Wiederbegegnung mit der “Feuerzangenbowle”

Vor fast genau achtzig Jahren, am 28. Januar 1944, feierte der Film Die Feuerzangenbowle in den Berliner Ufa-Palästen Königstadt und Tauentzien Premiere.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Wiki­pe­dia ent­neh­me ich, daß die Roy­al Air Force Ber­lin am Vor­tag (27. Janu­ar 1944) mit 481 Bom­bern ange­grif­fen hat­te, “die 1761 t Bom­ben auf die Stadt war­fen. Laut Bericht des Ober­kom­man­dos der Wehr­macht wur­den durch Luft­mi­nen, Spreng- und Brand­bom­ben vor allem dicht besie­del­te Wohn­vier­tel und Kul­tur­stät­ten zer­stört oder beschädigt.”

Basie­rend auf dem gleich­na­mi­gen Roman von Hein­rich Spoerl erzählt der Film (man kann ihn sich auf You­tube anschau­en), wie sich der mon­dä­ne, erfolg­rei­che Schrift­stel­ler Johan­nes Pfeif­fer (Heinz Rüh­mann, der die­sel­be Rol­le bereits 1934 in einer frü­he­ren Ver­fil­mung des Stof­fes gespielt hat­te) in eine fröh­li­che Gym­na­si­al­zeit zurück­t­räumt, die er selbst aber nie erlebt hat, da er per “home schoo­ling” auf dem Land­gut sei­nes Vaters unter­rich­tet wurde.

Nun holt er die feh­len­den Erfah­run­gen in sei­ner Phan­ta­sie nach (er drückt also streng genom­men nicht “wie­der” die Schul­bank, wie in Kom­men­ta­ren zu dem Film häu­fig for­mu­liert wird).

Sowohl die Rah­men­hand­lung als auch die “erträum­te” Haupt­hand­lung, in der sich Pfeif­fer (“mit drei f”) unter die Ober­pri­ma­ner mischt und lernt, wie man Leh­rern Strei­che spielt, sind in einem schon zur Ent­ste­hungs­zeit nost­al­gi­schen, wil­hel­mi­ni­schen Ambi­en­te ange­sie­delt, mit Pfer­de­kut­schen, Pickel­hau­ben und brei­ten Damen­hü­ten. Schau­platz ist eine fik­ti­ve idyl­li­sche Klein­stadt. Das gibt dem Film, der wäh­rend der Kriegs­zeit dem puren Eska­pis­mus dien­te, eine “hei­me­li­ge” Atmo­sphä­re von “guter, alter Zeit”.

Ein gro­ßer Teil sei­nes Humors rührt aus der Kon­fron­ta­ti­on zwi­schen den “Laus­bü­be­rei­en” der Schü­ler und der Steif­heit und zuge­knöpf­ten Moral die­ser ver­gan­ge­nen Welt, die jedoch aus­schließ­lich lie­be­voll (nicht bit­ter oder sar­kas­tisch) kari­kiert wird.

Die Leh­rer des Films sind kau­zi­ge, etwas pom­pö­se und spie­ßi­ge, letzt­end­lich aber wohl­wol­len­de und sym­pa­thi­sche Gestal­ten. Es gibt hier kei­ne Des­po­ten, Tyran­nen, Sadis­ten und Schü­ler­selbst­mor­de, die heu­te unse­re Vor­stel­lung von die­ser “auto­ri­tä­ren” Zeit prä­gen (man sehe sich etwa Han­ekes Film “Das wei­ße Band” an, der eben­falls in Deutsch­land vor dem 1. Welt­krieg spielt). Es gibt kei­nen Schü­ler Ger­ber und kei­nen Pro­fes­sor Kup­fer. Selbst die Kar­zer-Stra­fe, die über Pfeif­fer ver­hängt wird, wirkt wie eine eher harm- und zahn­lo­se Maß­nah­me, die Anlaß zu Lachern bietet.

Obwohl er zunächst in das Visier des Reichs­er­zie­hungs­mi­nis­ters Bern­hard Rust geriet, der anti­au­to­ri­tä­re Ver­un­glimp­fun­gen wit­ter­te, ist der Film in sei­ner Grund­hal­tung alles ande­res als auf­müp­fig (man ver­glei­che ihn etwa mit dem ungleich aggres­si­ve­ren Anarcho-Klas­si­ker Zéro de Con­duite von Jean Vigo). Um Miß­ver­ständ­nis­se die­ser Art zu ver­mei­den, wur­de ihm ein Titel vor­an­ge­stellt: “Die­ser Film ist ein Lob­lied auf die Schu­le, aber es ist mög­lich, daß es die Schu­le nicht merkt.” Auf Geheiß von Hit­ler per­sön­lich, der sich von Göring und Rüh­mann über­zeu­gen ließ, daß es sich hier­bei um nichts wei­ter als amü­san­te Unter­hal­tung han­del­te, wur­de der Film schließ­lich freigegeben.

Der damals 42jährige Rüh­mann war mit sei­nem kind­li­chen Mond­ge­sicht und jugend­li­chen Habi­tus die idea­le Beset­zung für einen Mann mitt­le­ren Alters, der sich als Gym­na­si­ast ver­klei­det, ohne all­zu sehr auf­zu­fal­len. Es sind jedoch auch etli­che sei­ner Mit­schü­ler mit erwach­se­nen Schau­spie­lern besetzt, die deut­lich älter als ihre Figu­ren sind: Hans Rich­ter war 26, Karin Him­boldt 24 und Cle­mens Has­se gar 37 Jah­re alt. Auch die­ses Cas­ting unter­streicht die augen­zwin­kern­de, spie­le­ri­sche Scherz­haf­tig­keit des Spektakels.

Insze­niert wur­de die­se hei­le, hei­te­re Welt 1943 in den Stu­di­os von Babels­berg, wäh­rend alli­ier­te Bom­ben auf Ber­lin fielen.

Die Feu­er­zan­gen­bow­le ist einer der weni­gen Fil­me aus der NS-Zeit, die heu­te noch als “Klas­si­ker” gel­ten und sich eine gewis­se Popu­la­ri­tät bewahrt haben. Seit dem Ste­fa­ni­tag 1969 läuft er Jahr für Jahr im bun­des­deut­schen Fern­se­hen (in der DDR war er bereits 1964 zu sehen). In der­sel­ben Liga spie­len allen­falls noch die Hans-Albers-Vehi­kel Münch­hau­sen und Gro­ße Frei­heit Nr. 7. 

Er ist auch der ein­zi­ge in die­ser Zeit ent­stan­de­ne ech­te “Kult­film”, also einer die­ser spe­zi­el­len, lang­le­bi­gen Strei­fen mit legen­dä­rem Nim­bus, die man sich immer wie­der und wie­der ansieht, deren Dia­lo­ge man mit­spre­chen und deren Sze­nen man sogar “mit­spie­len” kann, wenn man das Glück hat, einer Auf­füh­rung mit gleich­ge­sinn­ten Kul­tis­ten bei­zu­woh­nen (Pro­to­typ des Mit­mach-Kult­films mit obses­si­ver Fan­ge­mein­de ist die Rocky Hor­ror Pic­tu­re Show aus dem Jahr 1974).

Auf­grund sei­nes The­mas erfreu­te sich Die Feu­er­zan­gen­bow­le vor allem im Hoch­schul­mi­lieu jahr­zehn­te­lang gro­ßer Beliebt­heit. Im Uni-Kino Göt­tin­gen läuft sie seit über vier­zig Jah­ren als Dau­er­bren­ner, seit 1988 als fixer Pro­gramm­punkt der “Niko­laus­par­ty”, wo sie simul­tan in meh­re­ren Hör­sä­len gezeigt wird. Sie hat dort einen ähn­li­chen Stel­len­wert wie der Sketch “Din­ner for One” im deut­schen Sil­ves­ter­pro­gramm. Zu den Besu­cher­ri­tua­len gehört unter ande­rem das kol­lek­ti­ve Ent­zün­den von Wun­der­ker­zen, wäh­rend Heinz Rüh­mann auf der Lein­wand sei­nen Che­mie­leh­rer imi­tiert und wil­de Spaß­ex­pe­ri­men­te vorführt.

