Hundert Jahre, hundert Romane – 1946 bis 1989

Hier ist Teil 2 der Liste der hundert Romane aus hundert Jahren - zusammengestellt und kommentiert von Erik Lehnert, Ellen Kositza und Götz Kubitschek. Alle Bücher sind für Ihre Bestellung hier in einem Bücherschrank zusammengefaßt - geordnet aufsteigend nach Jahrgangsempfehlung.

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Nach­krieg, DDR und BRD – 1946 bis 1989

1946 Eli­sa­beth Lang­gäs­ser: Das unaus­lösch­li­che Sie­gelhier bestel­len

Magi­scher Rea­lis­mus, expe­ri­men­tell, kein Buch für neben­bei, aber eines für Leser, die dem gehei­men Orden der Gro­ßen Leser bei­tre­ten möch­ten. Lang­gäs­ser schrieb das Werk wäh­rend der NS-Zeit. Es han­delt von einem Juden, der sich tau­fen läßt und dadurch ein unaus­lösch­li­ches Sie­gel auf­ge­prägt bekommt, das ihm fort­an unzer­stör­bar und heil­sam auf­ge­prägt ist. (GK)

1947 Her­mann Kasack: Die Stadt hin­ter dem Strom

Eben­falls magisch, aber vol­ler Grau­en: Der Kein­schrift­for­scher Lind­hoff wird in die Stadt hin­ter dem Strom beru­fen, um eine Chro­nik zu füh­ren. Als er auf sei­ne ver­stor­be­ne Ver­lob­te trifft, weiß er: Dies ist eine Toten­stadt, und er, der sie besu­chen durf­te, soll bei den Leben­den von ihr berich­ten und einen Aus­tausch stif­ten. Zurück kehrt Lind­hoff aber in eine vom Krieg ver­wüs­te­te, eben­so tote Stadt. Die eine kann der ande­ren nichts mehr erzäh­len. (GK)

1948 Ger­hard Nebel: Bei den nörd­li­chen Hesperiden

Nach­dem Nebel mit der Erzäh­lung „Auf dem Flie­ger­horst“ gewis­se Selbst­zu­schrei­bun­gen der Luft­waf­fe per­si­fliert hat­te, wur­de er 1941 aus Paris, wo er zum Kreis um Ernst Jün­ger gehör­te, ver­bannt und muß­te auf einer Kanal­in­sel Dienst tun. Nebel begann ein Tage­buch zu füh­ren, das er als die ein­zi­ge dem Tota­li­ta­ris­mus ent­spre­chen­de Lite­ra­tur­gat­tung kul­ti­vier­te. (EL)

1949 Erhart Käst­ner: Das Zelt­buch von Tumi­lathier bestel­len

Käst­ner war auf einer grie­chi­schen Insel in bri­ti­sche Gefan­gen­schaft gera­ten und saß für fast zwei Jah­re in einem Zelt­la­ger in der Wüs­te Tumi­lat am Roten Meer fest. Sei­ne Auf­zeich­nun­gen sind ein Doku­ment der Gelas­sen­heit und der Lebens­schu­le in extre­mer Lage. Und sie sind eine Typen­schu­le: War­um stand der eine das bes­ser durch als der ande­re? (GK)

1950 Gott­fried Benn: Dop­pel­le­ben

Benn, der wich­tigs­te Lyri­ker der Zwi­schen­kriegs­zeit und der frü­hen Bun­des­re­pu­blik, hat­te sich 1933 weit aus dem Fens­ter gelehnt, sich aber bald in die Inne­re Emi­gra­ti­on zurück­ge­zo­gen. In die­sem Band stellt er sei­nen auto­bio­gra­phi­schen Essay „Lebens­weg eines Intel­lek­tua­lis­ten“ (1934) einer Refle­xi­on über sei­ne Lage in den fol­gen­den Jah­ren gegen­über. Nach der Lek­tü­re weiß man mehr und läßt die Fin­ger von Schuld­zu­wei­sun­gen. (EL)

