Wikipedia entnehme ich, daß die Royal Air Force Berlin am Vortag (27. Januar 1944) mit 481 Bombern angegriffen hatte, “die 1761 t Bomben auf die Stadt warfen. Laut Bericht des Oberkommandos der Wehrmacht wurden durch Luftminen, Spreng- und Brandbomben vor allem dicht besiedelte Wohnviertel und Kulturstätten zerstört oder beschädigt.”
Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Heinrich Spoerl erzählt der Film (man kann ihn sich auf Youtube anschauen), wie sich der mondäne, erfolgreiche Schriftsteller Johannes Pfeiffer (Heinz Rühmann, der dieselbe Rolle bereits 1934 in einer früheren Verfilmung des Stoffes gespielt hatte) in eine fröhliche Gymnasialzeit zurückträumt, die er selbst aber nie erlebt hat, da er per “home schooling” auf dem Landgut seines Vaters unterrichtet wurde.
Nun holt er die fehlenden Erfahrungen in seiner Phantasie nach (er drückt also streng genommen nicht “wieder” die Schulbank, wie in Kommentaren zu dem Film häufig formuliert wird).
Sowohl die Rahmenhandlung als auch die “erträumte” Haupthandlung, in der sich Pfeiffer (“mit drei f”) unter die Oberprimaner mischt und lernt, wie man Lehrern Streiche spielt, sind in einem schon zur Entstehungszeit nostalgischen, wilhelminischen Ambiente angesiedelt, mit Pferdekutschen, Pickelhauben und breiten Damenhüten. Schauplatz ist eine fiktive idyllische Kleinstadt. Das gibt dem Film, der während der Kriegszeit dem puren Eskapismus diente, eine “heimelige” Atmosphäre von “guter, alter Zeit”.
Ein großer Teil seines Humors rührt aus der Konfrontation zwischen den “Lausbübereien” der Schüler und der Steifheit und zugeknöpften Moral dieser vergangenen Welt, die jedoch ausschließlich liebevoll (nicht bitter oder sarkastisch) karikiert wird.
Die Lehrer des Films sind kauzige, etwas pompöse und spießige, letztendlich aber wohlwollende und sympathische Gestalten. Es gibt hier keine Despoten, Tyrannen, Sadisten und Schülerselbstmorde, die heute unsere Vorstellung von dieser “autoritären” Zeit prägen (man sehe sich etwa Hanekes Film “Das weiße Band” an, der ebenfalls in Deutschland vor dem 1. Weltkrieg spielt). Es gibt keinen Schüler Gerber und keinen Professor Kupfer. Selbst die Karzer-Strafe, die über Pfeiffer verhängt wird, wirkt wie eine eher harm- und zahnlose Maßnahme, die Anlaß zu Lachern bietet.
Obwohl er zunächst in das Visier des Reichserziehungsministers Bernhard Rust geriet, der antiautoritäre Verunglimpfungen witterte, ist der Film in seiner Grundhaltung alles anderes als aufmüpfig (man vergleiche ihn etwa mit dem ungleich aggressiveren Anarcho-Klassiker Zéro de Conduite von Jean Vigo). Um Mißverständnisse dieser Art zu vermeiden, wurde ihm ein Titel vorangestellt: “Dieser Film ist ein Loblied auf die Schule, aber es ist möglich, daß es die Schule nicht merkt.” Auf Geheiß von Hitler persönlich, der sich von Göring und Rühmann überzeugen ließ, daß es sich hierbei um nichts weiter als amüsante Unterhaltung handelte, wurde der Film schließlich freigegeben.
Der damals 42jährige Rühmann war mit seinem kindlichen Mondgesicht und jugendlichen Habitus die ideale Besetzung für einen Mann mittleren Alters, der sich als Gymnasiast verkleidet, ohne allzu sehr aufzufallen. Es sind jedoch auch etliche seiner Mitschüler mit erwachsenen Schauspielern besetzt, die deutlich älter als ihre Figuren sind: Hans Richter war 26, Karin Himboldt 24 und Clemens Hasse gar 37 Jahre alt. Auch dieses Casting unterstreicht die augenzwinkernde, spielerische Scherzhaftigkeit des Spektakels.
