Einige Gedanken über Magie – Teil 1

Seit 2018 mache ich zusammen mit Martin Sellner einen Video-Podcast mit dem Titel "Auf eine Melange", der exklusiv für Abonnenten von "MSLive+" einsehbar ist (Auszüge gibt es auf Martins Telegram-Kanal). Es gab allerdings zwischendurch eine lange, zum Teil "Corona"-bedingte Pause. 2023 haben wir uns endlich aufgerafft, und ein "Reboot" unseres Formats lanciert.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Den Rück­mel­dun­gen nach schei­nen unse­re stun­den­lan­gen Gesprä­che in Schwarz-Weiß zumin­dest bei der ein­schlä­gig inter­es­sier­ten Ziel­grup­pe gut anzu­kom­men. Mei­ne Rol­le dar­in ist, Mar­tins übli­chen pro­fes­sio­nel­len Prä­sen­ta­ti­ons­mo­dus zu sabo­tie­ren und ihn auf eher mäan­dern­de Plau­der­pfa­de zu locken.

Die “Melan­ge” gibt es in zwei Varia­tio­nen: Ein­mal als Ritt durch tages­po­li­ti­sche The­men, und zum zwei­ten als Ein­tau­chen in ein spe­zi­el­les The­ma. Die­ses ergibt sich meis­tens spon­tan, nach ein biß­chen Her­um­tas­ten, ohne Vor­be­rei­tung: So haben wir uns ein­mal über die meta­phy­si­schen Impli­ka­tio­nen der Dino­sau­ri­er unter­hal­ten, und in der vor­letz­ten Fol­ge über den The­men­kom­plex “Incels” und Partnerwahl.

Mit­te Mai tra­fen wir uns wie­der, um gleich zwei Fol­gen hin­ter­ein­an­der auf­zu­zeich­nen. Bei­de sind nun exklu­siv für die Mit­glie­der von MSLi­ve+ ein­seh­bar (hier anmel­den). Die Juni-Fol­ge (Nr. 15) ist die weit­aus anspruchs­vol­le­re, denn dar­in unter­hal­ten wir uns über “Magie und Technologie”.

Über das The­ma “Magie” habe ich in den letz­ten Mona­ten viel nach­ge­dacht und gele­sen. Das Bedeu­tungs­feld, das sich hier auf­tut, ist min­des­tens so weit gefaßt und so sub­jek­tiv aus­leg­bar wie das von “Lie­be”, “Kunst” oder “Gott”.

“Magie” hat nicht unbe­dingt mit über­na­tür­li­chen Kräf­ten oder Fähig­kei­ten zu tun. Die “Ver­zau­be­rung” durch (künst­li­che oder natür­li­che) Schön­heit, Schau­spie­le und Poe­sie gehört hier eben­so hin­ein wie die “Ver­he­xung” durch Wor­te, Sym­bo­le, Bil­der, dra­ma­ti­sche Ritua­le und sym­bo­li­sche Hand­lun­gen, wie sie in Wer­bung, Psy-Ops und Pro­pa­gan­da ver­wen­det wer­den. “Magie” ver­weist eben­so auf Täu­schun­gen und Illu­sio­nen wie auf Wun­der und Wünsche.

Die berühm­te Defi­ni­ti­on von Aleis­ter Crow­ley lau­tet: “Magick is the sci­ence and art of caus­ing chan­ge to occur in con­for­mi­ty with the Will.

Magie ist die Kunst und Wis­sen­schaft, Ver­än­de­rung im Ein­klang mit dem Wil­len hervorzurufen.

Dem­zu­fol­ge wäre ein magi­scher Akt auch ohne “okkul­te” Mit­tel mög­lich. Tat­säch­lich fährt Crow­ley in sei­nem Buch Magick in Theo­ry and Prac­ti­ce (1929) ver­blüf­fen­der­wei­se fort:

Every inten­tio­nal act is a Magi­cal Act. – Jede absichts­vol­le Hand­lung ist eine magi­sche Handlung.

