bis hin zur Jungle World, also einer Melange, die sich vor allem durch recht geistloses, bisweilen primitives, aber in der Wirkung nachhaltiges Putin‑, Assad- und Iran-bashing auszeichnet, tut eine tatsächliche Gegenöffentlichkeit speziell auch in geopolitischen Fragen so Not wie selten.
Bisher gibt es in der BRD vor allem vier publizistische Pfeiler, die auf diesem Feld versuchen, zumindest im Rahmen der begrenzten gegebenen Möglichkeiten gegenzusteuern: Manuel Ochsenreiters Nachrichtenmagazin Zuerst! und Jürgen Elsässers Compact auf der einen Seite, die außenpolitischen Redakteure der Tageszeitung junge Welt und die mit ihr zum Teil verbundenen Autoren des Magazins Hintergrund auf der anderen Seite. Seit vier Ausgaben versucht sich nun auch eine österreichische Zeitschrift an der Formierung einer überparteilichen und strömungsübergreifenden Gegenöffentlichkeit zu den bewußten oder unbewußten Organen des Establishments: Info-DIREKT.
Das “Magazin für eine freie Welt”, so der Untertitel, hat bei der ersten Ausgabe, die im Frühjahr 2015 erschien, noch einige Makel aufgewiesen: Das Motto der Ausgabe (“Wir wollen einen wie Putin”) war wohl bewußt provokant und plakativ gehalten, und mit der Lobpreisung Rußlands als “Gegensystem zum Westen” beurteilte man die globale Lage etwas zu idealtypisch binär; außerdem fehlten bei einigen Beiträgen Autorenangaben. Das war insofern schade, als das der erste potentielle negative Eindruck – etwa: hier will der das Magazin herausgebende “Verein für Meinungsfreiheit und unabhängige Publizistik” (Sitz: Linz) recht einfach gehalten auf der Putin-Welle reiten – nach der Lektüre der Debütausgabe weitgehend verflogen ist.
Klar ist: Das ostentative Bekenntnis zu Rußland und seinem Präsidenten als Orientierungspunkt wird nicht von jedem potentiellen Leser goutiert werden; weniger Lobhudelei wäre dem Heft nicht abträglich gewesen. Andererseits: Bei all den schier lächerlichen Einseitigkeiten, mit der die deutschsprachige Medienwelt Putin und seine Außenpolitik – momentan konkret in Syrien – völlig deckungsgleich (Ausnahmen bestätigen die Regel) kommentiert, ist eine entsprechende Überbetonung des Positiven an der russischen Haltung wohl naheliegend.
In diesem Sinne kommt in der Erstausgabe Alexander Dugin zu Wort, der darlegt, weshalb die Konflikte in der Ukraine und in Syrien vor allem dem hegemonialen Streben der USA entgegenkämen. Der russische Philosoph trifft vermutlich den Nerv der Redaktion, wenn er ausführt, daß eine “dritte Position” in der Weltpolitik momentan nicht möglich sei: Die Wahl ist zu treffen zwischen einer Akzeptanz der unipolaren Weltordnung (nach US-Façon) oder einer Befürwortung der multipolaren Weltordnung (nach russischem Gusto).
In ähnlich prorussischem Tenor ist auch der Beitrag “Loslösung vom Dollar” und Manuel Ochsenreiters Reportage aus der Ostukraine (“Neurußland”) gehalten – im übrigen ein Text-Foto-Bericht, der mit Gewinn zu lesen ist, und zwar unabhängig davon, wie man selbst die Lage um die “Volksrepubliken” Donezk und Lugansk bewerten mag. Ochsenreiter stellt damit einmal mehr unter Beweis, daß direkte Vor-Ort-Recherchen in Krisengebieten, die im deutschen Blätterwald fast ausschließlich noch von ihm und Karin Leukefeld erscheinen, nicht durch die klassische Home-Office-Berichterstattung etablierter Journalisten ersetzt werden können.
Wladimir Putin selbst steht im Zentrum zweier weiterer Beiträge: Zum einen werden gesammelte Bonmots des russischen “Autokraten” wiedergegeben, “die Sie in westlichen Medien kaum lesen werden”, zum anderen werden Putins Feinde in Rußland, die nicht selten perfekt mit westlichen NGOs und entsprechenden Lobbygruppen vernetzt sind, portraitiert. Zwei eher ideenpolitische Aufsätze bearbeiten die Rolle der christlichen Orthodoxie als Bindemittel der russischen Identität sowie das deutsch-russische Verhältnis rund um Tauroggen und Rapallo. Abgerundet wird das Debüt von Info-DIREKT mit einem aufschlußreichen Gespräch mit Stephan Bartunek, einem der Mitgründer der Friedensmahnwache in Wien, sowie kulturellen Beiträgen (Vorstellung der Band “Jännerwein” und des russischen Balls in Wien).
Die zweite Ausgabe des österreichischen Projekts erschien wie geplant zwei Monate später. Nach der prorussischen Erstausgabe stand die zweite unter US-kritischem Vorzeichen (“Yes we can – Offensive des US-Imperiums”). Im Leitartikel werden die imperialen Methoden der “westlichen Wertegemeinschaft” analysiert, die nicht zuletzt mit dem Namen George Soros verknüpft sind. Jedem, der an einer kritischen Offenlegung der Machenschaften des dubiosen regime-change-Meisters interessiert ist, sei dieser Beitrag, dessen Urheber der Leser leider nicht erfährt, empfohlen. Weitere Beiträge widmen sich – dem Schwerpunkt US-Imperialismus entsprechend – der desaströsen Eskalationspolitik der einzigen verbliebenen Weltmacht. Hervorzuheben sicherlich der Beitrag Philip Steins, der die Zukunft eines von der US-Hegemonie befreiten Europas in der politischen und wirtschaftlichen Einbindung Rußlands, Chinas und Indiens sieht.