Inszeniert wurde diese heile, heitere Welt 1943 in den Studios von Babelsberg, während alliierte Bomben auf Berlin fielen.
Die Feuerzangenbowle ist einer der wenigen Filme aus der NS-Zeit, die heute noch als “Klassiker” gelten und sich eine gewisse Popularität bewahrt haben. Seit dem Stefanitag 1969 läuft er Jahr für Jahr im bundesdeutschen Fernsehen (in der DDR war er bereits 1964 zu sehen). In derselben Liga spielen allenfalls noch die Hans-Albers-Vehikel Münchhausen und Große Freiheit Nr. 7.
Er ist auch der einzige in dieser Zeit entstandene echte “Kultfilm”, also einer dieser speziellen, langlebigen Streifen mit legendärem Nimbus, die man sich immer wieder und wieder ansieht, deren Dialoge man mitsprechen und deren Szenen man sogar “mitspielen” kann, wenn man das Glück hat, einer Aufführung mit gleichgesinnten Kultisten beizuwohnen (Prototyp des Mitmach-Kultfilms mit obsessiver Fangemeinde ist die Rocky Horror Picture Show aus dem Jahr 1974).
Aufgrund seines Themas erfreute sich Die Feuerzangenbowle vor allem im Hochschulmilieu jahrzehntelang großer Beliebtheit. Im Uni-Kino Göttingen läuft sie seit über vierzig Jahren als Dauerbrenner, seit 1988 als fixer Programmpunkt der “Nikolausparty”, wo sie simultan in mehreren Hörsälen gezeigt wird. Sie hat dort einen ähnlichen Stellenwert wie der Sketch “Dinner for One” im deutschen Silvesterprogramm. Zu den Besucherritualen gehört unter anderem das kollektive Entzünden von Wunderkerzen, während Heinz Rühmann auf der Leinwand seinen Chemielehrer imitiert und wilde Spaßexperimente vorführt.
2006 berichtete der Spiegel Folgendes über die vorweihnachtlichen Feuerzangenbowlen-Parties in Münster und Göttingen:
Dann aber endlich die gute alte “Feuerzangenbowle”. Für einige Szenen haben die Studenten feste Rituale. Wenn sich die alten Freunde von Johannes Pfeiffer (nur echt mit drei f) ihre Schulstreiche erzählen und mit der Feuerzangenbowle anstoßen, stehen die Studenten im Hörsaal auf und prosten sich zu. Wenn an Pfeiffers erstem Schultag morgens um sieben sein Wecker läutet, rattern auch im Hörsaal um die 50 Wecker los. Und in der Szene, in der der Pennäler für seinen Tischnachbarn mit einem Spiegel die Wanderung der Goten auf einer Landkarte nachzeichnet, gehen im Hörsaal die Taschenlampen an und verfolgen den Weg mit. Die Stimmung im Saal ist ausgelassen. Die Studenten unterhalten sich, trinken, feiern.
(…)
Die Münsteraner widmen der “Feuerzangenbowle” eine ganze Woche. Fünf bis sechs Termine gibt es jedes Jahr. Die Hörsäle, zum Teil mit 500 Plätzen, sind meist restlos ausverkauft. Die größte Feuerzangenbowle-Party allerdings findet jedes Jahr in Göttingen statt: ein Abend, fünf Kino-Hörsäle, 20 Vorstellungen, rund 10.000 Besucher.“Die Stimmung ist anders als im Kino”, beschreibt Veranstalter Georg Schneider die Party, “die Leute feiern schon während des Films und sprechen die bekanntesten Szenen mit.” Zum Beispiel, wenn Lehrer Schnauz seinen Schülern im Chemieunterricht “einen wönzigen Schlock” Heidelbeerwein aus dem Reagenzglas gibt. (…)
Freiburg, Mannheim, München, Hamburg, Essen, Hannover, Kiel – der Klassiker läuft an etlichen Hochschulen. In Münster sehen jedes Jahr zwischen 1500 und 2000 Studenten die “Feuerzangenbowle”. Das Highlight im Hörsaal ist das Ende, wenn Johannes Pfeiffer in seiner Verkleidung als Lehrer Schnauz das Radium sprühen lässt. Im Hörsaal zünden dann alle ihre Wunderkerzen an. Die Studenten schmelzen dahin, wenn Pfeiffer endlich das Herz seiner Eva, der Tochter des Direktors, erobert. Sie seufzen und bekommen einen sentimental-verklärten Blick. Beschwingt von Film und Glühwein verlassen die Studenten an diesem Abend die Uni.
