Einer von ihnen ist FPÖ-“Biograph” Lothar Höbelt, ansonsten ein recht nüchterner Geselle, der Kickl in einem außerordentlich gehässigen Artikel attackiert hat.
Etwa in diesem Tonfall:
Historiker werden sich in späteren Jahrzehnten einmal den Kopf zerbrechen, ob sie nicht “Fake News” aufgesessen sind: Eine Partei bekommt Kanzleramt und Finanzministerium angeboten – und lässt diese aller Voraussicht nach nie wiederkehrende Chance vorübergehen, weil sich unser Alberich von Radenthein auf das Innenressort kapriziert (eine Obsession, die schon 2019 zum Bruch der bürgerlichen Koalition beigetragen und uns fünf Jahre Gewessler beschert hat).
Die Sache ließe sich “logisch” nicht erklären, habe vermutlich pathologische-psychiatrische Ursachen, sei entweder “kindisches Trotzverhalten oder bewusste Sabotage”, jedenfalls könne man nur den Schluß ziehen: “Kickl will offenbar ganz einfach nicht.”
Sodann rühmt Höbelt die ÖVP, daß sie über ihren Schatten (also über Karl Nehammer) gesprungen sei, um Kickl als Kanzler zu akzeptieren, und nun wäre an ihm gelegen, dasselbe zu tun, und auf das Innenministerium zu verzichten:
Es war schon 2018/19 ein Fehler, die Rivalitäten unserer heimischen Möchtegern-James-Bonds zum Sprengsatz der Koalition hochzustilisieren, umso mehr heute.
Höbelt wirft Kickl also vor, mit seinem aggressiven Vorgehen gegen den ÖVP-nahen Verfassungsschutz die Ursache für das Scheitern der türkis-blauen Koalition von 2017 gewesen zu sein. Ich habe das irgendwie anders in Erinnerung.
Und nun, da das “internationale Umfeld für eine Mitte-Rechts-Regierung so gut wie schon lange nicht” sei, habe Kickl eine einmalige Chance versemmelt. Er habe nicht nur die “Rechtsregierungen innerhalb der EU” im Stich gelassen (die AfD muß nun ohne österreichische Signalwirkung zu den Bundestagswahlen antreten), sondern auch “anderthalb Millionen Wähler der FPÖ im Inland, die jetzt ihre Hoffnungen enttäuscht sehen, eine Regierung ohne linke Beteiligung im Amt zu sehen.”
Eine Reihe von zentralen Punkten, die eine blau-schwarze Regierung ohne jegliche interne Reibungsverluste in Angriff hätte nehmen können, wird jetzt entweder liegen bleiben oder verwässert werden. Die politisch-korrekten Manierismen im öffentlichen Bereich, die Auswüchse des Green Deals, die famose Haushaltsabgabe des ORF und viele andere Ärgernisse werden wegen der Marotten von Herrn Kickl vermutlich leider bestehen bleiben.
Damit sei Kickls FPÖ erledigt, oder zumindest müsse er jetzt endlich erledigt werden:
Aber für die Wähler ist mit Kickls Abbruch der Regierungsverhandlungen jeder Grund entfallen, nochmals FPÖ zu wählen. Wozu soll man eine Partei wählen, zumindest auf Bundesebene, die ohnehin nur kneift, sobald sie die Chance erhält, ihre Vorstellungen umzusetzen.
Ceterum censeo, Kickl esse delendam.
Was sagt Kickl selbst? In einem Schreiben an den Bundespräsidenten, in dem er den Regierungsauftrag zurückgibt, begründete er sein Vorgehen so:
Ehe jedoch die noch strittigen Punkte auf Chefverhandler-Ebene geklärt werden konnten, bestand die ÖVP Anfang Februar darauf, die Ressortverteilung zu klären. Am 4. Februar 2025 haben wir Freiheitliche einen entsprechenden Entwurf vorgelegt. Obwohl wir in den darauffolgenden Gesprächen der ÖVP in vielen Punkten entgegengekommen sind, waren die Verhandlungen zu unserem Bedauern letztlich nicht von Erfolg gekrönt.
Das letzte freiheitliche Angebot (12. 2.) sah nun so aus:
FPÖ (5 + Kanzler)
- Bundeskanzler
- Kanzleramtsminister für Verfassung, Deregulierung, Medien und Digitalisierung
- Finanzen
- Inneres (unabhängiger Staatssekretär für den Nachrichtendienst DSN)
- Arbeit und Integration
- Gesundheit, Sport und Tourismus
ÖVP (7 + Vizekanzler)
- Vizekanzler
- Auswärtige Angelegenheiten und EU
- Verkehr und Infrastruktur
- Wirtschaft, Forschung und Energie
- Landesverteidigung und öffentlicher Dienst
- Landwirtschaft und Umwelt
- Soziales, Frauen, Familie und Jugend
- Bildung, Wissenschaft, Kunst und Kultur
Unabhängig (1)
- Justiz
Höbelt behauptet nun, die ÖVP hätte zugestimmt, den Blauen das Finanzministerium zu überlassen. Am 7. 2. berichtete der Standard:
Die ÖVP wolle aber auf die Freiheitlichen zugehen, um möglichst schnell eine Regierung zu ermöglichen. Und soll dem Vernehmen nach den Freiheitlichen das Finanzministerium anbieten.