Hier­für nennt er ein Bei­spiel: Sein Wil­le ist, die Welt mit bestimm­ten Tat­sa­chen bekannt zu machen, über die er Bescheid weiß. Zu die­sem Zweck benutzt er “magi­sche Waf­fen” – Feder, Tin­te, Papier, schreibt “Anru­fun­gen” (incan­ta­ti­ons)  – die Sät­ze sei­nes Buches, und ruft “Geis­ter” zu Hil­fe – Dru­cker, Ver­le­ger, Buch­ver­käu­fer, die ihm hel­fen, sei­ne Bot­schaft zu ver­brei­ten. Kom­po­si­ti­on, Publi­ka­ti­on und Dis­tri­bu­ti­on des Buches sind mit­hin ein Akt der “Magick” (wie er zu buch­sta­bie­ren belieb­te) gemäß sei­nem Wil­len (Magie wäre dann aber auch eine Art Technik).

Ich fin­de die­sen Ansatz sehr reiz­voll. Er eröff­net Mög­lich­kei­ten zu einer Art künst­le­ri­schen Roman­ti­sie­rung oder Ritua­li­sie­rung des All­tags. Und ich habe gewiß ein Inter­es­se dar­an, mit mei­nen Wor­ten Ände­run­gen in der Welt oder zumin­dest im Bewußt­sein mei­ner Leser hervorzurufen.

Aller­dings hat Crow­ley hier (wohl mit Absicht) etwas Ver­wir­rung gestif­tet, denn es bedarf schließ­lich irgend­ei­ner Abgren­zung zwi­schen magi­schen und nicht-magi­schen Akten, wenn der Begriff nicht völ­lig ufer­los wer­den soll. Und wenn ange­streb­te “Ver­än­de­rung” auf eine Wunsch­er­fül­lung abzielt, wie so häu­fig der Fall, dann sind natür­li­che Mit­tel oft “ein­fa­cher” und effek­ti­ver als “über­na­tür­li­che”.

Mei­ne per­sön­li­che bevor­zug­te Auf­fas­sung von Magie, ist, sie als Kunst, oder genau­er gesagt umge­kehrt: Kunst als eine Form der Magie zu begreifen.

Wie der Schrift­stel­ler und Comic-Autor Alan Moo­re (Watch­men, From Hell) bemerk­te, wären aus die­ser Per­spek­ti­ve Dich­tung, Male­rei, Musik, Skulp­tur und so wei­ter buch­stäb­lich Magie:

Kunst ist, wie Magie, die Wis­sen­schaft von der Mani­pu­la­ti­on von Sym­bo­len, Wör­tern oder Bil­dern, um im Bewußt­sein eine Ver­än­de­rung hervorzurufen.

Magie wäre dann in ers­ter Linie ein Bewußt­seins­zu­stand, ins­be­son­de­re einer, der sich vom tri­via­len All­tags­be­wußt­sein abhebt und es “auf­zu­bre­chen” ver­mag. Die “Ver­än­de­rung”, von der Crow­ley in sei­ner berühm­ten Defi­ni­ti­on spricht, wäre dann vor allem, wie Moo­re sagt, eine Ver­än­de­rung im Bewußt­sein, sei es das eige­ne, sei es das von ande­ren Menschen.

Die­ser Gedan­ke bringt uns rasch zu Nova­lis, der in sei­nen roman­ti­schen Frag­men­ten eben­falls Magie mit Wis­sen­schaft und Kunst in Ver­bin­dung setzt. Und auch er betont das Ele­ment des Willens:

Magie ist die Kunst, die Sin­nen­welt will­kühr­lich zu gebrauchen.

Sei­ne For­mel von der Roman­ti­sie­rung der Welt lautet:

Indem ich dem Gemei­nen einen hohen Sinn, dem Gewöhn­li­chen ein geheim­nis­vol­les Ansehn, dem Bekann­ten die Wür­de des Unbe­kann­ten, dem End­li­chen einen unend­li­chen Schein gebe, so roman­ti­sie­re ich es.