1951 Ernst von Salo­mon: Der Fra­ge­bo­genhier bestel­len

Für die Ame­ri­ka­ner begann die Umer­zie­hung der Deut­schen nach 1945 mit einer Bestands­auf­nah­me. Ein Fra­ge­bo­gen, in dem jeder über sei­ne Ver­gan­gen­heit Aus­kunft geben muß­te, soll­te über die wei­te­re Ver­wen­dung der Befrag­ten ent­schei­den. Ernst Jün­ger wei­ger­te sich, Salo­mon nahm den Auf­ruf zur Gewis­sens­for­schung wört­lich und mach­te dar­aus einen der ers­ten gro­ßen Best­sel­ler der Bun­des­re­pu­blik. Herr­lich iro­nisch nimmt er die Amis auf den Arm und erzählt die Geschich­te Deutsch­lands im zwei­ten Drei­ßig­jäh­ri­gen Krieg. (EL)Nasses Brot

1952 Richard Hase­mann: Nas­ses Brothier bestel­len

Es gibt vie­le Roma­ne aus der Kriegs­ge­fan­gen­schaft, aber die­ser ist erschüt­ternd. War­um? Weil in ihm die Spra­che auf die­sel­be Wei­se “zurückstirbt” wie die mensch­li­che Regung, die Kame­rad­schaft, das Ver­trau­en auf den ande­ren und die Hoff­nung. Von uns wie­der­ent­deckt, lei­der schon ver­grif­fen. (GK)

1953 Wolf­gang Koep­pen: Das Treib­haus - hier bestel­len

Der Roman ist das Mit­tel­stück der „Tri­lo­gie des Schei­terns“, mit der Koep­pen zu einem der frü­hen Skan­dal­au­toren der Bun­des­re­pu­blik wur­de. Selbst der heu­ti­ge Leser ahnt noch, war­um das Buch damals die Gemü­ter erreg­te. Das Treib­haus ist die Stadt Bonn, genau­er das Regie­rungs­vier­tel, in dem sich Oppor­tu­nis­ten gegen­sei­tig etwas vor­spie­len. Die Haupt­fi­gur, durch Exil und psy­chi­sche Ver­an­la­gung ein Außen­sei­ter unter den Abge­ord­ne­ten, nimmt sich schließ­lich das Leben. (EL)

1954 Hans Hell­mut Kirst: 0815

Der drei­tei­li­ge Roman ist ein Lob­lied auf den anstän­di­gen deut­schen Sol­da­ten des Zwei­ten Welt­kriegs, egal wel­cher Dienst­grad­grup­pe, der sich mit Schlau­heit und Über­le­bens­wil­len den Nach­stel­lun­gen der Vor­ge­setz­ten und des Fein­des erweh­ren kann. Der Roman und die wenig spä­ter erfolg­te Ver­fil­mung, zu der Salo­mon das Dreh­buch schrieb, kamen recht­zei­tig zur Wie­der­be­waff­nung. Geho­be­ne Unter­hal­tungs­li­te­ra­tur, die bis heu­te ihren Platz behaup­ten konn­te. (EL)

1955 Gerd Gai­ser: Das Schiff im Berg

Die Geschich­te einer Land­schaft, eines Bergs anhand von Epi­so­den – zuerst Erd­zeit­al­ter, Fau­na, Flo­ra, ohne den Men­schen, dann mit ihm, zuletzt von ihm zuviel. Ein Meis­ter­werk in Spra­che und Zugriff – nur noch anti­qua­risch erhält­lich. (GK)

