Zu diesen zählt Martin Sellner, der es nach eigener Auskunft keine Viertelstunde im Kino ausgehalten hat, und insbesondere vom Anblick von Siegfrieds “Gang aus Talahons und Afrikanern” in die Flucht geschlagen wurde.
Zu den “Multikulti”-Einsprengseln kämen noch “Feminismus und ‘Kriegerinnen’ überall” sowie eine optisch unpassende Kriemhild. Deshalb “keinerlei Immersion” für Sellner, der aufrief, diese “Geldverschwendung” und generell “woken Blödsinn, wo ihr ihn treffft”, zu boykottieren.
Leider konnte Sellner aus gesundheitlichen Gründen nicht an der Diskussion teilnehmen, und so geriet sie zur Doppelconference zwischen Kubitschek und mir.
Ich stehe langweiligerweise genau in der Mitte zwischen beiden. Sellners Einwände kann ich durchaus nachvollziehen, zumal auch meine Schmerzgrenze gegenüber dümmlichen ideologischen Einsprengseln inzwischen außerordentlich niedrig ist.
Die Zwischenschnitte, in denen die Afrikaner aus Siegfrieds seltsamem Multikulti-Raubritterhaufen hervorgehoben werden, sind rein selbstzweckhafte Quotenzutaten. Es ist sinnlos, darüber zu spekulieren, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, daß sich im Mittelalter der eine oder andere Mohr an den Rhein verirrt hat, denn aus “historischen” Gründen sind diese Herrschaften nicht in diesem Film drinnen.
Ähnlich bescheuert und unglaubwürdig wirkt ein kleines, resolutes Kampfweib aus Hagens Mannschaft, das glücklicherweise in der Schlacht gegen die Sachsen ziemlich rasch nach Walhalla befördert wird. Die halb-fantastischen Walküren auf Island hingegen gefielen mir recht gut, sie sind erhaben und unheimlich, wie Drachen und Zwerge “alte Wesen”, wie es im Film heißt. Hier tritt das Motiv von den “kriegerischen Frauen” mit voller mythologischer Berechtigung auf.
Der Elefant im Raum ist gewiß die Besetzung der Kriemhild mit der Schauspielerin Lilja van der Zwaag, die offensichtlich asiatische Gesichtszüge trägt und optisch in keiner Weise zu ihren Blutsverwandten paßt, oder überhaupt in das gesamte Ambiente. Von ihrem holländischen Nachnamen ausgehend, vermute ich eine teilweise indonesische Abstammung. Auch mich hat das so gestört, daß es mein emotionales “Eintauchen” in den Film nachhaltig sabotiert hat. Zuviel “suspension of disbelief” wird hier für meinen Geschmack gefordert!
Ich weiß, es ist manchen peinlich, dergleichen anzusprechen, und wir sind sozial darauf dressiert, uns engstirnig, unfein und kleinlich vorzukommen und uns davor zu fürchten, des “Rassismus” bezichtigt zu werden, wenn wir es tun.
Aber wir haben es hier offensichtlich mit einer bewußten Casting-Entscheidung “gegen den Strich” des Stoffes und seine tradierte Ikonographie zu tun, die offenbar ebenso Selbstzweck ist (also nichts Substantielles zur Figur oder zur Geschichte beiträgt), wie die gelegentlich im Hintergrund vorbeihuschenden Afrikaner. Man werfe mir also nicht vor, daß mir auffällt, was den Filmemachern auf keinen Fall entgangen sein kann und dem sie den Vorzug gegeben haben.
Dabei rede ich hier wohlgemerkt nicht “glatten” oder klischierten Besetzungen das Wort. Im 2004 fürs Fernsehen gedrehte, diversityfreien “Nibelungen”-Zweiteiler von Uli Edel (“Der Baader-Meinhof-Komplex”), der eher der Wälsungensage (und ein bißchen Wagner) als dem Nibelungenlied folgt, wird beispielsweise Brunhild von einer amerikanischen Schauspielerin deutscher und skandinavischer Herkunft namens Kristanna Loken gespielt, die aussieht wie ein Topmodel und alle “nordophilen” Ansprüche erfüllt: Groß, blond und blauäugig.
Sie wirkt aber (für mein Empfinden zumindest) viel zu niedlich, zu hübsch und zu gefällig für die Rolle, die im neuen “Hagen”-Film mit der dänischen Schauspielerin Rosalinde Mynster weitaus “rauher” und überzeugender besetzt ist.