Dieser Bericht ist nun achtzehn Jahre alt, was nicht allzu lange her ist, erstaunt aber ein wenig durch seine komplett “unkritische”, unbefangene Haltung gegenüber den Feuerzangenbowlen-Parties. Auch dieser Artikel aus dem Jahr 2009 über den “todernsten” Hintergrund des Films ist bemerkenswert differenziert und sachlich; man ist dergleichen gar nicht mehr gewöhnt.
Klar, die Feuerzangenbowle ist (erstaunlicherweise) immer noch “Kult”, wie dieser Kommentar der ARD zu ihrem 80. “Geburtstag” bemerkt, und das offenbar auch noch unter Göttinger Studenten, obwohl ihr Humor heute recht altbacken wirkt und man selbst in Durchschnitts-Mainstreamkomödien weitaus Krasseres, Derberes und weniger Harmloses gewöhnt ist.
Aber sie ist mittlerweile unter schweren Beschuß jener geraten, denen positive deutsche Traditionen generell ein Dorn im Auge sind. Und mit nichts lassen sich diese wirksamer zerstören und madig machen als durch “Anbräunung”. Auch die Feuerzangenbowle darf nicht “unschuldig” bleiben und muß “problematisiert” werden.
Dies ist Teil eines umfassenderen Trends, da wir in einer Zeit leben, in der immer mehr und mehr Filme der Vergangenheit, beileibe nicht nur der NS-Ära, mit Triggerwarnungen und ideologischen Distanzierungen versehen werden, um aktuell erwünschte politische Sensibilitäten nicht zu verletzen. Das betrifft Klassiker der goldenen Hollywood-Zeit wie Vom Winde verweht ebenso wie die Kraut-Western um Winnetou und Old Shatterhand oder die James-Bond-Serie, die nun vom Britischen Filminstitut offiziell als “rassistisch” und “sexistisch” gebrandmarkt wurde.
Zwar kann man die Feuerzangenbowle schwerlich ernsthaft als “Propagandafilm” qualifizieren, wie es unlängst eine ZDF-Mitarbeiterin namens Leonie Schöler versucht hat. Aber schon die Umstände ihrer Entstehung genügen manchen, um sie unter ideologischen Generalverdacht zu stellen.
Gewiß ist sie ein Paradebeispiel für die von Goebbels geforderte möglichst “unpolitische” Unterhaltung, die das Publikum nicht mit allzu offenen ideologischen und propagandistischen Elementen überfordern, ermüden oder gar abschrecken sollte. Die Filme dieser Zeit dienten, mit einigen sorgfältig konzipierten Ausnahmen, vorrangig der Flucht und der Betäubung, weniger der Indoktrination (heute wird viel offener, häufiger und primitiver indoktriniert, besonders von den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten), umso mehr, je schlechter die Kriegslage für Deutschland wurde.
So ist das damals herrschende Regime in nur sehr wenigen Filmen dieser Jahre präsent, auch in solchen mit zeitgenössischen Handlungen. Manchmal genügte es, nur ein, zwei Szenen herauszuschneiden, in denen eine Hakenkreuzfahne oder ein Hitlergruß zu sehen waren, um die Filme nach dem Krieg wieder im Kino oder Fernsehen zu zeigen.
2018 faßte Matthias Matussek zum 75. Jubiläum der Premiere in der Jungen Freiheit die Anklagepunkte zusammen:
Er verherrlicht die wilhelminische Vergangenheit. Er verschließt die Augen vor dem Judenmord. Er verführt zur politischen Passivität. Er ist kitschig. Er propagiert ein überholtes Frauenbild, und er ist heteronormativ. Er verführt ganze Hörsäle, in denen er immer zur Weihnachtszeit gezeigt wird, zu brüllendem Gelächter über ein Werk, das in der Stunde des moralischen Untergangs entstand. Last but not least: Sein Hauptdarsteller und Produzent Heinz Rühmann war zwar nicht Parteimitglied, aber ein Mitläufer des NS-Regimes.
