Mit der AltRight (Alternative Rechte) hat sich ein synergetisches Gesellschaftsphänomen des virtuellen Zeitalters entwickelt, das die Skurrilität der Weiten des Internets in die Realität überträgt. Dabei beherrschen ihre Vertreter das Trolling wie wenige andere und treiben ihre ideologischen Feinde wie Nutzvieh vor sich her, um ihre Deutungen in die Gesellschaft zu zwingen.
Die folgende Betrachtung soll sich weniger mit der Entstehungsgeschichte und ihren Protagonisten auseinandersetzen, sondern einige Wirkmechanismen fokussieren, die bisher nicht im analytischen Fokus standen. Nicht wenige Anhänger der AltRight würden womöglich selbst über die Parallelen ihres Aktionismus zu Gewesenem staunen.
Meme magic und Chaos: “I can’t believe Trump’s gonna be president and we did it with memes”, schrieb nach der Wahl Trumps ein Facebooknutzer in überschwenglicher Euphorie auf der Facebookseite “God Emperor Trump” – einer Seite von vielen, die The Donald auf ironische Weise in den Stand einer mythologischen Gottheit erheben wollen. Der Nutzer nimmt mit seiner Aussage Bezug auf die sogenannte Meme magic, an die viele Rechtsalternative glauben – freilich nur halbernst: Die Überzeugung, daß die politischen Ziele real werden durch das völlig inflationäre, willkürliche, “autistische”, rücksichts- und zusammenhanglose Streuen selbst- und fremderstellter Mems – humoristischer Bilder mit eigenen Botschaften und Narrativen.
Was auf den ersten Blick wie blanker Unfug wirkt, fußt jedoch tatsächlich auf zwei phänomenologischen Konzepten: Viralität und selbsterfüllender Prophezeiung.
Je mehr ein Inhalt provoziert, zum Nachdenken anregt oder unterhält, desto eher verbreitet er sich, binnen kürzester Zeit womöglich millionenfach, gerade durch das Internet. Durch das eigene massenhafte Verbreiten von Mems tragen die Internetaktivisten einerseits von sich aus zu einer Informationsflut bei und erhöhen damit zugleich die Wahrscheinlichkeit, daß ein gewisser Prozentsatz ihres Outputs auf Resonanz stößt und von Dritten weiterverbreitet wird. Durch wiederkehrende Muster – etwa den grünen Frosch Pepe – prägt sich das Produkt beim Endkunden ein und schafft eine permanente Präsenz.
Indem sich die Aktivisten gegenseitig unerbittlich zur Tat antreiben und gleichzeitig auch die Effekte ihrer Handlungen beobachten können (nämlich die Reaktion der Masse, die unter anderem darin gipfelte, daß selbst Trump himself einen Pepe auf Twitter postete und Hillary Clinton in einer bundesweiten Rede an die Nation auf die AltRight zu sprechen kam), verstärken sich Selbstbewußtsein, Hingabebereitschaft und Engagement noch vielfach, was in der Konsequenz zur Beherrschung ganzer Resonanzräume führen kann. Zeitweilig waren etwa die Kommentarspalten von Hillary Clinton zigtausendfach überflutet von Pepe-Kommentaren; Gegner ihrer Agenda mußten nur noch bei einer ihrer spärlichen Reden auftauchen und “Pepe” schreien – und die Deutungshoheit war besetzt, zumindest aber die ideologische Hegemonie des Gegners befleckt.
Durch diese permanente mediale Befeuerung gelingt es der AltRight, den Eindruck der Allgegenwärtigkeit zu erwecken. Das führt zu einer schleichenden Normalisierung der Präsenz. Dies wiederum zu einer schleichenden Akzeptanz und der Diskursfähigkeit bisher völlig abwegig gewesener Positionen. Das Overton window des Sagbaren wird verschoben.
Agree, amplify and trigger: In ihrer Eigendarstellung gebärdet sich die AltRight mitunter völlig überzeichnet, übertrieben, exzessiv und megalomanisch. Dahinter steckt nicht etwa bloßer Narzißmus, sondern die althergebrachte Methode des Agree and amplify, die von Kommunikationtrainern und Persönlichkeitscoaches empfohlen wird.
Zusammengefaßt bedeutet dieses Konzept, auf herausfordernde Fragen und Unterstellungen des Gegenübers nicht mit Rechtfertigungen, Wut oder Abwehr zu reagieren, sondern die Vorhaltungen zu bejahen – und sogar darüber hinaus als Karikatur zu übersteigern, um so dem Gegner den Wind aus den Segeln zu nehmen und seine Position ins Lächerliche zu ziehen.
Die AltRight treibt diese Art und Weise des Umgangs mit der politischen Linken bis zum Exzeß. Und diese ist in ihrer eigenen politischen Echokammer viel zu isoliert und auch borniert, um sich darüber im klaren zu sein, daß sie sich durch ihre Panikreaktionen gleich zweifach zur Verliererin macht: Erstens entlarvt sie damit die eigene Unfähigkeit, einen souveränen Diskurs zu führen, indem sie sich der Ironie der Rechten unterwirft.
