Über dieser Schublade wird schnell vergessen, was für eine immens verstörende Wirkung der Film bei seinem Erscheinen hatte. Seine subversive Kraft hat er jedoch auch nach über vierzig Jahren noch bewahrt.
Meine Beschäftigung mit “Clockwork Orange” reicht lange zurück. Ich war zwölf Jahre alt, als ich zum ersten Mal vom “Rowdy” und Problemkind meiner Klasse, mit dem ich komischerweise gut befreundet war, davon hörte. Es handele sich um einen streng verbotenen und diabolisch verruchten Streifen voller Sex und Gewalt, den “Lieblingsfilm der französischen Skinheads” (woher er dieses spezifische Wissen hatte, ist mir bis heute ein Rätsel) mit gar greulichen Szenen: in einer würde eine Frau mit einem Plastikpenis zu Tode vergewaltigt werden, der so groß ist, daß er ihr “oben aus dem Mund wieder herauskommt”. Als er das erzählte, machte er eine obszöne Geste und grinste dabei begeistert. Ich konnte vor Beklemmung nächtelang nicht schlafen.
Daß eine solche Szene in der Form nicht in dem Film vorkam, forschte ich in “Reclams Filmführer” und in einem Taschenbuch über Kubrick nach. Die darin abgedruckten Bilder erschreckten und faszinierten mich zugleich. Ich litt furchtbar darunter, daß ein so schrecklicher Film existieren konnte und durfte. Das war wirklich etwas, mit dem ich fertigwerden mußte. Es kam einem Verlust der Unschuld gleich, zu wissen, daß es solche Filme überhaupt gab, und ich war ein äußerst unschuldiges Kind. Bald war ich von seinem Inhalt regelrecht besessen. Ich kannte die ganze Handlung auswendig, ohne ihn jemals gesehen zu haben, was damals, Ende der achtziger Jahre, nicht so einfach war, wovor ich mich aber auch fürchtete. Ich habe ihn erst viele Jahre später gesehen, mit neunzehn oder zwanzig Jahren.
Ich war nicht der einzige, der daran zu kauen hatte. Der Ruf eines abgrundtief “bösen” und “perversen” Machwerkes hing “A Clockwork Orange” jahrzehntelang an, noch verstärkt durch Kubricks Entscheidung, den Film für den Verleih und den Videomarkt in England zu sperren. Grund waren einige Fälle von Jugendgewalt, die angeblich von Szenen des Films inspiriert waren. Dadurch wurde er zur umso heißer begehrten “verbotenen Frucht”.
Die ewige Kontroverse um Freiheit und “Verantwortung” der Kunst hatte allerdings schon früher eingesetzt. Ein Kritiker der New York Times zeigte sich geradezu entsetzt, und warf “A Clockwork Orange ” eine “antiliberale Botschaft”, “Nihilismus” und “unverkennbar faschistische Töne” vor.
Der Vorwurf des “Faschismus” traf Anfang der siebziger Jahre eine ganze Reihe von Filmen, die als “reaktionäre” Gegenentwürfe zu den Trends und Liberalisierungsschüben der sechziger Jahre empfunden wurden. Als “faschistisch” galten Polizeifilme wie “French Connection” und “Dirty Harry” (beide 1971) , Selbstjustiz-Thriller wie “Death Wish” (Ein Mann sieht rot, 1974) oder solitäre Schocker wie Sam Peckinpahs “Straw Dogs” (Wer Gewalt sät, 1971).
Was war damit eigentlich gemeint? Der Artikel des NY-Times-Kritikers Fred Hechinger brachte es auf den Punkt: all diese Filme hatten gemeinsam, daß sie von einem durchweg pessimistischen Menschenbild ausgingen, und daß ihre Szenarios demonstrierten, daß es Lagen gibt, in denen alle guten Absichten und “gutmenschlichen” Prämissen und Lösungsvorschläge versagen. Diese bittere Botschaft hört der linksliberale Intellektuelle natürlich bis heute nicht gerne, und prügelt dafür auf ihren Überbringer ein.