Matussek antwortete darauf mit einem abgeklärten (und wie ich finde, sehr schönen) Kommentar:
Hitler wollte wissen: Kann man über den Film lachen? Man kann es. Man tut es. Und staunt über die menschliche Fähigkeit zu Verdrängung und Vergessen. Es ist ein Film, der in ein seliges Gestern führt, in eine ewige Jugendzeit, in ein Paradies der schönen Erinnerungen, die so leicht an der Wirklichkeit zerschellen.
Als „Die Feuerzangenbowle“ schließlich uraufgeführt wurde, im Kino am Tauentzien am 28. Januar 1944, fielen die Bomben bereits tonnenweise auf Berlin. Wenn es schon damals möglich war, mit diesem Film die schreckliche Gegenwart auszublenden, dann ist es leicht, das einige Generationen und 75 Jahre später zu tun.
Der Mensch ist so gebaut. Er vergißt und verdrängt und zieht die selige Erinnerung vor, auch wenn die Räson eines ganzen Staates dagegen mit allen Mitteln ankämpft.
Einen neuerlichen Angriff gegen den Film ritt nun Sonja Zekri (eine Autorin offenbar arabisch-nahöstlicher Abstammung) in der Süddeutschen Zeitung. Ich habe den Artikel nicht gelesen, weil er hinter einer Bezahlschranke versteckt ist. Der Teaser reicht mir eigentlich schon, um zu erahnen, wohin der Hase läuft:
Die “Feuerzangenbowle” wird 80 Jahre alt – und von vielen geliebt. Dabei gibt es einige Gründe, die Komödie aus der NS-Zeit kritisch zu sehen. Nur zum Beispiel, weil sie der AfD in die Hände spielt. (…) Wenn Nazis lachen, ist Vorsicht geboten. Wenn Nazis lachen lassen, umso mehr.
Es sind also mal wieder die dämonologisch aufgefaßten “Nazis”, die als Maßstab für alles und jedes herhalten müssen.
Wie man dergleichen nicht kontert, führte Mario Thurnes auf Tichys Einblick vor. Sein Text ist ein schlagendes Beispiel für die Misere und Orientierungslosigkeit der “Liberalkonservativen”.
Zuerst macht er sich lustig über das “Geschäft der Guten mit dem Kampf gegen Rechts” und die “neue Horrorgeschichte aus dem Reich der rechtsextremen Mitte”, die den Film und damit auch die ARD, die ihn alljährlich zur Weihnachtszeit ausstrahlt, unter “Naziverdacht” stellt.
Aber tatsächliche Argumente, um den Film selbst in Schutz zu nehmen, bringt er kaum, sondern bestätigt vielmehr Punkt für Punkt die linken Vorwürfe, was er für eine besonders schlaue Strategie hält.
Ich gehe das mal nach der Reihe durch. Thurnes schreibt:
Auch im Film selbst gibt es Motive, die der Ideologie der Nazis schmeicheln. So ist Rühmanns Ausflug in die Schulwelt auch eine Flucht vor seiner Verlobten Marion. Die raucht, zieht sich sexy an, ist selbstbewusst – kurzum sie spiegelt die westliche Dekadenz wider. Rühmanns Pfeiffer mit drei F nimmt statt ihr „Eva“ – kein Witz – zur Frau. Die ist treu, blond und gehorsam, also eine rechte Nazibraut. Dass sich hier ein erwachsener Mann ein halbes Kind zur Lebensgefährtin auswählt, weil es besser zu ihm passt, entlarvt die Ideologie von alleine. Schon alleine deswegen lohnt es sich, den Film immer noch anzuschauen. Zumindest für Zuschauer, die selbstständiges Denken dem Strammstehen unter der linken Fahne vorziehen.
Vor allem den letzten Satz finde ich ausgesprochen erheiternd: Nachdem der Autor den Film nach rein linken und zeitgeistig-zeitgenössischen Maßstäben abgemessen hat, attestiert er sich selbst “selbstständiges Denken”. Naja.