1956 Hei­mi­to von Dode­rer: Die Dämo­nenhier bestel­len

Ein Mam­mut­werk. Dode­rer, die­ser Stil­gott, hat­te den zie­gel­stein­schwe­ren Roman (Nach der Chro­nik des Sek­ti­ons­ra­tes Gey­ren­hoff, so der Unter­ti­tel) in den Drei­ßi­ger­jah­ren als “Thea­trum Judai­cum” kon­zi­piert. Fer­tig­ge­stellt hat­te er das Buch erst zwan­zig Jah­re spä­ter – lan­ge nach sei­ner Abkehr vom NS und als er sich längst dem Katho­li­zis­mus zuge­wandt hat­te. Ein Wien-Pan­op­ti­kum, was für eine blen­den­de Beob­ach­tungs­ga­be! “In Öster­reich sind übri­gens Leu­te, die kei­ner­lei staat­li­che oder städ­ti­sche Bezü­ge, Pen­sio­nen, Ren­ten oder ähn­li­ches genie­ßen, sehr sel­ten und gel­ten auch als min­der­wer­tig.” (EK)

1957 Max Frisch: Homo faberhier bestel­len

Las man in der Schu­le und ana­ly­sier­te, wie der Homo faber, der Inge­nieur, der eine Flug­zeug­ab­sturz über­leb­te, unter dem Ein­fluß und aus Lie­be zur jun­gen Sabeth sei­ne Spra­che vom logi­schen ins poe­ti­sche wan­del­te. Spä­ter las man noch ein­mal, nicht mehr ana­ly­tisch: Es ist ein­fach ein Meis­ter­werk. (GK)

1958 Ernst Jün­ger: Jah­re der Okkupation

Noch­mal Jün­ger, der bereits 1949 mit den Strah­lun­gen ein Tage­buch der Kriegs­zeit vor­leg­te, das für Furo­re sorg­te. Die Jah­re der Okku­pa­ti­on schlie­ßen direkt dar­an an und stel­len schon im Titel die Befrei­ung in Fra­ge. Jün­ger reflek­tiert viel über die Fra­ge, was der Welt­geist uns mit der Nie­der­la­ge Deutsch­lands sagen will, er sam­melt Nach­rich­ten der über­all hin ver­streu­ten Freun­de und ver­tei­digt die Kon­ser­va­ti­ve Revo­lu­ti­on. (EL)

1959 Wolf von Nie­bel­schütz: Die Kin­der der Fins­ter­nishier bestel­len

Er war Por­ten­ser, also Schü­ler auf der berühm­ten Lan­des­schu­le Pfor­ta bei Naum­burg. Arbei­te­te als Redak­teur und Autor, schrieb nicht viel Pro­sa, aber eben die­ses Werk. Wer ein­tau­chen will ins Mit­tel­al­ter, muß zu die­sem ganz groß­ar­ti­gen Roman grei­fen, in dem die Rit­ter und Knap­pen ver­lie­ren, sie­gen, ankom­men, frie­ren, schwit­zen, in der Mes­se lun­gern, hart üben, Unfug trei­ben, ewig stolz und ewig ver­zagt sind und auf so der­be Art um die Wei­ber her­um­schar­wen­zeln, daß man sich denkt: klar, was auch sonst, und: die kön­nen sich ja weh­ren, und zwar so rich­tig. Sat­te Spra­che, pral­les Leben. (GK)

1960 Die­ter Noll: Die Aben­teu­er des Wer­ner Holt - hier bestel­len

Auch wenn das Buch in DDR-Schu­len Pflicht­lek­tü­re und sein Autor sich gern von der SED in die Pflicht neh­men ließ, ist es in wei­ten Tei­len ein authen­ti­sches Zeug­nis des Schick­sals der Flak­hel­fer­ge­ne­ra­ti­on. Bis heu­te hat es sei­ne Fans, nicht zuletzt, weil Noll mit der Per­son des Gil­bert Wolz­ow unfrei­wil­lig ein rech­tes Idol geschaf­fen hat. (EL)

1961 Fried­rich Georg Jün­ger: Kreuz­we­ge. Erzählungen

Der „klei­ne Jün­ger“ war ein mise­ra­bler Roman­cier, aber ein gro­ßer Erzäh­ler. „Die Pfau­en“, „Schwar­ze Mal­ven“, „Urlaub“, „Hah­nen­kamm“: Die Stim­mung ist stets schwer, hin­zu­neh­men, an einem Ende ange­langt. Muß man mögen, ich mags sehr. (GK)