2006 berich­te­te der Spie­gel Fol­gen­des über die vor­weih­nacht­li­chen Feu­er­zan­gen­bow­len-Par­ties in Müns­ter und Göttingen:

Dann aber end­lich die gute alte “Feu­er­zan­gen­bow­le”. Für eini­ge Sze­nen haben die Stu­den­ten fes­te Ritua­le. Wenn sich die alten Freun­de von Johan­nes Pfeif­fer (nur echt mit drei f) ihre Schul­strei­che erzäh­len und mit der Feu­er­zan­gen­bow­le ansto­ßen, ste­hen die Stu­den­ten im Hör­saal auf und pros­ten sich zu. Wenn an Pfeif­fers ers­tem Schul­tag mor­gens um sie­ben sein Wecker läu­tet, rat­tern auch im Hör­saal um die 50 Wecker los. Und in der Sze­ne, in der der Pen­nä­ler für sei­nen Tisch­nach­barn mit einem Spie­gel die Wan­de­rung der Goten auf einer Land­kar­te nach­zeich­net, gehen im Hör­saal die Taschen­lam­pen an und ver­fol­gen den Weg mit. Die Stim­mung im Saal ist aus­ge­las­sen. Die Stu­den­ten unter­hal­ten sich, trin­ken, feiern.
(…)
Die Müns­te­ra­ner wid­men der “Feu­er­zan­gen­bow­le” eine gan­ze Woche. Fünf bis sechs Ter­mi­ne gibt es jedes Jahr. Die Hör­sä­le, zum Teil mit 500 Plät­zen, sind meist rest­los aus­ver­kauft. Die größ­te Feu­er­zan­gen­bow­le-Par­ty aller­dings fin­det jedes Jahr in Göt­tin­gen statt: ein Abend, fünf Kino-Hör­sä­le, 20 Vor­stel­lun­gen, rund 10.000 Besucher.

“Die Stim­mung ist anders als im Kino”, beschreibt Ver­an­stal­ter Georg Schnei­der die Par­ty, “die Leu­te fei­ern schon wäh­rend des Films und spre­chen die bekann­tes­ten Sze­nen mit.” Zum Bei­spiel, wenn Leh­rer Schnauz sei­nen Schü­lern im Che­mie­un­ter­richt “einen wön­zi­gen Schlock” Hei­del­beer­wein aus dem Reagenz­glas gibt. (…)

Frei­burg, Mann­heim, Mün­chen, Ham­burg, Essen, Han­no­ver, Kiel – der Klas­si­ker läuft an etli­chen Hoch­schu­len. In Müns­ter sehen jedes Jahr zwi­schen 1500 und 2000 Stu­den­ten die “Feu­er­zan­gen­bow­le”. Das High­light im Hör­saal ist das Ende, wenn Johan­nes Pfeif­fer in sei­ner Ver­klei­dung als Leh­rer Schnauz das Radi­um sprü­hen lässt. Im Hör­saal zün­den dann alle ihre Wun­der­ker­zen an. Die Stu­den­ten schmel­zen dahin, wenn Pfeif­fer end­lich das Herz sei­ner Eva, der Toch­ter des Direk­tors, erobert. Sie seuf­zen und bekom­men einen sen­ti­men­tal-ver­klär­ten Blick. Beschwingt von Film und Glüh­wein ver­las­sen die Stu­den­ten an die­sem Abend die Uni.

Die­ser Bericht ist nun acht­zehn Jah­re alt, was nicht all­zu lan­ge her ist, erstaunt aber ein wenig durch sei­ne kom­plett “unkri­ti­sche”, unbe­fan­ge­ne Hal­tung gegen­über den Feu­er­zan­gen­bow­len-Par­ties. Auch die­ser Arti­kel aus dem Jahr 2009 über den “tod­erns­ten” Hin­ter­grund des Films ist bemer­kens­wert dif­fe­ren­ziert und sach­lich; man ist der­glei­chen gar nicht mehr gewöhnt.

Klar, die Feu­er­zan­gen­bow­le ist (erstaun­li­cher­wei­se) immer noch “Kult”, wie die­ser Kom­men­tar der ARD zu ihrem 80. “Geburts­tag” bemerkt, und das offen­bar auch noch unter Göt­tin­ger Stu­den­ten, obwohl ihr Humor heu­te recht alt­ba­cken wirkt und man selbst in Durch­schnitts-Main­stream­ko­mö­di­en weit­aus Kras­se­res, Der­be­res und weni­ger Harm­lo­ses gewöhnt ist.

Aber sie ist mitt­ler­wei­le unter schwe­ren Beschuß jener gera­ten, denen posi­ti­ve deut­sche Tra­di­tio­nen gene­rell ein Dorn im Auge sind. Und mit nichts las­sen sich die­se wirk­sa­mer zer­stö­ren und madig machen als durch “Anbräu­nung”. Auch die Feu­er­zan­gen­bow­le darf nicht “unschul­dig” blei­ben und muß “pro­ble­ma­ti­siert” werden.

Dies ist Teil eines umfas­sen­de­ren Trends, da wir in einer Zeit leben, in der immer mehr und mehr Fil­me der Ver­gan­gen­heit, bei­lei­be nicht nur der NS-Ära, mit Trig­ger­war­nun­gen und ideo­lo­gi­schen Distan­zie­run­gen ver­se­hen wer­den, um aktu­ell erwünsch­te poli­ti­sche Sen­si­bi­li­tä­ten nicht zu ver­let­zen. Das betrifft Klas­si­ker der gol­de­nen Hol­ly­wood-Zeit wie Vom Win­de ver­weht eben­so wie die Kraut-Wes­tern um Win­ne­tou und Old Shat­ter­hand oder die James-Bond-Serie, die nun vom Bri­ti­schen Film­in­sti­tut offi­zi­ell als “ras­sis­tisch” und “sexis­tisch” gebrand­markt wurde.

Zwar kann man die Feu­er­zan­gen­bow­le schwer­lich ernst­haft als “Pro­pa­gan­da­film” qua­li­fi­zie­ren, wie es unlängst eine ZDF-Mit­ar­bei­te­rin namens Leo­nie Schö­ler ver­sucht hat. Aber schon die Umstän­de ihrer Ent­ste­hung genü­gen man­chen, um sie unter ideo­lo­gi­schen Gene­ral­ver­dacht zu stellen.

Gewiß ist sie ein Para­de­bei­spiel für die von Goeb­bels gefor­der­te mög­lichst “unpo­li­ti­sche” Unter­hal­tung, die das Publi­kum nicht mit all­zu offe­nen ideo­lo­gi­schen und pro­pa­gan­dis­ti­schen Ele­men­ten über­for­dern, ermü­den oder gar abschre­cken soll­te. Die Fil­me die­ser Zeit dien­ten, mit eini­gen sorg­fäl­tig kon­zi­pier­ten Aus­nah­men, vor­ran­gig der Flucht und der Betäu­bung, weni­ger der Indok­tri­na­ti­on (heu­te wird viel offe­ner, häu­fi­ger und pri­mi­ti­ver indok­tri­niert, beson­ders von den öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk­an­stal­ten), umso mehr, je schlech­ter die Kriegs­la­ge für Deutsch­land wurde.

So ist das damals herr­schen­de Regime in nur sehr weni­gen Fil­men die­ser Jah­re prä­sent, auch in sol­chen mit zeit­ge­nös­si­schen Hand­lun­gen. Manch­mal genüg­te es, nur ein, zwei Sze­nen her­aus­zu­schnei­den, in denen eine Haken­kreuz­fah­ne oder ein Hit­ler­gruß zu sehen waren, um die Fil­me nach dem Krieg wie­der im Kino oder Fern­se­hen zu zeigen.

2018 faß­te Mat­thi­as Matus­sek zum 75. Jubi­lä­um der Pre­mie­re in der Jun­gen Frei­heit die Ankla­ge­punk­te zusammen:

Er ver­herr­licht die wil­hel­mi­ni­sche Ver­gan­gen­heit. Er ver­schließt die Augen vor dem Juden­mord. Er ver­führt zur poli­ti­schen Pas­si­vi­tät. Er ist kit­schig. Er pro­pa­giert ein über­hol­tes Frau­en­bild, und er ist hete­ro­nor­ma­tiv. Er ver­führt gan­ze Hör­sä­le, in denen er immer zur Weih­nachts­zeit gezeigt wird, zu brül­len­dem Geläch­ter über ein Werk, das in der Stun­de des mora­li­schen Unter­gangs ent­stand. Last but not least: Sein Haupt­dar­stel­ler und Pro­du­zent Heinz Rüh­mann war zwar nicht Par­tei­mit­glied, aber ein Mit­läu­fer des NS-Regimes.

Matus­sek ant­wor­te­te dar­auf mit einem abge­klär­ten (und wie ich fin­de, sehr schö­nen) Kommentar:

Hit­ler woll­te wis­sen: Kann man über den Film lachen? Man kann es. Man tut es. Und staunt über die mensch­li­che Fähig­keit zu Ver­drän­gung und Ver­ges­sen. Es ist ein Film, der in ein seli­ges Ges­tern führt, in eine ewi­ge Jugend­zeit, in ein Para­dies der schö­nen Erin­ne­run­gen, die so leicht an der Wirk­lich­keit zerschellen.

Als „Die Feu­er­zan­gen­bow­le“ schließ­lich urauf­ge­führt wur­de, im Kino am Tau­ent­zi­en am 28. Janu­ar 1944, fie­len die Bom­ben bereits ton­nen­wei­se auf Ber­lin. Wenn es schon damals mög­lich war, mit die­sem Film die schreck­li­che Gegen­wart aus­zu­blen­den, dann ist es leicht, das eini­ge Gene­ra­tio­nen und 75 Jah­re spä­ter zu tun.

Der Mensch ist so gebaut. Er ver­gißt und ver­drängt und zieht die seli­ge Erin­ne­rung vor, auch wenn die Räson eines gan­zen Staa­tes dage­gen mit allen Mit­teln ankämpft.

