Sind nun die Zeiten vorbei, in denen die Freiheitlichen zur Rolle des ewigen Zweiten oder Dritten verdammt waren, der gleich dem sprichwörtlichen Esel unaufhörlich der Karotte Bundeskanzleramt nachtrottelt, aber letzten Endes nie zu Potte kommt?
Mit Sicherheit werden die restlichen Parteien, die ihr kartellartig gegenüberstehen, nun alles daran setzen, um den Wahlsieger von einer Regierungsbeteiligung fernzuhalten.
Die österreichische Brandmauer ist allerdings weitaus durchlässiger als die bundesdeutsche gegenüber der “anderen” blauen Partei. Die FPÖ unterscheidet sich von der AfD unter anderem dadurch, daß sie seit Jahrzehnten eine fixe Größe im österreichischen Politbetrieb ist, die man trotz ihres Dauerstatus als schwer erziehbarer Klassenlümmel nicht vollständig ausgrenzen kann. Man muß mit ihr rechnen, man muß sie über weite Strecken respektieren, man muß mit ihren Politikern verhandeln und sie gegebenenfalls mitspielen lassen.
Sie hat auch eine erhebliche systemische Funktion als symbolischer Repräsentant einer beliebten Chimäre: des ungewaschenen, ungebildeten, bornierten, affekt- und ressentimentgeladenen, tendenziell braunen und “ewig-gestrigen” Österreichs, das Intellektuelle, Gutbürgerliche und Kulturmenschen so gerne beschwören – um neben diesem zum negativen Klischee gewordenen Bild umso heller zu erstrahlen.
Fünfmal waren die Blauen bislang in der Bundesregierung (einen Überblick über alle Regierungen seit 1945 gibt es hier), jedes Mal die zweite Geige als Juniorpartner spielend. Wir erinnern uns alle noch (mit Grausen) an die Kabinette Schüssel I (2000–2003), Schüssel II (2003–2007) und Kurz (2017–19), auf die ich noch zu sprechen kommen werde.
Wenigen ist noch geläufig, daß es 1983–86 und noch einmal 1986–87 eine SPÖ-FPÖ-Koalition mit Norbert Steger (falls ihn noch jemand kennt) als Vizekanzler gab.
Schon 1970/71 hatte die FPÖ die Alleinregierung (auch das gab es) der SPÖ unter Bruno Kreisky unterstützt. Letzterer, ein jüdischstämmiger Sozialdemokrat, bedankte sich bei Parteiobmann Friedrich Peter, einem ehemaligen Mitglied der Waffen-SS, später dafür, indem er ihn gegen Vorwürfe von Simon Wiesenthal in Schutz nahm.
Daß Sozialdemokraten und Freiheitliche miteinander “packeln”, klingt heute unvorstellbar. Aber damals war die FPÖ noch nicht die “rechtspopulistische”, “ausländerfeindliche” Partei, zu der sie unter Jörg Haider mutierte. Sie vereinte klassisch Deutschnationale und “Wirtschaftsliberale” nach dem Muster der FDP, eine Mischung, die noch heute stark nachwirkt. 1979 wurde sie Mitglied der “Liberalen Internationale”, einem bis heute bestehenden Weltverband der liberalen Parteien” mit Sitz in London, aus dem sie erst 1993 austrat (heute wird Österreich dort von den NEOS vertreten).
In den neunziger Jahren, als ich noch zur Schule ging, war Jörg Haider der große böse Buhmann der Medien, vor dessen “Aufstieg” die Richtigdenkenden unaufhörlich zu warnen und sich zu fürchten hatten. Haider, ein charismatischer Meister der gezielten Provokation, war hauptverantwortlich dafür, daß sich die FPÖ zu jener “populistischen” Partei mauserte, als die sie heute bekannt ist.
Dieser erfolgreiche Kurs kulminierte schließlich im Ergebnis der Nationalratswahlen von 1999, in denen zwar die SPÖ stärkste Kraft wurde (33,15%), FPÖ und ÖVP mit jeweils 26,91% jedoch zusammen genug Stimmen bekamen, um eine Regierungskoalition zu stellen. Diese beiden Parteien scheinen augenscheinlich besser zusammenzupassen, da sie beide theoretisch nicht-links sind und mehr inhaltliche Überschneidungen aufzuweisen haben als etwa Freiheitliche und Sozis.