1962 James Krüss: Timm Tha­ler oder Das ver­kauf­te Lachenhier bestel­len

Der gebür­ti­ge Hel­go­län­der James Krüss (1926–1997), übri­gens ein spä­tes (April 1944) NSDAP-Mit­glied, hat zahl­rei­che groß­ar­ti­ge Kin­der- und Jugend­bü­cher ver­faßt. Die Geschich­te von Timm Tha­ler und sei­nem ver­kauf­ten Lachen ist iko­nisch und hat den Wert einer moder­nen Legen­de! Die Geschich­te spielt in den 1920er Jah­ren. Timm hat die­ses ein­zig­ar­ti­ge, von Her­zen kom­men­de Lachen, obwohl er aus pre­kä­ren Ver­hält­nis­sen stammt und eigent­lich wenig zu lachen hät­te. Teuf­li­sche Kräf­te wol­len ihm die­se Gro­ße Gesund­heit abkau­fen. Er läßt sich zunächst dar­auf ein – aber er wird es sich zurück­ho­len… (EK)

1963 Mar­len Haus­ho­fer: Die Wandhier bestel­len

Frau Haus­ho­fer (1920–1970) wur­de erst in jün­ge­rer Zeit wie­der­ent­deckt und als femi­nis­ti­sche Schrift­stel­le­rin gefei­ert und abge­hef­tet. Das hat sie nicht ver­dient! Eine Frau reist für ein Wochen­en­de in den Wald. Sie kann dann dem Wald nicht ent­kom­men, weil zwi­schen ihr und drau­ßen eine Wand gewach­sen ist. Übri­gens stark ver­filmt. (EK)

1964 Johan­nes Bobrow­ski: Levins Müh­lehier bestel­len

Der Lyri­ker Bobrow­ski (1917–1965) fängt in die­sem Roman noch ein­mal die undurch­sich­ti­ge Welt des Ostens, in die­sem Fall West­preu­ßens ein. Vor dem Hin­ter­grund ver­schie­de­ner Völ­ker, Spra­chen und Reli­gio­nen erzählt Bobrow­ski eine ein­fa­che Geschich­te vom Streit zwei­er Müh­len­be­sit­zer, bei­de auf ihre Art Ori­gi­na­le. (EL)

1965 Hans J. Sten­zel: Erleb­nis­se eines Drückebergers

Der Kari­ka­tu­rist Sten­zel, der 1967/68 mit sei­nen Zeich­nun­gen den Unmut der West­ber­li­ner Stu­den­ten auf sich zog, hat mit sei­nem ein­zi­gen Roman einen deut­schen Sol­da­ten Schwe­jk geschaf­fen. Der Sani­täts­sol­dat Blu­me ver­ab­scheut das Sol­dat­sein, schafft es aber sich mit dem schar­fen Ver­stand des Ber­li­ners, der sich dumm­stellt, allen brenz­li­gen Situa­tio­nen zu ent­kom­men. Auf der Sta­ti­on für Geschlechts­krank­hei­ten, mit­ten im besetz­ten Ruß­land, läuft er zu Hoch­form auf. (EL)

1966 Joa­chim Fer­n­au: Dis­teln für Hagenhier bestel­len

Wohl der bes­te Fer­n­au: Die Nach­er­zäh­lung des deut­schen Mythos schlecht­hin, des Nibe­lun­gen­lieds, aber mit einem ganz eige­nen Zun­gen­schlag: Hagen ist der eigent­li­che Held, der staats­tra­gen­de Ent­sa­ger, der Baum, die Säu­le, der­je­ni­ge, der tut, was getan wer­den muß, ohne lan­ges Gere­de und ohne Aus­flucht. Lesen: zuerst das Lied selbst, dann die­se Deu­tung. (GK)

1967 war lite­ra­risch zumin­dest in Deutsch­land ein trü­bes Jahr, zu dem auch dem Spie­gel nichts ein­fällt. Es ist nichts Nen­nens­wer­tes erschie­nen, wenn man ein­mal von Ernst Jün­gers Sub­ti­len Jag­den absieht. Aber drei­mal Jün­ger wäre dann doch etwas viel.