Einen neu­er­li­chen Angriff gegen den Film ritt nun Son­ja Zekri (eine Autorin offen­bar ara­bisch-nah­öst­li­cher Abstam­mung) in der Süd­deut­schen Zei­tung. Ich habe den Arti­kel nicht gele­sen, weil er hin­ter einer Bezahl­schran­ke ver­steckt ist. Der Teaser reicht mir eigent­lich schon, um zu erah­nen, wohin der Hase läuft:

Die “Feu­er­zan­gen­bow­le” wird 80 Jah­re alt – und von vie­len geliebt. Dabei gibt es eini­ge Grün­de, die Komö­die aus der NS-Zeit kri­tisch zu sehen. Nur zum Bei­spiel, weil sie der AfD in die Hän­de spielt. (…) Wenn Nazis lachen, ist Vor­sicht gebo­ten. Wenn Nazis lachen las­sen, umso mehr.

Es sind also mal wie­der die dämo­no­lo­gisch auf­ge­faß­ten “Nazis”, die als Maß­stab für alles und jedes her­hal­ten müssen.

Wie man der­glei­chen nicht kon­tert, führ­te Mario Thur­nes auf Tichys Ein­blick vor. Sein Text ist ein schla­gen­des Bei­spiel für die Mise­re und Ori­en­tie­rungs­lo­sig­keit der “Libe­ral­kon­ser­va­ti­ven”.

Zuerst macht er sich lus­tig über das “Geschäft der Guten mit dem Kampf gegen Rechts” und die “neue Hor­ror­ge­schich­te aus dem Reich der rechts­extre­men Mit­te”, die den Film und damit auch die ARD, die ihn all­jähr­lich zur Weih­nachts­zeit aus­strahlt, unter “Nazi­ver­dacht” stellt.

Aber tat­säch­li­che Argu­men­te, um den Film selbst in Schutz zu neh­men, bringt er kaum, son­dern bestä­tigt viel­mehr Punkt für Punkt die lin­ken Vor­wür­fe, was er für eine beson­ders schlaue Stra­te­gie hält.

Ich gehe das mal nach der Rei­he durch. Thur­nes schreibt:

Auch im Film selbst gibt es Moti­ve, die der Ideo­lo­gie der Nazis schmei­cheln. So ist Rüh­manns Aus­flug in die Schul­welt auch eine Flucht vor sei­ner Ver­lob­ten Mari­on. Die raucht, zieht sich sexy an, ist selbst­be­wusst – kurz­um sie spie­gelt die west­li­che Deka­denz wider. Rüh­manns Pfeif­fer mit drei F nimmt statt ihr „Eva“ – kein Witz – zur Frau. Die ist treu, blond und gehor­sam, also eine rech­te Nazi­braut. Dass sich hier ein erwach­se­ner Mann ein hal­bes Kind zur Lebens­ge­fähr­tin aus­wählt, weil es bes­ser zu ihm passt, ent­larvt die Ideo­lo­gie von allei­ne. Schon allei­ne des­we­gen lohnt es sich, den Film immer noch anzu­schau­en. Zumin­dest für Zuschau­er, die selbst­stän­di­ges Den­ken dem Stramm­ste­hen unter der lin­ken Fah­ne vorziehen.

Vor allem den letz­ten Satz fin­de ich aus­ge­spro­chen erhei­ternd: Nach­dem der Autor den Film nach rein lin­ken und zeit­geis­tig-zeit­ge­nös­si­schen Maß­stä­ben abge­mes­sen hat, attes­tiert er sich selbst “selbst­stän­di­ges Den­ken”. Naja.

Dabei stimmt hier eigent­lich gar nichts. Pfeif­fers Ver­lob­te hat mit sei­nem Aus­flug (und nicht “Flucht”) in die Schul­welt nichts zu tun; sie spie­gelt auch kei­ne “west­li­che Deka­denz” wider, son­dern ihre Extra­va­ganz und Affek­tiert­heit hat damit zu tun, daß sie eine Schau­spie­le­rin aus dem groß­städ­ti­schen Milieu ist, in dem sich auch der ansons­ten Mon­okel und Smo­king tra­gen­de Erfolgs­au­tor Pfeif­fer nor­ma­ler­wei­se bewegt, wie die Rah­men­hand­lung zeigt.

Daß Thur­nes Treue, Blond­heit und Gehor­sam mit “Nazi­bräu­ten” asso­zi­iert, läßt tief bli­cken über den Grad sei­ner eige­nen lin­ken Indok­tri­na­ti­on. Die Schü­le­rin “Eva” (die auch – kein Witz – im Roman und Film von 1933/34 so heißt, lan­ge bevor die Öffent­lich­keit über­haupt wuß­te, daß es eine Füh­rer­braut in spe namens Eva Braun gab) ist jeden­falls nur “blond”. Ob sie “treu” sein wird, dar­über gibt der Film kei­ne Aus­kunft, “gehor­sam” ist sie gera­de nicht, wenn sie Ziga­ret­ten­rauch durch das Schlüs­sel­loch von Pfeif­fers Kar­zer bläst und fröh­lich an der “ille­ga­len”, gemischt­ge­schlecht­li­chen Par­ty der Ober­pri­ma­ner teilnimmt.

Sie ist auch mit­nich­ten “ein hal­bes Kind”, son­dern eine offen­sicht­lich erwach­se­ne Schau­spie­le­rin, die wie Rüh­mann selbst aus Grün­den der Komik “kind­lich” her­ge­rich­tet wur­de. Und ihr Hap­py-End mit Pfeif­fer ent­puppt sich ohne­hin nur als Traum. So ein­fach “ent­larvt” sich “die Ideo­lo­gie” nicht “von allei­ne”, wie Thur­nes selbstdenkt.

Wei­ter im Text mit einer noch grö­ße­ren Dummheit:

Umstrit­ten ist auch die Figur des Ober­leh­rers Dr. Brett. In einem Kol­le­gi­um wil­hel­mi­ni­scher Leh­rer steht er für die „neue Zeit“, wie es im Film heißt. Den schus­se­li­gen Pro­fes­sor Böm­mel – watt is’n datt, ne Dampf­ma­schin‘? – belehrt Brett über den Umgang mit Schü­lern: „Jun­ge Bäu­me, die wach­sen wol­len, muss man anbin­den, dass sie schön gera­de wach­sen – nicht nach allen Sei­ten aus­schla­gen. Und genau so ist das mit den jun­gen Men­schen: Dis­zi­plin muss das Band sein, das sie bin­det, zu schö­nem, gera­den Wachs­tum.“ Das ist im Prin­zip Hit­lers Wind­hund-Rede – aus­ge­drückt in poe­ti­sche­ren Worten.

Hit­lers (zum Zitier­kli­schee gewor­de­ne) “Wind­hund-Rede” (Nürn­berg 1935, Aus­schnit­te davon sieht man in Tri­umph des Wil­lens) ging etwa so:

Was wir uns von der deut­schen Jugend der Zukunft wün­schen, ist etwas ande­res, als was die Ver­gan­gen­heit sich gewünscht hat. Wir müs­sen einen neu­en Men­schen erzie­hen. In unse­ren Augen muß der deut­sche Jun­ge der Zukunft schlank und rank sein, flink wie Wind­hun­de, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl.

Das sind zwei völ­lig ver­schie­de­ne Aus­sa­gen. Mit “Poe­sie” hat das über­haupt nichts zu tun. Ich fin­de in der besag­ten Hit­ler-Rede (hier im Wort­laut doku­men­tiert) auch sonst kei­ne Par­al­le­len zu Bretts Worten.

Und an die­sen kann ich nichts Ver­werf­li­ches oder spe­zi­fisch Natio­nal­so­zia­lis­ti­sches erken­nen. Im Gegen­teil stim­me ich ihnen zu, “selbst­stän­dig  den­kend”. Wir haben es hier mit päd­ago­gi­schem Com­mon sen­se zu tun, den man heut­zu­ta­ge lei­der ver­ges­sen hat, wenn man ihn nicht zu ver­leum­den ver­sucht, indem man ihn mit “Faschis­mus” und “auto­ri­tä­rem Gedan­ken­gut” assoziiert.

Daß der jun­ge Leh­rer Brett, der als freund­lich, nach­sich­tig, gedul­dig und warm­her­zig, aber eben nicht als Schwäch­ling, son­dern als Respekts­per­son gezeich­net wird, eine Art “Nazi-Kader” dar­stel­len soll, ist ein unhalt­ba­res Mär­chen, das im Film sel­ber kei­ne Grund­la­ge hat, es sei denn, man hält eine kon­ser­va­ti­ve Grund­hal­tung gene­rell für “nazi­ver­däch­tig”. Aber das geht nur, wenn man eine lin­ke Bril­le auf dem Kopf hat.