Es ist also im österreichischen System durchaus möglich, daß es nicht unbedingt die Partei mit den meisten Stimmen ist, die den Bundeskanzler stellt und eine Regierung bildet. Sollte es erneut dazu kommen, werden sich die Wähler zwar mit Recht “gepflanzt” fühlen, ungewöhnlich wäre dieser Vorgang jedoch nicht.
Schwarz-Blau 2000 hatte eine schwere Geburt. Bundespräsident Klestil (ÖVP) gelobte das Kabinett mit Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) und Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer (FPÖ) nur mit schlechter Laune und Bauchweh an, während im Zuge von Antifa-Randalen 53 Polizisten verletzt wurden. Zwei F‑Politiker hatte Klestil aufgrund “verbaler Entgleisungen” im Wahlkampf zu vereidigen abgelehnt.
Das gefürchtete Zugpferd der Blauen, Haider, trat überraschenderweise vom Parteivorsitz zurück und konzentrierte sich fortan auf das Bundesland Kärnten, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 2008 als Landeshauptmann regierte. Bis zum “Knittelfelder Putsch” im Jahr 2002, der die Partei entzweite, blieb er ihr Strippenzieher im Hintergrund. Zuletzt war er Kopf der (inzwischen mausetoten) FPÖ-Abspaltung BZÖ, an der vermutlich eine “Jahrhundertflut” avant la “Klimawandel” schuld ist.
Der Rücktritt Haider am Zenith seines Erfolges war nach all dem alarmistischen Gedöns der Vorjahre ein überraschender Schachzug. Wahrscheinlich waren Haiders Feinde damals genauso enttäuscht wie seine Anhänger. Obwohl er es öffentlich abstritt, hatte er vermutlich versucht, dem Druck, der nach der Regierungsbildung auf Österreich ausgeübt wurde, den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Es hatten sich damals nämlich sämtliche EU-Staaten zusammengeschlossen, um “Sanktionen” gegen Österreich zu verhängen (die in erster Linie in diplomatischen kalten Duschen bestanden), die zum Ausdruck bringen sollten, daß man keine Regierung dulden und respektieren werde, in der sich “Fremdenfeinde”, “Rechtsextremisten” und ähnliches Gesocks tummeln (auch Israel und die USA zogen vorübergehend ihre Botschafter zurück).
Wie schlimme Kinder, die der Maßregelungen bedürfen, wurden die Österreicher nun von einem so genannten “Rat der Weisen” unter die Lupe genommen, der klären sollte, ob die neue Regierung für “europäischen Werte” eintrete und sich nett genug gegenüber “Minderheiten, Flüchtlingen und Einwanderern” verhielte.
Die drei Demokratie-Kontrolleure waren ein finnischer Sozialdemokrat, ein spanischer Christdemokrat und ein deutscher Völkerrechtler. Sie ließen die Regierung mit einem (schwarz-)blauen Auge davonkommen, indem sie ihr bescheinigten, sich artig der “Bekämpfung von Rassismus, Diskriminierung, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit” zu widmen, auch wenn einige FPÖ-Politiker dafür gescholten wurden, böse und verbotene Dinge gesagt haben.
Die “Sanktionen” wurden aufgehoben, aber die Lektion saß. In mir, der ich mich für Politik kaum interessierte, löste dies einen meiner ersten politischen Rechtsrucks aus. Es hatte ein äußerst apartes Geschmäckle, wie dreist und penetrant sich eine internationale Gang in die internen Angelegenheiten meines Landes einzumischen wagte, weil ihr ein demokratisch legitimes Wahlergebnis nicht in den Kram paßte. Ich hatte nichts für die FPÖ oder für Haider übrig, aber dieses Gruppenmobbing, absurderweise im Namen der “Demokratie”, erschien mir äußerst suspekt und übergriffig.