Hechinger schrieb:
Wenn solche Ansichten nun von der Filmindustrie verbreitet werden – nicht nur in Uhrwerk, sondern in einer wachsenden Anzahl von Filmen wie Straw Dogs und sogar French Connection – was wären die Konsequenzen einer solch pessimistischen, antiliberalen Sicht der menschlichen Natur? Wie sollen die sozialen Institutionen aussehen, die darauf basieren? Das können doch logischerweise nur die repressiven, autoritären, mißtrauischen, gewalttätigen Institutionen des Faschismus sein. “Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, daß…” Lächerlich! “Herrschaft durch das Volk…” Absurd! Jefferson, ganz zu schweigen von Christus, waren eindeutig Liberale, die nicht imstande waren, die “blutige Wahrheit” zu ertragen. Da müssen schon Gestalten wie Hitler und Stalin ran, da braucht es die Gewalt der Inquisitionen, Pogrome und Säuberungen, um eine Welt von unedlen Wilden unter Kontrolle zu halten.
Letzteres spielt auf ein Zitat von Kubrick an: der Mensch sei kein “edler”, sondern ein “unedler Wilder”. Man sieht, daß der hysterische, politkorrekte Alarmismus schon in den siebziger Jahren Triumphe feierte. Kubricks kühle Antwort darauf war, daß er eben kein Anhänger der Rousseau’schen Sicht auf den Menschen sei:
Das Zeitalter der Ausreden, in dem wir uns befinden, begann mit dem ersten Satz von Rousseau’s “Emile”: “Die Natur hat mich glücklich und gut erschaffen, and wenn ich das nicht bin, dann ist die Gesellschaft daran schuld.” Es basiert auf zwei irrigen Konzeptionen: daß der Mensch in seinem natürlichen Urzustand glücklich und gut war, und daß der Urmensch keine Gesellschaft kannte. Rorbert Ardrey schrieb in “Der Sozialvertrag”: “Das leitende Prinzip in Rousseaus Leben war der Glaube an die ursprüngliche Güte des Menschen, eingeschlossen seiner eigenen. Das führte ihn zu gewaltigen Heucheleien, die zwangsläufig aus einer solchen Annahme erwachsen müssen. Noch gewichtiger sind die Desillusionierungen, der Pessimismus und die Paranoia, die ein solcher Glaube an die menschliche Natur hervorrufen muß.”
Genau dies ist der klassische Ausgangspunkt, von dem aus sich “rechte” und “linke” Staats- und Gesellschaftstheorien verzweigen. In der Folge erscheinen die Linken den Rechten als naiv, die Rechten den Linken als zynisch: “the evil and the stupid party”, wie der alte amerikanische Witz über Republikaner und Demokraten geht (daß sich beides trefflich kombinieren läßt, zeigt die amerikanische Politik auf Schönste).
Und das ist auch die Wurzel der “Political Correctness”: derjenige, der das linke Menschenbild nicht teilt, erscheint dem Linken nicht nur als falschliegend, sondern als ethisch defekt. Dagegen führt ein auf schiefer Ebene erbautes Menschenbild stets zum Gegenteil dessen, was es erreichen will. Das “Böse”, daß der Linke “im Menschen” nicht sehen will, projiziert er auf sein politisches Feindbild; auch er kennt also seine “Juden” und “Untermenschen”, die seiner schönen neuen Welt der allumfassenden Gleichheit böswillig im Weg stehen.
So gesehen hatten Hechingers übertriebene Vorwürfe an Kubrick einen wahren Kern. Die amerikanische Kulturkritikerin Camille Paglia brachte es auf den Punkt:
Kubrick zeigt in “A Clockwork Orange” die Wahrheit: wenn Gesetz und Ordnung zusammenbrechen, dann regiert der Mob.