In der anschließenden Publikumsdiskussion unterstützte ein Teilnehmer Sellners Boykottaufruf mit einem, wie ich denke, gewichtigen Argument: Castings dieser Art haben auch den Zweck, “multikulturelle” Darstellungen historischer oder mythischer Stoffe zu “normalisieren”: heutige und künftig projektierte demographische Zusammensetzungen sollen in der Vergangenheit widergespiegelt werden, um den falschen Eindruck zu erzeugen, daß “es immer schon so war”. Im anglophonen Bereich hat das schon extreme Züge angenommen: Von einem indischen Sir Gawain bis hin zu einem schwarzafrikanischen Achilles oder gar einer schwarzafrikanischen Anne Boleyn.
Das läuft eine grobe Verfälschung der Geschichte und der Überlieferung hin, und soll wohl auch verhindern, daß weiße Menschen diese Geschichten nicht nur zur Unterhaltung konsumieren, sondern sie auch als Teil ihrer ethnokulturellen Identität betrachten. Diese Strategie der “multikulturellen” Würze ist nun nicht allzu neu – sie findet sich bereits 2011 in der Marvel-Comics-Verfilmung Thor, in der der nordische Gott Heimdall, der Wächter der Regenbogenbrücke Bifrost, von einem schwarzen Schauspieler dargestellt wird.
Das alles wäre einen eigenen Artikel wert. Eigentlich wollte ich in Anbetracht des “Hagen”-Films nicht allzu viele Worte über das Thema verlieren als nötig. Er schrammt in dieser Hinsicht gerade noch am Rande des Erträglichen vorbei, mit einem Hauch von “uncanny valley” durch die zeitgeistkonformen Beimischungen. Man kann sie wie Kubitschek hinehmen, akzeptabel finden, aber haben sie auch einen positiven Wert, sind sie “gut”? Das wird wohl niemand behaupten.
Nun aber genug gemeckert. Hat “Hagen” auch Meriten, und was wären diese? Kubitschek hob hervor, daß es doch bemerkenswert sei, daß im Jahr 2024 ein Film über diesen urdeutschen Stoff gedreht wird, der nicht nur nicht völlig schlecht ist, sondern Motive behandelt und wieder aufleben läßt, die durchaus etwas mit “uns” Deutschen zu tun haben.
In seiner Besprechung schrieb er:
Staatsraison [Hagen] gegen strahlende Verdichtung [Siegfried]: Ich werbe sehr dafür, das, was in diesem Film aufeinanderprallt, so zu sehen, zu spüren und zu durchdenken. Man kann an solchen Filmen ganze Themenstränge knüpfen – Staat, Dienst, Loyalität, Persönlichkeit, Charisma, Mythos undsoweiter. (…) Diese Männer, Helden, Typen, sind keine Fremden. Wir alle sind mehr als tausend Jahre alt.
Wie sehe ich das selber, abgesehen von der leidigen “Diversity”-Debatte? Der zumindest optisch schöne Film hat mir auch aus anderen Gründen nicht allzu große Freude bereitet. Kriemhilds Rolle ist nicht nur unpassend besetzt, sondern auch schwach gespielt und bekommt vom Drehbuch wenig Futter.
Aus der Idee, daß Hagen Kriemhild liebt, machen die Regisseure nicht sehr viel, es gibt wenig Spannung zwischen den beiden Charakteren, und was da ist, wird inszenatorisch und schauspielerisch eher ungeschickt ausgedrückt.
Wozu ist diese unerfüllte und unausgesprochene Liebe überhaupt da, wenn sie nicht dazu verwendet wird, Hagens Ressentiment gegen Siegfried anzuheizen? Nur um Hagens Selbstverleugnung im Dienstes des Staates zu zeigen? Hier hätte man ein explosiveres und komplexeres Gemisch zusammenbrauen können – man höre sich etwa an, was Michael Köhlmeier in seiner Fassung allein im Exposé aus dieser Konstellation herausholt.
Ähnliches gilt für die Figur Brunhilds, deren Potential kaum ausgeschöpft wird. Sobald sie in Worms angekommen ist und ihre Aufgabe als “Wunderwaffe” gegen die Hunnen erfüllt hat, verkommt sie zunehmend zur schweigenden Staffage und zum bloßen “plot point”: Sie und Siegfried beginnen heimlich und ehebrecherisch ihrer alten Leidenschaft zu frönen, was schließlich zur Entscheidung führt, ihn zu töten, da er auch dadurch die Ordnung des Hofes gefährdet, indem er Gunther zum Hahnrei macht.