Die Waffe, die eingesetzt wurde, war moralischer Natur. Es wurde signalisiert, daß die internationale (und internationalistische) Moral höher stünde als das nationale Gesetz, als die nationale Souveränität und als der Wille der Wähler.
Was damals schon ganz offensichtlich vor allen anderen Dingen vereitelt werden sollte, war jeglicher Versuch, eine restriktive und an nationaler Identität orientierte (darauf zielt der Slogan der “Überfremdung”) Einwanderungspolitik zu etablieren.
In der Folge ist der Anteil an Migranten und Ausländern in Österreich, insbesondere der “problematischen” Art, stetig angestiegen, mitsamt deutlichen demographischen Veränderungen, die inzwischen auch die Wahlergebnisse beeinflußen. Die Folgen dieser Politik haben auch bei den diesjährigen Wahlen eine entscheidende Rolle gespielt.
Die Schüssel-Regierungen von 2000 bis 2007 haben nicht das Geringste dazu beigetragen, in diese Entwicklung einzugreifen.
Mit einigem Schmunzeln muß ich an die Hysterie mancher linksliberaler Freunde aus dem Medienbereich zurückdenken, die sich ob der damals angeblich bevorstehenden “Machtergreifung” in eine Weltuntergangsstimmung hineintheaterten, an die sie wohl selbst kaum glaubten. Zumindest nahm ich es ihnen nicht so recht ab, daß sie nun ernsthaft den Anbruch des Vierten Reiches (oder so) befürchteten.
Die schwarz-blaue Koalition erwies sich jedenfalls als Rohrkrepierer, an den niemand gute Erinnerungen hat. Vage im Gedächtnis hängengeblieben sind allenfalls diverse Korruptionsskandale, insbesondere das Wirken der Minister Strasser (ÖVP) & Grasser (Ex-FPÖ), deren Kompetenz vor allem darin bestand, auf krummen Wegen Geld in die eigene Tasche zu wirtschaften (ich finde es bis heute lustig, daß sie zum Verwechseln ähnliche Namen haben). Unvergessen ist auch der Sager von Walter Maischberger (Ex-FPÖ) “Wos woar mei Leistung?”.
Die bislang letzte Regierungsbeteiligung der FPÖ zwischen 2017 und 2019 war eine Folge der “Flüchtlingskrise” von 2015, die bereits 2016 dazu geführt hatte, daß ein Blauer, Norbert Hofer, um Haaresbreite zum Bundespräsidenten gewählt worden wäre. Dergleichen hatte es noch nie gegeben. Der berauschende Geschmack von möglicher Veränderung nach Jahren der Stagnation lag in der Luft. Stattdessen gewann jedoch der Ex-Grüne Van der Bellen, der sich mit ziemlicher Sicherheit mittels fadenscheiniger “ad personam”-Gründe dagegen sperren wird, Kickl zum Bundeskanzler zu vereidigen.
Die ÖVP verpaßte sich nun mit Sebastian Kurz ein frisches, flottes, junges Gesicht. Das finstere, einst “klerikal” assoziierte Schwarz der “Christlich-Sozialen” wurde in ein zartes Türkis umgewandelt, eine Farbe, die sich ergibt, wenn man grün und blau miteinander mischt.
Sie wurde, nicht anders als die CDU, eine de facto linke Partei (gemesssen an ihrem Tun, nicht an ihren Worten) mit “konservativer” Mimikry, um weiterhin die sich “bürgerlich” dünkenden Wählerschichten abzugreifen. Ihr Branding als “die Volkspartei” suggeriert eine unklar definierte “Mitte”, die alle wählen können, die weder zu weit nach links noch zu weit nach rechts rücken wollen.
Die “Liste Sebastian Kurz” präsentierte sich als salonfähiges, schwiegersohntaugliches Auffangbecken für identitäre und migrationskritische Sentiments, die damals, in der goldenen Zeit des “Rechtspopulismus” (mit Donald Trump als internationaler Gallionsfigur dieses Trends) in breiten Schichten der Bevölkerung en vogue waren, auch unter denen, die es nicht über sich gebracht hätten, die Schmuddelpartei zu wählen. Die Zeit war reif für eine Art “österreichisches Brexit”, und die nunmehr “türkisen” Schwarzen nutzten die Gunst der Stunde.