“A Clockwork Orange” handelt, wie die meisten Leser wohl wissen werden, von Alex, dem Anführer einer Jugendgang, die aus purem Vergnügen, ja mit kindlicher Lust raubt, prügelt und vergewaltigt. Die Welt, in der sie sich bewegen, ist hedonistisch, liberalistisch, permissiv. Softporno-Bildchen sind in dieser Gesellschaft ubiquitär, sogar in der Wohnung von Alex’s schwächlichen und strohdummen Eltern. Alex wird nach dem Affektmord an einer Frau verhaftet und zu einer langjährigen Haft verurteilt.
Um seinem Schicksal zu entkommen, meldet er sich als freiwilliges Versuchskaninchen zu einer neuartigen, “fortschrittlichen” Erziehungsmethode. Mit “behaviouristischen” Mitteln wie chemisch und psychologisch induziertem Streß und Ekel soll ihm der Geschmack an “sex and crime” abgewöhnt werden. Alex unterwirft sich der Prozedur, in deren Verlauf ihm als zufälliger Nebeneffekt auch noch seine leidenschaftliche Liebe zu Beethoven ausgetrieben wird.
Die “Therapie” scheint zunächst zu funktionieren, Alex reagiert nun auf Regungen von Aggression und Gewalt mit Übelkeit und Erbrechen. Er wird aus dem Gefängnis entlassen, ist aber nun, da er sich nicht mehr wehren kann, der Rache seiner früheren Opfer, die nicht minder grausam sind als er zuvor, hilflos ausgeliefert. Als Alex versucht, Selbstmord zu begehen, wird eine politische Kampagne gegen den Innenminister, der das Programm verantwortet hat, in Gang gesetzt.
Die Konditionierung wird rückgängig gemacht, und Alex läßt sich dafür kaufen, sich nun öffentlich an die Seite des Ministers zu stellen, um ihm wieder gute Publicity zu verschaffen. In der letzten, surrealen Szene des Films sieht man ihn, wie er sich mit einem nackten Mädchen vor den Augen einer applaudierenden viktorianisch gekleideten Gesellschaft wollüstig auf dem Boden wälzt: “Ich war wieder geheilt, allright.”
Kubrick, der selbst das Drehbuch schrieb, hat aus der Romanvorlage von Anthony Burgess (1962) einen vielschichtigen “Thesenfilm” und eine schwarze Satire im Geiste Swifts gemacht, mit deren Analyse sich voluminöse Doktorarbeiten füllen ließen. Ich will mich hier auf ein paar Anmerkungen beschränken.
Was auch immer “Clockwork Orange” noch sein mag, er ist vor allem ein ästhetischer Volltreffer, der seinesgleichen nicht hat. Für das dystopisch verfremdete England seines Films hat Kubrick eine Vielzahl von Stilisierungen eingesetzt: bizarre futuristische Sets wie die berühmte “Korova-Milchbar”, exzentrische bis schrille Kostüme, poppig leuchtende Farben, exzellent gewählte “brutalistische” Locations. Alex’ Bande ist gänzlich in Weiß gekleidet, mit schwarzen Melonen und Zylindern als Kopfbedeckungen, trägt falsche Wimpern und Lippenstift sowie Gürtelbinden, die das Geschlechtsteil betonen.
Sie sprechen in einer merkwürdigen Kunstsprache, einer Mischung aus blumigen und barocken Redewendungen, Cockney-Slang und Neologismen, die aus dem Russischen stammen (die ausgezeichnete deutsche Synchronfassung stammt übrigens von keinem Geringeren als Wolfgang Staudte). Die Sex- und Gewaltszenen werden mit bekannten klassischen Musikstücken unterlegt und durch Zeitraffer- und Zeitlupenaufnahmen gedehnt oder beschleunigt.
Dies wurde bei Erscheinen des Films als unglaubliche Provokation empfunden. Es hieß, Kubrick verherrliche die Gewalt, indem er sie zum ästhetischen Genuß hochstilisiere. Tatsächlich konzentriert sich das berüchtigte erste Drittel des Films auf den hemmungs- und gewissenlosen Spaß, den die “Droogs” an ihrer “Horrorshow” haben. Kubrick kümmert sich dabei wenig um das Leid der Opfer, aber umso mehr um die Freude der Täter. Das erzeugt im Zuschauer äußerst ambivalente Gefühle: er ist abgestossen vom Inhalt, aber angezogen von der Form.