1968 Sieg­fried Lenz: Deutsch­stun­dehier bestel­len

Lite­ra­ri­sche Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung par excel­lence. Wer ver­ste­hen will, wie Lite­ra­tur dem Zeit­geist zum Durch­bruch ver­hel­fen kann, soll­te die Deutsch­stun­de lesen. Die Iro­nie der Geschich­te: Die Geis­ter, die Lenz rief, mach­ten ihm spä­ter selbst den Pro­zeß und sahen in sei­ner Dar­stel­lung des Malers Emil Nol­de eine unstatt­haf­te Ver­harm­lo­sung. (EL)

1969 Jurek Becker: Jakob der Lüg­nerhier bestel­len

1970 Tho­mas Bern­hard: Das Kalk­werkhier bestel­len

War­um über­haupt etwas von Tho­mas Bern­hard? Nun, man muß etwas von ihm gele­sen haben, wenigs­tens etwas. Das Kalk­werk eig­net sich, denn es ist der kras­se Bern­hard, der sezie­ren­de: Ein Wis­sen­schaft­ler zieht sich in ein altes Kalk­werk zurück, um end­lich eine Stu­die über das Gehör zu schrei­ben. Er miß­braucht für sei­ne Ver­su­che sei­ne gelähm­te Frau, liest ihr Nova­lis vor, wenn sie spur­te, und wenn nicht, etwas, das sie nicht mag. Wenn man Bern­hard liest, ver­fes­tigt sich der Ein­druck, daß man im Leben kaum vor­an­kom­men kann. Das ist schon eine gute Lek­ti­on! (GK)

1971 Otfried Preuß­ler: Kra­bat – hier bestel­len

Die­se Geschich­te von der Müh­le im Kosel­bruch, den Ver­lo­ckun­gen und dem Preis der Magie und dem Sieg der Lie­be und des Lichts über das über das Böse und die Dun­kel­heit – das ist Otfried Preuß­lers Meis­ter­stück. Die Ver­fil­mung ist schlecht, man muß lesen, gera­de als Erwach­se­ner noch ein­mal. (GK)

1972 Peter Bamm: Eines Men­schen Zeit

Peter Bamm (eigent­lich Curt Emm­rich) war Sol­dat, Arzt und Jour­na­list, eine Viel­fach­be­ga­bung, die schon bei sei­nem ers­ten Best­sel­ler Die unsicht­ba­re Flag­ge spür­bar war, in dem er die ethisch intak­te Hal­tung des deut­schen Sani­täts­we­sens im Zwei­ten Welt­krieg schil­dert. Sei­ne Auto­bio­gra­phie geht nicht nur weit über die­se Zeit hin­aus, son­dern zeigt den Autor auch als Phi­lo­so­phen im bes­ten Sin­ne. (EL)

1973 Franz Füh­mann: 22 Tage oder die Hälf­te des Lebens

Franz Füh­mann (1922–1984), sich mit 14 Jah­ren selbst als „Faschist“ titu­lie­rend, spä­ter SA-Mann, noch spä­ter über­zeug­ter Sta­li­nist und am Ende doch geläu­tert, ist einer mei­ner Liebs­ten. Die­ses jähe Spiel zwi­schen Ver­nunft und Lei­den­schaft! Aber immer „gut“ sein wol­lend! Die­ser Tage­buch-Bericht über eine Ungarn-Rei­se gehört zum Sub­tils­ten, was die DDR-Lite­ra­tur her­vor­brach­te. (EK)

