Höcke gab, bevor wir uns auf den Weg machten, mehreren Alternativ-Medien Interviews, und er sprach kurze, rasch verwertbare Statements in die Kamera. Ich stand am Rand und nahm wahr, wie er den komplexen Sachverhalt auf knappe Sätze und klare Botschaften herunterbrach. Das tat er, weil er hunderttausende Zuschauer erreichen würde und dabei eine Aufmerksamkeitsspanne von weniger als ein paar Minuten im Blick hatte.
Höcke setzte mehrere Male neu an, achtete auf Akzentuierung, Schlagwörter, Lichtverhältnisse und sprach auch beim dritten Interview noch immer mit routinierter Spontanität, als stellte man ihm erstmals und erfreulich überraschend Fragen zu einem interessanten Sachverhalt.
Drei Aspekte an dieser Nachbereitung des Prozeßtages verweisen auf Professionalität:
- die Entscheidung, nicht den Altmedien, sondern der rund um die AfD angesiedelten Gegenöffentlichkeit exklusive Interviews zu geben;
- nicht den anwesenden Parteifreunden und Mitarbeitern augenrollend die Lästigkeit der immergleichen Antworten zu signalisieren, sondern sich ganz und gar auf die später “anwesenden” hunderttausenden Zuschauer zu konzentrieren;
- das jeweilige Format also ganz und gar begriffen zu haben.
Ganz anders nämlich das Format vom Vortag: Der Chefredakteur der Weltwoche, Roger Köppel, war zu Gast in Erfurt und führte ein ruhiges, technisch gewollt improvisiertes Gespräch mit Höcke, das sich über siebzig Minuten zog (hier ansehen). Ein befreundeter PR-Berater schrieb mir:
Das Köppel-Interview mit Höcke ist inhaltlich exzellent. Demut und Angriff, klassische Bildung und moderner Pragmatismus, Authentizität und Professionalität. Das war die Qualität eines Politikers, den diese Republik zur Reha ab sofort ein paar Jahre lang benötigte! Das alles ist von domizlaffscher Qualität: Es geht um den Unterschied zwischen Ansprache der Individual- oder der Massenpsyche.
Natürlich würde man sich wünschen, die AfD-Exorzisten sähen sich das Gespräch im stillen Kämmerlein an. Man sollte diese Stunde aber zumindest jedem in unserem eigenen Lager verpflichtend als Grundausbildung empfehlen. Zu oft versuchen unsere unvollständig informierten Mitstreiter, sich mit einer augenrollenden “Naja-der-Höcke”-Attitüde einen gemütlichen kleinen Safe Room einzurichten.
In diesen beiden Absätzen steckt viel, und ich will vorausschicken, daß es sich bei demjenigen, der das notierte, um keinen Marketing-Vernutzer, sondern um einen PR-Strategen handelt. Was heißt das? Es geht um jemanden, der auf ein Unternehmen, auf eine Lebensleistung schaut wie auf eine Persönlichkeit: Wer ist das, den ich beraten soll? Wenn “Antaios” ein Mensch wäre, was wäre das für ein Mensch? Ein Dandy? Ein gemütlicher, epischer Mann? Eine Oma, um die herum der Küchennebel dampft? Eine leicht laszive Dame, mit Buch in der Hand? (Nichts davon natürlich, aber ich wollte veranschaulichen!)
Domizlaff: Der Name fiel. Er ist der Erfinder der Markentechnik, er hat der Opposition gegen Hitler vor und nach 1933 zu erklären versucht, warum es auf das tiefe Verständnis der Massenpsyche ankomme, wenn man der massenpsychologischen Klaviatur des NS und ihrer Virtuosen Hitler und Goebbels etwas entgegensetzen wolle. (Dies als erste Hinweise, man muß Domizlaffs Brevier für Könige lesen, um diese Dimension zu verstehen.)
Wir haben es heute ebenfalls mit einer exzellent aufgestellten, massenpsychologisch orchestrierten Transformationspolitik zu tun. Sie ist kein NS, aber sie baut Tiefenstrukturen so um, daß sich Deutschland kaum noch, keinesfalls zumindest rasch mehr wird davon erholen können. Deswegen hinkt der historische Vergleich gewaltig, aber er hinkt in einigen Punkten eben nicht: Ein solcher Umbau, eine solche Demokratieaushöhlung, wie wir sie derzeit erleben, bedarf der meisterhaften Fassade (und nicht ohne Grund heißen diese Vor-Wände in der Baubranche “Verblendungen”).
Seit Jahrzehnten treiben unsere Regierungen eine propagandistisch exzellent verblendete Politik gegen das eigene Volk, das gegen die eigene Alltagswahrnehmung und gegen die existentiellen eigenen Interessen immer wieder die Fortdauer der Zerstörung wählt.