Die Notwendigkeit, Siegfried zu verraten und sich per Meuchelmord seiner zu entledigen, taucht in der vorliegenden Fassung allerdings etwas abrupt und eilig erzählt auf, und das hat viel damit zu tun, daß der im Originalstoff treibende Charakter der gedemütigten und betrogenen Brunhild fast völlig unter den Tisch fällt. Da auch Hagens eigene subjektive Motivation, Siegfried zu töten, nicht genug unterfüttert wird, wurden hier viele Chancen einer packenden dramatischen Zuspitzung verabsäumt.
Und dies ist nur eines von vielen losen Enden, die mich am Drehbuch gestört haben. Allerdings mag dies damit zu tun haben, daß die Kinoversion stark gekürzt ist. Der Film wird nächstes Jahr in einer verlängerten Fassung als sechsteilige Serie auf RTL+ herauskommen, wobei ich nicht eruieren konnte, ob sie die ganze Geschichte bis zum bitteren Ende in der Etzelshalle erzählen oder nur der Kinofassung mehr Fleisch geben wird (vermutlich letzteres, da sie dem Roman von Wolfgang Hohlbein folgt).
Grundsätzlich befürworte ich natürlich das freie Spiel mit den Figuren der Nibelungensage. Seit es den Stoff gibt, ist er in fließender Bewegung, und dies gewährleistet, daß er lebendig bleibt. Dabei wird natürlich jede neue Bearbeitung vom Geist ihrer Zeit beeinflußt sein.
Auch der berühmte mittelhochdeutsche Text aus dem Hochmittelalter ist keine “endgültige” oder “kanonische” Fassung, sondern seinerseits eine Bearbeitung und Kombination von älteren Überlieferungen. Der Faden wurde im 19. Jahrhundert, als das Nibelungenlied zum “Nationalepos” der Deutschen erklärt wurde, weitergesponnen, etwa von Friedrich Hebbel, vor allem aber von Richard Wagner mit seiner bahnbrechenden Opern-Tetralogie.
Das gilt auch für die bislang vier deutschen Filmversionen des Stoffes (sieht man von einer TV-Produktion des Stückes von Hebbel aus dem Jahr 1967 ab), deren immer noch gewaltigste der inzwischen hundert Jahre alte epische Stummfilm von Fritz Lang ist, der Zweiteiler Siegfried und Kriemhilds Rache - keine bloße “Verfilmung”, sondern ein eigenständiges, modernes Kunstwerk, das immer noch Gänsehaut zu erzeugen vermag und dem Mythos auch im Bereich des Films neues, bis heute andauerndes Leben einhauchte.
Stephan Grundy, ein amerikanischer Autor (und Asatru-Anhänger), der dicke Fantasy-Romane über Siegfried und Hagen geschrieben hat, bemerkte im Vorwort zu einer anderen, sehr gelungenen Nacherzählung von Baal Müller (2004):
Die Neuerzählung eines so ausgedehnten Sagenkreises wie dem der Nibelungen gleicht der Wiederherstellung eines zersprungenen Mosaiks, die sich allein von dem verschwommenen und unterbrochenen Umriß des Originals an der Wand und den Formen und Farben der davor am Boden liegenden Steinchen leiten läßt. Der Autor muß die Linien so gut wie möglich nachzeichnen und nach seinem Ermessen das Fehlende ergänzen.
Dies gelte auch schon für die Verfasser des Nibelungenlieds, der Wälsungensage und der Thidrekssaga.
Eine besonders faszinierende Deutung, die vermutlich auch Wolfgang Hohlbein und somit den neuen Film beeinflußt hat, stammt von Joachim Fernau.
Disteln für Hagen von 1966 erzählt das Nibelungenlied nicht bloß nach, sondern prüft und interpretiert kritisch Zeile für Zeile, in einem ständigen Dialog “von Autor zur Autor” mit dem unbekannten Verfasser, dessen Intentionen und seelische Disposition Fernau zu ergründen versucht.
Seine These ist, daß dem Autor, der bereits ein christlicher Deutscher und kein heidnischer Germane mehr war, der alte Sagenstoff “peinlich” gewesen sei, und er darum zu Übermalungen gegriffen habe, unter denen immer noch die ursprünglichen, roheren Erzählungen durchscheinen.