Zweitens läßt sie sich durch ihre vorhersehbare Reaktion wieder und wieder zum Spielball der AltRight machen, indem diese nur die entsprechenden Knöpfe – Triggers – der Linken drücken muß und wie bestellt eine Aufmerksamkeit über Gebühr ernten kann.
Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch, warum ein Richard Spencer bei einer Rede “Hail victory!” ins Mikrophon rief. Er selbst erklärte dazu bei “Red Ice”:
Whenever there is an authentic movement of identity, […] you’re literally Hitler, you’re literally the KKK […]. In some point we just wanna throw it back in their face. And do it with a grin, as well. […] There is this layer of irony to the fashy stuff.
Aus Spaß wird Ernst: Daß die Meinungskorridore und die permanente Betroffenheit diverser gesellschaftlicher Moralapostel längst zu einem Spielfeld von sogenannten Trollen geworden sind, die sich daran ergötzen, diese Vorbeter möglichst effektiv auf die Palme zu bringen, beweisen nicht nur die mannigfaltig gesperrten Kommentarleisten vieler Nachrichtenportale, sondern auch Foren wie “4chan”. Das Trolling als professionell ausgeführtes Hobby wirkte für die AltRight wie ein Eisbrecher im kommunikativen Umgang.
Schenkt man Protagonisten wie Richard Spencer Glauben, soll es nicht wenige geben, die sich einst primär mit identitären und liberalismuskritischen Inhalten befaßten, “nur um Leuten auf den Geist zu gehen”. Das heißt, diese Menschen politisierten sich überhaupt nicht aus einem politischen Impuls heraus, sondern aus Spaß – und je weiter sie es taten, desto mehr mußten sie die Wahrheit hinter den Inhalten erkennen und wurden eifrige Mitstreiter. Auf diese Art erreichte die AltRight bisher völlig unzugängliche Gesellschaftsschichten, oder anders: wurde zu dem, was sie ist, weil sie diesem Transformationsprozeß entsprang.
Anti-Kunst und Dadaismus: Am 20. Januar, der Amtseinführung Donald Trumps, startete der Schauspieler Shia LaBeouf das Kunstprojekt “He Will Not Divide Us”. Dieses sollte aus einer rund um die Uhr filmenden Webcam auf einem freien Platz bestehen, wo Trump-Gegner mantraartig die Losung des Projekts wiederholen sollten. Geplant war das Ganze für die kommenden vier Jahre. Mittlerweile wurde es abgebrochen.
Bereits ab dem ersten Tag suchten Rechtsalternative die Kamera auf, flüsterten rechte Wortfetzen in die Kamera, posierten in protofaschistischen Phantasieuniformen, hielten Schilder mit Pepe in die Kamera. Shia LaBeouf erlitt während dieser Provokationen mehrere Nervenzusammenbrüche und wurde aufgrund einer gewalttätigen Eskalation seinerseits sogar vor laufender Kamera von der Polizei abgeführt.
Der Höhepunkt des Trollings ereignete sich bereits wenige Tage nach Beginn des Projekts, als sich Rechte halbnackt zu einem Flashmob vor der Kamera versammelten, tanzten und dabei Milch in rauhen Mengen tranken. Warum Milch? Einfach so. Doch als Linke krude Erklärungsmuster zu entwerfen begannen, lancierte die AltRight die Ente, Milch sei ein Symbol der weißen Rasse, weil andere Rassen lactoseintolerant seien. Daraufhin überschlugen sich linke Seiten.
Diese Aktionskunst weist große Parallelen zur europäischen Dada-Bewegung vor dem Ersten Weltkrieg auf, nur unter anderem Vorzeichen. Während es dem ursprünglichen Dadaismus darum ging, tradierte Formen der Kunst zu verballhornen und durch Sinnlosigkeit der Darstellung und impulsives Gebrüll ins Lächerliche zu abstrahieren, greift die AltRight dieses Konzept nun (wohl unbewußt) auf, um den linken Mainstream durchzurütteln.
Der Dadaismus bietet mit seiner Geisteshaltung des totalen Zweifels am Herrschenden, der willkürlichen Form des Ausdrucks und dem Zerstörungswillen gegenüber herrschenden Erklärungsmustern eine Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen, die gerade dazu prädestiniert ist. Dada kommt ohne Begründung aus. Dada braucht keine Rechtfertigung. Und eben letzteres hebelt den moralischen Hammer komplett aus, durch den sich der Rechte jahrzehntelang mit Vorwürfen von Hitlerei und Rassismus mundtot machen ließ und lassen mußte.
Die AltRight kombiniert ihren Neodadaismus mit den Werkzeugen des 21. Jahrhunderts zu einer Form der Kommunikationsguerilla, die bis dato unbekannt war. Es bleibt abzuwarten, ob sich diese Bewegung auch in Europa ausbreiten und dort ebenso die Meinungskorridore weiter aufsprengen wird – oder ob sie erwachsen wird.
O. Boessmann
Danke für diese hochinteressanten Einblicke!