch, der genauso wenig geht, wie Pipelinesprengungen. Es geht Substanz verloren, die über Gene-rationen erarbeitet und erkämpft worden ist.Sind bei Stalingrad Soldaten "für ihr Land" gestorben ? Wohl kaum."Wir sind wieder wer" war 1954 bei der Fussballweltmeisterschaft.Nur wenn wir uns von den falschen und lügnerischen Narrativen der Stalins, der Roosevelts, der Trumans und der Churchills befreien, können wir wieder eine selbstbewusste Nation werden. Das alleine bringt aber nichts, wenn wir wirtschaftlich und wehrtechnisch zerlegt werden wie jetzt.

Franz Bettinger

19. Mai 2023 03:35

@Gimli / Waffenrecht: Frei verfügbare Schusswaffen (USA, Schweiz...) verringern Morde und Kriminalität. Das ist unter Bill Clinton statistisch bewiesen worden —> besonders 22’-26’: https://www.youtube.com/watch?v=ZO8RtsLwMcM

Franz Bettinger

19. Mai 2023 03:49

@Gimli: Laut der Clin­ton-Stu­die wird im Jahr 2 Mio mal in Not­wehr­ zur Waf­fe gegrif­fen & ein Ver­bre­chen verhindert. In den meis­ten Fäl­len reicht das Dro­hen mit der Waf­fe oder der Warn­schuss; in 8 % der Fäl­le wird gezielt geschos­sen. 200.000 mal wird so eine Ver­ge­wal­ti­gung ver­hin­dert. Das bedeu­tet, dass 80 mal häu­fi­ger eine Waf­fe ver­wen­det wird, um ein Ver­bre­chen zu ver­hin­dern, als eins zu bege­hen = 80:1 zugunsten von Waffenbesitz. --> ff

Franz Bettinger

19. Mai 2023 03:51

ff Seit den 90ern hat sich die Zahl pri­va­ter Waf­fen in den US von 100 auf 300 Mio ver­drei­facht. Die Mord­ra­te hat sich im glei­chen Zeit­raum halbiert. Im US-Städt­chen Ken­ne­saw in Geor­gia müs­sen alle Haus­hal­te seit 1982 eine Schuss­waf­fe besit­zen. Die Kri­mi­na­li­täts­ra­te ging dort in den Kel­ler und Tötungs­de­lik­te sind ganz unbekannt. More guns, more crime? Nein!
Historisch wurden die Lei­chen­ber­ge immer von den Waf­fen der Regie­run­gen ange­rich­tet, nachdem die Bür­ger entwaffnet wurden. Frei­hei­ten müs­sen robust ver­tei­digt wer­den kön­nen. Der Staat sollte Angst vor den Bürgern haben, nicht umgekehrt. Seit 1291 gab es in der Schweiz kei­ne Tyran­nei mehr. Pri­va­ter Waf­fen­be­sitz garan­tiert Freiheit. Die meisten Tote gehen auf kriminelle Gang-Shoo­tings zurück­. (Verfranzelt nach M. Klonovsky —> https://www.klonovsky.de/2021/11/zum-privaten-schusswaffenbesitz/) 

Maiordomus

19. Mai 2023 09:35

Selbstverständlich hat der Waffenbesitz wie alles seine zwei Seiten, siehe erkennbare und mehrheitlich nicht erkennbare Psychopathen und nun mal kriminell "Veranlagte". Was die Schweiz betrifft, ist der Missbrauch der Armeewaffe immer noch extrem selten, am häufigsten leider für Suizid, dies mehrfach im eigenen Verwandten- und Bekanntenkreis. 

Ein gebuertiger Hesse

19. Mai 2023 17:09

@ Bettinger
Sehr gut, die Waffengeschichten so deutlich auf den Punkt gebracht zu haben.
Und @ ML hinsichtlich Mishima/Schrader .... Genau so, der lange Atem wird nicht vergehen und "weht, wo er will".

areopagitos

19. Mai 2023 23:04

Ich gehöre jedenfalls zu denen, die sich in Herrn Lichtmesz's Schilderungen über die eigene Faszination/Interesse an Mishimas Person und Werk sehr gut wieder erkennen. Beim Lesen des Artikels fand ich das Nachforschen, woran dieses Interesse sich entzündet, sehr erfreulich. Auch ich sehe die Faszination letztlich darin, dass Mishima so komplex, verwirrend, schockierend und vielseitig ist. Er lässt sich einfach nicht auf eine Kategorie (zB Rechtsextremist oder meschugge) herunterbrechen. Am meisten gefällt mir wohl das Ettiket "Künstler", weil es zeigt, was für schwierige und interessante Personen, Künstler sein können. Jedenfalls kann man in Mishima immer wieder Neues entdecken und das ist für mich und offenbar für Viele andere auf der ganzen Welt der Grund, warum Mishima über fünfzig Jahre nach seinem Tod immer noch sehr lebendig vorkommt. Dass dieses Interesse nun in den nächsten Jahren dazu führen wird, dass bisher unübersetzte Werke Mishimas ins Deutsche übertragen werden (zB Sonne und Stahl bei Jungeuropa Verlag ist sehr zu begrüßen.