Der Dich­ter hat hier eine akti­ve Rol­le inne (das meint “will­kühr­lich”) – durch einen Bewußt­seins­akt (der eben auch ein dich­te­ri­scher sein kann) ver­zau­bert er die Welt.

Eine Vari­an­te die­ses Gedan­kens geht davon aus, daß es in ers­ter Linie unse­re getrüb­te Wahr­neh­mung ist, die uns blind macht für den Zau­ber der Welt. So for­mu­lier­te der visio­nä­re Dich­ter Wil­liam Blake:

If the doors of per­cep­ti­on were cle­an­sed every thing would appear to man as it is, Infi­ni­te. For man has clo­sed hims­elf up, till he sees all things thro’ nar­row chinks of his cavern.

Die “Rei­nun­gen” die­ser “Pfor­ten der Wahr­neh­mung” kann wie­der­um auf unter­schied­li­che Wei­se gesche­hen: durch Dich­tung und Kunst, durch Fas­ten und Beten, durch Yoga- und Atem­übun­gen, auch durch die Ein­nah­me von bewußts­ver­än­dern­den Sub­stan­zen. All dies spiel­te und spielt in der magi­schen Pra­xis der Jahr­tau­sen­de eine gro­ße Rolle.

Und schließ­lich fällt mir hier­zu noch der Beginn von David Jones’ Dich­tung Ana­the­ma­ta ein (ich bin vor vie­len Jah­ren auf sie durch einen Hin­weis von Botho Strauß gestos­sen), der ein prä­his­to­ri­sches (?) Ritu­al schil­dert, das in eine latei­ni­sche Mes­se überblendet:

We alre­a­dy and first of all dis­cern him making this thing other. His gro­ping syn­tax, if we attend, alre­a­dy shapes: ADSCRIPTAM, RATAM, RATIONABILEM.… and by pre-appli­ca­ti­on and for them, under modes and pat­terns altog­e­ther theirs, the holy and venerable hands lift up an effi­ca­cious sign.

Sofort und zu aller­erst erken­nen wir, daß er die­ses Ding anders macht. Schon formt sich, wenn wir auf­mer­ken, sei­ne tas­ten­de Syn­tax: ADSCRIPTAM, RATAM, RATIONABILEM [Wand­lungs­bit­te der triden­ti­ni­schen Mes­se: “… ein gül­ti­ges, rech­tes, Dir wohl­ge­fäl­li­ges Opfer…” ]… und im vor­aus und für sie, in Struk­tu­ren und For­men, die ganz die ihren sind, erhe­ben die hei­li­gen und ehr­wür­di­gen Hän­de ein wirk­sa­mes Zei­chen. (Deutsch von Cor­de­lia Spaemann)

“Er” könn­te ein Pries­ter sein, in des­sen Hän­den sich die Hos­tie in den Leib Chris­ti ver­wan­delt (ein Akt der “wei­ßen” Magie?); aber auch ein Künst­ler oder ein Scha­ma­ne, der einen Gegen­stand vor­fin­det und ihn “anders” macht (eine Ver­än­de­rung her­vor­ruft): Er schnitzt eine Figur aus einem Stück Holz oder dem Kno­chen oder Zahn eines Tie­res oder schleift sie aus einen Stein; Zwei­ge über­ein­an­der­ge­legt for­men ein Kreuz oder eine Rune; Fels­bro­cken wer­den in einem Kreis ange­ord­net und erzeu­gen ein ima­gi­nä­res Feld, das den hei­li­gen vom pro­fa­nen Raum trennt und ihn mit Ener­gie und Atmo­sphä­re auflädt.

Wich­tig ist, daß das Zei­chen, das er auf die­se Wei­se erschafft, “wirk­sam” (effi­ca­cious) ist, daß es tat­säch­lich das Irdi­sche mit dem Über­ir­di­schen, das Sicht­ba­re mit dem Unsicht­ba­ren ver­bin­det. Es ist von Bedeu­tung, daß die Hän­de das Zei­chen erhe­ben (“lift up”), nach oben ver­wei­sen. Auch die Ges­te ist Teil der magi­schen Hand­lung, die eine Ver­än­de­rung im Bewußt­sein des Aus­füh­ren­den (und der etwa­igen Anwe­sen­den) sowie im Gewe­be der Wirk­lich­keit hervorruft.

