Auch wenn die Wachstumsdynamik der AfD vorerst gebremst wurde, steht die Partei nach wie vor auf einem stabilen Umfragensockel und wird bei den meisten Instituten zwischen 16–18% ausgewiesen. Die 20% +X werden erst mühsam aufgebaut werden müssen, und doch ist die Partei im Vergleich zu ihrem letzten Höhenflug im Herbst 2018 im Soll ihrer stärksten Mobilisierungszeiten.
Mit Spitzenwerten von bis zu 24% im letzten Jahr und einem erweiterten Wählerpotential von bis zu 30%, das sich über mehrere Monate hielt, war klar, daß sich die Partei Zugriff auf neue Wählerspektren und Milieus verschafft hat, die sich aus einem Momentum der Unzufriedenheit in einen Stamm von Kernanhängern transformiert haben.
Wie die jüngst erschienene Trendstudie „Jugend in Deutschland 2024“ aufzeigt konnte die AfD insbesondere in den jüngeren Altersklassen (14–29 Jahren) massiv zulegen. 22% der jungen Leute geben ihre Parteipräferenz inzwischen bei der AfD an. Damit ist die Partei innerhalb von nur zwei Jahren von der schwächsten Partei in dieser Altersgruppe zur stärksten Kraft geworden. Ein Plus von 13%. Die vormals stärksten Parteien unter Jungwählern (Grüne und FDP) sind beide um 11% abgestürzt, wodurch sie sogar von den Unionsparteien überholt wurden. Die Beteiligung an der Ampel-Regierung hat beiden Parteien die Dominanz im Jungwählermilieu offensichtlich gebrochen.
Auch die thematischen Prioritäten haben sich in den vergangenen zwei Jahren deutlich verschoben. Die Inflation ist für junge Menschen das Top-Thema (65%). Bei der Migration haben sich die Werte sogar von 22% auf 41% fast verdoppelt.
In vielen Gesprächen der letzten Wochen berichteten mir AfD-Mandatsträger schon von einer ungewöhnlichen Aufgeschlossenheit und Sympathie von Schülergruppen bei Besuchen in den Landesparlamenten. 16-Jährige, für die das Selfie mit einem AfD-Abgeordneten zum rebellischen Akt wird, um somit eine kleine provokative Spitze gegen den linken Sozialkundelehrer zu setzen. Unter Jugendlichen macht sich allmählich eine Bekenntnislust zur AfD breit.
Politische Bewußtseinsbildung hängt von vielen Faktoren ab: Elternhaus, Freundeskreis, geographischer Standort, soziale Klassenzugehörigkeit und, im Informationszeitalter, vor allem der Medienkonsum. Anders als in höheren Altersklassen spielen bei Jugendlichen lineares Fernsehen oder klassische Zeitungen kaum eine Rolle. 57% geben an, dass soziale Medien die Hauptkanäle zur politischen Informationsbeschaffung sind. Erst danach und weit abgeschlagen kommen digitale Nachrichtenportale und schließlich Fernsehsendungen mit jeweils 38%. Das Medienverhalten dieser Generation ist deutlich fluider, vielfältiger und dynamischer als noch vor 20–30 Jahren.
Der Kollege Erik Ahrens hat in einer vierteiligen Serie auf diesem Blog über die „Aufmerksamkeitsökonomie“ unter anderem auch sein Konzept einer sogenannten „TikTok-Guerillia“ skizziert und dabei die Reichweitenpotentiale der Plattform intensiv beleuchtet. Die aktuelle Jugendstudie scheint seine Thesen nun auch empirisch zu bestätigen. Von den 14–29-Jährigen, die angeben, die AfD zu favorisieren, nutzen mehr als die Hälfte regelmäßig die Plattform TikTok. Bei Anhängern der SPD (47%) und den Grünen (39%) sind es weniger. Die Dominanz in den sozialen Medien bleibt somit weiterhin eine Schlüsselressource in der Öffentlichkeitsarbeit der AfD.
Schon bei den vergangenen Landtagswahlen in Bayern und Hessen zeichnete sich ein AfD-Wachstumstrend ab, der sich vor allem in den jüngeren Wählerschichten niederschlug. Die Zuwächse in den höheren Altersklassen bleiben jedoch weiterhin marginal. Grundsätzlich ist die AfD eine Partei, die ihre Wählerbasis im Altersmittelbau zwischen 35–60 Jahren hatte und zumeist in den besonders jungen und besonders alten Kohorten nur unterdurchschnittlich gut ankommt.
Nun scheint sich bei der Jugend ein neuer Mobilisierungstrend abzuzeichnen und die entscheidende Frage ist die der langfristigen Wirkmächtigkeit dieses neu erschlossenen Potentials.
Hohe Zustimmungswerte unter Jungwählern sind für Parteien immer erfreulich. Sie geben der Partei das Selbstbewußtsein, als eine kulturprägende Kraft zu wirken, und sind zugleich auch eine Wahl-Investition in die Zukunft. Das Beispiel der Grünen zeigt, wie sich intergenerationale Effekte in der Wahlpräferenz von den Erwachsenen auch häufig auf die eigenen Kinder übertragen. Die Prägungen der 68er Studentengeneration hatten genug Zündungspotential, um auch nachfolgende Jugendgenerationen für linksgrüne Politik zu gewinnen.