MarkusMagnus

20. Mai 2023 01:16

Da hier Waffen und Waffengesetze angesprochen wurden...
Wie sah es eigentlich im 3. Reich mit den Waffengesetzen aus? Angeblich waren die weitaus liberaler als in der heutigen BRD.
Kann das jemand bestätigen oder miteinander vergleichen?
 

Gracchus

20. Mai 2023 02:17

Ehrlich gesagt, an das einzige Buch, das ich von Mishima gelesen, habe ich kaum Erinnerungen, selbst den Titel ("Nach dem Bankett") musste ich nachschlagen. Und nachdem ich einige Filme von Schrader gesehen hatte, die mich nicht gerade umgehauen haben - dabei mag ich seine Vorbilder, Bresson, Dreyer, Ozu - habe ich den Mishima-Film beiseite gelassen; ich gebe aber zu, dass hiesiger Essay neues Interessse weckt. Anders als @Nath denke ich nicht, dass Mishima reiner Provokationslust gefolgt ist; mein erster Verdacht: ein Ästhetizist, der den Ästhetizismus zu überwinden trachtet. Es gibt ein Buch von M. Yourcenar über Mishima: Vision der Leere - was ist davon zu halten? Interessant, dass der wikipedia-Artikel Mishima relativ neutral,  gar respektvoll behandelt. 
Das Motto "Abholen, wo er steht" hört man immer aus kirchlichen Kreisen und ist somit ein Motto des Scheiterns. Laut Christian Lehnert soll Sloterdijk gesagt haben: so was tue doch nur der Teufel.

Ein Fremder aus Elea

20. Mai 2023 08:24

Ich weiß nicht, ob Sie Mishima wirklich verstehen, Herr Lichtmesz, ich hatte es nämlich anfangs, nachdem ich erst ein Drittel der Untertitel durch hatte, nicht: Es sind alles passivaggressive Chiffren in der Sprache europäischer Undenker wie Sartre.

Es geht Mishima darum, daß er sein Leben lieber anspruchsvollen Sitten opfert, als unter anspruchslosen zu kriechen. Der Kaiser hat ihm eine silberne Uhr überreicht, und er hatte keine Chance, sie sich zu verdienen.

Ich habe einen Beitrag darüber geschrieben, ohne allerdings Mishima dort explizit zu erwähnen. Ich hatte das Thema eh schon am Wickel. Dennoch, da gibt es eine ganze Reihe von Bezügen, insbesondere was Mishima zu seiner Bewunderung der Freiheit und seinem Problem mit dem Kaiser gesagt hat, auch warum er in seiner Kunst keine echte Freiheit sah.

Die Grade der persönlichen Freiheit und ihre Erkenntnisformen des Lebenssinnes.

Gimli

20. Mai 2023 12:24

@ Franz Bettinger: Die Diskussion führen Sie mit "privatem Waffenbesitz" schon etwas "Off Topic". Wegen des strittigen Themas, wenn nicht sogar Ihrer falschen Behauptung, darf es aber nicht unwidersprochen bleiben. Die einfache Gegenbehauptung lautet: Die Krimininalität geht (auch!) in Europa schon seit Jahrzehnten zurück. Das scheint mir Ihre monokausale Waffenbesitzforderung (so verstehe ich es zumindest) zu widerlegen. 
Ich kann unschwer verhehlen, dass mir "richtige" Waffen in den von Bürgern zuwider sind. Die Wiederbewaffnung mit "modernen Keulen" ist genau dieser Begriff "Sozialatavismus". Ich hoffe, dass mit Putins Scheitern auch weitere Affen in der Politik eliminiert werden, die immer noch Macht in Form von Raum und Waffen definieren und wie Drogensüchtige diese zu vergrößern trachten.
Nicht falsch verstehen: Auch ich würde meine Söhne/Töchter/Frau verteidigen, aber nicht mich a priori schon in die geistige Haltung bringen wollen durch Anschaffung einer Waffe (von den amerikanischen Exzessen von Sturmgewehren schon gar nicht zu denken; das ist psychiatrisch bedeutsam, aber nicht für eine ernsthafte Diskussion). Ich nähme etwas aus dem Messerblock, Pfeffersprach oder zur Not Haarspray (solange es nocht gibt :-), zur Not eine Nagelschere oder was kubotanartiges.

ML: Und nun bitte wieder zum Thema zurück.

FraAimerich

22. Mai 2023 09:30

@Gracchus
Als Regisseur kann ich mit Schrader sonst auch wenig anfangen (Drehbücher hat er exzellente verfaßt!), aber "Mishima" ist - vor allem natürlich für "Romantiker" - überaus sehenswert. Die famose Filmmusik von Philip Glass trägt entscheidend zur Wirkung bei.
Yourcenar ist eine günstige und brauchbare Einstiegslektüre, die dem dafür empfänglichen Leser zwischen den Zeilen durchaus eine "tantrische" Dimension hinter Leben und Werk anzudeuten vermag, wobei die sonst üblichen (und naheliegenden) psychoanalytischen Klischees weitgehend gemieden werden.