Ich bitte darum, diesen Umstand, diesen Mechanismus nicht mit Verweisen auf die “Mündigkeit des Wählers” oder dem seit Jahrzehnten kurz bevorstehenden “Sieg der Realität über das Experiment” zu kontern. Beides zieht nicht, beides ist konservative Blindheit, beides ist politischer Nebel, beides muß abgeräumt und aufgelöst werden durch rechte massenpsychologische Professionalität, oder so ausgedrückt wie zuletzt in der fünften von sechs Thesen zur Lage: “Der Realität muß auf die Sprünge geholfen werden!”
Höcke: Er hat binnen einer Woche drei Formate bespielt:
- Das TV-Duell gegen den “Herausforderer” Voigt von der CDU erreichte ein Millionenpublikum. Es kommt bei einem solchen Auftritt überhaupt nicht darauf an, Herrn Voigt, die Moderatoren oder das hinterher sowieso nach Schema F kommentierende Journalisten-Milieu zu beeindrucken. Es kommt darauf an, eine Politik für das Volk zu verkörpern, also den Gegenentwurf, den Aufstand gegen die Zerstörung.
- Das Köppelgespräch ist tatsächlich sehr stark auch an die eigenen möglichen Mitstreiter in der Partei gerichtet, die Wendung von der “Naja-der-Höcke”-Attitüde als einem gemütlichen kleinen Safe Room ist schlagend: Teile der AfD sind so, man muß Geduld mit ihnen haben, denn die Verlockung, sich auf Kosten Höckes emotional ein wenig in Sicherheit zu bringen, war immer groß und ist noch immer vorhanden. Deshalb ist das Weltwoche-Gespräch so wichtig: Höcke kann bei Köppel ausführen, er kann individualpsychologisch überzeugen, mischt Stimmung und Argument.
- Die Signale an das immer größer werdende Publikum, das sich aus alternativen Medien informiert, sind noch einmal anders. Höckes Botschaften verbreiten Zuversicht, mehren Hoffnung, formieren den Widerstand. An alle anderen ist es ein Zeichen, daß man es längst mit einem breiten Milieu zu tun habe, das dem “offiziellen Deutschland” keinen halben Meter mehr über den Weg traut.
Massenpsyche und Individualpsyche, reduzierte Komplexität und epische Herleitung, Bild und Stimmung und klare Worte – alles hat seinen Platz. Es geht um Masse, um Wählermehrheiten, um den Kampf gegen den “umgekehrten Totalitarismus”, der dieses Land zugrunde richtet. Diejenigen, die mitkämpfen sollten, aber noch immer in ihrem kleinen Safe Room verhocken, müssen begreifen:
Man kann mit den Netzwerken der Gegner parlieren, um ein wenig interessant zu wirken. Aber umdrehen wird man sie nicht können. Der Gegner macht das alles, weil er es kann. Er denkt keine Sekunde darüber nach, ob er es darf. Er würde auch dann keinesfalls aufhören, wenn die Partei nur noch aus solchen bestünde, die dem Gegner die Behauptung abnehmen, AfD zu spielen wäre kein Problem, wenn endlich dieser oder jener kaltgestellt würde.
Man kann die Wähler ein bißchen aufklären, aber das hebt sie nicht über die emotionale Hürde. Man muß ihr Herz erobern. Wähler, die den Sprung herüber zu uns wagen sollen, werden und müssen nicht abgewogen haben, ob die AfD etwas besser kann als die anderen Parteien. Sie müssen spüren, daß etwas besser werden wird, indem sie alternativ wählen. Höcke bündelt Emotionen, das spürt der Gegner. Deswegen steht er vor Gericht.
kikl
Das ist eine interessante Beobachtung. Fast zeitgleich hat Herr Krah jetzt ein Marathon-Interview über 6,5 Stunde bei den am äußerst linken Rand des verfassungskonformen Meinungsspektrums befindlichen Journalisten Jung gegeben. Hier geht's zum Interview.
Ich war überrascht über diese Entscheidung, denn das Format setzt ja bereits darauf, dass der Interviewte ermüdet und Fehler macht. Trotzdem hat sich Herr Krah sehr beachtlich geschlagen und die durchschaubaren Angriffe zumeist souverän gekonntert - jedenfalls so weit ich das Gespräch verfolgt habe, denn nach ca. 3,5 h hatte ich schon vom Zuhören genug.
Erstaunlich ist auch, dass überhaupt AFD-Politiker zu Wort kommen. Die Taktik des Totschweigens und Diffamierens wird langsam aufgegeben.