Mit Hilfe der FPÖ gelang es der ÖVP nach einer lange Reihe von vier SPÖ-Regierungen seit 2007 endlich wieder an die Spitze der Macht zu klettern. Heinz-Christian Strache wurde dafür mit dem Vizekanzler-Posten belohnt. Viel mehr als den etwas dümmlich wirkenden “sidekick” des Kurz zu spielen hatte er allerdings nicht zu tun. Die lästigen blauen Mohren wurden nach zwei Jahren via “Ibiza” entsorgt, obwohl nur “HC” Anlaß gegeben hatte, Zweifel an seiner Tauglichkeit für ein derart würdiges Amt zu erwecken.
Es gab jedoch in der damaligen Regierung einen Blauen, der für das Kartell und insbesondere die ÖVP weitaus gefährlicher war als Strache, und das war natürlich der weitaus intelligentere Herbert Kickl in seiner Funktion als Innenminister.
Besonders empfindlich dürften die Türkisen auf die von Kickl verantwortete Hausdurchsuchung des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) reagiert haben, das traditionell in ÖVP-Hand ist. Kickl schickte die Polizei quasi in jene Löwenhöhle, von der aus die politische Rechte überwacht und mit Spitzeln unterwandert wird.
Ich bin jedenfalls überzeugt, daß Kickl, und nicht primär Strache, die entscheidende Billardkugel war, die via “Ibiza” versenkt werden sollte. Darum wurde auch rasch sein Kopf gefordert, obwohl er mit Straches und Gudenus’ Eskapaden nicht das Geringste zu tun hatte. Langfristig konnte der FPÖ gar nichts besseres passieren, als in Kickls Hände zu geraten, wie Kollege Sellner hervorgehoben hat.
Etwa halbes Jahr nach Auflösung des zweiten ÖVP-FPÖ-Experiments auf Bundesebene, im Jänner 2020, feierte Kurz sein Comeback als Kanzler. Die Blauen wurden gegen die imagetechnisch schickeren Grünen ausgetauscht, was allerdings Unmut innerhalb der Basis beider Parteien auslöste.
Was nun geschah, gehört gewiß zur Vorgeschichte der diesjährigen Nationalratswahl. Die regierende ÖVP wurde zum entscheidenden Akteur, die Corona-“Maßnahmen” zu beschließen und zu vollstrecken, von der Masken‑, Quarantäne‑, Test- bis hin zur im November 2021 beschlossenen Impfpflicht.
Diese staatlich-mediale Drangsalierung hat auch Österreich als Gesellschaft schwer verwundet, traumatisiert und gespalten. Dieselbe Ausgabe der Kronen-Zeitung vom 30. September 2024, die auf einer Extra-Titelseite den “blauen Durchmarsch” (mit einem strahlenden Kickl als Illustration) verkündete, titelte auf ihrem regulären Deckblatt:
Experten zeigen die Spätfolgen der Pandemie auf: Jeder fünfte Schüler psychisch am Ende.
Hier werden die Lügen der Jahre 2020–22 ungebrochen fortgesetzt: Denn ganz offensichtlich handelt es nicht um Spätfolgen der “Pandemie”, sondern der Regierungsmaßnahmen. Beide Dinge, die “Spätfolgen” und der blaue Wahlsieg, hängen miteinander zusammen.
Auch wenn es immer noch viele gibt, die aus diesem ganzen Irrsinn nichts gelernt haben, und alles, was damals geschah, für gerechtfertigt halten, so stehen die Narrative von damals längst nicht mehr so ungebrochen da, wie sie es einst taten. Der beispiellose Wahlsieg der Blauen auf Kosten von massiven Verlusten der Türkisen ist gewiß auch eine Quittung für den pandemischen Terror, für den die ÖVP die Hauptverantwortung trägt.