Dabei stimmt hier eigentlich gar nichts. Pfeiffers Verlobte hat mit seinem Ausflug (und nicht “Flucht”) in die Schulwelt nichts zu tun; sie spiegelt auch keine “westliche Dekadenz” wider, sondern ihre Extravaganz und Affektiertheit hat damit zu tun, daß sie eine Schauspielerin aus dem großstädtischen Milieu ist, in dem sich auch der ansonsten Monokel und Smoking tragende Erfolgsautor Pfeiffer normalerweise bewegt, wie die Rahmenhandlung zeigt.
Daß Thurnes Treue, Blondheit und Gehorsam mit “Nazibräuten” assoziiert, läßt tief blicken über den Grad seiner eigenen linken Indoktrination. Die Schülerin “Eva” (die auch – kein Witz – im Roman und Film von 1933/34 so heißt, lange bevor die Öffentlichkeit überhaupt wußte, daß es eine Führerbraut in spe namens Eva Braun gab) ist jedenfalls nur “blond”. Ob sie “treu” sein wird, darüber gibt der Film keine Auskunft, “gehorsam” ist sie gerade nicht, wenn sie Zigarettenrauch durch das Schlüsselloch von Pfeiffers Karzer bläst und fröhlich an der “illegalen”, gemischtgeschlechtlichen Party der Oberprimaner teilnimmt.
Sie ist auch mitnichten “ein halbes Kind”, sondern eine offensichtlich erwachsene Schauspielerin, die wie Rühmann selbst aus Gründen der Komik “kindlich” hergerichtet wurde. Und ihr Happy-End mit Pfeiffer entpuppt sich ohnehin nur als Traum. So einfach “entlarvt” sich “die Ideologie” nicht “von alleine”, wie Thurnes selbstdenkt.
Weiter im Text mit einer noch größeren Dummheit:
Umstritten ist auch die Figur des Oberlehrers Dr. Brett. In einem Kollegium wilhelminischer Lehrer steht er für die „neue Zeit“, wie es im Film heißt. Den schusseligen Professor Bömmel – watt is’n datt, ne Dampfmaschin‘? – belehrt Brett über den Umgang mit Schülern: „Junge Bäume, die wachsen wollen, muss man anbinden, dass sie schön gerade wachsen – nicht nach allen Seiten ausschlagen. Und genau so ist das mit den jungen Menschen: Disziplin muss das Band sein, das sie bindet, zu schönem, geraden Wachstum.“ Das ist im Prinzip Hitlers Windhund-Rede – ausgedrückt in poetischeren Worten.
Hitlers (zum Zitierklischee gewordene) “Windhund-Rede” (Nürnberg 1935, Ausschnitte davon sieht man in Triumph des Willens) ging etwa so:
Was wir uns von der deutschen Jugend der Zukunft wünschen, ist etwas anderes, als was die Vergangenheit sich gewünscht hat. Wir müssen einen neuen Menschen erziehen. In unseren Augen muß der deutsche Junge der Zukunft schlank und rank sein, flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl.
Das sind zwei völlig verschiedene Aussagen. Mit “Poesie” hat das überhaupt nichts zu tun. Ich finde in der besagten Hitler-Rede (hier im Wortlaut dokumentiert) auch sonst keine Parallelen zu Bretts Worten.
Und an diesen kann ich nichts Verwerfliches oder spezifisch Nationalsozialistisches erkennen. Im Gegenteil stimme ich ihnen zu, “selbstständig denkend”. Wir haben es hier mit pädagogischem Common sense zu tun, den man heutzutage leider vergessen hat, wenn man ihn nicht zu verleumden versucht, indem man ihn mit “Faschismus” und “autoritärem Gedankengut” assoziiert.
Daß der junge Lehrer Brett, der als freundlich, nachsichtig, geduldig und warmherzig, aber eben nicht als Schwächling, sondern als Respektsperson gezeichnet wird, eine Art “Nazi-Kader” darstellen soll, ist ein unhaltbares Märchen, das im Film selber keine Grundlage hat, es sei denn, man hält eine konservative Grundhaltung generell für “naziverdächtig”. Aber das geht nur, wenn man eine linke Brille auf dem Kopf hat.