Hier hat jeden­falls Hol­ger Krey­mei­er von Mas­sen­ge­schmack-TV sou­ve­rä­ner reagiert als Tichys Autor:

Der gezeig­te Aus­schnitt ist über­haupt nicht skan­da­lös. Im Gegen­teil, er ist sogar aktu­el­ler denn je. Die aktu­el­len PISA-Ergeb­nis­se zei­gen ja, daß ein biß­chen mehr Dis­zi­plin in den Schu­len viel­leicht mal ganz gut täte, um auch die Ergeb­nis­se wie­der ein biß­chen bes­ser zu machen, im Lesen und im Schrei­ben. Und das gleich in einen Nazi-Kon­text zu stel­len, das ist ja voll­kom­men absurd.

Hugh. Wenn man die­se Sät­ze Bretts schon übel und Nazi fin­det, dann kann man auch gleich jeg­li­che Erzie­hung blei­ben lassen.

Unter­schla­gen wird in die­sem Zusam­men­hang auch ein ande­rer Satz Bretts, der den zitier­ten vor­an­geht. Als er von einem der alt­ge­dien­ten Leh­rer gefragt wird, wann man denn erken­ne, ob eine Erzie­hungs­me­tho­de “die rich­ti­ge” sei,  ant­wor­tet er: 

Brett: Wenn der Leh­rer der Freund der Schü­ler ist…

Pro­fes­sor Böm­mel: Das ist bei mir der Fall.

Brett: … und die Schü­ler vor ihm Respekt haben.

Böm­mel: Das ist bei mir nicht der Fall.

Brett: Lie­ber Herr Pro­fes­sor, das wäre ja auch trau­rig, wenn eine neue Zeit nicht auch neue Metho­den hätte.

Böm­mel: Ja, ja, ihr Jun­gen wollt immer alles bes­ser machen. Und ihr macht es auch bes­ser, das weiß ich ganz genau.

Die “neue Zeit” in die­sem Dia­log kann man schwer­lich auf den Natio­nal­so­zia­lis­mus bezie­hen, wie immer wie­der zu lesen ist. Und wenn ihr Grund­satz ist, daß der Leh­rer idea­ler­wei­se für den Schü­ler Freund und Respekt­per­son zugleich sein soll, dann sehe ich nicht, was ein Mensch mit Ver­stand dage­gen ver­nünf­ti­ger­wei­se ein­wen­den könnte.

Nach­dem der selbst­stän­dig den­ken­de Tichy-Autor noch das per­sön­li­che Ver­hal­ten des Schau­spie­lers Heinz Rüh­mann wäh­rend der NS-Zeit (das für den Wert und den Genuß des Films völ­lig irrele­vant ist) ins Feld geführt hat, schreibt er:

Ob das alles wider­lich ist? Aber hal­lo. Ja. Doch es wider­legt eben die Süd­deut­sche. Nicht der Rück­zug in den Schutz­raum ist der Weg, sich mit (ech­ten) Nazis aus­ein­an­der zu set­zen. Son­dern ihnen ins Auge zu sehen: Ja, Dr. Brett wirbt in dem Film für die Nazi-Ideologie.

Das ist unfaß­bar töricht. Schon allein des­halb, weil Dr. Brett, wie wir eben gese­hen haben, mit­nich­ten “für die Nazi-Ideo­lo­gie wirbt”, und auch der Rest an Haa­ren, die Thur­nes in der Sup­pe gefun­den haben will, nur sehr vage, wenn über­haupt und schon gar nicht exklu­siv mit dem dama­li­gen Zeit­geist ver­bun­den ist.

Es scheint die ewi­ge Ver­su­chung eines gewis­sen Schla­ges “Kon­ser­va­ti­ver” zu sein, sich zwang­haft als die bes­se­ren Anti-Nazis ver­kau­fen zu wol­len (eine Stra­te­gie, die nie­mals auf­geht), wäh­rend sie gar nicht mer­ken, wie stark sie noch bestimm­ten lin­ken Prä­mis­sen und Bewer­tungs­kri­te­ri­en ver­haf­tet sind (dazu zählt “der Nazi” als abso­lu­ter mora­li­scher Maßstab).

Sie mögen zwar über die Exzes­se der poli­tisch Kor­rek­ten und der Woken her­um­jam­mern, aber solan­ge sie nur eine mil­de­re oder älte­re Form von deren Ansich­ten ver­tre­ten, blei­ben ihre argu­men­ta­ti­ven Waf­fen stumpf, hin­ken sie der Ent­wick­lung bloß hinterher.

Erst wenn man bereit ist, die Feu­er­zan­gen­bow­le als einen grund­sätz­lich kon­ser­va­ti­ven Film zu ver­tei­di­gen, hat man den lin­ken Offen­si­ven etwas ent­ge­gen­zu­set­zen (mit dem Bewußt­sein, daß die­se davon pro­fi­tie­ren, daß im Drit­ten Reich bestimm­te kon­ser­va­ti­ve Wer­te pro­pa­giert wurden).

Der lin­ke Film­schnö­sel Schmitt hat schon Recht, wenn er her­vor­hebt, daß es sich hier kei­nes­wegs um ein “ideo­lo­gie­frei­es” Werk und rein “unpo­li­ti­sche Unter­hal­tung” handelt.

Legt man jedoch Schmitts Maß­stä­be an, dann gibt es über­haupt kei­nen Film, der (im wei­tes­ten Sin­ne) ideo­lo­gie­frei wäre. Das ist auch nicht so wich­tig. Ein “Pro­blem” ist die (sub­li­mi­na­le, impli­zi­te) Ideo­lo­gie der Feu­er­zan­gen­bow­le nur aus lin­ker Sicht, somit also für uns Nicht-Lin­ke unver­bind­lich. Gewiß muß eine Ana­ly­se des Films auch den Kon­text sei­ner Ent­ste­hung in Betracht zie­hen, aber auch das läßt sich bewerk­stel­li­gen, ohne in die gän­gi­gen Deu­tungs- und Wer­tungs­ras­ter zu verfallen.

Zum Abschluß: Ich fra­ge mich, war­um gera­de die­ser Film eine der­art dau­er­haf­te, gene­ra­tio­nen­über­grei­fen­de Beliebt­heit erlangt hat. Gewiß ist er unter­hal­tend, amü­sant und gut gemacht, mit einem Haupt­dar­stel­ler, der immer noch gro­ßen Publi­kums-Appeal hat (als Kind lieb­te ich ihn innig), aber das sind vie­le ande­re Fil­me der NS-Zeit auch, die schon längst ver­ges­sen sind.

Ich glau­be, daß es vor allem zwei Din­ge sind.

Zum einen zeich­net die Feu­er­zan­gen­bow­le das ver­klär­te Bild eines ver­gan­ge­nen, (schein­bar) intak­ten Deutsch­land vor dem gro­ßen Absturz von 1914, das bereits 1944 ana­chro­nis­tisch war und Anlaß zu rück­wärts­ge­rich­te­ten Sehn­süch­ten gege­ben hat, erst recht ange­sichts des bevor­ste­hen­den noch grö­ße­ren Abstur­zes, der sich bereits zu die­sem Zeit­punkt deut­lich abzeich­ne­te. Auch in den Jahr­zehn­ten nach dem Krieg hielt sich die­ses Bild oder die­se Wunsch­vor­stel­lung hart­nä­ckig in den Köp­fen des Publi­kums, was viel­leicht auf gewis­se inne­re kol­lek­ti­ve Bedürf­nis­se verweist.

Heu­te, da das Land sehr stark “ent­na­tio­na­li­siert” ist und sich von sei­ner Ver­gan­gen­heit (außer­halb der zwölf Jah­re) weit­ge­hend los­ge­kop­pelt hat, hat der zur Zeit­kap­sel gewor­de­ne Film, wie auch ande­re sei­ner Ära, einen zusätz­li­chen Reiz bekom­men. Allein die Spra­che und die Dik­ti­on der Schau­spie­ler zu hören, ist ein Genuß, der sich durch die zeit­li­che Ent­fer­nung noch stei­gert. Man spürt, daß seit­her Wesent­li­ches an Sub­stanz, an deut­scher Sub­stanz ver­lo­ren­ge­gan­gen ist.

Zwei­tens: Obwohl uns gro­ße Zeit­räu­me sowohl von 1944 als auch von der wil­hel­mi­ni­schen Epo­che tren­nen, gibt es doch immer noch in unser aller Schul­erfah­rung etwas, das uns mit den Pen­nä­lern des Films emo­tio­nal verbindet.

Auch wenn wir in gänz­lich ande­ren Zei­ten gelo­cker­ter Moral und refor­mier­ter Päd­ago­gik auf­ge­wach­sen sind, so haben wir doch alle Erin­ne­run­gen an Leh­rer, die uns in einem ganz beson­ders sen­si­blen Alter geprägt, geför­dert oder auch in Angst und Schre­cken ver­setzt haben, unter ihnen Ori­gi­na­le, die vor allem durch die Kraft ihrer Per­sön­lich­keit gewirkt und einen unaus­lösch­li­chen Ein­druck hin­ter­las­sen haben.