1974 Arno Sur­min­ski: Jokeh­nen oder Wie lan­ge fährt man von Ost­preu­ßen nach Deutsch­land – hier bestel­len

Der Roman wur­de erst mit eini­ger Ver­zö­ge­rung zum Erfolg, hat sich aber seit­her als gül­ti­ge Dar­stel­lung Ost­preu­ßens in der Zeit der drei­ßi­ger und vier­zi­ger Jah­re eta­bliert. Aus der Sicht eines Her­an­wach­sen­den wer­den die gesell­schaft­li­chen und poli­ti­schen Ver­än­de­run­gen geschil­dert, die schließ­lich in den apo­ka­lyp­ti­schen Erfah­run­gen der Erobe­rung durch die Sowjets mün­den. Der Buch ist nicht zuletzt des­halb so ergrei­fend, weil Sur­min­sik­is Eltern nach Ruß­land ver­schleppt wur­den und der klei­ne Arno nur durch glück­li­che Umstän­de nicht das Schick­sal der Wolfs­kin­der tei­len muß­te. (EL)

1975 Horst Bie­nek: Die ers­te Polka

Ers­ter Band der Tetra­lo­gie Glei­witz. Eine ober­schle­si­sche Chro­nik in vier Roma­nen. Erzählt wird die Geschich­te der Fami­lie Piontek in der Grenz­stadt Glei­witz am Vor­abend des Zwei­ten Welt­kriegs.  Die „müden, erns­ten erlo­sche­nen Gesich­ter“ der Men­schen sehen „ganz anders aus als 1914, als der Kriegs­aus­bruch ein gro­ßes Fest für alle gewe­sen ist.“ (EK)

1976 Rei­ner Kun­ze: Die wun­der­ba­ren Jah­re - hier bestel­len

1977 Fritz Zorn: Marshier bestel­len

1978 Wal­ter Kem­pow­ski: Aus gro­ßer Zeithier bestel­len

Die Deut­sche Chro­nik Kem­pow­skis umfaßt neun Roma­ne, von denen Tadel­lö­ser und Wolf (1971) der ers­te und bekann­tes­te ist. Aus gro­ßer Zeit ist, wenn auch spä­ter erschie­nen, chro­no­lo­gisch der ers­te Band der Rei­he. Er spielt vor und wäh­rend des Ers­ten Welt­kriegs und zeich­net ein ganz ande­res Bild als Hein­rich Manns Der Unter­tan. (EL)

1979 Micha­el Ende: Die unend­li­che Geschich­tehier bestel­len

Das bes­te, tief­grün­digs­te Jugend­buch in deut­scher Spra­che. Über­bor­den­de Phan­ta­sie ohne bil­li­ge Effek­te. See­len­aus­lo­tung, Tap­fer­keit, Selbst­er­kennt­nis und lan­ge Wege – und vor allem der Kampf gegen das Nichts. Vor dem inne­ren Nichts ste­hen so vie­le jun­ge Men­schen – aber jeder hat auch den Keim einer gan­zen Welt in der Hand. (GK)

1980 Wil­ly Fähr­mann: Der lan­ge Weg des Lukas B.

Eine Zim­mer­manns­bri­ga­de ver­läßt Ost­preu­ßen, um in der neu­en Welt, in Ame­ri­ka, Geld zu ver­die­nen und das Elend zuhau­se zu mil­dern. Lukas Bien­mann ist dabei, Lehr­ling noch, aber bald ein voll­wer­ti­ger Gesel­le. Man lan­det an, ver­dingt sich, man­che blei­ben, man­che keh­ren zurück – so ging es tau­sen­den. Ein Stück deut­scher Geschich­te für Leser ab 14. (GK)

1981 Botho Strauß: Paa­re, Pas­san­tenhier bestel­len

Für manch einen redu­ziert sich das Werk von Strauß auf einen ein­zi­gen Essay, dabei hat der Autor sei­ner Kul­tur­kri­tik schon viel frü­her lite­ra­ri­schen Aus­druck ver­lie­hen. Hier geht es um das See­len­le­ben der BRD, um Ober­fläch­lich­keit und Hedo­nis­mus, um Unver­bind­lich­keit und feh­len­den Ernst. Wie unab­sicht­lich beob­ach­tet und notiert, ent­steht ein Kalei­do­skop der geschichts­lo­sen Jah­re. (EL)