Hier hat jedenfalls Holger Kreymeier von Massengeschmack-TV souveräner reagiert als Tichys Autor:
Der gezeigte Ausschnitt ist überhaupt nicht skandalös. Im Gegenteil, er ist sogar aktueller denn je. Die aktuellen PISA-Ergebnisse zeigen ja, daß ein bißchen mehr Disziplin in den Schulen vielleicht mal ganz gut täte, um auch die Ergebnisse wieder ein bißchen besser zu machen, im Lesen und im Schreiben. Und das gleich in einen Nazi-Kontext zu stellen, das ist ja vollkommen absurd.
Hugh. Wenn man diese Sätze Bretts schon übel und Nazi findet, dann kann man auch gleich jegliche Erziehung bleiben lassen.
Unterschlagen wird in diesem Zusammenhang auch ein anderer Satz Bretts, der den zitierten vorangeht. Als er von einem der altgedienten Lehrer gefragt wird, wann man denn erkenne, ob eine Erziehungsmethode “die richtige” sei, antwortet er:
Brett: Wenn der Lehrer der Freund der Schüler ist…
Professor Bömmel: Das ist bei mir der Fall.
Brett: … und die Schüler vor ihm Respekt haben.
Bömmel: Das ist bei mir nicht der Fall.
Brett: Lieber Herr Professor, das wäre ja auch traurig, wenn eine neue Zeit nicht auch neue Methoden hätte.
Bömmel: Ja, ja, ihr Jungen wollt immer alles besser machen. Und ihr macht es auch besser, das weiß ich ganz genau.
Die “neue Zeit” in diesem Dialog kann man schwerlich auf den Nationalsozialismus beziehen, wie immer wieder zu lesen ist. Und wenn ihr Grundsatz ist, daß der Lehrer idealerweise für den Schüler Freund und Respektperson zugleich sein soll, dann sehe ich nicht, was ein Mensch mit Verstand dagegen vernünftigerweise einwenden könnte.
Nachdem der selbstständig denkende Tichy-Autor noch das persönliche Verhalten des Schauspielers Heinz Rühmann während der NS-Zeit (das für den Wert und den Genuß des Films völlig irrelevant ist) ins Feld geführt hat, schreibt er:
Ob das alles widerlich ist? Aber hallo. Ja. Doch es widerlegt eben die Süddeutsche. Nicht der Rückzug in den Schutzraum ist der Weg, sich mit (echten) Nazis auseinander zu setzen. Sondern ihnen ins Auge zu sehen: Ja, Dr. Brett wirbt in dem Film für die Nazi-Ideologie.
Das ist unfaßbar töricht. Schon allein deshalb, weil Dr. Brett, wie wir eben gesehen haben, mitnichten “für die Nazi-Ideologie wirbt”, und auch der Rest an Haaren, die Thurnes in der Suppe gefunden haben will, nur sehr vage, wenn überhaupt und schon gar nicht exklusiv mit dem damaligen Zeitgeist verbunden ist.
Es scheint die ewige Versuchung eines gewissen Schlages “Konservativer” zu sein, sich zwanghaft als die besseren Anti-Nazis verkaufen zu wollen (eine Strategie, die niemals aufgeht), während sie gar nicht merken, wie stark sie noch bestimmten linken Prämissen und Bewertungskriterien verhaftet sind (dazu zählt “der Nazi” als absoluter moralischer Maßstab).
Sie mögen zwar über die Exzesse der politisch Korrekten und der Woken herumjammern, aber solange sie nur eine mildere oder ältere Form von deren Ansichten vertreten, bleiben ihre argumentativen Waffen stumpf, hinken sie der Entwicklung bloß hinterher.
Erst wenn man bereit ist, die Feuerzangenbowle als einen grundsätzlich konservativen Film zu verteidigen, hat man den linken Offensiven etwas entgegenzusetzen (mit dem Bewußtsein, daß diese davon profitieren, daß im Dritten Reich bestimmte konservative Werte propagiert wurden).
Der linke Filmschnösel Schmitt hat schon Recht, wenn er hervorhebt, daß es sich hier keineswegs um ein “ideologiefreies” Werk und rein “unpolitische Unterhaltung” handelt.
Legt man jedoch Schmitts Maßstäbe an, dann gibt es überhaupt keinen Film, der (im weitesten Sinne) ideologiefrei wäre. Das ist auch nicht so wichtig. Ein “Problem” ist die (subliminale, implizite) Ideologie der Feuerzangenbowle nur aus linker Sicht, somit also für uns Nicht-Linke unverbindlich. Gewiß muß eine Analyse des Films auch den Kontext seiner Entstehung in Betracht ziehen, aber auch das läßt sich bewerkstelligen, ohne in die gängigen Deutungs- und Wertungsraster zu verfallen.