Das betrifft vor allem zwei Motive: Aus Siegfried, dem Abenteurer und Raufbold zweifelhafter Herkunft (bei Wagner ist er nach dem Vorbild der Wälsungensage Frucht eines Inzests zwischen Bruder und Schwester), der einen Drachen erschlagen haben will und der den Nibelungenschatz vermutlich durch nackte Gewalt in Besitz genommen hat, wird ein edler Königssohn aus Xanten (ein “running gag” des Buches ist, daß Siegfried im Laufe des Nibelungenliedes immer wieder an seiner angeblichen Heimat vorbeikommt, aber nicht auf die Idee verfällt, seinen Eltern mal einen Besuch abzustatten).
Und damit diese ideale Lichtgestalt nicht getrübt wird, muß der Dichter auch sämtliche Spuren verwischen, die darauf hinweisen, daß Siegfried und Brunhild ein Liebesverhältnis hatten, ehe es den Helden nach Worms verschlug. Dies ist jedoch in Fernaus Augen nur teilweise gelungen; immer wieder blitzt die unterschlagene Wahrheit, wie sie in anderen Quellen geschrieben steht, zwischen den Zeilen auf.
Mit diesem Zauberstab erklärt Fernau schlüssig einige inhaltliche Rätsel und Verrenkungen des Textes. Brunhilds mörderischer Haß auf Siegfried, der schließlich zu seinem Tod führt, bekommt eine wuchtige Tiefendimension, sobald man davon ausgeht, daß die von Odin/Wotan zum bloßen Menschen degradierte Walküre nicht nur in ihrer Ehre gekränkt wurde, weil sie der tarnbekappte Held im Wettkampf und im Bett stellvertretend für Gunther bezwungen hat, sondern daß sie auch noch als romantisch liebende Frau gedemütigt und betrogen wurde.
Fernau sieht in diesen Veränderung des Ur-Stoffs eine deutsche, allzudeutsche Tendenz am Werk:
Wenn das Leben brodelt und kocht, zuckt und schillert, dampft und stinkt, dann befällt unser Herz Beklemmung und Scham. Die deutsche Seele ist unfähig, auf dem Misthaufen des Lebens – und das Leben IST ein dampfender Misthaufen – zu blühen. “Makel” ist für sie etwas Tödliches geworden. Sie kann ihn nicht bewältigen, nicht belächeln, nicht verstehen, nicht verzeihen.
Der mittelalterliche Dichter des Nibelungenliedes fühlte nach Fernau bereits genau so, und wollte deshalb das “Unkraut” der Legende jäten:
Er wollte der Seele einen makellosen Garten herrichten. Denn das ist es, was die Seele der Deutschen braucht: das Makellose, nicht die Wahrheit. Die Kraft, die sie aufbringt, um sich das Neue zu erschaffen und zu glauben, wäre allerdings groß genug, die alte Wahrheit mit ihrem Menschlich-Allzumenschlichem zu lieben; aber sie kann nicht, sie kapituliert vor dem Toxin, dem Giftstoff (des Unzulänglichen). Die Seele der Deutschen besitzt kein Antitoxin, wie es fast alle anderen Völker haben.
Der Nibelungendichter war ein großer Vollstrecker. Er grub die alte Wahrheit wie eine unansehnliche Wurzel ein und ließ daraus die tausendjährige Rose erblühen.
Was er an der Figur Siegfrieds, des deutschen Helden par excellence, “verdeckt”, sind
… sein Treubruch, seine Doppelliebe, seine Flachheit, seine sittliche Feigheit, seine Dummejungenhaftigkeit, sein wirres Herumschwimmen im Leben – in Wahrheit lauter Züge gesegneter Menschlichkeit, die in Verbindung mit seiner grandiosen Kühnheit, Stärke und Schönheit ein Bild animalisch wilder Schöpfung ergeben.
So betracht, wäre die Fassung von Hohlbein und Boss/Stennert mit dem räudigen, saufenden, impulsiven und im Wald vögelnden Siegfried eine Art “back to roots” jenseits der allzu feinen und hehren Tünche späterer Jahrhunderte.