Genau die­ser Erfah­rung setzt der Film ein lie­bens­wür­di­ges Denk­mal, mit dem auch heu­te noch sehr vie­le Men­schen etwas anfan­gen kön­nen (und gewiß könn­te man auch ganz ande­re Fil­me über ganz ande­re Leh­rer und ande­re Schu­len dre­hen, die weit­aus weni­ger lieb­lich aus­fal­len würden).

Ich selbst den­ke an etli­che mei­ner Gym­na­si­al­leh­rer mit gro­ßer Dank­bar­keit zurück (sie­he auch hier), und wenn ich auf einen abs­trak­ten Nen­ner brin­gen müß­te, wel­che wich­ti­gen Kern­ei­gen­schaf­ten sie hat­ten, dann waren es genau die­se: Daß sie mir auf­rich­ti­ges Wohl­wol­len (“Freund­schaft”) ent­ge­gen­brach­ten, und daß sie aber zugleich Respekt­per­so­nen waren, die Dis­zi­plin ein­for­der­ten (und wenn sich ein Leh­rer kei­nen Respekt ver­schaf­fen konn­te, war er nicht nur inef­fek­tiv, son­dern wur­de schnur­stracks von der Meu­te der Schü­ler ver­ach­tet und gefressen).

Ob ich schön und gera­de gewach­sen bin, dar­über wür­den sie wohl geteil­ter Mei­nung sein. Was ich aus dem gemacht habe, was sie mir gege­ben haben, ist aller­dings nicht ihre, son­dern allein mei­ne Verantwortung.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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Kommentare (32)

Isarpreiss

4. Februar 2024 09:57

Bömmels Vergleich der Schüler mit jungen Bäumen könnte seinen Ursprung in diesem Gedicht haben:
 
Freiheit sei der Zweck des Zwanges,
Wie man eine Rebe bindet,
Daß sie, statt im Staub zu kriechen,
Froh sich in die Lüfte windet.
Friedrich Wilhelm Weber (1813 - 1894)

kikl

4. Februar 2024 10:34

Interessant ist die Feuerzangenbowle nicht als "Propagandafilm", denn es ist kein Propagandafilm. Nazis und Hitler spielen in dem Film nicht mit. Deswegen ist jeder Versuch, sie in den Film hineinzuprojizieren, lächerlich. "Anbräunung" ist ein guter Begriff für diese linke Unart. Die Feuerzangenbowle ist ein liebervoller und nostalgischer Blick auf die Schulzeit. Dazu hat Martin Lichtmesz alles gesagt.
Interessant ist der linke Krieg gegen diesen Film. Daraus ließe sich ein Psychogramm der linken Phobien und Wahnvorstellungen erstellen. 
Vielleicht ist ein Hauptgrund für die Gegnerschaft zu dem Film das Offensichtliche. Das Schulgebäude ist sauber und gepflegt; die Lehrer trotz ihrer Schrullen und aller Lausbubenspäße Respektpersonen. Die Schüler sind zwar Lausbuben aber im Vergleich zu heute auffällig gut gekleidet und wohl erzogen. 
Ich empfehle jedem den Gang in Berliner Schulklassen. Dagegen mutet die Schulzeit in der Feuerzangenbowle wie eine konservative Utopie an. So war der Film zwar nicht gedacht, aber so wird er vermutlich von Linken verstanden. Sie empfinden die Anziehungskraft dieser Utopie und deshalb haben sie große Furcht vor diesem Film.

Laurenz

4. Februar 2024 11:25

@ML (2) ... Die Stände-Schule wurde zwar durch die Volkschule im Grundschulalter abgeschafft, aber das Gymnasium Pfeiffers, stellte immer noch eine klitzekleine elitäre Minderheit, also ein privilegierte Ständeschule dar. In abgeschwächter Form ist das bis heute noch so. Kanzler Helmut Kohl, Abi-Jahrgang 1950, entspricht exakt dem Film. Er machte quasi mehr oder weniger alle seine jugendlichen Schulfreunde/-kameraden zu Staatssekretären oder ähnlichem, wie auch bei Habeck. Nichts schafft mehr Vertrauen als in der Jugend erworbene Freundschaft, bedeutet aber nichts anderes als Günstlingswirtschaft. Da wir sehenden Auges wieder in den Neo-Feudalismus rutschen (Privilegierung von Minderheiten abseits eines Leistungsprinzips), müßte die links-woke Medien-Bagage die Feuerzangenbowle eigentlich total geil finden.

Klaus Kunde

4. Februar 2024 12:13

Dokument 162: Bericht über die 23./24. Öffentliche Luftwarnung und den 172. Fliegeralarm am Freitag, dem 28. Januar 1944, und Sonnabend, dem 29. Januar 1944. (157. Folge) a) Lagebericht, ausgefertigt am 29. Januar 1944. Luftgefahr: 21.27 Uhr, Luftgefahr vorbei und Entwarnung: 22.05 Uhr. Während der 23. Öffentlichen Luftwarnung drehten einzelne feindliche Störflugzeuge bereits im Vorfeld der Reichshauptstadt ab, ohne das Stadtgebiet zu überfliegen. Während der 24. Öffentlichen Luftwarnung und des 172. Fliegeralarms wurde Berlin von etwa 450 bis 500 Feindmaschinen mit einer großen Zahl von Minen-, Spreng-, Phosphorbomben angegriffen. Nach bisherigen Feststellungen wurden etwa abgeworfen: 1 500 Minen und Sprengbomben, 300 000 Stabbrandbomben, 40 000 Phosphorbrandbomben. 531 Gefallene, davon 18 Wehrmacht, 11 Polizei/Luftschutz, 17 ausländ. Arbeiter. 53.333 für längere Zeit obdachlos.
Wegen der Luftlage dürfte die Uraufführung am 28.01.1944 bereits in den Nachmittagsstunden erfolgt sein. Im Vorprogramm evtl. noch Deutsche Wochenschau. Um dem Publikum nicht die Stimmung zu verderben mit stets getürkter Frontberichtserstattung.

fw87

4. Februar 2024 13:09

Solche Filme tragen dazu bei, dass die Verbindung zur Vergangenheit nicht abreißt. Wer sich eingehender mit den Filmen aus der NS-Zeit beschäftigt, wird überrascht sein, dass die meisten völlig unpolitisch waren, auch vor dem Krieg schon. Welch ein Kontrast zu heute! Die meisten Filme aus der NS-Zeit waren einfach qualitativ gut gemachte Unterhaltung. 13 Stühle mit Heinz Rühmann oder der Mann der Sherlock Holmes war sind z. B. sehr empfehlenswerte Filme. Aber auch in der DDR und der frühen Bundesrepublik wurden zum Teil gute Filme gemacht. Defa-Filme bekommt man in guter Qualität auf Youtube, manche sind unter künstlerischem Aspekt gar nicht schlecht. Ich persönlich greife meist auf die genannten Filme zurück, da mir die heutigen Filme zu idelogisch sind. 

Daniel

4. Februar 2024 13:09

Man kann in dem Dialog, in der altersmäßigen Auswahl der Darsteller schon einen gewissen Bezug zum NS-Erziehungsideal sehen (die Jugend führt sich selbst). Aber so what... Dass ein Filmdokument, noch dazu ein staatlich gefördertes, immer auch zeittypische Vorstellungen widerspiegelt, braucht doch niemanden ernsthaft verwundern (zumal Kultur und Politik ja sowieso in einer ständigen Wechselbeziehung stehen).  Dass man alles unter dem politischkorrekten Brennglas seziert, ist ohnehin so eine Eigenart deutscher Journalisten, hinter der wohl die Überzeugung steht, dass "rechte Ideologie" selbst in homöopathischer Verdünnung noch kontagiös wirkt. Vielleicht sollten sich aber auch diese ganzen, meist von denselben Kritikern gefeierten "woken" Produktionen daran mal ein Beispiel nehmen, die in Sachen LGBTIQ+ die Dosis oft derart aufdrehen, dass es mittlerweile selbst dem öffentlich-rechtlichen Durchschnittsseher sauer aufstößt...

Zauberer von Oz

4. Februar 2024 13:31

Lichtmesz, sätzen sä sich!
 