(Das sind alles Grün­de, war­um ich den­ke, daß man wah­re Kunst nicht “auf Knopf­druck” machen kann. Es müs­sen rea­le Hän­de und Stof­fe im Spiel sein.)

Aber nun zurück zu Mar­tins und mei­ner “Melan­ge”. Aus­gangs­punkt unse­re­r­es Gesprächs war der Spot “Crush” von Apple, den ich hier ana­ly­siert habe: Ein Sam­mel­su­ri­um an Gegen­stän­den, die audio-visu­el­le mensch­li­che Krea­ti­vi­tät sym­bo­li­sie­ren, wird bra­chi­al von einer Stahl­pres­se zusam­men­ge­drückt und mit einem “Puff” in ein mira­ku­lös schlan­kes, klei­nes iPho­ne “ver­wan­delt”, das “digi­tal” alles kann, was die­se Gegen­stän­de können.

Das erin­ner­te mich an das drit­te “Gesetz” von Arthur C. Clar­ke (des Autors der lite­ra­ri­schen Vor­la­ge zu Kubricks Ody­see im Welt­raum, in dem einem Rudel prä­his­to­ri­scher Affen­men­schen ein avant la lett­re und avant la cho­se smart­phone-ähn­li­ches Gebil­de erscheint, das einen evo­lu­tio­nä­ren “Sprung” aus­löst; ein Affen­mensch fin­det dar­auf­hin einen Kno­chen vor und ver­än­dert ihn zu einer Waffe):

Jede hin­rei­chend fort­schritt­li­che Tech­no­lo­gie ist von Magie nicht zu unterscheiden.

Auch bei Her­bert Frit­sche (1911–1960), einem okkul­ten Autor und Schü­ler Gus­tav Mey­rinks, der unter ande­rem mit Ernst Klett, Ger­hard Nebel und Hans Blü­her befreun­det war, fand ich eine Defi­ni­ti­on, die Magie und Tech­nik mit­ein­an­der verknüpft:

Magie ist das vom Men­schen gewoll­te und gekonn­te Ver­än­dern der Welt, ihrer Geschöp­fe und Abläu­fe. Somit ent­spricht sie der Tech­nik, nur daß die­se sich phy­si­scher, die Magie aber okkul­ter Mit­tel bedient.

Sie öff­ne im Gegen­satz zur welt­ab­ge­wand­ten Mys­tik “Ein­bruchs­pfor­ten, durch die Meta­phy­si­sches gelenkt und welt­wirk­sam wird.”  Auch Crow­leys Bei­spiel vom Schrei­ben und Dru­cken eines Buches ver­weist auf Tech­ni­ken, mit denen “Meta­phy­si­sches” (der Inhalt des Buches) kom­mun­ziert und “wirk­sam” wird. Er ver­wischt jedoch die Gren­zen zwi­schen Magie und Tech­nik, indem er den Wil­len (und nicht die Mit­tel) ins Zen­trum sei­ner Defi­ni­ti­on stellt.

Mar­tin Sell­ner ver­wies mich dies­be­züg­lich auf ein kon­trä­res Zitat von Juli­us Evo­la aus sei­nen “magi­schen”, eso­te­ri­schen Schrif­ten der spä­ten zwan­zi­ger Jah­re (nach­zu­le­sen in dem ver­grif­fe­nen, anti­qua­risch ziem­lich teu­ren Band Magie als Wis­sen­schaft vom Ich).