Kickl berichtete in einer Pressekonferenz(12. 2.), daß dies zu einem bestimmten Zeitpunkt tatsächlich der Fall war, nachdem er der ÖVP angeboten hatte, die EU-Agenden aus dem Bundeskanzleramt herauszunehmen. Allerdings verlangte sie dafür auch die Kontrolle über den Bereich der Medien. Kickl bot ihr darauf den Kulturbereich, insistierte aber auf dem Innenministerium, weil dieses für Sicherheit, Asyl und Migration zuständig sei. Darauf wollte die ÖVP um keinen Preis eingehen.
Das Gegenangebot der ÖVP, wie es am 12. 2. berichtet wurde, sah letztlich so aus:
Demnach soll die FPÖ ein eigenes Asyl- und Migrations-Ministerium erhalten. Dazu würden diese Bereiche aus dem Innenministerium ausgegliedert werden. Das Innenressort samt Geheimdienst und auch das Finanzministerium würden bei der ÖVP bleiben.
Das hätte dann so ausgesehen:
FPÖ (3 + Kanzler)
- Bundeskanzler
- Kanzleramtsminister für Verfassung, Deregulierung, Medien und Digitalisierung
- Asyl und Migration (Stück vom Innenministerium)
- Gesundheit, Sport und Tourismus
ÖVP (9 + Vizekanzler)
- Vizekanzler
- Finanzministerium
- Innenministerium
- Verkehr und Infrastruktur
- Wirtschaft, Forschung und Energie
- Landesverteidigung und öffentlicher Dienst
- Landwirtschaft und Umwelt
- Soziales, Frauen, Familie und Jugend
- Bildung, Wissenschaft, Kunst und Kultur
Das wären dann drei (nicht besonders wichtige) Ressorts für die FPÖ und neun für die ÖVP gewesen, darunter diejenigen, die das größte politische Gewicht haben.
Angesichts dessen ist es fette Chuzpe vom Feinsten seitens des Wahlverlierers ÖVP, dem anvisierten Koalitionspartner einen “Machtrausch” vorzuwerfen.
Der Einspruch der FPÖ: Das Finanzministerium sollte nicht denjenigen überlassen werden, die für die österreichische Budgetmisere verantwortlich sind; das Angebot eines eigenen, aus dem Innenministerium ausgekoppelten Leckerlis “Asyl- und Migrations-Ministerium” sei “verfassungsrechtlich mit einer Vielzahl von Problemen behaftet”, “administrativ unmöglich” und „operativ zum Scheitern verurteilt“ .
Machen wir mal spaßhalber einen Vergleich mit dem Kabinett Schüssel I von 1999, in der die FPÖ nur Juniorpartner war (obwohl sie in den Wahlergebnissen knapp vor der ÖVP lag; Wahlsieger war damals die SPÖ gewesen):
ÖVP (5 plus Kanzler):
- Kanzler
- Äußeres
- Inneres
- Wirtschaft und Arbeit
- Landwirtschaft
- Bildung, Wissenschaft und Kultur
FPÖ (6 plus Vizekanzler):
- Vizekanzler
- Landesverteidigung
- Verkehr
- Soziales
- Sport
- Justiz
- Finanzen
Das war ungefähr eine 50:50 Aufteilung, wobei der Seniorpartner ÖVP die gewichtigsten Resorts bekam.
Wie sah es 2017 mit der ÖVP als Seniorpartner aus?
ÖVP (5 + Kanzler):
- Kanzler
- Finanzen
- Landwirtschaft (Nachhaltigkeit & Tourismus)
- Digitalisierung
- Kultur
- Familie
FPÖ (5+Vizekanzler)
- Vizekanzler
- Sport
- Inneres
- Landesverteidigung
- Verkehr
- Soziales
Parteilose (mit Nominierung):
- Äußeres (FPÖ)
- Bildung (ÖVP)
- Justiz (ÖVP)
Beide Male hat die FPÖ als Juniorpartner weitaus besser abgeschnitten, als sie es diesmal als Seniorpartner getan hätte.