RMH

4. Februar 2024 13:35

Der Film ordnet das Geschehen von Anfang richtig ein: Es sitzen erwachsene Herren bei einem alkohol. Umtrunk (echte Feuerzangenb. ballert aufgrund des Anteils an Rum ordentlich rein - vergesst die Plörre, die auf Weihnachtsmärkten ausgeschenkt wird) und erinnern sich an vergangene Zeiten und es kommt im wahrsten Sinne des Wortes zu einer "Verdichtung" der Erinnerung. Beste Beispiele einer solchen Dichtung sind die Streiche. Wenn man ehrlich ist, gab es davon in einer gymn. Schulzeit von 9 Jahren mit Glück eine Handvoll und die waren weniger kreativ und die Reaktionen der Lehrer oft weniger humor- und verständnisvoll als im Film. Geschenkt also. Der Grund, warum man den Film heutzutage einfach nicht mehr "so stehen lassen kann" und ihn "framen" muss, ist die schlichte Kränkung an unser beste aller Welten, dass gerade die offiziell schlechteste aller Welten seinen damaligen Bürgern 95 Minuten Pause vom Krieg und auch vom Propagandakrieg in Form unpolitischer Unterhaltung gab. Das ist in Zeiten, in denen jeder wieder sagen muss, wo er steht, quasi die Sünde wider den heiligen Geist des linken "alles ist politisch". Mithin eine ungewollte Ohrfeige der Nazi-Zeit ans Haltungs-Feuilleton der Zukunft in 80 Jahren. Noch dazu wird das Kaiserreich idealisiert, eine Zeit, in der D. ein nationalliberaler Rechtsstaat war, also über 3 essentielle Eigenschaften verfügte, die unser heutiger Links-Bürokraten-Totalitarismus nicht mehr hat: Das Nationale, das Liberale und ein unabhängiges Rechtswesen.

das kapital

4. Februar 2024 14:09

Film ist eine ganz eigene Realität. Film ist "Verdrängung" von Problemen, egal zu welcher Zeit. Gilt nicht nur für die "böse" sondern für alle Zeit. Wer 1943 bei den Dreharbeiten dabei war, musste nicht an die Front. Film kann Leben retten, gerade in Kriegszeiten. /// Wenn schon Strickclubs als "rechts unterwandert" beschrieben werden, braucht man sich nicht zu wundern, dass auch die Feuerzangenbowle "sowas von Nazi" ist. Dann ist das Buch auch noch 1933 erschienen, also im Jahre der "Machtergreifung". Also mehr Nazi geht doch nun wirklich nicht ... /// Das ist ja Verharmlosung pur. Die deutsche Geschichte zu lesen, heißt zu lesen, dass 1000 Jahre daran gearbeitet worden ist, ein menschenverachtendes System vorzubereiten. Wer das durch harmlose Penälerscherze zu bemänteln versucht, verfälscht Geschichte. Das "Dritte Reich" ist die Endlösung der Deutschen Geschichte. Ohne Heinz Rühmann und Heinrich Spörl wäre das alles doch gar nicht möglich gewesen. Woke Antifa aufgepasst. Niemals lachen. Alles hochbedrohlich. /// Wer meint, dass "political correctness" eine bedrohliche Geisteskrankheit sei, der hat einfach nicht die richtige Geisteshaltung. Alles gehört durchpolitisiert. In jedem Leberwurstbrot steckt ein Nazi und ein KZ mit drin. Und ein mörderischer Anstieg des Cholesterinspiegels. Gulag ist gesund. Feuerzangenbowle ist Nazi. Viel Spass in der Welt der richtigen Geisteshaltung.

B Traven

4. Februar 2024 14:11

Ein neueres Beispiel für Filmpropaganda ist neben der Neuverfilmung von "Im Westen nichts Neues", über die die JF berichtete, die westdeutsche Fernsehserie "Das Rätsel der Sandbank" von 1984. Die Literaturvorlage "The Riddle of the Sands" des Britisch-irischen Autors Erskine Childers von 1903 entwarf noch seine Spionagehandlung allein vor einem flottenruestungspolitischen Hintergrund, ohne die sittliche oder moralische Überlegenheit einer Seite überhaupt zu thematisieren.
Der westdeutsche Drehbuchautor des Jahres 1984 fügt eine Szene hinzu, in der ein sadistischer deutscher Lehrer in Warnemünde (sic!) zur Prügelung eines Schülers ansetzt, weil dieser Dänisch gesprochen hat.
Nachzuverfolgen auf Youtube Folge 3/10 ab Minute 33.45.
 

Ein Fremder aus Elea

4. Februar 2024 14:27

Im Gegenteil, Herr Lichtmesz, es fällt ausgesprochen schwer, die "neue Zeit" nicht auf den Nationalsozialismus zu beziehen, denn wenn die wilhelminische die, wie Sie selbst sagen, "gute alte" Zeit ist, was ist dann die "neue"?

ML: Naja, um 1900 war doch gerade die Zeit, als diese ganzen Reformbewegungen in Deutschland aufkamen, auch im pädagogischen Bereich, Wandervogel usw. Blüher berichtet darüber ausführlich in "Werke und Tage". Kann schon sein, daß im Kontext des Films mit die "neue Zeit" 1933ff gemeint war, aber was Brett propagiert ist nicht per se nationalsozialistisch und auch nicht von Nationalsozialisten erfunden worden.

Es ist natürlich normal, daß in Filmen dieser Art die Schüler die Lehrer zum Narren halten, aber ich finde es lustiger, wenn die Schüler von Kindern dargestellt werden. In der Feuerzangenbowle sehe ich sadistische, stromlinienförmige Erwachsene, welche individualistische, Schwächen aufweisende wilhelminische Karikaturen fertigmachen. Ich kann einfach nicht eine Sekunde glauben, daß ich da etwas anderes sehe, als was ich da konkret sehe.

Der Film ist nicht so seelenlos wie das Blaue Licht,

ML: Da kann ich aber nicht zustimmen, was beide Filme angeht!

welcher in seiner Fleischlichkeit pornographisch zu nennen ist, und dessen Übereinstimmung mit der Werbeästhetik 80 Jahre später erschreckt, aber man merkt der Feuerzangenbowle doch an, daß da nur noch eine handvoll Schauspieler übrig waren, welche vom Wehrdienst befreit wurden, und wirklich lustig und unbeschwert wirkt da nichts auf mich. Eher verkrampft, gewollt, und dann ergibt sich halt der oben beschriebene Eindruck.

ML: Also gerade die besonders begabten Schauspieler waren damals extra vom Wehrdienst befreit... "Gottbegnadeten-Liste" und so.

Wahrheitssucher

4. Februar 2024 15:45

Werter Herr Lichtmesz,  vielen Dank, daß Sie diesem  einmaligen Werk deutscher Filmkunst einen ganzen Artikel widmen. Ihre treffenden Kommentierungen und Bewertungen sind eine Wohltat und Labsal in der heutigen Zeit...

Morgner

4. Februar 2024 17:02

So schön, am Sonntagnachmittag Ihre Wiederbegegnung mit der "Feuerzangenbowle" zu lesen. Vielen Dank, Herr Lichtmesz. Auch mir wie vielen Anderen bedeutet dieser Film soviel, weil er so reich an gutgemachten Dingen ist, die Sie ja alle, wie immer bestechend genau geschildert haben. Ich fühle mich auch mit 70 Jahren und dementsprechend zahllosem Anschauen dieses für mich magischen Films allerbestens von den Darstellern unterhalten. Die Krönung ist jedesmal die Szene, wenn Schuldirektor Knauer, verkörpert von dem wunderbaren Hans Leibelt mit seiner agilen Körperlichkeit, nacheinander die Klassentüren aufreisst. Wie er das spielt ist einzigartig, genau mein Humor. Ich freu mich wie ein Kind. Das ist es eben, woran unser Herz hängt...die unbeschwerte Leichtigkeit, mit der die erste und zweite Riege der damaligen, durch das Theater geschulten Schauspieler brillieren und uns eben in ein liebevolles und nicht wadenbeisserisches Bild alter Zeiten entführen. Mit Humor lebt sichs leichter. Dass der Film für Teile der Studentenschaft heute Kult ist - Klasse!
 
 

Monika

4. Februar 2024 18:27

In Tübingen wurde letztes Weihnachten die Aufführung "Der Feuerzangenbowle" im Freiluftkino durch  Boris Palmer  gestrichen. Damit wurde mit einer 31-jährigen Tradition gebrochen, die bei den Studenten sehr beliebt war. Es gab zum Film seit jeher Feuerzangenbowle. Der Veranstalter hatte Boris Palmer vor der "zwiespältigen Vorgeschichte" des Films gewarnt. (Siehe BILD 18.12.24 Boris Palmer streicht die Feuerzangenbowle). Schade ! Der Film war der Lieblingsfilm meines Vaters (neben Quax, der Bruchpilot) und wurde jährlich am Fernseher zelebriert. Wir Kinder durften Feuerzangenbowle probieren. Die chemischen Experimente wurden begeistert gefeiert. Mein Vater führte uns Kindern dann  ein paar "Chemische Experimente, die gelingen" (Hermann Römpp) vor. Das war eine Gaudi. Heinz Rühmann war nicht nach meinem Geschmack, seine verschmitzte Lausbübigkeit fand ich eher albern für einen erwachsenen Mann. Na, ja :))

Klaus Kunde

4. Februar 2024 19:30

Nach Stalingrad stieg das Interesse an „Feindsendern“ rasant, während die Glaubwürdigkeit des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda längst gegen null tendierte. Der SD konstatierte Mitte Februar 1943 in seinen „Meldungen aus dem Reich“ eine weit verbreitete ruinierte Stimmung. An die Stelle bangen Hoffens und der Frage, „wie lange es noch bis zum Siege dauere“, trat nun die Sorge, „wie lange wir den Krieg noch mit Aussicht auf ein günstiges Ende durchhalten können“. Platte Indoktrination verfing längst nicht mehr, um so mehr setzte Goebbels auf leichte Kost, also Schnulzen, Komödien und Heimatfilme, Ort und Zeit oft im Dunkeln lassend. Es gab durchaus eine Zielsetzung für derartige Unterhaltung. Das Kinoerlebnis als Fluchtvehikel; wenigstens mal ein paar schöne Stunden im Land der Träume hebt den unabdingbaren Wehrwillen des Zivils. NS-Propaganda läßt sich in diesen Filmen nicht ausmachen, wer sie dennoch sieht, muß sich schon sehr anstrengen. Filme, wie „Die Feuerzangenbowle“ und „Münchhausen“ sind auch heute noch nett anzusehen. Wirkliche Propaganda in Spielfilmen findet sich eher in Vorkriegsproduktionen. Im Verhältnis zur Gesamtzahl der im NS produzierten Filme zeigen sich diese eher marginal. Propaganda lief bis zum Endsieg im Kino, allerdings als „Wochenschau“ im Vorprogramm.