Zum Abschluß: Ich frage mich, warum gerade dieser Film eine derart dauerhafte, generationenübergreifende Beliebtheit erlangt hat. Gewiß ist er unterhaltend, amüsant und gut gemacht, mit einem Hauptdarsteller, der immer noch großen Publikums-Appeal hat (als Kind liebte ich ihn innig), aber das sind viele andere Filme der NS-Zeit auch, die schon längst vergessen sind.
Ich glaube, daß es vor allem zwei Dinge sind.
Zum einen zeichnet die Feuerzangenbowle das verklärte Bild eines vergangenen, (scheinbar) intakten Deutschland vor dem großen Absturz von 1914, das bereits 1944 anachronistisch war und Anlaß zu rückwärtsgerichteten Sehnsüchten gegeben hat, erst recht angesichts des bevorstehenden noch größeren Absturzes, der sich bereits zu diesem Zeitpunkt deutlich abzeichnete. Auch in den Jahrzehnten nach dem Krieg hielt sich dieses Bild oder diese Wunschvorstellung hartnäckig in den Köpfen des Publikums, was vielleicht auf gewisse innere kollektive Bedürfnisse verweist.
Heute, da das Land sehr stark “entnationalisiert” ist und sich von seiner Vergangenheit (außerhalb der zwölf Jahre) weitgehend losgekoppelt hat, hat der zur Zeitkapsel gewordene Film, wie auch andere seiner Ära, einen zusätzlichen Reiz bekommen. Allein die Sprache und die Diktion der Schauspieler zu hören, ist ein Genuß, der sich durch die zeitliche Entfernung noch steigert. Man spürt, daß seither Wesentliches an Substanz, an deutscher Substanz verlorengegangen ist.
Zweitens: Obwohl uns große Zeiträume sowohl von 1944 als auch von der wilhelminischen Epoche trennen, gibt es doch immer noch in unser aller Schulerfahrung etwas, das uns mit den Pennälern des Films emotional verbindet.
Auch wenn wir in gänzlich anderen Zeiten gelockerter Moral und reformierter Pädagogik aufgewachsen sind, so haben wir doch alle Erinnerungen an Lehrer, die uns in einem ganz besonders sensiblen Alter geprägt, gefördert oder auch in Angst und Schrecken versetzt haben, unter ihnen Originale, die vor allem durch die Kraft ihrer Persönlichkeit gewirkt und einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen haben.
Genau dieser Erfahrung setzt der Film ein liebenswürdiges Denkmal, mit dem auch heute noch sehr viele Menschen etwas anfangen können (und gewiß könnte man auch ganz andere Filme über ganz andere Lehrer und andere Schulen drehen, die weitaus weniger lieblich ausfallen würden).
Ich selbst denke an etliche meiner Gymnasiallehrer mit großer Dankbarkeit zurück (siehe auch hier), und wenn ich auf einen abstrakten Nenner bringen müßte, welche wichtigen Kerneigenschaften sie hatten, dann waren es genau diese: Daß sie mir aufrichtiges Wohlwollen (“Freundschaft”) entgegenbrachten, und daß sie aber zugleich Respektpersonen waren, die Disziplin einforderten (und wenn sich ein Lehrer keinen Respekt verschaffen konnte, war er nicht nur ineffektiv, sondern wurde schnurstracks von der Meute der Schüler verachtet und gefressen).
Ob ich schön und gerade gewachsen bin, darüber würden sie wohl geteilter Meinung sein. Was ich aus dem gemacht habe, was sie mir gegeben haben, ist allerdings nicht ihre, sondern allein meine Verantwortung.
Isarpreiss
Bömmels Vergleich der Schüler mit jungen Bäumen könnte seinen Ursprung in diesem Gedicht haben:
Freiheit sei der Zweck des Zwanges,
Wie man eine Rebe bindet,
Daß sie, statt im Staub zu kriechen,
Froh sich in die Lüfte windet.
Friedrich Wilhelm Weber (1813 - 1894)