Alex ist eine vollendete Kunstfigur, die so gut wie nichts mit realen soziologischen Erscheinungen zu tun hat, kongenial verkörpert von dem damals 28jährigen Malcom McDowell. Schon die erste Einstellung zeigt ihn als eine Art sadistisches, erregt atmendes, vor Energie platzendes Triebtier, das zugleich alle Züge einer verfeinerten Kultur zeigt – nicht nur in seinem dandyhaft-dekadenten Outfit und seiner gewählten Sprache, sondern auch in seiner – für den Kontext, in dem er sich bewegt, bizarren – Passion für Beethoven. Dabei hat es ihm insbesondere die “Ode an der Freude” aus der im Film ausgiebig verwendeten Neunten Symphonie angetan: sie ist der bevorzugte Soundtrack für seine nächtlichen “ultrabrutalen” Ekstasen.
Nochmal Camille Paglia:
Die Musik drängt dem Publikum gewaltsam folgende Idee auf: ihr denkt, ihr seid alle sehr zivilisiert, nicht wahr? Ihr denkt, eure Kunst sei so hochentwickelt, daß ihr nicht mehr in eure anale Welt zurückfallen könnt? Nun, denkt lieber nochmal darüber nach.
Das erinnert an den Satz des Gegenaufklärers Rivarol:
Die zivilisierten Völker sind der Barbarei so nahe wie das bestgeschliffene Eisen dem Rost. Völker wie Metalle glänzen nur an der Oberfläche.
Während seiner “Umerziehungs”-Therapie wird Alex auf einen Kinostuhl festgeschnallt und gezwungen, sich stundenlang Filme mit gewalttätigem und pornographischen Inhalt anzusehen, während ihm gleichzeitig eine Droge verabreicht wird, die Schmerz- und Übelkeitsgefühle erzeugt. An den Augenlidern befestigte Klammern verhindern, daß er seinen Blick abwenden kann.
Irgendwann sind auch Szenen aus dem Zweiten Weltkrieg und NS-Propagandafilmen zu sehen – Panzer, Flugzeuge und die monumentale Ästhetik des Nürnbergs von Speer und Riefenstahl. Das ist natürlich eine Variation der Kernfrage des Films: wie konnten die Nationalsozialisten Ästheten und Massenmörder zugleich sein? Wie passen Kultur und Krieg zusammen? Steht Kunst außerhalb der Moral, hat sie überhaupt etwas mit Moral zu tun? Müssen das Schöne und das Gute zwangsläufig zusammenkommen? Kann Schönheit totalitären Zwecken dienen?
Wieder ist die Musik – elektronisch – verfremdet – aus der Neunten Symphonie. Als Alex sie erkennt, bricht er in ein animalisches Wehgeschrei aus:
Alex: Aufhören, bitte aufhören! Es ist eine Sünde, eine Sünde, eine Sünde…!
Dr. Brodsky: Sünde? Was meinen Sie denn mit Sünde?
Alex: Den alten Ludwig Van so zu benutzen, er hat doch niemals jemandem etwas getan!
Dieser Satz ist doppeldeutig: damit können sowohl die Nazis als auch die Umerzieher gemeint sein.
Dr.Branom: Erregt Sie vielleicht die Filmmusik, die sie hören?
Alex: Ja!
Dr. Branom: Haben Sie Beethoven schon einmal gehört?
Alex: Ja!
Dr. Brodsky: Lieben Sie Musik?
Alex: Ja!
Dr. Brodsky (zu Dr. Branom): Kann man nichts machen, vielleicht ist hier dann die Bestrafung zu sehen. Der Direktor wird sich freuen.
Die Ärzte sind also offenbar Liberale, die Bestrafung für barbarisch halten, und in erster Linie daran interessiert sind, aus den Tätern “bessere Menschen” zu machen.