1982 Hel­mut H. Schulz: Dame in Weißhier bestel­len

Eine Frau erklärt sich: Wie war das unter der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Herr­schaft, wie gut konn­te man leben, wann ging es berg­ab, wie durch­stand man den End­kampf in Ber­lin? In der DDR erst­mals erschie­nen, es muß­te auf die­se Lis­te: Der Autor ver­mach­te unse­rem Ver­lag kurz vor sei­nem Tod die Rech­te an die­sem Roman und dem Nach­fol­ge­band. (GK)

1983 Sten Nadol­ny: Die Ent­de­ckung der Lang­sam­keithier bestel­len

Nadol­ny zeich­net den bri­ti­sche For­scher und See­of­fi­zier John Frank­lin als Cha­rak­ter lang­sa­mer Gründ­lich­keit, der dadurch den Fort­schritt und die damit ver­bun­de­ne Hek­tik kon­ter­ka­rier­te und beharr­lich an sein Ziel gelang­te. Der Buch­ti­tel wur­de zur ste­hen­den Wen­dung. Eines der Bücher, deren Qua­li­tät außer­halb jeder Dis­kus­si­on steht. (GK)

1984 Gün­ter des Bruyn: Neue Herr­lich­keithier bestel­len

Die Abnei­gung de Bruyns gegen den SED-Staat war 1984 bereits so offen­sicht­lich, daß der Roman zunächst nur im Wes­ten erschei­nen konn­te. Da er Auf­se­hen erreg­te, erschien er noch im glei­chen Jahr auch in der DDR. Es geht um einen ver­wöhn­ten Jüng­ling der DDR-Nomen­kla­tu­ra, der in einem Dich­ter­heim (Schloß Wie­pers­dorf) mit der Wirk­lich­keit kon­fron­tiert wird und sei­ne Dop­pel­mo­ral nicht able­gen kann – die DDR im Brenn­glas, geschil­dert von ihrem bes­ten Erzäh­ler. (EL)

1985 Patrick Süs­kind: Das Par­fümhier bestel­len

Wenn Leu­te sich unter­hiel­ten, ob sie wahr­neh­mungs­mä­ßig der „visu­el­le“ oder der „audi­tive“ Typus sei­en (also mehr über´s Sehen oder Hören auf­neh­men), war ich stets die drit­te Frak­ti­on, die olfak­to­ri­sche, die „Rie­che­rin“. Schon des­halb ist die­ser Roman für mich eine Offen­ba­rung. Ich las ihn so gern, aber ich roch ihn auch zur Nei­ge! 18. Jahr­hun­dert: Der Wai­sen­jun­ge Jean-Bap­tis­te Gre­nouil­le hat einen außer­ge­wöhn­li­chen Sinn für Gerü­che – er wird Meis­ter­par­fü­meur. Doch sei­ne Beses­sen­heit, den per­fek­ten Duft zu kre­ieren, führt ihn auf einen dunk­len Pfad, der in Mord und Wahn­sinn mün­det. Über 20 Mil­lio­nen ver­kauf­te Exem­pla­re und zu Recht Schul­lek­tü­re! (EK)

1986 Horst Stern: Mann aus Apu­li­enhier bestel­len

Man denkt als Anhän­ger der ghi­bel­li­ni­schen Sei­te und Kai­ser Fried­richs II. lan­ge, daß die Bio­gra­phie, also das Lebens­bild, das Ernst Kan­to­ro­wicz als Geor­ge-Schü­ler ver­faßt hat, das Maß aller Din­ge sei. Aber das stimmt nicht. Horst Stern öff­net Türen: Er ist in Ich-Form abge­faßt und fühlt sich in den Kai­ser ein. Es gibt nicht vie­le his­to­ri­sche Roma­ne von die­ser Qua­li­tät. (GK)