Schauen wir uns an, was die ÖVP abgesehen von den Ministerämtern (unter anderem) noch so alles abgelehnt hat:
- ÖVP wollte keine “Pushbacks” an den Außengrenzen haben (also gar keinen Außengrenzenschutz)
- ÖVP wollte keinen WHO-Austritt und keinen Ausstieg aus der “NATO-Partnerschaft für den Frieden”
- ÖVP wollte keine Zurückdrängung von supranationalen Gerichtshöfen
- ÖVP wollte kein Verbotsgesetz gegen den politischen Islam
- ÖVP wollte den “Rechtsextremismusbericht” der Privat-Stasi DÖW nicht abschaffen
- ÖVP wollte ein Bekenntnis zur Menschenrechtskonvention EMRK, die sich gegen Abschiebungen stellt
- ÖVP wollte keine Maßnahmen gegen “Debanking” und keinen Schutz vor politisch motivierten Kündigungen
Kickl hatte den Eindruck, daß die ÖVP unehrlich verhandelt hat, und Teile von ihr die Verhandlungen absichtlich sabotiert haben. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die ÖVP die Latte extra hoch gelegt hat, um die Koalitionsgespräche letztlich zum Scheitern zu bringen. Druck gab es außerdem auch von den europäischen (EVP) und bundesdeutschen Christdemokraten, die auf keinen Fall eine blau-schwarze Regierungskoalition haben wollten.
Wenn man sich die vorliegenden Fakten ansieht, so ist es sonnenklar, daß die ÖVP einen kastrierten und in seinem Handlungsraum weitgehend eingeschränkten Kickl haben wollte. Es war keineswegs eine “Marotte”, wenn er auf dem Innenministerium beharrt hat, denn dieses ist der Schlüssel zur Asyl- und Migrationspolitik (der ÖVP-Vorschlag eines ausgelagerten Sub-Ministeriums war mit ziemlicher Sicherheit nur eine Finte.) Wegen dieses Problems ist er gewählt worden, und hier muß er liefern, wenn er glaubwürdig bleiben will.
Ob nun eine substantiell große Anzahl Wähler auf das ÖVP-Narrativ hereinfallen wird, Kickl habe die Sache verbockt und sei darum als politikunfähig entzaubert, und wie sich das auf etwaige Neuwahlen auswirken wird, das weiß ich nicht.
Daß sogar Köpfe wie Höbelt diese Story schlucken und sich zu Feindzeugen machen, ist sehr bedauerlich. Auf diese wird es nun aber nicht ankommen.
Ich denke außerdem, daß es nun vor allem die ÖVP ist, die in den Augen ihrer Wähler schlechter als zuvor dasteht (Bingo?). Sie tut offensichtlich, was Brüssel und Berlin, und nicht, was die Wähler von ihr wollen. Nun schmeißt sie sich an SPÖ-Andreas Babler ran, als hätte es nie Differenzen gegeben. Eine derartig vertrackte Situation gab es in Österreich noch nie.
Mein Verdikt also: Höbelt hat unrecht. Kickl hat richtig gehandelt.
Ich scheine mit dieser Ansicht glücklicherweise nicht allein dazustehen. Dieses Statement von Albert Pethö wurde mir zugespielt:
Ausnahmsweise müssen wir einem alten Freund widersprechen, der Herrn Kickl kritisiert hat. Herr Kickl hat völlig zu Recht angemerkt, daß es nicht darum geht, Kanzler ohne Befugnis zu sein, sondern eine Wende im Land herbeizuführen.
Es zeugt von staatsmännischer Gesinnung, daß sich Herr Kickl nicht billig einkaufen hat lassen und den Vorzeigepopanz gibt, während der linksparasitäre Machtapparat unangetastet bleibt.
Besser keine Koalition als eine, die falsch regiert; besser eine einigermaßen patriotische Partei, die eine glaubwürdige Alternative bleibt, als ein paar Politposten ohne Handlungsspielraum. Solche “Chancen”, wie sie jetzt dargeboten wurden, sind verlogenes Schmierentheater.
Alberich von Radenthein hat recht gehandelt.
Kickl hat bewiesen, daß er nicht blindlings nach dem Kanzleramt giert, sondern daß es ihm um die bestmögliche Umsetzung seiner Sache und um dauerhafte Veränderungen geht, nicht um das folgenlose Einfügen in das Systemrauschen und das Auf und Ab des ewigen Postenschachers.
Besser kein Kanzler Kickl, als ein von der ÖVP in Fesseln gelegter und über den Tisch gezogener Kickl.
t.gygax
Ach, viel der leeren Worte haben die Wunderlichen gemacht....so schrieb einst Hölderlin, und Lothar Höbelt schreibt seltsam wunderliche Sätze bar jeder Kenntnis der wirklichen Vorgänge.Kickl sollte verhindert werden, das ist die ganz einfache und triste Wahrheit. Und die Kreise, die ihn verhindert haben, sitzen nicht nur in Österreich, sondern auch in der BRD und in Brüssel. Und " sie herrschen übel", ein Schlusssatz aus dem sehr lesenswerten Märchen "Das Sternenkind" von Oscar Wilde.Dass jetzt keine Neuwahlen ausgerufen werden , zeigt, dass Kickl ausrangiert werden soll. Aber der ist eine starke und zähe Kämpfernatur, zum Glück hat Österreich einen solchen Politiker....felix Austria!