Hagen, der sich selbst und die Burgunder Schritt für Schritt in den Untergang führt, und dabei jede Fluchtmöglichkeit vor diesem Schicksal systematisch zunichte macht, ist in Fernaus Deutung das Gegenbild zu diesem chaotischen, animalischen, kraftstrotzenden Leben, das Siegfried verkörpert. Das “Deutsche” an Hagen ist die Treue zur Idee, zum abstrakten, makellosen Prinzip:
Hagen IST die Idee. Er ist das Prinzip selbst. Er lebt in der reinen, der tödlich leeren Idee. In der Idee als Ersatz für die Frau, die er nicht hat, für das Kind, das er nicht wünscht, für die Liebe, die er nicht braucht, für das Lachen, das er nicht kennt, für das Genießen der Gegenwart, die für ihn eine Zeitvergeudung für die Zukunft ist. Die Kälte, die Hagen verbreitet, ist die Kälte eines Lebens im luftleeren Raum der Idee. (…) “Deutschland muß leben und wenn wir sterben müssen” – das ist das Dynamit, das Hagen mit sich herumträgt, das ist Circulus-vitiosus-Bekenntnis, das von ihm stammen könnte.
Keiner kann der Idee so treu sein wie der Deutsche. Wo die Idee fehlt, schafft er sie. Wo sie nicht möglich ist, ist er nicht treu.
Der Autor selbst hat hier, wie Faust, zwei Seelen in seiner Brust, denn bei aller Liebe zu Deutschland und den Deutschen, die als Grundton seiner bei ihrem Erscheinen als “respektlos” gescholtenen Bücher erklingt, und bei allem Verständnis für das Streben nach dem reinen Ideal, spürt man, daß er selbst dem Leben, dem “Misthaufen”, dem Menschlichen den Vorzug gibt. So äußert er sich auch eher abschätzig über die Figur des Dietrich von Bern, die ihm in ihrer sterilen Makellosigkeit konstruiert und langweilig erscheint.
Fernau entwirft in seinem Buch eine außerordentlich tiefe Konzeption des Gegensatzes “Hagen” und “Siegfried”. Im aktuellen Film, dessen Stärke das Wechselspiel dieser beiden Figuren ist, finden sich davon allenfalls Spurenelemente. Aber immerhin – sie finden sich.
Joachim Fernaus Werk hatte, nicht zuletzt über die Vermittlung seines “Fans” Armin Mohler, großen Einfluß auf die “neue Rechte” in Deutschland. Ich habe diese Stellen in Fernaus Buch immer als Schlüssel zu der Frage gelesen, warum die Deutschen außerstande sind, sich ihre “NS-Vergangenheit” zu verzeihen, warum sie historische Grautonzeichnung so schlecht vertragen, warum der nationalmasochistische Flagellantismus besonders bei ihnen so markant ausgeprägt ist, warum gerade sie so unverdrossen, verbissen, systematisch, “treu” und fleißig an ihrer eigenen Abschaffung arbeiten.
Man sieht, daß Fernaus “Bestandsaufnahme der deutschen Seele” keineswegs in eine identitäre oder nationalistische Idylle führt, nach dem Muster der Nibelungenlied-Rezeption im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Was die Deutschen nach Fernau “brauchen”, um zu blühen, ist ein zweischneidiges Schwert, das ihnen selbst gefährlich werden kann. Bedienungsanleitungen, wie man wieder “deutsch” in diesem Sinne wird, liefert er dabei nicht.
Es ging ihm vor allem um die Selbsterkenntnis, auch und gerade der dunklen und abgründigen Seiten, derer dieses besiegte, gebrochene, von selbst entfremdete und in sich zerrissene Volk bedarf:
Sie fürchten, daß “daz maere” noch nicht zu Ende ist? Ich fürchte es auch, meine Freunde. Aber (..) Sie werden dem Schicksal nicht entgehen. In Ihrer Brust tragen Sie es mit fort. Auch wenn sie die Finger heben und abschwören: Menschen wie wir MACHEN nicht Geschichte, sie SIND Geschichte. Sie glauben nein? Sie meinen, Sie haben das, was not tut: die Seele aus dem Supermarkt? Nichts von Siegfried, nichts von Kriemhild, nichts von Gunther, nichts von Hagen? Die Seele ohne Preislage? (…)
Fürchten Sie sich denn vor dem Fazit der Bestandsaufnahme? Schreckliche Zutaten, sagen Sie? Ja, das ist wahr. Aber seien Sie ohne Sorge; wenn Sie wüßten, womit die Kuchen anderer Völker gebacken sind!
Fernau schloß sein Buch mit einer Mahnung, die noch heute gültig ist:
“Am deutschen Wesen wird die Welt genesen” – nein, ganz sicher nicht. Aber wir, wir könnten daran genesen.
Wenn wir begreifen, was wir da huckepack tragen. Wenn wir aufhören, mit dem Fratzenschneiden und sind, die wir sind. Der Herr der Welt will uns wiedererkennen, wie er uns gemeint hat.