Die Kluft zwischen beiden Parteien ist nicht zuletzt wegen “Corona” weitaus tiefer, als sie es noch 2019 war. Personifiziert wird sie in der Intimfeindschaft zwischen Kickl und Nehammer, die sich gegenseitig für absolut untragbar halten. Keiner der beiden wird zurückweichen. Das macht eine Koalition unwahrscheinlicher als damals, auch wenn sie den Willen der Mehrheit der österreichischen Wähler wohl am besten zum Ausdruck bringen würde.
Andererseits wird sich die ÖVP an dem Thema Migrationseindämmung und Migrationskollateralschadenbekämpfung, das von der FPÖ viel überzeugender und konsequenter vertreten wird, nicht vorbeimogeln können, wenn sie an der Macht bleiben und nicht noch mehr Wähler vergraulen will. Mit einer Doskozil-SPÖ ließe sich diesbezüglich vielleicht etwas bewerkstelligen, mit Babler, der den Parteiposten halten will, eher nicht.
Eine Doskozil-SPÖ wäre allerdings auch ein zumindest ansatzweise denkbarer Koalitionspartner für Kickls FPÖ. Eine solche Option hätte den Vorteil, daß die ÖVP endlich wieder weg vom Fenster wäre. Ich fände sie prinzipiell nicht schlecht, auch wenn ich sie für wenig realistisch halte.
Generell hat sich während des Pandemie-Spuks eine tiefe Gehässigkeit und Respektlosigkeit im Umgang mit politisch Andersdenkenden eingeschlichen, die inzwischen fast zur Umgangsnorm geworden ist. Davon konnte sich jeder überzeugen, die die Kandidaten-Debatten im Vorfeld der Wahl verfolgt hat. Wie wollen diese Leute miteinander koalieren, wenn sie einander derartig hassen und verachten? Und damit meine ich sie alle: Türkise, Rote, Blaue und Grüne.
Das sieht auch Bernhard Heinzlmaier so, der linke Querkopf, der sich für eine FPÖ-SPÖ-Allianz ausgesprochen hat:
… niemals war der Umgang der Menschen miteinander dermaßen hinterhältig, egotaktisch, bösartig und destruktiv wie heute. Jedes Mittel ist recht, um zu gewinnen. Und alles ist erlaubt, um einen Konkurrenten lustvoll in die tiefsten Abgründe der öffentlichen Meinung zu stürzen, selbst die Verleumdung. Heute wird zwar niemand mehr auf dem Scheiterhaufen verbrannt, aber die mehr oder weniger subtile Zerstörung des Ansehens von Andersdenkenden ist zu einem weit verbreiteten Mittel einer inhaltlich hohlen Machtpolitik geworden. Die politmediale Gesinnungswalze, gut geschmiert von den Werbemillionen aus den Bundes‑, Landes- und Stadtbudgets, macht jeden gewissenlos zur Schnecke, der nicht wie alle anderen konformistischen Zombies im Gleichschritt läuft.
Bundeskanzler Nehammer selbst ist nichts anderes als ein Überbleibsel der Ära, die diese von Heinzlmaier kritisierte Gesinnung zwar nicht hervorgebracht, aber in atemberaubend perfide Höhen getrieben hat (Luft nach oben ist freilich immer noch). Sein Amt hat er nicht erhalten, weil er vom Volk gewählt wurde, sondern weil Kurz und nach ihm Schallenberg das Handtuch geworfen hatten.
Zuvor war er als Innenminister hemmungslos gegen regierungskritische Demonstrationen vorgegangen, ohne Rücksicht auf das in der Verfassung verbriefte Versammlungsrecht. Er war einer der Leitwölfe, die mit ihrem Geheul die Demonstranten als “Rechtsextreme, Staatsverweigerer, Hooligans, Alt-Neonazis” diffamierten.
Kickl hingegen erwies sich als einer der unbeugsamsten Maßnahmenkritiker und zeigte seine Solidarität auch dadurch, daß er selbst auf die Straße ging. Dadurch gewann er viele Sympathien über das blaue Lager hinaus. Umso mehr wurde er von allen gehaßt, die hinter den Maßnahmen standen oder sie kritiklos mitmachten, und das war zu diesem Zeitpunkt die Mehrheit der Menschen im Land. Man mag über ihn denken, was man will, ein “konformistischer Zombie” ist er offensichtlich nicht.