Evo­la spricht dar­in die “kind­li­che” Auf­fas­sung von Magie an, mit­tels derer man “per Zau­ber­stab” oder auch über “mys­te­riö­se For­meln oder gehei­me Zei­chen” wie im Mär­chen “von selbst und ganz auto­ma­tisch die­sen oder jenen Effekt her­vor­brin­gen kann”. “Magi­sches” in die­sem Sinn sei jedoch, wenn überhaupt

… nur in der moder­nen Tech­nik mög­lich ist, nicht aber in der Welt der wah­ren Magie: Die Macht, einen gan­zen Fel­sen in die Luft zu spren­gen, indem man bloß den Druck­knopf eines Schal­ters betä­tigt, oder ganz ein­fach die Macht, Feu­er auf­flam­men zu las­sen, indem man ein Zünd­holz reibt, ist im Grun­de genom­men von genau die­ser Art: Hier bin ich, und dort ent­steht der Effekt, auf auto­ma­ti­sche, “magi­sche” Wei­se, her­vor­ge­bracht von einer Kraft, die nicht die mei­ni­ge ist und die mir völ­lig unver­ständ­lich und fremd bleibt, wie gut ich auch ihre Wir­kungs­wei­se oder bes­ser gesagt ihre Gewohn­hei­ten kenne.

Das ist eine Art von Magie, die kei­nem “Magus” vor­be­hal­ten ist, son­dern die jeder Mensch anwen­den kann, auch wenn nicht jeder weiß, wie man die Wun­der­ap­pa­ra­te baut, die die­se Wir­kun­gen erzielen.

Evo­la grenzt dies vom “wah­ren” magi­schen Akt ab, der

vom Stand­punkt der inne­ren Erfah­rung genau das Gegen­teil eines Wun­ders im vor­ste­hen­den Sin­ne [ist], das heisst eines unver­ständ­li­chen und Ver­wun­de­rung erre­gen­den Phä­no­mens. Denn er ent­steht aus einem Zustand abso­lu­ter Klar­heit-Erkennt­nis und ist von der Erfah­rung einer unmit­tel­ba­ren, rea­len Ursa­che-Wir­kungs­ket­te sowie der Kraft, die direkt in die Wir­kung mün­det, nicht zu tren­nen. Die­se Wir­kung wird in Abhän­gig­keit von Ursa­chen rea­li­siert, und die Ursa­che ist eins mit dem Zustand eines ver­voll­komm­ne­ten Lebens und sei­nen Höhepunkten.

Es ist hier nicht der Platz, näher auf Evo­las Auf­fas­sung von “Magie” ein­zu­ge­hen. Es geht nicht um die Kon­takt­auf­nah­me mit dämo­ni­schen Wesen­hei­ten und ihre anschlie­ßen­de Indienst­nah­me, wie sie zur sel­ben Zeit etwa Crow­ley ver­such­te, son­dern um die Initia­ti­on in einen ande­ren, sou­ve­rä­nen, mit der abso­lu­ten Tran­szen­denz ver­bun­de­nen Seins­zu­stand, der das Selbst “alche­mis­tisch” ver­wan­deln und poten­ti­ell unsterb­lich machen soll. Diver­se durch die­sen Pro­zeß “okkul­te” Fähig­kei­ten (wie Hell­se­hen, Tele­pa­thie…) wären dann nur ein “Neben­ef­fekt” die­ser Trans­for­ma­ti­on des Seins.

H. T. Hakl faßt es in sei­nem Vor­wort zu Evo­las Die her­me­ti­sche Tra­di­ti­on so zusammen:

Das Ziel die­ses Sys­tems [der Alche­mie im beson­de­ren und Her­me­tik im all­ge­mei­nen], ist die Erfaß­bar- und Erfahr­bar­ma­chung eines beseel­ten, “hei­li­gen” Orga­nis­mus, voll von leben­di­gen Kräf­ten, wo alles wun­der­bar mit­ein­an­der ver­wo­ben und mit­ein­an­der ver­bun­den ist und kom­mu­ni­ziert. Der Mensch steht in der Mit­te, da er als Makro­kos­mos in Ana­lo­gie den gesam­ten Makro­kos­mos ent­hält: wie oben, so unten – nach dem Wor­te der “Sma­rag­de­nen Tafel”.