1987 Joa­chim Lott­mann: Mai, Juni, Juli

Den Ter­mi­nus „Pop­li­te­ra­tur“ gab es damals noch nicht. Aber DAS war Pop­li­te­ra­tur. Man war 1987 bereits „poli­tisch kor­rekt“, ohne daß es die­sen Begriff gege­ben hät­te. Lott­mann, der heu­te ein küh­ler Alter ist, hat bereits damals nicht mit­ge­macht. Eine wun­der­schön wabern­de Lek­tü­re. (EK)

1988 Chris­toph Rans­mayr: Die letz­te Welthier bestel­len

„Kei­nem bleibt sei­ne Gestalt“ lau­tet der Kern­satz die­ses post­mo­der­nen Romans. Er ist die denk­bar frei­es­te und luzi­des­te Adap­ti­on des Ovid-Stoffs und sei­ner Meta­mor­pho­sen – auch sprach­lich ein Genie­streich. So kann man mit Über­lie­fe­rung ver­fah­ren – wenn man es kann. Unbe­ding­te Emp­feh­lung! (GK)

1989 Edgar Hil­sen­rath: Das Mär­chen vom letz­ten Gedan­ken - hier bestel­len

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Kommentare (5)

Licht des Vaterlandes

19. November 2024 14:37

Gute Zusammenstellung. Ich finde, Erich Maria Remarque hätte es verdient gehabt, dass einer seiner großartigen Romane gelistet worden wäre - vor oder nach 1945. Er schaffte, was vielen anderen großen deutschen Autoren verwehrt blieb: mit anspruchsvoller Literatur sogar  Hollywood zu erreichen. Auswahl gäbe es genug.

RMH

19. November 2024 15:00

"Nachkrieg, DDR und BRD – 1946 bis 1989"
Klugschiss dazu: Und Schweiz und Österreich. Am besten einfach: deutsche Literatur.
PS: Danke, dass es Thomas Bernhard auch auf die Liste geschafft hat (mein Einstiegstipp für Bernhard, für alle, die noch nichts von ihm gelesen haben sollten: Sein eher spätes Werk "Alte Meister". Und zum Thema 1967 war ein trübes Jahr: Da erschien u.a. "Verstörung" von T. Bernhard. Ein Titel, dem der Inhalt des Buches gerecht wird. Gut, an Sonnenschein kann man wenig beim Lesen dieses Buches denken, wünscht ihn sich aber bei der Lektüre. Daher: 1967 - doch trübe?).

Liselotte

19. November 2024 17:43

Homo Faber, wirklich? Es graust mir immer noch von meiner Schullektüre, fand das entsetzlich fad, langweilig und blutleer. Genauso abstoßend wie die rechteckigen Bürobauten der 60er Jahre.

H. M. Richter

19. November 2024 17:57

Danke. Vieles freut; ganz weniges ist zweifelhaft. Auf jeden Fall eine Schatzkiste …  //
Ein Vorschlag: Aus dem Kommentariat heraus darf jeder – vielleicht drei … – zusätzliche Vorschläge machen, die schlußendlich in einer gemeinsamen Übersicht nochmals zusammen veröffentlicht werden. //
Da fange ich gerne mit einer Ergänzung zum Jahre 1977 an: Erich Loest, Es geht seinen Gang oder Mühen in unserer Ebene. //
Nicht so sehr wegen der literarischen Qualität als vielmehr wegen der seinerzeitigen enormen Wirkung im Lande, zumindest im halben.

ABC

19. November 2024 19:39

Bei Kirst kann ich nicht zustimmen, in 0815 schiebt der Nationalsozialist Kirst die Schuld von sich weg auf den preußischen Barras. Das war natürlich ein attraktives Modell.
Bei dem Urteil über Gilbert Wolzow kann ich auch nicht zustimmen. Für eine verlorene Sache sterben nötigt Achtung ab. Aus Prinzip Andere für eine verloren Sache in den Tod zwingen, ist Folge von Nihilismus und innerer Haltlosigkeit.