Nun, da für ihn etwas Grundlegendes auf dem Spiel steht, zeigt sich Alex endlich bereit, sich den Forderungen der Moral zu unterwerfen. Aber seine Beteuerungen klingen unaufrichtig, von Angst diktiert:
Alex: Es ist nicht fair! Es ist nicht fair, daß mir schlecht wird, weil ich den lieben, lieben, lieben Ludwig Van höre!
Dr. Brodsky: Du mußt deine Chance wahrnehmen. Die Entscheidung hat bei dir gelegen!
Alex: Sie haben mich längst überzeugt, Sir! Ich hab schon begriffen, daß das Ultrabrutale und das Killing falsch ist! Ich hab’s kapiert, schon längst! Ich seh doch alles Böse ein, hört auf!
Die Klagen helfen nichts, die “Therapie” wird zu Ende geführt. In einer vom Innenminister präsentierten öffentlichen Demonstration wird Alex von einem engagierten Schläger geohrfeigt und gedemütigt; in dem Moment, als er zurückschlagen will, überkommt ihn die “konditionierte”, unerträgliche Übelkeit. Der einzige, der protestiert, ist der Gefängnispfarrer, der seine Zöglinge mit altbewährten Methoden wie Höllendrohungen zu erziehen versucht. Das Gezeigte sei ein erbärmliches Schauspiel, denn Alex würde nur aus Angst vor Schmerzen handeln, nicht aus freier moralischer Entscheidung.
Innenminister: Hochwürden, das sind Spitzfindigkeiten. Uns geht es allein um die Bekämpfung der Kriminalität und die Entlastung der überfüllten Gefängnisse. Entscheidend ist der Erfolg! Hier haben Sie Ihren wahren Christen, der bereit ist, eher selbst gekreuzigt zu werden, statt zu kreuzigen (im Original: “ready to turn the other cheek”).
Genau das macht Alex aber in einer feindlichen Umwelt überlebensunfähig. Nach und nach rächen sich seine Opfer an ihm, der Bettler, den er grundlos zusammengeschlagen hat, der Schriftsteller, dessen Frau er vergewaltigt hat, und sogar seine eigenen “Droogs”, die inzwischen – zu Polizisten geworden sind, und ihre Neigung zum Sadismus nun mit staatlicher Sanktion ausleben. Wie schon anhand der Figur des brüllenden, zusammengeklemmten, sich automatenhaft bewegenden Gefängnisaufsehers, der merkwürdig “dressiert” wirkt, zeigt Kubrick, daß der Staat durchaus nicht auf die kanalisierten und gezähmten Triebenergien verzichten kann, um sein eigenes Gewaltmonopol umzusetzen.
Hier zeigt sich die tiefe Zwiespältigkeit von “Clockwork Orange”, die darauf abzielt, beiden Seiten des politischen Spektrums Bauchschmerzen zu bereiten. Ich habe selbst oft erlebt, wie dieser Film vor allem Zuschauern, die sich für besonders liberal und aufgeklärt halten, geradezu ein schlechtes Gewissen, ein “Problem” bereitet.
Trotzdem wird man hier schwerlich eine “konservative” Lobpreisung der Institutionen erkennen können. Kubrick zieht es vor, den Zuschauer zu erschüttern, zu verunsichern und ihn Fragen stellen lassen, statt ihn mit beruhigenden Antworten abzufertigen. So wird das Dilemma nicht aufgelöst: die Natur des Menschen bleibt dauerhaft problematisch, die “Endlösung” durch Gehirnwäsche, Konditionierung und “Umprogrammierung” ist es aber nicht minder, ist vermutlich noch verwerflicher.
Wenn wir heute von der “Umerziehung” der “Natur des Menschen” denken, kommen uns natürlich vor allem die Zumutungen der “politischen Korrektheit” und der linken Ideologie in den Sinn, etwa wenn es um die Neutralisierung von Geschlechtsunterschieden und die krypto-puritanische Bekämpfung von “Rassismus” geht.