“In der Welt der Tech­nik” spielt das Sein des Men­schen, der sie anwen­det (etwa mit sei­nem Smart­phone spielt), kei­ne Rol­le, und dar­um kön­ne man auch nicht von einer “wah­ren” Hand­lung spre­chen, fährt Evo­la fort:

… näm­lich einer Hand­lung, die direkt vom Selbst aus­geht und sich in der Ord­nung der wirk­li­chen Ursa­chen behaup­tet. Da sie abso­lut mecha­nisch und anor­ga­nisch ist und daher kei­ne Bezie­hung zum Wesen des Selbst hat, stellt die Welt der Tech­nik das Gegen­teil von allem dar, was den Cha­rak­ter einer wirk­li­chen Macht haben kann, die aus der Über­le­gen­heit geschaf­fen oder von Über­le­gen­heit gekenn­zeich­net ist, die unmit­teil­bar, unver­äu­ßer­lich, spi­ri­tu­ell ist.

Wir müs­sen aner­ken­nen, daß der heu­ti­ge Mensch trotz sei­ner Kennt­nis der Phä­no­me­ne und obwohl er von zahl­lo­sen teuf­li­schen Maschi­nen umge­ben ist, elen­der und ver­lo­re­ner ist als je zuvor. Geis­tig ist er ein schlim­me­rer Bar­bar als jene, die er mit die­sem Namen zu bezeich­nen sich anmaßt; er wird immer mehr kon­di­tio­niert statt sel­ber zu kon­di­tio­nie­ren, und wird so einem Wech­sel­spiel irra­tio­na­ler Kräf­te aus­ge­setzt, die das Trug­bild sei­ner aus­schließ­lich mate­ri­el­len Macht und Din­ge in Luft auflösen.

Wenn Evo­la von “teuf­li­schen” Maschi­nen spricht, dann könn­te man sich die moder­ne Tech­nik als eine Art “schwar­ze Magie” vor­stel­len, die weit­aus effek­ti­ver “zau­bern” kann als die Hexen und Zau­be­rer ver­gan­ge­ner Zei­ten. Mit ihrer Hil­fe kann der Mensch – und zwar “demo­kra­tisch” jeder Mensch – flie­gen, audio­vi­su­el­le Auf­zeich­nun­gen der Wirk­lich­keit erschaf­fen, und mit Men­schen am ande­ren Ende der Welt kommunizieren.

Ent­ge­gen­ge­setzt zu Evo­las Auf­fas­sung bemerk­te der popu­lä­re Mode­gu­ru “Sadhgu­ru” in einer Rede über okkul­te Fähig­kei­ten, daß zwi­schen einem tele­pa­thi­schen “Gespräch” und einem Gespräch über Mobil­te­le­fon (“The smar­test thing about most peo­p­le is their pho­ne”) wenig Unter­schied bestehe:

Tech­no­lo­gie unter­schei­det sich nicht sehr vom Okkul­ten. Man benutzt ver­schie­de­ne Mate­ria­len, aber eigent­lich han­delt es sich um die­sel­be Sache. Als es noch kei­ne Tech­no­lo­gie gab, war das Okkul­te extrem rele­vant. Aber heu­te geht die Bedeu­tung des Okkul­ten zurück, wäh­rend die Tech­no­lo­gie fort­schrei­tet. (…) Die moder­ne Tech­no­lo­gie macht das Okkul­te obsolet.

Ist die Krea­ti­on von inter­ak­ti­ven KI-Traum­frau­en und Por­no­bil­dern nach Wunsch­zet­tel eine Art von “Magie”? Sind die Benut­zer sol­cher Pro­gram­me moder­ne, etwas weni­ger ide­al­ge­son­ne­ne Pygmalions?