Kickl mußte damals enorm viel einstecken. In den Zeitungen publizierte, maßgeschneiderte Umfragen versuchten am laufenden Band, ihn als den “unbeliebtesten” Politiker Österreichs hinzustellen. Umso mehr wurde er von den “Widerständlern” geliebt. Zwei Jahre nach Ende des Alptraums gab Dr. Sucharit Bhakdi, einer der “Stars” des maßnahmenkritischen Lagers und allseits respektierter Vorzeige-Einwanderer, eine Wahlempfehlung zur FPÖ ab.
Diese Standhaftigkeit Kickls, mitsamt der Bereitschaft, auch die Rolle des Buhmanns wacker zu ertragen, hat sich nun ausgezahlt. Ich stimme dem Schriftsteller Franzobel, der im Standard einen hilf- und witzlosen Artikel zum blauen Wunder publiziert hat (in einem Stil, als würden wir immer noch in den neunziger Jahren leben) zu, daß Kickl “uncharismatisch”, aber (“man muss es sagen”) “rhetorisch brillant” ist.
Nur insofern freilich, als mit “Rhetorik” die Fähigkeit gemeint ist, sich klar und überzeugend auszudrücken. Dies macht den Reiz Kickls aus, kombiniert mit seiner Geradlinigkeit, seiner weltanschaulichen Fundierung sowie seiner Weigerung, durch Distanzierungsreifen zu hüpfen (Strache glich in dieser Hinsicht eher einem Regenwurm). Er blendet nicht durch Charme oder gutes Aussehen (wie etwa Haider und in geringerem Maße Strache).
Es ist jedoch äußerst utopisch anzunehmen, daß er Kanzler wird, und selbst wenn ihm dies gelingen würde, dann würde er wahrscheinlich in den Sümpfen der systemimmanenten Kompromiß- und Sachzwänge steckenbleiben. Einen Hebel, von dem aus sich eine “Orbanisierung” Österreichs bewerkstelligen ließe, kann ich (noch) nicht erkennen. (Vielleicht brauchen wir nochmal fünf Jahre, bis wir so weit sind.)
Aus genau diesen Gründen würde ich es vorziehen, wenn Kickl als unerschütterliche, intelligente und rückgratstarke Opposition der Stachel im Fleisch des Systems bleibt, statt sich selbst durch eine weitere mißlungene oder ins Leere führende FPÖ-Regierungsbeteiligung zu entzaubern, eine Gefahr, die auch dann besteht, wenn die Partei diesmal den Seniorpartner stellt (also “blau-schwarz” bzw. “blau-türkis”, statt “türkis-blau”).
Er könnte freilich auch, wie einst Haider, einem anderen Kandidaten seinen Platz überlassen, wissend, daß Van der Bellen ihn nicht durchlassen wird (was den Zorn der Wähler noch steigern wird; niemand läßt sich gerne mit Taschenspielertricks über’s Ohr hauen, und sich nachher einreden, die “Moral” oder gar “die Demokratie” hätten nun gesiegt).
Ohne Kickl wäre der blaue Sieg aber so gut wie wertlos, und ein weiteres Scheitern der FPÖ als Regierungspartei vorprogrammiert.
brueckenbauer
Dankenswert ist hier vor allem die Gegenüberstellung von "Moral" und "Demokratie". Was die Machthaber als Moral hinzufügen, nehmen sie dem Wähler als Entscheidungsfreiheit weg. Sogar Karl Barth, der Ahnherr moderner Theokratie- bzw. Ethokratie-Ideen, blieb ein braver Schweizer und verlangte von den Christen lediglich, dass sie beim Wähler für ihre Wertvorstellungen werben - nicht dass sie diese über die Köpfe der Wähler hinweg (oder an ihnen vorbei) durchsetzen. Für den deutschen Linksprotentatismus und die nach Abschied vom Marxismus linksprotestantisierte "Unsere-Werte-"SPD unvorstellbat. Es handelt sich also hier um eine zentrale Streitfrage.