Gracchus

22. Mai 2023 21:34

Vielen Dank,@FraAimerich!
Den Mishima-Soundtrack kenne ich; schon mehrfach angehört. Ist gut. 
"Drehbücher": ja, z. B. Raging Bull. (Mit dem Mascagni-Stück). Musik und Film: auch ein Nischenthema. Oder Italoamerikaner in Hollywood (Coppola, Scorsese, Leone, Ferrara). 
Was bedeutet im Zusammenhang mit Mishima ""tantrisch""?

FraAimerich

23. Mai 2023 14:09

@Gracchus
Im Vajrayana gibt es eine Tradition des Selbstopfers und der Selbst-transzendierung (etwa auch die Chöd-Praktik des "Abschneidens des Egos"). Der Hinduismus kennt in diesem Zusammenhang sogar die - recht unorthodoxe - Göttin der Selbstenthauptung, Chinnamasta. (Vor einigen Wochen erst machte der Fall eines indischen Paares Schlagzeilen, das sich - wohl im "Moment des gegenseitigen Erkennens" - gleichzeitig mit einer selbstgebastelten Guillotine enthauptete; ich nehme an, das waren Chinnamasta-Fans.)
Kundige werden u.a. in "Sun and Steel" auf deutliche Parallelen zu tantrischen Lehren stoßen. Das reicht von der Betonung der Bedeutung der rituellen Praxis sowie der "Exerzitien" für Körper und Geist über die "Metaphysik des Schmerzes" bis zur Schaffung bzw. Zerstörung innerer wie äußerer Welten durch erotisch bzw. "leidenschaftlich" aufgeladene "Visualisierung" und "Selbststilisierung" (Identifikation mit einer Gottheit oder einem Ziel).
Skeptiker mögen einwenden, das sei nun mal so, wenn man sich gewissen Denkformen und den daraus folgenden Erkenntnissen annähert, deren Kern und Entfaltung in unterschiedliche Traditionen "gekleidet" vorliegen. Da ist natürlich etwas dran, weshalb man auch im "Cherubinischen Wandersmann" des "Schlesischen Engels" auf den Geist des Tantra stoßen könnte - wenn man denn mit beidem einigermaßen vertraut ist.

Gracchus

24. Mai 2023 15:34

Wiederum vielen Dank, @FraAimerich.
Mit Tantrismus habe ich mich freilich noch nicht sehr viel beschäftigt. Wenn ich mich recht entsinne, klang einiges in Evolas "Sex-Buch" tantrisch beeinflusst. 
Der letzte Punkt, den Sie ansprechen, ist sehr interessant; es frappiert schon, dass einiges an östlicher Weisheit sofort einleuchtet, und man Spuren oder untergründige Konvergenzen auch bei jüdisch-christlichen Mystikern findet, nur unter Umständen mit anderem Akzent. Sehr interessant ist die Auseinandersetzung Uedas mit Meister Eckhart. Anscheinend war Mishima - so habe ich gelesen - ein ZEN-Kritiker.

FraAimerich

24. Mai 2023 19:30

@Gracchus
Für Ihr Interesse zu danken hätte eigentlich vor allem ich.
"Gottgeburt und Durchbruch" ist in der Tat ein sehr wertvolles Buch. Die "tantrischen" Aspekte der "Goldenen Hochzeit" hat Evola natürlich theoretisch erläutert, damit aber auch dem westlichen Mißverständnis Vorschub geleistet, daß Tantra immer etwas mit "Sex" zu tun habe. Der Begriff verweist jedoch eigentlich auf die Praxis der "Rückbindung" bzw. "Ausdehnung" des (mystischen) Bewußtseins in die All-Einheit.
Die Zen-Kritik Mishimas, die u.a. gern aus seiner Verteidigung des Tempelbrandstifters herausgelesen wird, würde ich nicht überbewerten bzw. nur in einem ersten Schritt "profan" im politisch-kulturkritisch Sinn westlicher "Religionskritik" deuten. 
Dahinter lauerten offenbar bereits die treibenden Energien "zur linken Hand", die sich ja auch in einigen "unorthodoxen" Blüten des Zen manifestieren, wo ja keineswegs ausschließlich passiv herumgesessen, über Koans gestaunt und politischer Instrumentalisierung im Sinne von Herrschaftslegitimation Vorschub geleistet wird.
Übrigens hatte Mishima auch einen etwas speziellen, nachgerade "koan-rätselhaften", uneigentlich wirkenden Humor. Schauen Sie sich auf Youtube mal "Black Lizard" aus dem Jahr 1968 an. Ein wilder Streifen, bei dem er selbst als japanischer Über-Homunculus mitgewirkt hat.