Im hinteren Teil des zweiten Heftes erfährt man mehr über die Begleitmusik zur Erstausgabe; Veranstaltungen der Redaktion fanden in Linz und Wien statt, bei denen die Blattlinie vorgestellt wurde, die unter anderem den “unzensurierten Blick auf die politischen Ansichten des russischen Präsidenten” beinhalte. Ein weiterer Schwerpunkt – und Leitmotiv der dritten Ausgabe – ist eine kritische Darstellung der europäischen Medienlandschaft. Der Charlie-Rausch der Presse wird untersucht, einzelne “Aussteiger” aus der etablierten Medienlandschaft (u. a. Eva Hermann, Christoph Hörstel) vorgestellt, Udo Ulfkotte zu seinem Bestseller Gekaufte Journalisten interviewt.
Anschaulich ist die Darstellung des NATO-Einflusses auf die “freien Medien”; die Mitgliedschaften der deutschsprachigen Leitwölfe von FAZ über SZ, Welt und Zeit in zahlreichen proamerikanischen Lobbyorganisationen werden kursorisch vorgestellt. Weitere Themen sind u. a. Hillary Clintons politische Agenda, die transatlantische Fraktion in der extremen Linken (“Antideutsche”), Jean Zieglers Globalisierungskritik, aber auch Selbstversorgung und Bierproduktion.
Zuletzt erschien vor wenigen Wochen die vierte Ausgabe, die sich schwerpunktmäßig der Macht der Konzerne innerhalb der Europäischen Union widmet. Nachdrücklich wird auf das massive Demokratiedefizit der Institutionen hingewiesen, plastisch die Einflußnahme der multinationalen Konzerne auf Freihandelsabkommen beschrieben, wobei in beiden Fällen zweifelsfrei mehr analytischer Tiefgang möglich gewesen wäre, hätte man beispielsweise entsprechende Arbeiten des (linken) Juristen Andreas Wehr befragt (vgl. insb. Europa ohne Demokratie?, 2004; Die Europäische Union, 2014).
Professor Karl Albrecht Schachtschneider, im November erneut in Schnellroda zu Gast, wird ins Felde geführt, um Argumente für einen EU-Austritt darzulegen. In einem als Diskussionsbeitrag gekennzeichneten Aufsatz Philip Steins wird zudem ein “Bundesstaat der Europäer” zur Debatte gestellt – das Stein keineswegs eine Art EU 2.0 im Sinne hat, sondern neue Optionen durchdenkt, wird nach der Lektüre offenkundig. Ob infolge dieses Plädoyers gegen traditionelle konservative Nationalstaatsorientierung eine Diskussion entsteht, muß das fünfte Heft zeigen, das im Herbst erscheint und sich dem Ansturm auf Europa widmen wird.
Ein Thema, das auch deshalb so bedeutend für eine eher außenpolitisch ausgerichtete Zeitschrift ist, weil die aktuelle Flüchtlingskatastrophe verdeutlicht, welche verheerenden Rückwirkungen die Aggressionen des Westens und der Golfstaaten gegen die legitime syrische Regierung unter ihrem Präsidenten Bashar al-Assad nicht nur für den Nahen und Mittleren Osten, sondern ebenfalls für Europa zeitigen.
Insgesamt erweist sich Info-DIREKT als eine erste publizistische Anlaufstelle für geopolitische Standpunkte jenseits des Mainstreams in Österreich; ob sich das Magazin, dem man wohl nicht zu Unrecht gewisse Überschneidungen mit dem freiheitlichen Lager nachsagt, mit seinen vorwiegend kurzen, bündigen Texten, hingegen auf dem deutschen Zeitschriftenmarkt gegenüber Zuerst!, Compact und dem speziell in politischer Theorie und globaler Ökonomie versierteren Hintergrund-Magazin behaupten wird, bleibt abzuwarten. Hervorzuheben ist noch die moderne und professionelle Aufmachung des sechsmal im Jahr erscheinenden Periodikums, das je 40 bis 48 Seiten umfaßt. Ein Abonnement kostet 25 € für den Leser in Österreich und 30 € für jenen in Deutschland.
Christian
Die multipolare Welt ist schon vor der Haustür. Die USA sorgen mit TPP und TTIP vor um ihre Sphären abzusichern, aber beides ist schwer durchzusetzen. Die Felle schwimmen davon.
Die Krimkrise war realpolitisch für Europa und Russland ein win-win. Wir haben eine national arrondierte, proeuropäische Ukraine und Russland spielte den bösen Buben und entschärfte den Konflikt um die Krim, wo seine Flotte liegt, in dem es sie an sich nahm. Das war nicht wie das Münchener Abkommen sondern wie die Jungtürken gegen das schwache osmanische Imperium. Problematisch ist nur, dass die notwendige Reaktion dazu geführt hat, dass jetzt die deutsch-russischen Beziehungen eingefroren sind.
Europa sollte sich schnell mit Südamerika einigen. Die sind die Wild Card. Es ist gut, dass ein neues Magazin die Perspektiven verbreitert.