Diese intergenerationalen Effekte könnten auch eine naheliegende Erklärung für die wachsenden Zustimmungswerte bei der AfD haben. Der ohnehin starke Altersmittelbau der Partei (35–60 Jahre) ist die Elterngeneration der 14–29-Jährigen sein, die jetzt wie auch ihre Eltern für die AfD sympathisieren. Darauf deuten auch die Ergebnisse der Trendstudie hin. Die jungen AfD-Sympathisanten sind mehrheitlich männlich (64%) und sind überdurchschnittlich häufig Kinder aus bildungsfernen Familien (Eltern ohne Abitur).
Hinzu kommen weitere Sozialisationsparameter wie der veränderte Medienkonsum oder aber auch die Lust an der Rebellion gegen die linken Konventionen in den Bildungseinrichtungen sein. Die These von der Elternhausprägung ist jedoch im Hinblick auf die vielfach untersuchte, geschlechtliche Differenz bei den jungen AfD-Sympathisanten nur bedingt haltbar. Studien der letzten Jahre haben deutlich gezeigt, dass junge Männer signifikant stärker für die AfD sympathisieren als junge Frauen. Der Soziologe Dr. Ansgar Hudde hat diesen Befund auch anhand verschiedener politischer Einstellungsprofile, über mehrere Dekaden, im deutschen Wahlverhalten festgestellt.
Über die soziale Vererbung von politischen Einstellungsmustern und Wahlpräferenzen ist sich die Studienlage am Ende uneinig. Entscheidend dürfte das Potential für die Herausbildung einer eigenen rechten Jugendkultur sein, die auch als Orientierungsanker und Lebenskompaß dient. Daraus könnten sich eigenständige soziale Milieustrukturen bilden. Wichtig ist der Transformationssprung vom rebellischen Affekt hin zu einem alltäglich wahrnehmbaren Milieu.
Jedoch: Auch wenn die Jungwählererfolge hoffnungsfroh stimmen mögen, so haben sich in den letzten Jahren die Gewichte bei Wahlen deutlich in Richtung der Generation 60+ verschoben. Auf jeden einzelnen Wähler zwischen 18–29 Jahren kamen bei der Bundestagswahl knapp drei Wähler der Generation über 60 Jahren. Die Jugend bringt schlicht und ergreifend nicht genügend Masse an die Wahlurnen. Ohne das Ü60-Wählerspektrum wären selbst die beiden großen Volksparteien bei der Bundestagswahl 2021 teils deutlich unter 20% gelandet. Die Rentner sichern SPD und Union das politische Überleben und ihren „Volksparteistatus“.
Selbst bei der AfD macht ein Blick auf die absoluten Stimmen zur letzten Bundestagswahl deutlich, dass die Partei auch dort von den Ü60-Stimmen abhängig ist. Hier sollten die prozentualen Zahlen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in der 60+ Kohorte immer noch ein absolutes Stimmengewicht für die Partei gibt, welches fast doppelt so groß ist wie das der 18–34-Jährigen.
Absolute Stimmen nach Altersgruppen Bundestagswahl 2021
Wir sehen also, daß sich mit der Jungwählerzustimmung für die AfD ein neuer starker Polarisierungsvektor eröffnet hat. Neben dem Stadt-Land-Gefälle, der Geschlechterdifferenz zwischen Mann und Frau und der sozialen Klassenzugehörigkeit („Anywheres“ und „Somewheres“) zeichnet sich eine neue gesellschaftliche Spannungslinie zwischen Jung und Alt ab, in der die AfD eine politisch-exklusive Repräsentationsrolle einzunehmen scheint.
Politische Identitäten bilden sich immer entlang sozialer Gegensätze und Konfliktlagen heraus. Gelingt es der AfD die jeweiligen Spannungsfelder aufrechtzuerhalten und entsprechend Position zu beziehen, kann sie auch ihren Kernwählerstamm weiter ausbauen und neue Mobilisierungspotentiale erschließen. Das sollten im Hinblick auf die hinzugewonnen Jungwähleranhänger auch die Funktionäre berücksichtigen und etwa einer Jungen Alternative auch die Entfaltungsräume lassen, aus denen heraus sich eine echte rechte Jugendkultur entwickeln könnte.
das kapital
Joschka Fischer, Jahrgang 1948, 76 Jahre alt, Jürgen Trittin, Jahrgang 1954, demnächst 70. Die punkten halt nicht mehr bei der Jugend und das ist auch gut so. Jeder junge Mensch, der auch nur ein bisschen wach durch die Gegend geht kann erkennen, dass die Ampel die Zukunft des Landes und die Zukunft der Jugend bereits katastrophal zerstört hat und weiter zerstört. Die müssen weg, koste es, was es wolle. Die Nachfolger werden größte Schwierigkeiten haben, Deutschland zu retten, aber es muss geschehen. Niemand hier hat ein zweites Leben in Reserve.