Kubrick hatte eine Ahnung davon, daß der Totalitarismus sein Gewand wechselt, und keineswegs immer wieder von Neuem mit Hakenkreuzbinden und Schaftstiefeln auftreten muß. In seiner Antwort an den panischen NY-Times-Kritiker schrieb er die etwas kryptischen Sätze:
Die These des Films besteht vielmehr in der Warnung vor dem neuen psychedelischen Faschismus, der sinnenbetäubenden, multimedialen, stereobeschallten, drogeninduzierten Konditionierung von Menschen durch andere Menschen, die wahrscheinlich zur Abschafffung des Menschseins überhaupt und zum Beginn des Zombietums führen wird.
Als allzu pessimistisch wollte Kubrick aber nicht gelten, und so konstatierte er mit Robert Ardrey:
Es stellt sich die Frage, ob Rousseaus Sicht auf den Menschen als gefallener Engel nicht in Wirklichkeit die pessimistischte und hoffnungsloseste aller Philosophien ist. Sie macht den Menschen zum Monster, das sich nach und nach von seinem Geburtsadel entfernt hat. Ich finde Ardrey Ansichten viel optimistischer: “Wir stammen von aufgestiegenen Affen, nicht von gefallenen Engeln ab, und diese Affen waren wohlgemerkt bewaffnete Killer. Worauf können wir also stolz sein? Gewiß nicht auf unsere Morde und Massaker und Raketen und unsere unversöhnlichen Regierungen. Sondern über unsere Friedensverträge, auch wenn sie nicht eingehalten werden; unsere Symphonien, auch wenn sie selten aufgeführt werden; unsere friedlichen Äcker, auch wenn sie sich immer wieder in Schlachtfelder verwandeln; unsere Träume, auch wenn sie selten verwirklicht werden. Das Wunder des Menschen besteht nicht darin, wie tief er gesunken, sondern wie hoch er sich erhoben hat. Die Sterne anerkennen uns wegen unserer Gedichte, und nicht wegen unserer Leichenberge.”
Zum Abschluß noch ein Hinweis: Hier (und hier und hier) geht es zu den Kanälen des manischen Cineasten, Undergroundfilmers und Kubrick-Exegeten Rob Ager aus Liverpool, der es mit seinen Filmanalysen im Internet zu einigem Ruhm gebracht hat. Seinen Kubrick ‑Studien widmet er sich mit geradezu religiöser Inbrunst, und da der Meister tatsächlich kaum ein Detail dem Zufall überlassen hat, gibt es reichlich Stoff für weiterführende Interpretationen.
Diese oszillieren zwischen scharfer, kluger Beobachtung und zum Teil haarsträubenden Spekulationen. Aber selbst diese haben großen Unterhaltungswert. In der Folge “Clockwork Orange and the Survival of Nazi Ideology” attackiert Ager, der der United Kingdom Independence Party von Nigel Farange nahesteht, den “Totalitarismus” der EU und der Labour-Partei, und prangert unter anderem die “anti-weiße” Politik des erzwungenen Multikulturalismus an.
ingres
Ich hoffe man nimmt mir diesen persönlichen Kommentar nicht übel. Ich habe nie verstanden, warum Menschen böse sind. Klar als ich das mitbekam, habe ich mir meine Gedanken gemacht. Aber ich kam immer nur auf Minderwertigkeitskomplexe. Aber das thematisiert Kubrick, dessen Filme ich außer Dr. Seltsam (das war gut, auch wenn ich nichts reininterpretiert habe) nie gesehen habe, da ich kein Kinogänger war, ja nicht. Er meint wohl, dass das in der Natur liegt. Kann ich einfach ich nachvollziehen. Aber vielleicht wurde mir was anders angeboren. Klar meine Freunde waren unzuverlässig und "gedankenlos", aber böse war so lanmge ich sie kannte keiner. Aber Eifersucht usw. gibts tatsächlich auch bei guten Bekannten. Vielleicht kommt es daher und vielleicht liegt es in der Natur?
Warum dann auch Frauen böse sind, habe ich überhaupt nicht verstanden. Da sie nicht unter Konkurrenzdruck und im Wettbewerb stehen wie Männer, müssen sie keine Komplexe haben und haben überhaupt keinen Grund dazu, böse zu sein. Ich verstehs nicht.