In “Melan­ge” #13 sprach Mar­tin Sell­ner über hypo­the­ti­sche “Robo­ter­bor­del­le” und künf­ti­ge Mög­lich­kei­ten extra­va­gan­ter sexu­el­ler Erleb­nis­se über 3D-Bril­len und neu­ro­na­le Sti­mu­la­tio­nen, eine Visi­on, die Wil­liam S. Bur­roughs schon in den frü­hen acht­zi­ger Jah­ren vor Augen hat­te (Report from the Bun­ker, 1981):

Wenn wir die Mög­lich­keit der elek­tro­ni­schen Gehirn­sti­mu­la­ti­on in Betracht zie­hen, könn­ten wir nach Belie­ben einen Inku­bus oder Suk­ku­bus unse­rer Wahl erschaf­fen, was zur Ent­wick­lung eines Elek­tro­ni­schen Bor­dells füh­ren wür­de, in dem jeder ohne die Last des phy­si­schen Kör­pers befrie­digt wer­den könnte.

Goe­thes Mephis­to lock­te Faust mit einer vir­tu­el­len nack­ten Dame:

Was seh ich? Welch ein himm­lisch Bild
Zeigt sich in die­sem Zauberspiegel!
O Lie­be, lei­he mir den schnells­ten dei­ner Flügel,
Und füh­re mich in ihr Gefild!

Dem Publi­kum ver­riet Mephis­to sei­nen Trick:

Du siehst, mit die­sem Trank im Lei­be, bald Hele­nen in jedem Weibe.

Die Figur des “Faust”, beson­ders in der Dar­stel­lung durch Goe­the, ver­knüpft Wis­sen­schaft mit Magie; als “Phi­lo­so­phie, Juris­terey, Medi­zin und lei­der auch Theo­lo­gie” nicht mehr rei­chen, greift der ver­we­ge­ne Dok­tor zu einem Gri­moi­re, um Geis­ter zu beschwö­ren, die ihm hel­fen sol­len, zu ver­ste­hen, “was die Welt im Inne­ren zusam­men­hält”. Der “Erd­geist”, der erscheint, weist den ver­mes­se­nen, sich ihm eben­bür­tig dün­ken­den Erden­wurm jedoch schroff zurück:

Du gleichst dem Geist, den du begreifst – nicht mir!

Auch ande­re, his­to­ri­sche Meis­ter der okkul­ten Küns­te waren zugleich Wis­sen­schaft­ler und Uni­ver­sal­ge­lehr­te: Agrip­pa von Net­tes­heim, Alber­tus Magnus, John Dee oder Para­cel­sus. Sind nun moder­ne Tech­nik und Medi­zin eine Magie, die “funk­tio­niert”, im Gegen­satz zum Aber­glau­ben frü­he­rer Zeit­al­ter, dem auch die gebil­dets­ten Män­ner ihrer Zeit erla­gen, weil sie es noch nicht bes­ser wußten?

Wenn das ursprüng­li­che Ziel der Magie war, der natür­li­chen und über­na­tür­li­chen Welt sei­nen Wil­len auf­zu­zwin­gen, um sie zu beherr­schen, war sie dann ein­fach nur eine pri­mi­ti­ve und aber­gläu­bi­sche Früh­form der Wis­sen­schaft? Beru­hen ihre ver­meint­li­chen Wir­kun­gen voll­stän­dig auf Ein­bil­dung und Selbst- und Fremdtäuschung?

John Sym­onds, Autor der ers­ten gro­ßen Crow­ley-Bio­gra­phie nach des­sen Tod im Jahr 1947, soll gesagt haben: “The only trou­ble with magic is, it does­n’t work.” Er schien auch zu glau­ben, daß Crow­ley kei­ne “tat­säch­li­chen” magi­schen Kräf­te besaß, son­dern ledig­lich ein mani­pu­la­ti­ves, blen­de­ri­sches Cha­ris­ma und die Fähig­keit, sich durch Dro­gen, Sex und phan­ta­sie­vol­le Ritua­le mit geziel­ten, extre­men Tabu­brü­chen in höhe­re Bewußt­seins­sphä­ren und Rausch­zu­stän­de zu schocken.

Ich für mei­nen Teil glau­be dar­an, daß Magie “funk­tio­niert”. Auf wel­che Wei­se sie das tut, und war­um ich das glau­be, wer­de ich im nächs­tes Teil schildern.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)