Hesperiolus

4. Februar 2024 20:52

Zum forstästhetischen Pädagogem im Bömmel-Brettschen Methodenstreit, der, dann anhebend choral unterlegten, gedanklichen Kernszene des Films, zu assoziieren aus „Ewiger Wald“ von 1936: „Hört, hört ihr Leute, der König, seine Majestät will, daß der neue Wald dasteht, akkurat wie Soldat an Soldat“ - dazu horribler Stangenwald gezeigt. Bemerkenswert blickbestimmt die brettsche Physiognomie, an Fichte erinnernd, bis hin zu Lisson. (Wer darüber, eine Ideo-physio-chronie, schreiben könnte…. ). Der Paragone der Himboldt gegen unterlegene Sessak war mir immer contre coeur. De gustibus non est disputandum. - Zwar ruft das Kommentariat ihn erwartungswider nicht auf, doch mit Kempowski der Epilog: „…. Wahr sind nur die Erinnerungen, die wir mit uns tragen, die Träume, die wir spinnen und die Sehnsüchte, die uns treiben, damit wollen wir uns bescheiden… „ - 

Auf Sehrohrtiefe

4. Februar 2024 21:30

Zunächst besten Dank an Martin Lichtmesz nicht nur für diesen Beitrag, sondern gerade auch dessen letzte beiden Absätze, die auch meine Erfahrungen wiedergeben.
Ich halte es wie Leser fw87. Mein Filmkonsum speist sich im wesentlichen aus den deutschen Werken vor 1945, wobei ich auch manche Filme aus der frühen DDR interessant finde. Die Qualität dieser Filme ist im Durchschnitt deutlich höher als die des degenerierten angloamerikanischen Kinos, versinnbildlicht etwa am Vergleich zwischen "Feuerzangenbowle" und "Rocky Horror Picture Show", zwei Filme, die das Publikum gerne textsicher und kreativ begleitet. Das eine ist liebenswürdiges Schauspiel, das andere ein Road Trip von Gestörten für Gestörte.
Gut, daß es Literatur gibt wie etwa das Werk "Die Gesichter der UFA", das 50 männliche und 50 weibliche Schauspieler vorstellt. Und der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung sei gedankt, daß sie viele Werke erhält, die die geistig minderwertigen Besatzer noch stets unter Verschluß halten wollen. All diese Werke werden eines Tages wieder in deutschen Kinos zu sehen sein. Bis dahin bleit der Zugriff auf gut sortierte Privatsammlungen.
 

ofeliaa

4. Februar 2024 22:16

Schon bevor dieser Text hier erschienen ist, habe ich mir immer wieder immense Gedanken gemacht, wie ich es schaffen kann, dass ich einerseits meinen inneren Schöpfungsimpulsen Ausdruck verleihen und gleichzeitig aber verhindern kann dass irgendeiner meiner Inhalte so fatal falsch interpretiert werden kann, wie es bereits öfters passiert ist. Bildung dachte ich helfe mir, denn schreiben, ohne ausreichend über das Thema informiert zu sein, kann nur peinlich enden. Es stellte sich doch heraus, für mich persönlich als Schlussfolgerung, dass die einzige Möglichkeit etwas derartig Unantastbares zu schaffen, nur wäre wenn man nicht mehr täte, als drei kleine schwarze Punkte auf eine weiße Leinwand zu zeichnen, dem Ganzen auch keinen Titel und keinen Verfasser gäbe und dann darauf hoffte, das Werk möge mit jedem einzelnen Betrachter völlig individuell resonieren, ohne dass sich dabei auch nur zwei Individuen gleichzeitig auf dieselbe Interpretation einigen könnten. Es müsste so abstrakt sein, dass es ausserweltlich sei. Kein leicht erkennenbarer Bezug zum Menschlichen enthalten. - Was ich damit sage: Es bleibt, was wohl alle Künstler lebenslang verfolgen, aber nie erreichen. Es ist, ohne lamentieren zu wollen, die bittere Realität des Künstlers, dass er selbst menschlich ist, und nicht umhin kommt, zu bluten, wenn er seine Kunst den Säuem zum Fraße wirft, die dann alles zerklauben und in mundgerechte Stücke zerfetzen. 

Olmo

5. Februar 2024 06:18

Mein Fachabitur machte ich auf der Fachoberschule für Gestaltung. Ein schöner Altbau in der Nähe zur Altstadt. Nach der Anarchie der Ghetto-Gangster-Gesamtschule war das der Garten Eden. Ein Lehrer trug Fliege, ein anderer Hosenträger. Mancheiner war Freund,  Respektspersonen waren eigentlich alle,  jeder auf seine Art. Ich war ein schlechter Schüler, doch ich liebte die Schule so sehr, ich ging sogar hin, wenn ich krank war. Es hieß immer, der Film sei dort gedreht worden. Ich bin etwas überrascht darüber, jetzt zu erfahren, daß dem nicht so ist. Wie dem auch sei, für mich verkörpert die Gesamtschule die gescheiterte linke BRD. 
 

RMH

5. Februar 2024 07:20

"All diese Werke werden eines Tages wieder in deutschen Kinos zu sehen sein."
Die dann leer sein werden (wenn das Kinosterben welche übrig gelassen aht), weil sich keiner das Zeug ansehen will, außer, ihm wird dabei "nachgeholfen". Und das kann eine freiheitliche Rechte nicht im Sinn haben. Das Kino leidet doch unter der ewigen Subventioneritis und dem Umstand, dass wirklich jeder Küchenpropagandist einen Zugriff aufs Medium haben will. Und damit kann man gefühlte 90% aller Filmproduktionen abschreiben (insbesondere, wenn sie aus dem Land sind, in dem ohne Subventionen fast gar nichts mehr geht, also Deutschland). Filme wie die FB dienten natürlich der Unterhaltung und die Mehrzahl der Betrachter des Films dürften den Film auch zum ersten mal gesehen haben, als es schon gar keinen Krieg und keinen NS-Staat mehr gab. Sie fühlten sich auch im Wirtschaftswunder oder beim Aufbau des Sozialismus (der Streifen lief bekanntermaßen auch in der DDR und dort sogar eher im Fernsehen, als im Westen) einmal 95 Minuten gut unterhalten und aus dem Alltag genommen und genau darum geht es bei guter "Unterhaltung". Lasst den alten Klamauk, der mehr Tiefgang hat, als manch neuer Klamauk, doch einfach einmal stehen. Das ewige Politisieren und Feindbeschreiben geht nur noch auf die Nerven. Jeder, der interessiert und nicht vernagelt ist, weiß doch ganz alleine, dass es überall auf der Welt gute Kunst gibt, aber erst einmal gefunden werden muss. Manchmal sogar auch aus dem heutigen Deutschland - im Filmbereich darf man da aber schon sehr suchen.

Dieter Rose

5. Februar 2024 08:58

@Hesperiolus
Zu Kempowski: Was der heute überhaupt zur Lage in Deutschland sagen würde? Wird er überhaupt noch nachgefragt?

Franz Bettinger

5. Februar 2024 11:05

Lichtmesz’s liebenswerte, positive Bewertung der 'Feuerzangenbowle' macht mich froh. Wir brauchen nichts Höheres, erst recht keine aufgewühlte Moral, hinter den heute üblichen Verunglimpfungen unserer Traditionen vermuten. Es ist einfacher: Alles Wahre, Normale, Selbstverständliche und Schöne soll in den Dreck gezogen werden. Das ist das Motiv hinter der anhaltenden 'Dekonstruktion' unserer Welt. Ich kann das niederträchtige Bestreben der scheinheiligen linken Globalisten nur noch mit Besessenheit und durchgeknalltem Satanismus erklären. Ein Film, den ich ebenfalls immer wieder gern sehe ist „Und ewig singen die Wälder“.

links ist wo der daumen rechts ist

5. Februar 2024 11:39

Schöner Text und schöne Reminiszenz.
Es stimmt natürlich, daß ein gerüttelt Maß an sorgenfreiem Eskapismus immer eine kulturelle Leistung ist, aber auch, daß der NS bei aller totalitären Umwälzung (Stichwort Generation des Unbedingten) eben auch den Schein des guten alten Bürgertums wahren wollte (wie man ja auch z.B. die preußische Tradition der Staatsräte nach außen fortgesetzt hat).
Und rein äußerlich sah man weiterhin so aus, wie von Walter Trier gezeichnet (und Kästners „Fliegendes Klassenzimmer“ war für mich immer die logische Ergänzung zur „Feuerzangenbowle“; für einen Ösi natürlich sehr exotisch der Begriffswirrwarr von Unterprimaner und Obertertianer…).
Aber mit dem Untergang des NS wurde auch diese alte Tradition fortgespült; Syberberg hat darüber ja lang und breit räsoniert. Oder wie es Gevatter Klonovsky vor kurzem ausgedrückt hat: Hitlers Kampf gegen rechts war erfolgreich – die konservative Opposition (Stauffenberg-Putsch) war erledigt. Über das nun noch klandestine Weiterwirken dieser George-Stauffenberg-Opposition nach 1945 hat Ulrich Raulff ein nettes Büchlein geschrieben.
Für die nicht-aristokratische Variante dieses konservativen Bürgertums stand eben auch der schon erwähnte Walter Kempowski: leicht schrullig, aber liebenswürdig, manchmal aufbrausend, aber fast immer verzeihend, direkt bis zur Schroffheit, aber mitleidend, typisch deutsch, aber weltoffener als alle Verweigerer der Vaterlandsliebe.

tearjerker

5. Februar 2024 11:50

Ich war ein guter Schüler ohne schlechte Erinnerungen an die Schule und obwohl ich Einiges mitnehmen konnte, halte ich mit zunehmendem Abstand den grössten Teil der Schulzeit nach Klasse 7 für blanke Zeitverschwendung. Der ganze Betrieb ist nur dazu da Versorgungsposten zu finanzieren, dem Nachwuchs seine Zeit zu stehlen und ihn im Rennen um Perspektiven zu behindern. Die Schulpflicht mit Zwang zum Aufenthalt im staatlichen Schulgebäude stammt nicht umsonst aus den 19Dreissigern. Sie sollte endlich verschwinden und grosse Teile der damals geschaffenen und bis heute gültigen Sozialordnung gleich mitnehmen. Die FZB ist vor diesem Hintergrund wirklich nostalgisch, erinnert sie doch daran, dass der Besuch eines Gymnasiums einmal mit einer besseren gesellschaftlichen Position für Wenige assoziiert werden konnte, während die 97% Nicht-Abiturienten sich kaum hätten vorstellen können fast bis zum 20. Lebensjahr hinter Schülerpulten und auf Freitagsdemos ihre Zeit zu verplempern.

Boreas

5. Februar 2024 13:33

@Dieter Rose
Kempo wäre sprachlos. Außer "Echolot"  und Tagebücher in gebundener Form sind alle Bücher im unteren einstelligen Euro-Bereich zu haben. Schön für die, denen die Lektüre ein paar heitere Stunden der Ablenkung beschert.
Die "Feuerzangenbowle" hat einen generationsübergreifend gemeinschaftsstiftenden Charakter und wird wohl bald mit ähnlich blödoiden Vorab-Disclaimer auf verstörende Inhalte rechnen müssen wie Ekel Alfreds "Silvesterpunsch" oder das DEFA-Märchen "Der kleine Muck". Das wird dann eine ähnliche Ritterschlagswertung wie der Begriff "umstritten".

Engel 0102

5. Februar 2024 16:27

Ja, den wunderbaren Film "Und ewig singen die Wälder" liebe ich auch ! Und de allermeisten UFA- Filme, vor allem mit Heinz Rühmann.

Gracchus

5. Februar 2024 16:58

Ich finde den Film liebevoll gemacht und ganz charmant. Für mich: Diskussion beendet. (Der Tübinger Veranstalter hatte die Vorführung nur diesmal abgesagt - wegen der Hamas-Angriffe auf Israel - auf sowas muss man erstmal kommen!)

Gracchus

5. Februar 2024 17:36

@Dieter Rose: Von Kempowski stammt ein schöner Schulroman: "Heile Welt"! 
@Auf Sehrohrtiefe: Das Hollywood der sog. goldenen Ära finde ich durchaus respektabel, sogar bewundernswert.  

settembrini

5. Februar 2024 18:08

Die eigentliche Pointe des Filmes ist der Schluß: Wo sich Hans Pfeiffer direkt an uns Zuschauer wendet und erklärt, daß er die ganze Geschichte von A bis Z erlogen hat. Mitsamt Marion und Eva und Literaturpreis. Denn: "Eine solche Schule, mit solchen Magistern und solchen Lausbuben, das gibt es ja gar nicht. Hat es auch niemals gegeben" (Also, von wegen Verklärung der seligen Vergangenheit). Und dann, besonders pfiffig, der Satz: "Ja sogar mich selbst habe ich erfunden." "Wahr ist lediglich der Anfang: Die Feuerzangenbowle". - "Wahr sind auch die Erinnerungen, die wir mit uns tragen; die Träume, die wir spinnen und die Sehnsüchte, die uns treiben. Damit wollen wir uns bescheiden."

Ostelbischer Junker

5. Februar 2024 19:27

Sehr geehrter Herr Lichtmesz,
bei allem Verständnis, gegen Tichy und Konsorten anzuschreiben ist es mir trotzdem rätselhaft, warum sie deshalb ins Entnazifizierungsgeschäft einsteigen und die Feuerzangenbowle persilbehandeln wollen.
Den Tichys und Schmitts fällt es doch deshalb nicht schwer, die Feuerzangenbowle einen Nazifilm zu nennen, weil er einer ist.

ML: Wie definieren Sie denn "Nazifilm"?

Wenn es einfach eine Hommage an die gute alte Zeit wäre, die Mode muss den Zuschauern von 1944 noch aus eigener Anschauung als die um 1910 bekannt vor gekommen sein, hätte man das Korrekte Kaiserbild, von unserem lieben Wilhelm II., anstatt den weißbärtigen zu platzieren. Eben die unterschwellige goebbelssche Methode, den Wilhelminismus subtil anzugreifen.
Interessanter wäre doch aufzugreigfen, was der Film über das System selbst sagt und was Leute wie Schmitt nicht anpacken. Beispielhaft wäre zum Beispiel die Szene, in der das Kollegium berät, wie mit dem Bauarbeitenschild umgegangen werden soll:  m.m.n. Ein Angriff des NS gegen den Obrigkeits- und Rechtsstaat!

ML: OK, das ist originell irgendwie.

Es wird an Ort und Stelle und am Provincilal-Schul-Collegium vorbei geregelt, nicht nach Vorschrift und mit (kleiner) Gaunerei.
Ich verstehe nicht, warum wir dieses Etikett nicht unbefangen und geschichtsbewusst kleben lassen können.

ML: Verzeihung, ich verstehe den Punkt von diesem Kommentar nicht so recht. Sie finden NS gut und wollen genau das an dem Film bejahen? Ich wünsche Ihnen jedenfalls viel Spaß und Erfolg bei dem metapolitisch zweifellos extrem sinnvollen und ertragreichen Unterfangen, Nazietiketten "unbefangen und geschichtsbewusst kleben zu lassen".

Franz Bettinger

5. Februar 2024 21:58

Dem Vorschlag aus dem Lehrerkollegium, einen Denunzianten finden zu wollen, wird jedenfalls in der FZBowle eine Abfuhr erteilt. Diese klare Abfuhr ist bemerkenswert in einem System, das Denunzianten (übrigens wie heute) belohnt (Feindsender-Hören, Juden …). Der Film ist also, wenn schon, dann anti-nazi. (Hat Goebbels das übersehen?) 

Adler und Drache

6. Februar 2024 11:39

Wenn man Hesse oder auch Karl May liest, gewinnt man ein anderes, realistischeres und jedenfalls ernüchterndes Bild von der kaiserzeitlichen Schule; hier etwa ab S. 95: 
https://www.karl-may-gesellschaft.de/kmg/primlit/bio/leben/mein-leben-und-streben.php
Dass alte Herren noch einmal jung sein und mit der Souveränität des Alters lustige Lausbuben sein wollen, ohne die Qualen und Peinlichkeiten des Erwachsenwerdens nochmals auf sich nehmen zu müssen - geschenkt! Wem ginge das ab 50 nicht so?
In meinen Augen ein bedeutungsloses Filmchen, relevant allein dadurch, dass es wie die unsäglichen May-Verfilmungen (verfilmte Schlager mit 50er-Jahre-Exotikromantik à la Freddie Quinn) auf einer schwarzen Liste sozusagen "entarteter Kunst" gelandet ist. 
Die Vorgänge ähneln übrigens frappierend jenen der Ära der zweiten "roten Angst" und der McCarthyschen repressiven Republik (vgl. die "Hollywood Ten"), vor allem, weil in beiden Fällen ein weitgehend liberal und demokratisch etabliertes System plötzlich ins Autokratische umstürzt. (Aber vielleicht ist es ja gar kein "Umsturz", vielleicht handelt es sich nur um Abstufungen ...)    
 

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